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Fünf Minuten vor zwölf

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An Israels Grenzen standen gegen Wochenende 180.000 ägyptische Soldaten im Süden, 40.000 jordanische Soldaten im Osten und 70.000 syrische Soldaten im Norden, weitere 5000 irakische Truppen sollen zur Verstärkung an die Grenzen geflogen werden, und auch König Feisal von Saudi-Arabien versprach, seinen Teil zum „Heiligen Krieg“ gegen Israel beizusteuern.

In Israel sind laut Schätzungen der „New York Times“ zirka 250.000 Mann eingezogen worden. Sie bewachen die Grenzen des Landes und sind startbereit, um mit Hilfe ihrer Tanks zur rechten Zeit den Ansturm parieren zu können.

Zur gleichen Zeit beschäftigt man Israels Gymnasiasten mit dem Bau von Luftschutzkellern, Israels Hausfrauen kleben Papierstreifen—an ihre Fensterscheiben, um Verletzungen durch Glassplitter während eines Luftangriffes zu vermeiden, und Israels Wirtschaft ist teilweise lahmgelegt, weil die besten Arbeitskräfte als Artilleristen, Tankfahrer oder Piloten an den Grenzen liegen. Ein Teil der Exportaufträge, die sich gerade in der letzten Zeit häuften, konnte nicht ausgeliefert werden.

Trotz der ausgezeichneten Rüstung erklärte Israel nicht den Krieg, und seine Rundfunkstationen bringen das normale Programm, das nur ab und zu von Grüßen der Familie an die Soldaten an der Front unterbrochen wird. Es wird keine Hetze „gegen den Feind“ über den Äther gesandt. Der Feind wird kaum beim Namen genannt. Man ist immer noch bereit, auch in der letzten Minute einen Krieg zu vermeiden.

Viele Beobachter meinten, daß Israel sofort nach der Schließung der Tiran-Meerenge einen militärischen Schlag gegen Ägypten hätte ausführen müssen, weil Ägypten auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet war und der Überraschungseffekt hätte gewahrt werden können. Diese Beobachter behaupten auch, daß die Zeit gegen Israel arbeite, denn sogar Nassers Erzfeinde — König Hussein von Jordanien und König Feisal von Saudi-Arabien — haben Lippenbekenntnisse für einen „Heiligen Krieg“ gegen Israel abgegeben und sich bereit erklärt, sich dem ägyptischen Oberbefehl zu unterstellen. Doch Israel wollte die Fehler der Sinai-Kampagne nicht wiederholen Damals war sein militärischer Erfolg mit politischen Blamagen verbunden. Israel wollte sich jetzt zuerst die Sympathien der ganzen Welt verschaffen, bevor es einen militärischen Schritt unternimmt, denn es war sich seiner militärischen Überlegenheit sicher.

Die westlichen Großmächte England, Amerika, und in zweiter Linie auch Frankreich, baten Israel, zu warten, um Nasser eine Möglichkeit zu geben, die Blockade des israelischen Südhafems Ejlath aufzuheben, ohne dabei sein „Gesicht zu verlieren“. Sollte er sich weigern, versprachen diese Mächte, insbesondere England und Amerika, mit Hilfe ihrer Flotten die Blockade zu durchbrechen. Doch auch dies wird keine Lösung darstellen, sondern früher oder später muß das Problem wohl einmal detonieren.

Während des ersten Weltkrieges erkannte die englische Regierung, daß eine jüdische Minderheit in Palästina ein Vorposten des englischen—Imperiums “sein könnte.Eine Proklamation, daß Palästina das Nationallheim des jüdischen Volkes sei, wurde ausgerufen, um dadurch jüdische Unterstützung gegen die Türken zu erlangen.

Die arabische Nationalbewegung, die erst nach dem ersten Weltkrieg zu neuem Leben erwachte, stellte sich gegen das englische Imperium.

Die jüdischen Einwanderer waren in ihren Augen „Abgesandte der englischen Kolonialmacht“. Trotz der feindselige Haltung dieser Kolonialmacht den Juden gegenüber (die Kolonialbeamten in Palästina waren vielfach Antisemiten) blieben die Araber bei ihrer ursprünglichen Einstellung. Die damalige zionistische Führerschaft verstand nicht, daß es viel wichtiger sei, sich mit der arabischen Nationalbewegung zu befreunden als die Engländer zu Bundesgenossen zu wählen.

Als es im Jahre 1948 zum Befreiungskrieg der Juden kam, kämpften diese gegen die Armeen der arabischen Staaten, die zur damaligen Zeit von englischen Offizieren teilweise instruiert und sogar befehligt und mit Waffen versehen wurden. England unterstützte die arabischen Angreifer fast offen, und vielfach machte die englische Mandatsmacht mit den arabischen Angreifem gemeinsame Sache.

Im jüdischen Befreiungskrieg von 1948 flüchteten 600.000 palästinensische Araber auf Befehl des damaligen arabischen Oberkommandos in die Nachbarstaaten. Ihre Zahl vermehrte sich während der letzten 19 Jahre auf 800.000, vielleicht auf eine Million. Sie wurden nur teilweise von Jordanien und vom Libanon absorbiert. Ägypten und alle arabischen Staaten waren nicht bereit, diesen Flüchtlingen die vollen Bürgerrechte zu gewähren, sie mußten weiter in Flüchtlingslagern hausen. Sie bilden heute die „arabische Flüchtlingsfrage“ und dienen dazu, zeitweise als Sprengstoff gegen Israel gebraucht zu werden.

Ein Großteil der Bevölkerung Israels besteht aus Flüchtlingen, die nach dem zweiten Weltkrieg als Überlebende der verschiedenen Konzentrations- und Vernichtungslager nach Israel mit der Hoffnung kamen, hier eine neue Heimat zu finden. Diese Heimat haben sie auch gefunden. Die arabischen Staaten proklamierten, „die Juden ins Meer zu werfen“. Für diese Juden gibt es gar keine andere Möglichkeit als sich zu verteidigen. Nur die allerwenigsten werden in irgendeinem anderen Land aufgenommen.

Die arabischen Staaten haben zum größten Teil Berufsarmeen an die Grenzen Israels geschickt, Israel hingegen „den Mann von der Straße“. Die Front des Südens ist nur eine Stunde Autofahrt von Tel Aviv entfernt. Die Front im Norden befindet sich nur ungefähr eine Stunde Autofahrt von der zweitgrößten Stadt des Landes, Haifa. Die östliche Front zieht sich durch Jerusalem. Das ganze Land ist Front.

Für die arabischen Herrscher ist der ganze Konflikt eine Frage des „Gesichtswahrens“, für jeden Israeli aber eine Frage des Seins oder Nichtseins.

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