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Was bedeutet „Wiederkunft Christi”?

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Im Advent, der Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft Christi, steht meist die Besinnung auf die Menschwerdung des Gottessohnes im Vordergrund. Die kirchliche Lehre von seiner Wiederkunft als endzeitlichem Richter bleibt oft unbeachtet.

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Im Advent, der Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft Christi, steht meist die Besinnung auf die Menschwerdung des Gottessohnes im Vordergrund. Die kirchliche Lehre von seiner Wiederkunft als endzeitlichem Richter bleibt oft unbeachtet.

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In Seoul warteten am 28. Oktober 1992 vor der Kirche „Mission.für das Jüngste Gericht” 1.300 Sektenmitglieder auf die sichtbare Wiederkunft Christi. Vorher hatten schon Tausende Südkoreaner Familie und Job verlassen, um sich auf diesen Tag vorzubereiten. Als schließlich nichts geschah, war die Wut der enttäuschten Masse grenzenlos ...

Wer die Bibel wirklich kennt, kann auf derartige Vorankündigungen kaum hereinfallen. Denn die Berechnung eines genauen. Termins für die Wiederkunft Christi und das Weltende wird mit aller Deutlichkeit abgelehnt (Mk 13,32). Dennoch können viele Christen mit den Aussagen vom Kommen des Menschensohnes „mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels” (Mk 13,26) wenig anfangen.

Hinzu kommt, daß in der Bibel trotz der fehlenden genauen Terminberechnungen das Kommen Jesu und das Ende aller Dinge als nahe bevorstehend erwartet wird. So sagt etwa Jesus im Markusevangelium: „Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie gesehen haben, daß das Reich Gottes in Macht gekommen ist.” (9,1) Für uns stellt sich die Frage: Müssen wir nicht zugeben, daß diese Hoffnungen nach rund 2000 Jahren als gescheitert zu betrachten sind?

Vergleicht man die einzelnen Texte von der Wiederkunft Christi miteinander, so lassen sich so manche Unterschiede in der „Schilderung” des Ereignisses feststellen. Sogar in ein-und demselben Brief macht ein- und derselbe Verfasser Paulus unterschiedliche Aussagen: Nach 1 Thess 3,13 kommt Jesus mit all seinen Heiligen bei seiner Wiederkunft vom Himmel her, in 1 Thess 4,17 werden jedoch sowohl die Lebenden als auch die Verstorbenen zugleich (von der Erde her) entrückt, dem Herrn entgegen. Im Philipperbrief erwartet Paulus das eine Mal, daß er nach seinem Tod sofort zu Jesus kommt (1,23), das andere Mal erwartet er Christus als vom Himmel herabkommenden Retter, der den menschlichen Leib in die Gestalt seines verherrlichten Leibes verwandeln wird (3,20). Ähnlich ist es im Matthäusevangelium: Nach Mt 24,31 sammeln die Engel beim Endgericht nur die Auserwählten, nach Mt 25,32 werden jedoch alle Völker (also Gute und Böse) zusammengerufen. Die Beispiele ließen sich vermehren.

Die Unterschiedlichkeit des Sprechens über Christi Wiederkunft braucht nicht zu verwundern, denn die Schilderungen greifen die jüdischapokalyptische Bildersprache auf, um die Hoffnung auf die Vereinigung mit Christus nicht in trockenen und abstrakten Sätzen wiedergeben zu müssen. Die verarbeiteten Bilder reichen von der Vision des Menschensohnes auf den Wolken des Himmels (Mk 13,24-27; vgl. Dan 7,13 und das äthiopische Henochbuch) über das Verfinstern der Sonne (Mk 13,24; vgl. Jes 13,10; Joel 2,10) und das Erlöschen der Sterne (Mk 13,25; vgl. Jes 13,10) bis hin zur Sammlung der Auserwählten aus den vier Windrichtungen (Mk 13,27; vgl. Sach 2,10 in der Septua-ginta) und anderes mehr.

Selbst die Vorstellung einer Wiederkunft eines vor Got't gerechten Menschen ist nicht neu. Im Anschluß an einen Ausspruch beim Propheten Maleachi (3,23) erwarten Juden noch heute die Wiederkunft des Elija vor dem Erscheinen des Messias. Im Neuen Testament wird diese Erwartung gelegentlich auf Johannes den Täufer übertragen (Mt 11,14; 17,13; anders Joh 1,21). Doch es handelt sich dabei weder um Beinkarnation noch um strikte Identifikation von Elija und Johannes. Am ehesten wird Lukas den Nagel auf den Kopf getroffen haben, wenn der Engel Gabriel mit seinem Evangelium dem Zacharias verkündet, daß Johannes „mit dem Geist und der Kraft des Elija” dem Herrn vorangehen wird (1,17).

Aus all dem bisher Gesagten ist ersichtlich, daß es den biblischen Autoren nicht darum geht, das Wie des Kommens Jesu genau zu beschreiben. Es geht um viel Wichtigeres. Die christlichen Gemeinden wollten mit den gewaltigen und eindrucksvollen Bildern von der Wiederkunft Jesu auch uns sagen: „Jesus hat das letzte Wort über unser Leben und unsere Welt.”

Das letzte Wort über die Geschichte haben also nicht die Diktatoren, nicht die Atomwaffen und auch nicht diejenigen, die wehrlose Frauen mißbrauchen; selbst die oft allzu menschliche Seite der Kirche spricht nicht das endgültige Urteil über uns, sondern Jesus Christus ist der endzeitliche Richter. Wenn uns diese feste Hoffnung verbindet, ist wohl das Wie und Wann zumindest zweitrangig.

Auch die Vorhersage der unmittelbaren zeitlichen Nähe der Ankunft Christi zum Endgericht braucht nicht zu verunsichern. Denn die Rede vom Tag Christi ist ja der Vorstellung vom Tag Jahwes nachgebildet. Und dieser Tag Jahwes ist im Alten Testament häufig eben auch ein naher Tag (Jes 13,6; Mal 3,5; Zef l,14ff; Ez 7,7). Die Ankündigung seiner Nähe hat eine pädagogische Bedeutung: Der Mensch soll sofort umkehren und sein sündiges Leben beenden. Es ist auch Motivation zum Durchhalten angesichts der verschiedenen Bedrohungen. Der Evangelist Markus hat den Sinn dieser Naherwartung richtig verstanden, wenn er die Endzeitrede Jesu mit der Mahnung zur Wachsamkeit ausklingen läßt (13,33-37).

Diese Wachsamkeit bedeutet ein bewußtes Leben vor Gott. Jede Stunde unseres Lebens ist wichtig. Sie ist eine nie mehr wiederkehrende Chance, sich in der konkreten Situation Gott zu öffnen und seinen Willen zu tun. Wachsamsein bedeutet: Jeden Mitmenschen täglich bewußt wahrzunehmen und ihm dementsprechend zu begegnen, jedes Stück Natur dankbar zu betrachten, der expliziten Beziehung zu Gott im Gebet einen festen Platz zu geben. Der Autor ist Pfarrer in Wien (Am Schöpfwerk).

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