Väter und Mütter des Glaubens

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Allein Mose wird 80-mal im Neuen Testament genannt:Das Alte ist im Neuen Testament sehr lebendig.

Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams: So beginnt das Neue Testament mit dem Matthäusevangelium. Gleich zu Beginn macht hier der Evangelist deutlich, wie stark Jesus in der Geschichte Israels, im jüdischen Volk verwurzelt ist, und er tut dies, indem er auf Personen aus dem Alten Testament verweist. Wie Lukas in Kapitel 3, so bringt Matthäus eine lange Reihe von Namen, die für diese Verbindung stehen. David, der große König Israels, Abraham, der Stammvater des Volkes, Isaak, Jakob, Boas und Rut, die Reihe der Könige von Salomo bis zu Serubbabel, und eine große Zahl weiterer Personen verbinden den Jesus, der Christus genannt wird (Mt 1,16), mit seinem Volk.

Daraus sollen die Leser und Leserinnen der Evangelien allerdings nicht nur entnehmen, dass Jesus Jude war. Vielmehr will die Reihe der Gestalten aus Israels Geschichte im Stammbaum Jesu zum Ausdruck bringen, dass die Geschichte des Christus verbunden ist mit der Heilsgeschichte Gottes mit Israel, die sich exemplarisch an diesen Helden und Heldinnen der Bibel ablesen ließ. Die Geburt Jesu vollendet auf diese Weise, was Gott begonnen hatte.

Altes im Neuen Testament

Doch nicht nur in den beiden Stammbäumen Jesu haben Gestalten aus dem Alten Testament, der Bibel der ersten Christen, im Neuen Testament Wirkung gezeitigt und Niederschlag gefunden. Allein die Zahl der Erwähnungen macht dies deutlich: Mose wird 80-mal genannt (davon oft stellvertretend für das Gesetz), Abraham 73-mal, David 59-mal und Elija 39-mal.

So wie die neutestamentlichen Autoren immer wieder auf alttestamentliche Überlieferungen zurückgreifen, so spielen auch einzelne Gestalten eine wichtige Rolle. Sie verkörpern als Person das Handeln Gottes, seine Zuwendung zu den Menschen. Sie sind Vorbilder, an ihrem Schicksal, an ihren Geschichten kann man sich orientieren - im eigenen Leben oder eben auch bei der Darstellung Jesu. Sie bieten Modelle, mit denen die Geschichte gedeutet werden kann, weil es doch derselbe Gott ist, der an den Gestalten des Alten Testaments ebenso gehandelt hat wie durch Christus und an den an ihn Glaubenden.

Stammvater Abraham

Aus den vielfältigen Formen der Rezeption alttestamentlicher Gestalten im Neuen Testament seien einige herausgegriffen:

Paulus zieht die Figur des Abraham gerne als Beispiel heran, da sie für ihn als sein Stammvater höchst bedeutsam ist (2 Kor 11,22). Tatsächlich bricht Paulus die genealogische Zusammengehörigkeit mit Abraham zu Gunsten einer spirituellen auf: Die aus Glauben sind, die sind Abrahams Söhne! (Gal 3,6). Damit kann der Apostel das, was Gott Abraham an Verheißungen zugesagt hat und Israel für sich selbstverständlich in Anspruch nahm, auf die an Christus Glaubenden übertragen. Der Segen, das Heil Gottes, gilt nun auch den Heiden (damit der Segen Abrahams in Christus Jesus zu den Heiden komme, Gal 3,14), und zwar allein durch den Glauben: Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet (Genesis 15,6 zitiert in Röm 4,3; Gal 3,6).

Auf diese Weise wird eine alttestamentliche Gestalt nicht allein als Beispiel herangezogen, um zu beweisen, dass Gottes Zuwendung den Menschen allein aus Gnade geschieht, sondern diese Menschen werden auch in die Geschichte Gottes mit Abraham, in die Heilsgeschichte Gottes mit Israel hineingenommen. Dies mag man auch als "Enteignung Israels" verstehen können, zumal der Apostel von der Kirche als dem "Israel Gottes" (Gal 6,16) schrieb; doch das wesentliche Interesse an Abraham bestand darin, dass an ihm deutlich gemacht werden kann, wie umfassend Gottes Heilswillen ist, der sich in Christus entfaltet hat. Das Heil auch für die Heiden begründet Paulus paradoxerweise aus der Geschichte des Stammvaters des Judentums.

Dagegen zeigt der Jakobusbrief bezüglich Abraham, dass man das Ganze auch anders verstehen konnte: Dort dient Abraham als Beispiel dafür, dass der Glaube ohne Werke tot ist (Jak 2,21-24) und zwar unter Rückgriff auf dieselbe Passage aus dem Buch Genesis wie bei Paulus.

Die Enteignung Israels

War es so den Christen und Christinnen des 1. Jahrhunderts selbstverständlich, dass Abraham auch ihr Vater, Sara auch ihre Mutter war, so gingen sie, so problematisch dies auch für uns heute sein mag, so weit, sich als die wahren Kinder Abrahams und Saras zu bezeichnen. Der Judenchrist Paulus hat dies im Galaterbrief (4,21-31) in erschreckend deutlicher Weise so ausgedrückt, dass er das damalige Judentum gegen alle Tradition als Nachfahren der Magd Hagar bezeichnete, während die Christen wie Isaak Kinder der Verheißung wären. Die Bezugnahme auf das Alte Testament kann auch als Enteignung Israels geschehen.

Wundertäter-Wunderprophet

Eine ganz andere Art, Gestalten des Alten Testaments mit dem christlichen Glauben zu verbinden, geschieht durch den Aufweis von Analogien. So wird etwa beim Evangelisten Lukas Elija, der Wunderprophet, als Analogon zu dem Wundertäter Jesus und zu den Aposteln angesehen. Jesus vollbringt ähnlich Wunder wie Elija, an entscheidenden Punkten geht er aber darüber hinaus: Die Auferweckung des Jünglings zu Nain (Lk 7,11-16) geschieht durch ein vollmächtiges Wort Jesu, während Elija Gott um Hilfe anflehen musste.

Eine ähnliche Analogie wird bei Matthäus zwischen Mose und Jesus gezogen: So wie Mose erlässt Jesus ein Gesetz, das freilich das des Mose noch überbietet, wie die Antithesen der Bergpredigt zeigen (Mt 5,21-48). Dem Verweis auf die Mosegesetze mit: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist", folgt jeweils: "Ich aber sage euch." Die Aussageabsicht besteht darin, dass zwar einerseits Jesus Funktionen alttestamentlicher Vorbilder übernimmt, zugleich aber überbietet. Er ist der größere Wundertäter, der größere Gesetzgeber. Jesus ist auch der bessere Hohepriester, weil sein Opfer ein für allemal Sühne geschaffen hat, wie es im Hebräerbrief erläutert wird (Hebr 7).

Der Anschluss an die alttestamentlich-jüdische Tradition führt eben auch immer wieder dazu, dass die neutestamentlichen Autoren darauf hinweisen müssen, was denn das neue, bessere, zum Heil führende am christlichen Glauben ist.

Ebenfalls gegenüberstellend argumentiert Paulus, wenn er Adam und Christus als typos und Antitypos gegeneinander setzt (Röm 5,10-19). Der Apostel stellt hier in endzeitlicher Perspektive den ersten Sünder und den, der von der Sünde erlöst, gegenüber. Die Heilstat des letzteren hebt die Unheilstat des ersteren und ihre Folge, den Tod, auf.

Ein gänzlich positiver Anschluss liegt dort vor, wo der Glaube aufscheint, mit Johannes dem Täufer oder Jesus wären alttestamentliche Heilsgestalten wie Mose oder Elija zu identifizieren. So lässt Lukas Petrus über Jesus sagen, dass mit dem Nazarener jene Verheißung erfüllt worden wäre, wonach Gott einen Propheten wie Mose senden werde (Apg 3,22f). Und bei Matthäus wird der Glaube der frühen Christen artikuliert, dass mit Johannes der Prophet Elija, wie es beim Propheten Maleachi (Mal 3,23) angekündigt wird, tatsächlich erschienen sei (Mt 11,14; 17,12f).

Doch nicht nur in der Deutung der Evangelisten, auch für einzelne Personen des Neuen Testaments selbst, dürften alttestamentliche Vorbilder wichtig gewesen sein. Bei Johannes dem Täufer ist durchaus historisch wahrscheinlich, dass er sich selbst tatsächlich als der wiedergekehrte Elija verstanden hat, wofür etwa die auffällige Kleidung des Johannes (Mk 1,6) oder der Ort seines Auftretens (Joh 1,28) sprechen. Und Jesus wurde während seines irdischen Wirkens mit Elija, Jeremia oder einem der alten Propheten in Zusammenhang gebracht (Mt 16,14).

Sehr oft werden alttestamentliche Gestalten als Vorbilder vorgeführt. Besonders groß ist die Wolke der Zeugen im Hebräerbrief (Hebr 11), der eine Reihe von Helden und Heldinnen vorführt - darunter Abel, Abraham, Sara, Jakob, Mose, Rahab, Gideon, Simson, David - die alle durch Glauben dem Willen Gottes treu blieben. Gerade dadurch, dass diese Aufzählung einer jüdischen Quelle entstammt, wird deutlich, wie sehr die ersten Christen in den Vorfahren der Juden auch die ihren sahen. Aus christlicher Perspektive kann der Autor darum auch hinzufügen, dass alle jene Glaubenszeugen die Verheißung noch nicht erlangt haben, damit sie nicht ohne uns (Christen) vollendet werden sollten.

Neuer Blick auf das Heil

Die vielfältigen Verwendungsweisen alttestamentlicher Gestalten, machen zweierlei deutlich: zum einen das Bewusstsein der Christen, dass sie untrennbar mit dem Gott Israels und der Heils- und Unheilsgeschichte, über die im Alten Testament berichtet wird, verbunden sind; zum anderen die Tatsache, dass unter den Bedingungen des endzeitlichen Heils durch Christus auch ein neuer Blick auf die alttestamentlichen Gestalten fällt.

Die neutestamentlichen Autoren konservieren diese Personen nicht als heiligen unantastbaren Schatz, nein, sie interpretieren sie. Dies kann auch im Rahmen der alttestamentlichen Erzählung bleiben, doch zumeist gehen sie weit darüber hinaus. Oftmals, gerade im Dialog mit dem Judentum, ist es unangenehm, zu entdecken, wie weit die Rezeptionen auseinandergehen, doch ist es wohl immer wieder notwendig, diese Texte als Dokumente und Anstöße christlichen Glaubens zu Wort kommen zu lassen.

Die Aufnahme alttestamentlicher Gestalten im Neuen Testament lenkt unsere Aufmerksamkeit so auf das Alte Testament in seiner hebräischen und griechischen Tradition. Die Frage, was denn eigentlich über die einzelnen Personen in den Schriften Israels steht, kann einen offenen Blick für die Vielfalt des Glaubenszeugnisses an den einen Gott geben. Die christliche Überlieferung hat sich diesen Schatz zu eigen gemacht und ihn unter dem Eindruck des Kommens des Christus interpretierend aufgenommen. Heutige Christen und Christinnen stehen weiter vor dieser Aufgabe, auch im Dialog mit dem Judentum.

Der Autor ist Professor für Neutestamentliche Wissenschaft an der Evang.-theol. Fakultät in Wien.

BUCHTIPP: Alttestamentliche Gestalten im Neuen Testament Beiträge zur Biblischen Theologie Hg. v. Markus Öhler, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999 224 Seiten, kt., e 30,80

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