Der Papst und (sein) Jesus

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Zu "Jesus von Nazareth", dem neuen Buch von Joseph Ratzinger.

Rezensenten für Tages-oder Wochenzeitungen sind arm: Die Zeit drängt, die mitunter vorliegende Masse von Seiten zwingt zu schnellem Lesen, zu schnellem Schreiben und gleichzeitig zu sinnvollen Andeutungen. Das erinnert an Jagd; unklar ist, ob der Rezensent Jäger oder Gejagter ist.

Zunächst galt das auch für das 447 Seiten starke Buch, das Papst Benedikt XVI. als Joseph Ratzinger unter dem Titel Jesus von Nazareth vor knapp mehr als einer Woche veröffentlich hat. Doch schon auf den ersten Seiten fing der Text an, den Rezensenten mitzunehmen. Die Bitte des Papstes "um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt" (22), wurde einsichtig und überflüssig.

I. Der Weg durchs Buch

Das Buch atmet im Ganzen freien Geist ohne methodische Pressungen. Der Fundamentaltheologe Joseph Ratzinger arbeitet sich biblisch voran, und sein Weg durchs Buch ist Programm: In zehn Kapiteln denkt er über Jesus Christus nach und findet ihn als Gottmenschen, in dem das göttliche Gesetz vollkommen verwirklicht ist. Das alte Gesetz, das Israel gegeben wurde, ist in der Sicht des Papstes damit erfüllt und auch abgelöst.

Ein Weiteres kommt hinzu: Der Papst bewegt sich über sieben Kapitel durch die synoptischen Überlieferung (Matthäus, Markus, Lukas) und greift danach immer stärker das Johannesevangelium auf. Auch darin liegt ein spezifisches Programm: Ihm geht es darum, eine organische Entfaltung der Schau Jesu Christi innerhalb der Evangelienüberlieferung und von daher hin zur kirchlich-dogmatischen Christologie darzustellen und so die heute diskutierte Hellenisierungsthese als unbegründet abzuweisen. Das wird in den allerletzten Sätzen des Buches auch offenbar: Mit Bezug auf das dogmatische Wort, Jesus sei mit Gott "gleichwesentlich", schreibt der Papst: "Dieses Wort hat nicht den Glauben hellenisiert, ihn nicht mit einer fremden Philosophie befrachtet, sondern gerade das unvergleichlich Neue und Andere festgehalten, das in Jesu Reden mit dem Vater erschienen war. Im Bekenntnis von Nizäa sagt die Kirche immer neu mit Petrus zu Jesus:, Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes' (Mt 16,16)." (407).

Bekenntnis zielt nun aufs Gebet. Und so legt der Papst eine Reihe von Gebetsbezügen aus, die Jesus Christus deuten. Darum steht wohl auch die Vaterunser-Interpretation in der Mitte des Buches (Kapitel 5): In ihr findet der Papst den Gottessohn Jesus am tiefsten, denn das "Beten Jesu ist der wahre Ursprung dieses Wortes, der Sohn'" (395). Und über die Brücke, die Lukas legt, der immer wieder den betenden Jesus zeigt, kommt der Papst dann auch vielfach auf die Psalmen, sie sind "Wort gewordener Geist Gottes" (165) - auch das kein Zufall: Seit dem Antritt seines Pontifikats legt er in Ansprachen und Betrachtungen die Psalmen aus und hält damit das Fundament offen, auf dem alles sinnvolle theologische Nachdenken sich bildet.

II. Der Widerstand

Weil es in diesem Buch um den Blick aufs Ganze geht, bewegt sich der Papst nicht nur durch einschlägige Literatur (ohne seinen Weg zu überfrachten); er trifft von seinem Weg her auch auf eine Reihe altbekannter Gegner, die in feinem, aber entschiedenem Ton ihre Kritik abbekommen: Kritik an Marx und Nietzsche versteht sich von selbst, ebenso der Widerstand gegen den "Geist der neuzeitlichen Rebellion gegen Gott und Gottes Gesetz" (244; ähnlich 394); die historische Kritik und die theologische Analytik erfahren, dass sie eigentlich nur Segmente (beliebig?) herauslösen aus dem Ganzen und das Ganze zersetzen; die gefährlichen Schatten der so genannten liberalen Exegese (50 u.ö.) und ihre Folgen werden mehrfach gezeigt; aber auch die Übersetzungen der Bibel kritisiert er dort, wo sie Falsches brachten, etwa wenn man den geheimnisvollen Gottesnamen wie "irgendeinen Namen schreibt" (177); der Papst selbst nimmt stets das Tetragramm JHWH auf. - Den gegenwärtig diktatorisch wirksamen Strukturen des Kapitalismus begegnet er in imposanter rhetorischer Schärfe (129, 200 f). Vielleicht ist das der entscheidende Grund, weshalb diesmal die Polemik gegen den so genannten Relativismus fehlt: Die Kapitalgötzen haben ein beinhartes Diktat generiert, absolutistisch, anonym und unangreifbar. Jenes Schlagwort besagt nichts mehr.

III. Der Mensch braucht Gott

Wichtiger aber sind dem Papst die Zeugen Jesu Christi, die Heiligen, weil sie einschärfen, was Zentrum des Buches ist: "Erklären wir Gott für tot, dann sind wir selber Gott." (301) Doch "wenn du Gott verloren hast, hast du dich selbst verloren." (201). Damit bringt sich der Mensch um. Daher gilt: "Die Gottesfrage ist die Grundfrage, die uns an den Scheideweg der menschlichen Existenz stellt." (57). So geht es "um den Primat Gottes" (62), wie er "im Vaterunser … aufgerichtet" (168) ist. "Wie viele Götter auch herumschweben mochten in der Welt - nur einer ist Gott und nur einer der Herr. Wenn wir ihm gehören, hat alles andere keine Macht mehr, es verliert den Glanz der Göttlichkeit." (211). Deshalb erkennt man nur "in Gott und von Gott her … den Menschen richtig." (327). Wo dieser Geheimnisabgrund zugeschüttet wird, bleibt nur der empiristische Tanz um blecherne Affen. "Der Mensch braucht letztlich nur eines … Er braucht Gott." (405 f). Die gesamte Suche nach Jesus Christus offenbart sich demnach als Suche nach Gott, dem einzigen Lebensgrund.

IV. Drang der Überbietung?

Die Begeisterung des Papstes an Jesus Christus wird eine fundamentale theologische Frage an dieses Buch nicht beseitigen: Muss der Blick auf Jesus Christus, gerade wenn er so eng verflochten ist mit Israel, grundsätzlich und wieder die klassischen Überbietungen des Judentums durch Jesus Christus reproduzieren? Immer wieder betont der Papst das "Mehr" und "Größer" und das "Tiefste" und "Eigentlichste" (184), das mit Jesus Christus gekommen sei, weit über Mose hinaus (308); dadurch wird schließlich die Passion Jesu doch - ganz üblich - zu einer Angelegenheit, die am jüdischen Sanhedrin entschieden worden sein soll (350); dass dann als Kreuzestitel der biblisch nirgends bezeugte Text "Messias, König der Juden" (370) angegeben wird, verlängert eine religiöse Auseinandersetzung, die gewiss nicht zum Tod Jesu geführt hat (Jesus wurde nicht gesteinigt), in einen Bereich hinein, der historisch und rechtsgeschichtlich fragwürdig ist und zudem die jahrhundertelange, gerade auch christlich motivierte Gewaltgeschichte gegen das Judentum mitbestimmt hatte.

Hängt das mit einem christlichen Drang und Zwang zur Überbietung des Judentums zusammen?

Der Papst deutet gleichwohl einen andern Weg an, verdeckt zwar und kaum wirksam, aber immerhin fürs feine Ohr mitzuhören: den Weg der Erweiterung des einen, ewigen Gottesbundes mit Israel durch Jesus Christus (96, 113, 329). Auf einem solchen Weg wird die Schau Jesu Christi nicht zur unausweichlichen Auflösung oder Aufhebung eines (christlich als halsstarrig konstruierten) Israel führen. Man träfe vielmehr auf zwei Flügel ein und des gleichen Glaubens an den einzigen Gott, ohne den der Mensch tatsächlich nur zum Gespensterschatten seiner selbst wird. Und man vermiede die Konstruktion einer tödlichen Konfrontation zwischen jüdischen Behörden und Jesus, die so ohnedies nicht stattgefunden hat.

Insoweit darf man gespannt sein, wie der Papst in einem zweiten Teil Christus Jesus aus Nazareth begegnen wird, wenn er auf dessen Leiden, Tod und Auferweckung treffen wird. Dem Papst darf auch dafür jene Sympathie gerne geschenkt werden, die er für dieses Buch erbeten hat.

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung

Von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.

Verlag Herder, Freiburg 2007

448 Seiten, geb., € 24,70

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