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Die Sowjetunion und Israel

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Moskau, 29. Dezember. Parteisekretär Chruschtschew verurteilte Israel schärfstem und betonte, die Sowjetunion sympathisiere mit dem Wunsch der arabischen Bevölkerung, ihre Unabhängigkeit zu erlangen und zu erhalten ... Hinter Israel stünden die Imperialisten, die versuchten, diesen Staat als Instrument gegen die Araber zu ihrem eigenen Vorteil auszunützen ...

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Moskau, 29. Dezember. Parteisekretär Chruschtschew verurteilte Israel schärfstem und betonte, die Sowjetunion sympathisiere mit dem Wunsch der arabischen Bevölkerung, ihre Unabhängigkeit zu erlangen und zu erhalten ... Hinter Israel stünden die Imperialisten, die versuchten, diesen Staat als Instrument gegen die Araber zu ihrem eigenen Vorteil auszunützen ...

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Die Aktivität der Sowjetunion im Mittleren Osten, die Waffenverkäufe an Aegypten, die diplomatische Annäherung an Saudiarabien und die anderen arabischen Staaten, die nicht dem Bagdadpakt angehören, zeigt sehr deutlich, daß die Sowjetregierung eigentlich nicht sehr viele Rücksichten auf den jungen Staat Israel nehmen will. Wie um die Feindschaft gegen Israel noch zu unterstreichen, sind in Rußland selbst die antizionistischen Verfolgungen verstärkt worden. Bei zahlreichen Juden — man nennt die Zahl von mehreren Dutzend — sind Hausdurchsuchungen vorgenommen worden. Ueberau dort, wo Literatur in hebräischer Sprache gefunden wurde, sind die Besitzer unter der Beschuldigung zionistischer illegaler Umtriebe verhaftet worden. Denn in der Sowjetunion ist natürlich nicht nur jede zionistische Propaganda verboten, sondern auch jede Bekundung von Sympathien zum Zionismus ist bereits strafbar. Verboten ist auch vollständig jeder, auch private Unterricht in Neuhebräisch. Althebräisch darf auch nur in beschränktem Umfange unterrichtet werden.

Die Feindschaft des Kremls gegen den Zionismus ist nicht neu. Natürlich ist der Zionismus weltanschaulich dem Kommunismus eigentlich unversöhnlich feindlich. Es beginnt ja schon damit, daß der Zionismus vom Standpunkte der Kommunisten eine romantisch-idealistische Bewegung ist und keine, die auf der materialistischen Geschichtsauffassung beruht. Der Kommunismus ist auch bestrebt, alle Schranken zwischen den Nationen niederzureißen. Es soll einmal, nach „Ueberwindung aller nationalen Vorurteile eine einzige Menschheitsnation entstehen“. Heute meint man im Kreml, diese einzige Nation würde sich der russischen Sprache bedienen. Der Zionismus will aber — um mit den Kommunisten zu sprechen — eine „neue Nation in der Retorte“ künstlich schaffen. Endlich ist ja die Grundanschauung des Kommunismus, daß jeder dort, wo er ist, eine neue soziale Ordnung und den Aufbau des Kommunismus erkämpfen soll und sich dieser Pflicht nicht durch eine Auswanderung in die Wüste Negev zu entziehen hat. Die Gegnerschaft gegen den Zionismus datiert auch nicht erst seit der bolschewistischen Revolution. Es gab gerade vor dem Bolschewismus auch weite, auch jüdische Kreise in Rußland, die ihn bekämpften.

Vor allem die jüdischnationale Bewegung, die oft in Bundesgenossenschaft mit den revolutionären Parteien der Russen und der anderen

Völker Rußlands operierte, wandte sich gegen den Zionismus. Diese Bewegung erstrebte die Anerkennung der Juden als eine Nationalität und eine „kulturell-nationale Autonomie“. Als Sprache wollten sie das Jüdische beibehalten. Auf diese Teile des Judentums stützte sich der Bolschewismus. Während er den Zionismus auf das schärfste bekämpfte, die Vernichtung der jüdischen Religionsgemeinschaften anstrebte, schuf er ein großes Netz jüdischer Kultureinrichtungen in Literatur, Presse, Theater und Schulen. Natürlich alles kommunistisch gefärbt. Doch die jüdischen Kreise sahen sich bald enttäuscht. Das Zurückdrängen der Religion hatte zahlreiche Mischehen zur Folge. Der Besuch jüdischer Schulen ging zurück. Es war deutlich, daß es in einigen Generationen praktisch keine Juden mehr in der Sowjetunion geben würde. Das konnte den national Gesinnten unter ihnen natürlich nicht recht sein. Der illegale Zionismus wurde erfolgreicher. Ganz schlimm wurde aber die Lage nach 1928. Stalins zweite Revolution dezimierte das Judentum. Zehntausende kleiner jüdischer Handwerker und Kleinhändler wanderten in die Zwangsarbeitslager des hohen Nordens und kamen dort um. Der gleichzeitige Kampf gegen die Religion forderte weitere Menschenopfer. Es ist verständlich, daß die führende Schicht des russischen Judentums sich der Opposition zuwandte, was nach 1930 wieder Zehntausende von Opfern forderte. Gleichzeitig brach eine Welle kalten Antisemitismus in die Sowjetunion ein. Innerhalb weniger Wochen verschwanden alle Juden aus der staatlichen Verwaltung, der Diplomatie und den höheren Rängen der Armee.

Nach dem Kriege verstärkte sich diese Welle. Beinahe alle jüdischen kulturellen Einrichtungen, wie Theater, Verlage, Zeitungen, wurden liquidiert. Es ist verständlich, daß unter diesen Umständen die zionistischen Stimmungen, trotz aller Verfolgungen, stark an Einfluß gewannen.

Mitten in der schärfsten Politik des kalten Antisemitismus entstand der Staat Israel. Lehnte die kommunistische Theorie schon den Zionismus ab, so noch mehr den Staat Israel. Die Gründung des Staates Israel war für die Theoretiker des Kremls nichts anderes als eine Form des angelsächsischen Imperialismus. Etwas später präzisierte man es genauer: Der Staat Israel ist eine Gründung des amerikanischen Imperialismus. Dieser neue Staat sei wirtschaftlich vollständig von den amerikanischen Juden abhängig. Die amerikanischen Juden sind jedoch keine selbständige Macht in den USA, sondern voll und ganz von der Wallstreet abhängig. Die amerikanische Politik vollzieht aber den Willen der Wallstreet. So war die Beweiskette geschlossen. Offensichtlich lagen die theoretischen Sympathien des Kremls bei den Arabern. Das schloß natürlich nicht aus, daß die Sowjetunion sofort den neuen Staat anerkannte und mit ihm diplomatische Beziehungen aufnahm. Es ist der Grundsatz der Sowjetdiplomatie, überall dort vertreten zu sein, wo es nur irgend möglich ist.

Damals, gleich nach dem Kriege, nachdem erst der ganze Umfang der grauenhaften Judenverfolgungen durch Hitler allgemein bekanntgeworden ist, konnte es sich auch die Sowjetregierung nicht, leisten, offen feindliche Töne gegen den jungen Judenstaat anzuschlagen.

Immerhin liegt eine sowjetische Stellungnahme von damals vor. Es war der Schriftsteller Ilja E h r e n b u r g, der diese Aufgabe übernahm. Ilja Ehrenburg ist selbst Jude. Er steht im Rufe, sehr empfindlich in bezug auf Antisemitismus zu sein.. Neben dem Mitglied des Politbüros Lazar K a g a n o w i t s c h ist er der einzige prominente Jude, den die Wellen des kalten Antisemitismus verschont hatten. Er ist heute beinahe der einzige prominente russische Schriftsteller jüdischer Abstammung. Der letzte von vielen. Er hat eine besondere Stellung, weil er heute auch eigentlich der einzige Sowjetschriftsteller ist, der einen internationalen Namen hat.

Ehrenburg nun gab, etwas von oben herab, zu, daß der junge Staat ganz gut sei, um Juden aus l ändern, in denen sie verfolgt werden, als Zuflucht zu dienen. Für die Juden der Sowjetunion lehnte er diesen Staat ab. Eigentlich auch für alle europäischen Juden. Die Juden Frankreichs, sagte er, seien nichts anderes als ein Teil des französischen Volkes.

Doch Ehrenburg sollte eines Besseren belehrt werden, was die Sowjetunion anbetrifft. Von dem neuen Verhältnis der Sowjetmacht zur russischen Kirche profitierten auch die jüdischen Religionsgemeinschaften. Auch sie konsolidierten sich. Die große Moskauer Choralsynagoge,etwa mit einer Kathedrale vergleichbar, ist in vollem Betrieb. Als erster Botschafter Israels in der Sowjetunion wurde eine Frau entsandt. Sie besuchte diese Synagoge. Offen wurde ein Festgottesdienst veranstaltet. Der Raum war festlich geschmückt. Tausende von Juden, auch solche, die sonst nie die Synagoge besuchten, fanden sich dort an diesem Tage ein. Es kam zu einer gewaltigen und begeisterten Demonstration für den Staat Israel.

Doch die Botschaftcrin sollte nicht lange die Genugtuung über diesen Festtag haben. Auf einem der nächsten großen diplomatischen Empfänge wurde ihr Ilja Ehrenburg vorgestellt. Sie sprach den Schriftsteller englisch an. Doch grob erwiderte Ehrenburg auf russisch, er könne die englische Sprache nicht leiden. Am allerwenigsten aus dem Munde einer Jüdin, die in Rußland geboren wurde. Sprach es, drehte sich brüsk um und ging grußlos fort. Diese Beleidigung wurde der Botschafterin vor dem versammelten diplomatischen Korps zugefügt.

Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen erfolgte gerade in der Zeit, in der der kalte Antisemitismus den Höhepunkt erreicht hatte. Beria erfand seine Verschwörung der zionistischen Kreml-Aerzte, die angeblich bereits mehrere Sowjetführer ermordet hatten und noch weiterhin Morde planten. In Israel fanden darauf antisowjetische Demonstrationen statt. Das benutzte die Sowjetunion, um die diplomatischen Beziehungen abzubrechen. Nach der Hinrichtung Perias wurden bekanntlich die Kreml-Aerzte rehabilitiert und der antisemitische Regierungskurs wesentlich abgeschwächt. Doch auch weiterhin bleibt jeder Jude in der Sowjetunion der prozionistischen, damit antisowjetischen Gesinnung verdächtig. Die diplomatischen Beziehungen zu Israel wurden wieder aufgenommen, doch blieben diese Beziehungen auch weiterhin kühl.

Es ist deutlich bemerkbar, daß die Sowjetunion das Verschwinden dieses Staates gerne sehen würde. Solange der Staat Israel besteht, wird die vollständige Assimilierung der etwa 2,5 Millionen Juden in der Sowjetunion auf beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen. Die Auswanderung dieser Menschen kann die Sowjetregierung nie freigeben. Schon darum nicht, weil das Prestige der Sowjets und der kommunistischen Weltbewegung einen tödlichen Schlag erleiden würde, wenn eine ganze Bevölkerungsgruppe von der Freiheit der Auswanderung Gebrauch machte. Würde die Auswanderung der Juden freigegeben, käme auch die Masse der beinahe 40 Millionen zählenden mohammedanischen Bevölkerung der Sowjetunion in Bewegung.

Der Staat Israel kann aber anderseits nie auf seine in der Sowjetunion lebende Menschenreserve verzichten. Wie schon erwähnt, stammt die Elite des Zionismus aus Rußland. Sie bildet heute die geistige und politische Führung im Staate Israel. Ihre Gefühle der Sowjetunion gegenüber sind nicht gerade freundlich. Viele dieser Führerschicht haben die sowjetischen Gefängnisse und Konzentrationslager am eigenen Leibe kennengelernt. Es ist auch verständlich, daß sie gerne ihre eigenen Landsleute zu Mitbürgern haben wollen. Doch es gibt ein noch vitaleres Interesse. Es ist kaum anzunehmen, daß die stärk dezimierten europäischen Juden oder gar die amerikanischen nach Israel auswandern. Es ist sogar die Frage, ob eine solche Einwanderung für den jungen Staat wünschenswert wäre. Ehrenburg hat natürlich nicht ganz unrecht. Die Mehrzahl der europäischen und ein großer Teil der amerikanischen Juden hat keine besonderen ethnischen Eigenschaften, die sie von ihren Mitbürgern unterscheiden. Nur die Religion, soweit sie noch an ihr hängen. Die Masseneinwanderung orientalischer, vorwiegend arabischer Juden der letzten Jahre kann für mehrere Generationen nur als ungelernte oder angelernte Arbeiter verwendet werden. Es braucht mehrere Generationen, bis aus diesen Finwanderern eine wirkliche Intelligenz entsteht.

Die Mehrzahl der russischen Juden hat jedoch die jüdischen ethnischen Merkmale noch nicht verloren. Das russische Judentum hat auch eine bedeutende Schicht von Intelligenz und von Fachleuten hervorragender Qualität. . Die berühmten jüdischen KremlrAerzte, um nur ein Beispiel zu nennen, würden in Israel ganz gut gebraucht. Von den zahlreichen hochqualifizierten Ingenieuren schon gar nicht zu reden.

So stehen sich nicht nur die Ideologie, sondern auch die vitalen Interessen des riesigen rotitn Imperiums und des kleinen Israel diametral gegenüber. Und es ist daher verständlich, daß die sowjetische Politik im Mittleren Osten sich immer gegen Israel wenden wird.

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