Jahrtausendwende im Land Israel

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Johannes Paul II. fordert zum Millennium zu Reisen ins Hl. Land und zur Begegnung mit dem Judentum auf. Diese Begegnung ist unabdingbar, aber hindernisreich.

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Johannes Paul II. fordert zum Millennium zu Reisen ins Hl. Land und zur Begegnung mit dem Judentum auf. Diese Begegnung ist unabdingbar, aber hindernisreich.

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Mit einer bemerkenswerten interreligiösen Dimension unterstreicht Papst Johannes Paul II. die Überlegungen zum Jahrtausendwechsel der allgemeinen Zeitrechnung und legt dabei besonderes Augenmerk auf die Bedeutung einer Pilgerreise ins Heilige Land. Dies führt zu einer einmaligen Gelegenheit für die Beziehungen zwischen den abrahamitischen Religionen im allgemeinen und für die jüdisch-christliche Begegnung im besonderen im Land Israel selbst.

Solch eine Begegnung muß aber Hindernisse überwinden: Da ist daran zu erinnern, daß - geschichtlich betrachtet - das Verhalten der Kirche gegenüber Judentum und Israel erst vor kurzem revolutioniert wurde. Denn die traditionelle "Lehre der Verachtung" gegenüber den Juden, die schon in den Schriften der Kirchenväter zu finden ist, war auch die Grundlage der katholischen Opposition gegen eine Rückkehr des jüdischen Volkes ins Land seiner Vorfahren: Etwa vier Monate vor dem ersten Zionistenkongreß in Basel 1897 veröffentlichte die von den Jesuiten herausgegebene halboffizielle vatikanische Zeitung Civilta Cattolica einen Artikel, in dem erklärt wurde, daß - nach dem Neuen Testament - Juden in der Diaspora als Sklaven der Nichtjuden zu leben hätten bis zum Ende der Zeiten, als Träger jenes Fluchs, der auf ihre und ihrer Kinder Häupter ausgerufen wurde. Darauf aufbauend, so wurde argumentiert, wäre es undenkbar, den Juden die Sorge über die Heiligen Stätten anzuvertrauen - von der Idee Jerusalems als Hauptstadt eines jüdischen Staates gar nicht zu reden: das würde den Worten Christi direkt widersprechen.

Theodor Herzl beschreibt in seinen Tagebüchern die Antwort Pius X. auf seine Bitte um päpstliche Unterstützung: "Wir können diese Bewegung nicht fördern", sagte Pius zu Herzl. "Wir können die Juden nicht daran hindern, nach Jerusalem zu gehen - aber wir können das niemals gutheißen ... Die Juden haben unseren Herrn nicht anerkannt, daher können wir das jüdische Volk nicht anerkennen; und wenn Sie so nach Palästina kommen und Ihr Volk dort ansiedeln, sind wir mit Kirchen und Priestern darauf vorbereitet, Sie alle zu taufen."

Obwohl schon Anfang des 20. Jahrhunderts mancherorts eine Neubeurteilung der christlichen Lehre in bezug auf die Juden spürbar war, so war es doch erst die Nachwirkung der Schoa, die als wesentlicher Katalysator wirkte. Innerhalb der katholischen Kirche wurde dieser Prozeß durch das persönliche Engagement von Papst Johannes XXIII. in Schwung gebracht, der sowohl durch seine Erlebnisse und Aktivitäten zugunsten der Juden im Zweiten Weltkrieg, als auch durch persönliche Begegnungen beeinflußt war.

Als Ergebnis folgte die epochemachende Erklärung "Nostra Aetate" des II. Vatikanischen Konzils, die kategorische Ablehnung einer "Lehre der Verachtung" gegenüber den Juden. Damit wurde die "positive Revolution" in der Lehre der Kirche in bezug auf das Judentum eingeleitet, die in den über 30 Jahren seither fortgesetzt wurde. Zusätzlich zur Verurteilung des Antisemitismus wies "Nostra Aetate" jede gemeinsame oder fortdauernde jüdische Verantwortung für den Tod Jesu zurück. Vielmehr bekräftigt das Dokument den Bund Gottes mit dem jüdischen Volk als ewig und ungebrochen. Diese Neubeurteilung führte in der katholischen Kirche zu bedeutsamen Änderungen in der Liturgie und vor allem in der Glaubensverkündigung.

Auch auf das persönliche Engagement Papst Johannes Paul II. in diesem eindrucksvollen Prozeß der Versöhnung ist hinzuweisen. Ein besonderes Zeichen war sein Besuch in der Synagoge von Rom 1986 und seine wiederholten Stellungnahmen, in denen er sowohl die einzigartige Verbindung des Christentums zum Judentum als auch die Integrität des letzteren und seine tragende Rolle im Plan Gottes für die Menschheit bekräftigte.

Während die bemerkenswerte Neubeurteilung der kirchlichen Beziehungen zum jüdischen Volk von letzterem sehr begrüßt wurde, blieb als wesentliches Hindernis, das die Beziehungen weiter störte, das Fehlen diplomatischer Beziehungen mit Israel. Im Lichte des - oben dargestellten - früheren Verhaltens des Heiligen Stuhles gegenüber der jüdischen Nationalbewegung zur Rückkehr ins Land der Väter kann man den Argwohn verstehen, der unter den Juden herrschte, nach dem der Staat Israel für die Kirche immer noch ein theologisches Problem darstelle (trotz der vatikanischen Proteste, das Gegenteil sei der Fall).

Obwohl hauptsächlich politische Faktoren für die Verzögerung der diplomatischen Normalisierung verantwortlich waren, konstatierte auch C. G. Higgins, einer der Vorkämpfer des Dialogs, daß "Christen im allgemeinen die Wichtigkeit Israels für die Juden nicht verstehen".

Erst das Grundsatzabkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel, das zu Jahresende 1993 unterzeichnet wurde, und das die beiderseitigen Beziehungen normalisierte, bereitete den Zweifeln ein Ende. Schon in der Präambel wird dort festgestellt, das Abkommen sei nicht bloß eine diplomatische Einigung, sondern ein wichtiger Teil der historischen "Versöhnung zwischen Katholiken und Juden".

Denn bis dahin waren die Veränderungen bei den Katholiken von den meisten Israelis nicht beachtet worden. Daß Juden in Israel zum ersten Mal seit beinahe 2000 Jahren in einer überwiegend jüdischen Gesellschaft leben, bedeutet auch, daß nur wenige von ihnen tatsächlich Menschen anderen Glaubens begegnen. Überdies treffen Israelis, wenn sie ins Ausland und dabei vor allem in moderne säkulare Gesellschaften fahren, vor allem Nichtjuden als solche, das heißt Menschen, die nicht jüdisch sind. Aber sie kommen selten mit modernen aufgeklärten Menschen, die ihren Glauben bekennen, zusammen.

Ergebnis davon ist, daß das Bild des Christentums immer noch von der tragischen Erfahrung der Vergangenheit bestimmt wird. Aus all diesen Gründen herrscht in der israelischen Gesellschaft viel Unwissenheit über das Christentum. Das soll die außergewöhnliche Arbeit vieler Christen und Juden in Israel, die im Weinberg des gegenseitigen Verständnisses arbeiten, und die beide ein neues Verhältnis bezeugen, nicht schmälern. Dennoch ist deren Engagement weitgehend am Rand der Gesellschaft geblieben.

Die Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel war daher ein Meilenstein. Es wird oft nicht richtig eingeschätzt, wie sehr diese diplomatische Einigung notwendig war, um den israelisch-jüdischen Blick auf die veränderte Wirklichkeit der katholisch-jüdischen Beziehungen zu richten. Wenn immer wir zuvor die Leute über die Änderungen der kirchlichen Lehre in bezug auf Juden und Judentum zu informieren suchten, wurde uns stets vorgehalten: "Wenn die Dinge so gut sind, warum hat der Vatikan dann keine diplomatischen Beziehungen zu Israel?" Das Argument, daß die Hauptgründe, die solch eine Normalisierung verzögerten, mehr politischer denn theologischer Natur wären, stieß auf Skepsis.

Eine wichtige Frucht des Grundsatzabkommens von 1993 war daher, daß die israelische Gesellschaft zu entdecken begann, welche Veränderungen in der katholischen Welt stattgefunden hatten: In Jerusalem wurden jüdisch-katholische Konferenzen in neuem Stil und neuer Qualität abgehalten - nicht ohne Gegnerschaft auf jüdischer Seite, aber auch diese wurde Teil der Diskussion, welche viele Augen öffnete. Zusätzlich wurden die verschiedenen vatikanischen Dokumente über Juden und Judentum zum ersten Mal ins Hebräische übersetzt und landesweit verbreitet.

Die Millionen katholischer Pilger, die Israel in den kommenden Jahren besuchen werden, kommen daher an einem Wendepunkt israelisch-jüdischen Entdeckens des heutigen katholischen Verständnisses an. Daher ist dies eine ausgezeichnete Gelegenheit, um dieses Verständnis zu vergrößern und neue Beziehungen aufzubauen.

Von jüdischer Seite ist es wichtig, alles zu tun, um vor allem diejenigen, die in nächsten Kontakt zu den christlichen Pilgern kommen, so auszubilden, daß sie deren Gefühle und Motive schätzen.

Es ist aber ebenso eine besondere Gelegenheit für die lokalen Kirchen, durch die Gemeinschaft und die Bande mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern, die das Heilige Land besuchen, gestärkt zu werden. Die Lage der arabischen christlichen Gemeinden in Ostjerusalem und im Gebiet von Betlehem ist nicht einfach - beladen mit sozialem, kulturellem, und politischem Druck, der Selbstbewußtsein und Stabilität kaum fördert. In diesen Orten und unter diesen Umständen nimmt die christliche Bevölkerung ständig ab. Obwohl die Lage in Galiläa, im Norden Israels, anders ist (dort hat sich die Zahl der christlich-arabischen Bürger von Israel seit der Staatsgründung verdreifacht; tatsächlich ist dies der einzige Ort im Nahen Osten, wo das Christentum wächst), sollte dort ebenso wie im Gebiet von Jerusalem und Betlehem die große christliche Präsenz, die durch die Pilgerzüge der kommenden Jahre hervorgerufen wird, einen psychologischen und materiellen Auftrieb geben.

Nicht zuletzt ermöglicht solche christliche Pilgerschaft eine außergewöhnliche Gelegenheit für Katholiken, die schon 1974 in den vatikanischen Richtlinien zur Umsetzung der Konzilserklärung "Nostra Aetate" formulierte Aufforderung ernst zu nehmen, daß Christen nicht nur die jüdischen Wurzeln des Christentums kennenlernen und schätzen sollten, sondern auch "verstehen und schätzen, wie sich die Juden selbst im Licht ihrer eigenen Erfahrungen darstellen". Mit anderen Worten geht es für Katholiken darum, nicht nur die jüdischen Wurzeln des Christentums zu verstehen, sondern auch das moderne Judentum und die Bedeutung des Landes Israel für das jüdische Volk.

Leider sind Pilgerreisen ins Heilige Land oft von jeder ernsthaften Begegnung mit der Geschichte und der Bedeutung des Staates Israel und des jüdischen Lebens abgekoppelt. Gerade die vatikanischen Dokumente machen aber klar, wie wichtig solche Begegnungen sind, besonders wenn Katholiken der Vision ihres Papstes zur Jahrtausendwende als einer Gelegenheit für eine authentische Versöhnung der Religionen - besonders zwischen Christen und Juden - folgen. Das würde ein Schritt auf dem Weg sein, wie er im Artikel 5 des Grundsatzabkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel von 1993 skizziert wird, wo es heißt, "daß solche Pilgerfahrten zu einem besseren Verständnis zwischen den Pilgern und den Religionen in Israel beitragen mögen".

Der Autor ist Direktor der Büros der "Anti-Defamation League" in Israel und im Vatikan sowie Präsident der "Weltkonferenz der Religionen für den Frieden" und des "Internationalen Rates der Christen und Juden."

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