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Hinter dem Vorhang der Furcht

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Ist der Weltfriede in Gefahr? Während im Heiligen Lande die Greuel der Verwüstung, alle Schrecken der Unmenschlichkeit sich erhoben, während Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, ihre Bewohner niedergemetzelt wurden, in der Stadt Jerusalem über die Christus wieder weinen möchte, Klöster und Synagogen als strategische Punkte benützt wurden und in Asche sanken, die „Via dolorosa” ein neuer Kreuzweg von Schrecken und Leiden wurde und Geschütze gegen die heiligen Stätten donnerten, zu deren Bewahrung der Papst die Menschheit ohne Unterschied des Glaubens beschworen hat, drehten in Lake Success gewundene, ausgeklügelte Worte die Frage: Ist der Weltfriede gefährdet? die Vorfrage zur Entscheidung, ob eine Intervention der UN in Palästina erfolgen soll, erfolgen darf oder muß.

Für den Völkerrechtler und Fiistoriker mag es ein „interessanter Fall” sein: Wo ist der Übergang von der diplomatischen zur direkten Intervention? Die Diplomaten der UN aber erinnern sich daran, daß letzten Endes alle Interventionen bisher von Übel waren. Angefangen von der Intervention „für die Befreiung der unterdrückten Völker”, welche die Französische Revolution proklamiert hat, und vom Prinzip der Heiligen Allianz, die ein Interventionsrecht „für die Erhaltung des Friedens auf Grund der Verträge” in Anspruch genommen hat, auf Grund dessen Alexander von Rußland und Metternich ebenso ihren Willen durchzusetzen trachteten wie die Franzosen und Engländer in Sizilien. Andererseits konnte die Non-Intervention im spanischen Bürgerkrieg und im Abessinienkrieg den vorzeitigen Ausbruch des zweiten Weltkrieges verhindern, erfreut ‘ sich aber so wenig einer angenehmen Erinnerung wie die Non-Interventionen von 1938 und 1939 gegenüber den Annexionsakten in Wien und Prag. Was 1935 als „Mittelweg” die Völkerbundsanktionen gegen Italien waren, ist heute die Drohung mit der Aufhebung des Waffenembargos, das die USA im Dezember gegenüber den arabischen Drohungen gegen den Teilungsbeschluß der UN „für die Unruhegebiete im Nahen Osten” verfügt haben.

Damals schon forderte Präsident Dr. Chaim Weitzmann den Sicherheitsrat der UN auf, eine effektive Militärmacht in Palästina zu stationieren, aber es kam nicht einmal zur Eir\setzung eines internationalen Polizeikorps für das exterritoriale Gebiet von Jerusalem. So konnte es geschehen, daß der Auszug der Engländer die unschuldige Masse der Bewohner Palästinas den Schrecken des Bürgerkrieges überließ und zugleih die zivilisatorishen Erfolge einer fast zwanzigjährigen Verwaltung zerstörte, auf die stolz zu sein die Briten trotz des üblen politischen Endes allen Grund hätten. So kam es, daß das moralische Gewissen der Welt sih entrüstet gegen die neuen Greuel in Palästina erhebt, die Völker aber, die eben erst den Qualen einer Weltkatastrophe entronnen sind, instinktiv die Gefahren des Pulverfasses Palästina fühlen, welche die Diplomaten der UN zu solhem Umschweifen und Zögern veranlassen. Ex Oriente — bellum?

Lähmend lag auf dem Sicherheitsrat die Frage: Wer soll eine direkte Intervention durhführen und wohin können die unerbittlichen Folgen einer solchen führen? Der Teilungsbeshluß der UN, für die shon die katastrophalen Folgen der Teilung Indiens nah ebenso religiösen Gesichtspunkten eine ernste Warnung hätten sein sollen, hat die arabischen Staaten, die Palästina als nationalen und religiösen Besitzstand ansehen, zur Durchführung ihrer Drohungen getrieben, die Errihtung eines Judenstaates daselbst mit allen Mitteln zu verhindern.

Mahtlos stand die UN dem gegenüber. England hatte von vornherein sih geweigert, an einer militärishen Aktion in Palästina teilzunehmen. Auh die Sowjetvertretung hat erst jetzt einen solchen Antrag gestellt, der die Mehrheit niht fand. Warum dieses Zögern?

Ein Vorhang der Furcht trennt die Welt in zwei Teile, klagte jüngst der alte Soldat und Diplomat Ministerpräsident Smuts in Prätoria. Aus Furcht — vor wem? — hat die Sowjetunion, die innerhalb von zwei Jahrzehnten drei Invasionen abzuwehren hatte, zur Sicherung ihrer Siegeserfolge sih mit einem Siherheitsgürtel umgeben. Baltikum, Polen, Tshehoslowakei, Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, im Osten Korea und Äußere Mongolei sollen sie vor der Wiederholung eines Angriffes schützen; alle anderen Staaten werden als potentielle Feinde betrahtet. Nur im Süden öffnet sih eine Lücke im System, Griehenland, die Türkei und der Iran, eine Bresche, die als Bedrohung empfunden wird. die zu schließen jede Gelegenheit dienen mag.

Aus Furht vor dieser Ausdehnung 1 einer kommunistischen Einflußsphäre haben auh die Westmähte Sicherheitįgūrtel gesdiaffen, in deren erster Linie eben Griechenland, die Türkei und Persien liegen, deren zweite Linie die arabishen Nordstaaten bilden. Die Waage schien in einem, wenn auh labilen Gleichgewihte zu shwingen. Die Dekretierung des Judenstaates durh die UN am 30. November und jetzt die Ausrufung des Staates Israel haben sie aber in heftige Unruhe versetzt.

Der Widerstand der Araber war shon im Oktober vom Rate der Arabishen Liga am Libanon allen Ernstes verkündet worden. Aus Furht vor wem? Gewiß niht allein vor der Haganah. Als die Sowjetvertreter in der UN unvermutet für die Teilung stimmten, erblickte der Präsident des ägyptischen Senats, Hussein Pascha, darin die Absicht, 300.000 rumänische Zionisten zu entsenden, um dort als Fünfte Kolonne des Kommunismus zu wirken. Und ein arabisches Blatt bezihtigte die Westmähte der Blindheit gegenüber der Tatsahe, daß es sih hier niht nur um eine klaffende Wunde im Körper der arabischen Welt handle, sondern um Schaffung eines Brückenkopfes der kommunistishen Expansion. Vorbei sind die Zeiten, da die Araber Moskau als Stütze gegen den Zionismus grüßten und bereit waren, sih einem „groß- asiatischen Reich” der Sowjets einzufügen. Heute hat Moskau diese Chance vergeben und setzt dafür auf Erez Israel als sicherere Pivotstellung im Nahen Osten. Eine bewaffnete Intervention würde, das wissen die Westmähte sehr genau, niht ohne Teilnahme der Sowjetunion möglich sein, die damit ihre Rolle im Schachspiel des Orients legal übernähme. Die UN müßte dann sogar dafür sorgen, daß die russishen Truppen auch einen Zugang zum Schauplatz der Intervention fänden, sei es durch die Dardanellen, sei es zu Lande durch die Türkei oder über den Iran, der aber wegen der persischen Verkehrszustände kaum ernstlich in Betracht käme.

Vor den Augen der UN-Diplomaten erhebt sih damit das Gespenst der Aufrollung der alten Meerengenfrage, des Zusammenbruches allen Gleihgewihtes im Mittelmeere und im Orient überhaupt. Die Türkei erhält seit sehs Jahren ein Millionenheer, um die Ansprühe Rußlands auf Teilnahme am Dardanellenregime abzuwehren. Der Druck, den die Kündigung des fast zwanzig Jahre dauernden russisch-türkischen Freundshaftspaktes im Jahre 1945 durch Moskau ausühen sollte, hat daran nihts geändert. Rußland verlangt, daß der Vertrag von Montreux zunähst in zweiseitigen Verhandlungen zwishen Moskau und. Ankara revidiert werde. In letzter Zeit hat die Entsendung eines neuen Sowjetbotshafters nah Ankara ein diplomatishes Interregnum beendet, um einen gütlichen Ausgleih zu suhen. Aber die Türkei muß auf ihrem Bündnisse mit England vom Jahre 1939 und auf ihren Verpflichtungen gegenüber Washington bestehen und außerdem Zusicherungen verlangen, daß die russishen territorialen Ansprühe betreffs der Dardanellen, Kars und Ardahan aufgegeben werden. Auh dort ein Vorhang der Furht, die kaum dadurch gelindert wird, daß Moskaus unbestrittene Vormachtstellung am Balkan — das Bestreben der Zaren seit hundert Jahren — die Möglichkeit eines anderen Ausganges zum Mittelmeer weist, der dem Dardanellenproblem etwas von seiner Spitze nähme. Aber noch ist Markos niht in Saloniki, das Gegenspiel ist vielmehr in voller Entwickung.

Azzam Pasha, der Generalsekretär der Arabishen Liga, äußerte sih kürzlich, die Hemmungen, die ursprünglich die arabishen Staaten gegenüber dem Plan eines Mittelostblockes wegen seiner antirussishen Spitze gehabt hätten, seien nun weggefallen. Ein solher Block soll die Türkei und Griechenland mit den arabischen Staaten, Iran, Afghanistan und vielleiht auh Pakistan verbünden — gegen die kommunistische Expansion. Die Agentur Tass berichtete aus Kairo, daß dort bereits inoffizielle Verhandlungen zwischen der Türkei, Griehenland und Ägypten stattgefunden hätten, aus denen ein „Near East Defensiv Bloc” erstehen sollte. Der Beshluß der Arabishen Liga, ein Militärbündnis der arabishen Staaten anzustreben, mag als eine Vorstufe hiefür gelten. Einen Motiven- beriht hiezu gibt ein arabishes Blatt, das die dringende Gefahr der Festsetzung des Kommunismus im Nahen Osten schildert und als weiteres Ziel dieser Expansion den , Persishen Golf bezeihnet; damit wären die arabishen Staaten — aber auh die Ölreserven der Westmähte im Osten — in die Zange geraten.

Allerdings, das Spiel ist niht so einfah. Denn die Sowjetdiplomatie hat noh andere Trümpfe in Händen, um sie gegen die Araber auszuspielen: sie befürwortet die Schaffung selbständiger arabischer Staaten auf dem Boden der früheren italienischen Kolonien und in Nordafrika überhaupt und zeigt sih einer Einverleibung eines Teiles derselben mit Ägypten niht abgeneigt, eine Lockung, deren Zugkraft nicht zu unterschätzen ist.

Die Orientpolitik hat ja seit jeher ein Doppelgesicht getragen.

Die UN-Vertreter, die nun eine Lösung des Palästinakonflikts suchen sollen, die an allen diesen Gefahren vorbeigleite, stehen vor einer ungeheuren, historishen Aufgabe, vor der Lösung einer weltpolitischen Schachaufgabe, und das Brett ist von Istanbul bis zu den Bahreininseln offen. Die Kräfte, die beiderseits hinter dem Vorhang der Furcht handeln und die shon so viel kostbare Zeit für eine Verständigung verloren haben, sind zu einer Verantwortung aufgerufen, die. unendlih weiter reiht als die Schicksalsfrage des Staates Israel.

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