Jüdische Bibel würdigen

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Zum - christlichen - Tag des Judentums am 17. Jänner: Auch Rom setzt sich für eine neue Sicht der Jüdischen Bibel, des Alten Testaments der Christen, ein. Dies zeigt ein bislang unbeachtetes vatikanisches Dokument.

Die päpstliche Bibelkommission hat bereits im Mai 2001 das Dokument "Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel" veröffentlicht. Hierzulande wurde diese interessante Studie bislang praktisch nicht wahrgenommen. Dabei kann diese Studie eine unschätzbare Hilfe sein, uns vor einem verengten Verständnis des Neuen Testaments zu bewahren, das "nur im Lichte des Alten voll verstanden werden" kann. (Kap. 21) - nicht zuletzt im gegenwärtigen "Jahr der Bibel" (vgl. dazu auch das Dossier "Das große Gottesbuch in Furche 51-52/2002, Anm.).

Die Motivation der Autoren ist die Vertiefung des christlich-jüdischen Verhältnisses im Bewusstsein der versuchten Vernichtung des Judentums im 20. Jahrhundert. Diese wird jedoch fälschlicherweise als Ereignis des Zweiten Weltkriegs dargestellt. (Kap. 1) Auch für Kurienkardinal Josef Ratzinger in seinem Geleitwort ist ein "neuer Respekt" vor der jüdischen Auslegung der Schrift eine notwendige Folge der Schoa. Im Licht der Schrift hätte es niemals zum vollständigen Bruch zwischen Kirche und Synagoge kommen dürfen. (Kap. 85)

Gemeinsame Themen

Mit Bezug auf die biblische Offenbarung ruft die Bibelkommission Themen und Feststellungen in Erinnerung, die in der Praxis von Theologie, Predigt und Katechese noch lange nicht Allgemeingut sind.

Als Vertreter des christlichjüdischen Dialogs zitiert man sie gerne und wünscht, dass sie weitum gehört und aufgegriffen werden: "Das Neue Testament übernimmt als unwiderrufliche Wirklichkeit die Erwählung Israels als Bundesvolk: Es bewahrt uneingeschränkt seine Vorzüge und seine Vorrangstellung in der Geschichte bezüglich des Angebots von Gottes Heil und Wort ... Als Volk des neuen Bundes ist sich die Kirche bewusst, nur aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Jesus Christus, dem Messias Israels, und dank ihrer Bande mit den Aposteln, die alle Israeliten waren, zu existieren. Fern davon, sich an die Stelle Israels zu setzen, bleibt sie mit ihm solidarisch." (Kap. 65)

Doch die Schrift der Bibelkommission ist kein programmatisches Thesenpapier mit einem Sammelsurium plakativer Zitate. Sie ist - in aller Kürze - eine umfassende Studie, welche die Wertschätzung der Jüdischen Bibel in den Schriften des Neuen Testaments thematisiert, jüdische und christliche Schriftinterpretation gegenüber stellt, gemeinsame theologische Themen herausstreicht und sich mit der umstrittenen Stellung der "Juden im Neuen Testament" beschäftigt.

Christinnen und Christen lesen das Alte Testament im Lichte Christi. Eine Neuinterpretation der Schriften wie diese ist gute biblische und jüdische Tradition (19). Neue Deutungen "vertiefen" den ursprünglichen Sinn. Diese Vertiefung erhebt aber die Kirche nicht über das Judentum, sondern auch das Alte Testament selbst kennt in sich diesen Fortschritt.

Für das christlich-jüdische Gespräch ist die Feststellung bedeutsam, dass eine christliche Interpretation des Alten Testaments auf Jesus hin ihren "Ausgangspunkt nicht in den Texten als solches hat". Sie stellen eine rückschauende Deutung dar, gewonnen aus dem Christusereignis, das von der apostolischen Predigt verkündet worden ist: "So darf man nicht sagen, der Jude sähe nicht, was in den Texten angekündigt worden sei." (21)

Als gemeinsame Grundthemen der jüdischen und der christlichen Bibel bearbeitet die Studie: die Offenbarung Gottes, die Sicht des Menschen, Gott als Befreier, die Erwählung Israels, Bund und Gesetz, Gebet und Gottesdienst, göttliche Vorwürfe und Urteilssprüche sowie die Verheißungen.

Dabei wird stets eine Übersicht von Aussagen des Alten und Neuen Testaments zu einem Thema geboten und betont: "Die Lesung des Alten Testaments durch Christen bedeutet nicht, dass man in ihm überall direkte Verweise auf Jesus oder auf die christliche Wirklichkeit finden will." (21)

Manches zu hinterfragen

Von besonderer Wichtigkeit ist die Untersuchung der "Juden im Neuen Testament". Sowohl die Propheten als auch jüdische Gruppierungen untereinander waren nicht zimperlich in ihren Vorwürfen und Verurteilungen gegen Andersdenkende. Auch die Endzeiterwartung der ersten Christinnen und Christen trug ihrerseits zu einer Verschärfung der Sprache bei.

"Im Neuen Testament sind die an die Juden gerichteten Vorwürfe weder häufiger noch heftiger als die Anklagen, die im Gesetz und in den Propheten gegen die Juden gerichtet werden. So dürfen sie nicht mehr für Antijudaismus in Anspruch genommen werden." (87)

Doch nicht allein zu einverständlichem Nicken und Zitieren lädt die Publikation ein - sie fordert auch zu weiteren Anmerkungen heraus, die weiter führender Diskussion bedürfen. So findet die Rehabilitierung der Pharisäer nicht statt, die "stets in einer Haltung des Gegensatzes zu Jesus" (67) dargestellt werden. Stets im Gegensatz?

Hier sollte die Päpstliche Bibelkommission die Bibel eigentlich besser kennen: Wir kennen den Pharisäer Nikodemus im Johannesevangelium als positive Gestalt. Jesus ist bei Pharisäern immer wieder zum Essen eingeladen (Lk 7,36; 11,36; 14,1) und in einer rabbinischen Tora-Diskussion um das wichtigste Gebot würdigt ein Schriftgelehrter die Antwort des Rabbi aus Nazaret aus vollster Überzeugung: "Sehr gut, Meister!" (Mk 12,28-34)

Befreiungstheologie pur?

Im Unterschied zu Versuchen des christlich-jüdischen Dialogs heute, Jesus nicht nur in polemischem Gegenüber zu den Pharisäern zu sehen (diese Argumentation jedoch "verfängt wenig" nach den Worten des Bibeldokuments), ihn sogar in deren Nähe zu rücken (was gerade die Härte des späteren Bruderzwists erklären könnte), stellt die päpstliche Bibelkommission fest, dass Jesus wahrscheinlich keiner Gruppierung des damaligen Judentums angehörte: "Er war schlicht mit dem einfachen Volk." (67)

Diese Aussage ist Befreiungstheologie in Reinkultur und erstaunlich in einer Veröffentlichung, zu der Kardinal Ratzinger das Geleitwort verfasst hat. Doch wird sie der Verwobenheit Jesu mit seiner Umwelt wohl nicht gerecht und steht in der Gefahr, das Judentum als dunkle Folie für ein leuchtendes Christentum zu benützen.

Dies ist auch zu befürchten, wenn an anderer Stelle ganz traditionell das "Licht Christi, der das Liebesgebot bekräftigt und ihm eine neue Dimension verliehen hat" der jüdischen Tora gegenüber gestellt wird. (45)

Diese neue Dimension ist ein "Sinnüberschuss", den die Christenheit dem Alten Testament verleiht (44/47). Hat die Kirche dabei etwas Besseres in der Schrift gefunden oder nur etwas Anderes? In diesem Punkt bleibt das Dokument leider unklar.

Befruchtende Leitlinien

Die Christen könnten "viel" von jüdischer Exegese lernen "und sie haben in der Tat im Lauf der Geschichte auch viel von ihr gelernt." (22) Konkreter wird die Studie an dieser Stelle leider nicht. Doch finden sich im gesamten Text Aussagen, die ins Stammbuch der Christenheit geschrieben beherzigenswert sind und genügend Stoff für theologische Erneuerung geben. Daher zum Abschluss noch ein Zitat aus aktuellem politischen Anlass: Heute darf bei den Christen "nicht in Vergessenheit geraten, dass Israel von Gott ein konkretes Land verheißen worden ist und dass es dieses Land auch tatsächlich zum Erbe erhalten hat." (57)

Der Autor ist Geschäftsführer des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit (www.christenundjuden.org).

HINWEISE:

* Das Jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel. Päpstliche Bibelkommission, 24. Mai 2001, 176 Seiten, brosch., e 2,20.

Die Broschüre kann bestellt werden beim Behelfsdienst des Pastoralamtes der Erzdiözese Wien, Tel. 01/51552-3116, www.pastoralamt.at/shop

* TAG DES JUDENTUMS:

Linz, Donnerstag, 16. Jänner, 19 Uhr 30:

"Sabbat - Sonntag: Befreit zum Menschsein" mit Prof. Wilhelm Zauner, OKR Hannelore Reiner, Vokalensemble "Voices". Kath.-Theol. Privatuniversität, 4020 Linz, Bethlehemstraße 20.

Salzburg, Donnerstag, 16. Jän., 19 Uhr 30:

"Ein Lob dem Ersten Testament". Vortrag von Dr. Oskar Dangl, Wien. Bildungsh. St. Virgil, 5026 Salzburg, Ernst-Grein-Str. 14.

Wien, Freitag, 17. Jänner, 19 Uhr:

Gottesdienst des Ökumenischen Rates der Kirchen (Predigt: Landessuperintendent Peter Karner). Syrisch-orthodoxe Kirche, 1130 Wien, Speisinger Str. 107.

Braunau/Inn, Freitag, 17. Jänner, 20 Uhr:

Tschechisch-jüdische Abendmusik aus dem 18. Jh. (Tromba Soprano, Schofar, Sopran und Cembalo) mit dem Ensemble Peter Dostal-Berg. Vortragssaal der Landesmusikschule Braunau.

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