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Zwang zum Frieden

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Wenn am Karfreitag Prozessionen der christlichen Pilger durch Jerusalem ziehen, strebt Palästina einem neuen Golgotha entgegen: der Friede im Nahen Osten ist femer denn je. An den Grenzen, die der Waffenstillstand des Nahostkrieges gezogen hatte, stehen sich Juden und Araber haßerfüllt gegenüber, in den von Israel besetzten Gebieten herrscht der Terror arabischer Guerillas, und es vergeht kaum eine Woche, in der nicht israelische Flugzeuge. mit Ver-geltungsischlägen tief in arabische Gebiete vordringen. Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verwischen langsam. Araber feiern ihre Terroristen, die zwischen Militärpersonen und Zivilbevölkerung nicht unterscheiden; und auch Israels Verteidigungsminister Dayan kann nur mehr bedauern, daß bei Angriffen auch Zivilpersonen zu Schaden gekommen sind. Nach fast zwei Jahren latenter Unruhe glauben sich nur mehr die Großmächte in der Lage, den Frieden zu rekonstruieren.

Wag soll das Ziel eines Gipfelgespräches sein?

Grundsätzlich gibt es zwei Varianten:

• Die Großen Vier fixieren für Israel und die Araber die künftigen Grenzen, schaffen Einflußsphären und sichern sich ein Intervantionsrecht Im Falle der Nichteinhaltung des Friedensdiktats; solche Diktate sind von Versailles über München bis Potsdam in ihrer Wirkung als fatal bekannt.

• Der zweite Weg besteht in der Pression, Israel und die Araber zu Verhandlungen zu bringen. Nur richtet sich diese Forderung nur an eine der beiden Seiten: denn die Juden wollten schon immer mit den Arabern reden, während die Araber auch nicht die Spur von Bereitschaft bewiesen, ohne Änderung des Status quo zu verhandeln. Die Araber zum Gespräch zu zwingen, kann nur den Hussen gelingen, und an diesen Umstand scheinen sich die Hoffnungen zu klammern. Gerade jetzt, da Moskau am Ussuri eine Zeitbombe tacken hört, muß es an der Reduzierung der Konfliktherde an anderen Flanken höchst interessiert sein. Allerdings: so einfach liegt die Sache auch für die Sowjets nicht. Der sowjetische Einfluß auf die arabischen Verbündeten hat sich in den letzten Monaten abgeschwächt. Haben die Beschwichtigungsversuche der Sowjets weite Teile des arabischen Militärs und der Jugend verärgert, so ergibt das Zusammenleben mit den „europäischen Russen“ den Arabern zunehmend ein abgewandeltes Gefühl des Kolonialismus. Was immer die Sowjets überdies an Versuchen unternehmen könnten, ihre Verbündeten unter dem Halbmond an den Verhandlungstisch zu zerren, sie müssen mit vielen Partnern rechnen. Die arabischen Länder sind zerrissener denn je; ihre Auffassung vom Vorgehen gegen Israel ist uneinheitlich; ihre Verhandlungsbereitschaft weist differenzierte Härtegrade auf Und darin ist da noch der Zwitter Jordanien unter seinem tapferen König Hussein, der zwischen arabischer Solidarität und pro-westlicher Politik balanciert. Gibt es keine gemeinsame einheitliche arabische Linie, so gibt es auch in einigen Ländern nur mehr eine begrenzte Autorität der Führer. Nassers Position ist ins Ratschen gekommen, und Kenner der Interna von Kairo sprechen von der Möglichkeit eines Militärputsches. Im Irak und in Syrien sitzen nur vermeintlich starke Männer: Gesprächspartner können von Woche zu Woche wechseln.

Auch in Israel ist nicht alles transparent. Die bevorstehenden Parlamentswahlen lassen die Sorgen aufbrechen. Moshe Dayan wird sich schon in Kürze entscheiden müssen, ob er in der führenden Arbeiterpartei bleibt oder austritt. Der „Falke“ des israelischen Kabinetts rechnet mit großer Sympathie der Jugend und der Verbitterung vieler älterer Israeli. Dayan wird sich keine Lösung aufdrängen lassen, die weitreichende Konzessionen für Israel ergibt. Denn der Krieg von 1967 muß seinen Preis haben; und viele Israeli meinen heute, daß man nicht diplomatisch verspielen darf, was man militärisch gewonnen hat. Die USA drängen Israel derzeit, deutlich auszusprechen, welche territorialen Wünsche es hat. Dieser „harte Kern“ der israelischen Konzessionen soll darin bestehen, Jerusalem voll zu erhalten, die strategischen Höhen von Golan (die Grenze gegen Syrien) zu behalten und am Suezkanalufer sitzen zu bleiben. Dafür soll Israel bereit sein, Westjordanien zu räumen und sich mit einem Stützpunkt am Jordan zufriedenzugeben sowie die Flüchtlingsfrage (was di Entschädigungen betrifft) großzügig zu regeln. Es spricht vieles dafür, daß auch die Vereinten Nationen noch immer eine ernsthafte Funktion zwischen Rotem Meer und Mititelmear leisten können.

Wer derzeit nicht recht an die Glaubwürdigkeit der Chance zum ehrenhaften Frieden glaubt, wenn die UNO auch weiterhin die Fäden in der Hand behält, sind die Israeli. Zu oft — so erinnert man sich in Jerusalem und Tel Aviv — hat die UNO im Nahostkonflikt versagt. So zog U Thant seine Mini-Streitmacht auf Wunsch Ägyptens drei Tage vor dem Sechsitagekrieg zurück, um dier Artillerie der Araber Platz zu machen. Und auch nach dem Krieg war von den UNO-Posten an der Waffenstillstandslinie oflt nichts zu sehen, wenn die ersten Schüsse fielen und es festzustellen galt, wer den Waffenstillstand gebrochen hatte. Und dann erinnert man sich in Israel mit Zähneknirschen daran, wie die UNO-Organe zur Attentatserie der Terroristen auf israelische Flugzeuge schwiegen, als Menschen ums Leben kamen — und wie sie nach dem blutlosen Vergeltungssehl ag von Beirut durch Israels Fallschirmjäger mit einer einstimmigen Verurteilungsresolution des Sicherheitsrates die Weltmeinung gegen den Judenstaat mobilisierten. M'£Th meint heute ganz offen in Israel, daß die UNO immer mehr zum Instrument der Blockfreien wird, die vom allem Anfang an die Araber begünstigten. Zu alledem kommt das Geschäft. Das öl bleibt — nachdem der Suezkanal als Pressionsobjekt ausgefallen ist — der Trumpf in der Hand der Araber. Und sie spielen die Karte mit aller Offenheit aus. De Gaulle ist der erste gewesen, der die Sache der Israeli aus solchen Motiven im Stich ließ. Die nächsten Wochen werden entscheiden, ob im Nahen Osten doch noch eine Chance auf Befriedung besteht. Ein Friedensdiktat ist jedenfalls sinnlos. Eine Starthilfe zu bilateralen Gesprächen zwischen Israelis und Arabern aber wäre ein brauchbarer und hoffnungsvoller Weg.

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