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PLO zwischen den Sesseln ?

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Gewinner dieser Verlusfcbilanz Moskaus ist jedoch nicht automatisch die andere Supermacht. Wenn Amerika im Wahljahr überhaupt Politik macht, dann hinter den Kulissen. Und Henry Kissinger will seinen Erfolg, das Sinai-AIbkommen zwischen Ägypten und Israel, nicht durch sein neues Erscheinen auf der Nah-Ost-Seene gefährden.

Am meisten profitiert Israel aus der aktuellen Lage. Solange die arabische Seite mit eigenen Problemen beschäftigt ist, ge'ht die Taktik der Regierung in Jerusalem auf, auf Zeitgewinn zu setzen. Das amerikanische Wahljahr garantiert überdies die wirtschaftliche und militärische Hilfe der Vereinigten Staaten.

Der geschwächte Einfluß der Supermachte Ihat auch seine Vorteile für das arabische Lager. Der Versuch Ägyptens, die sowjetische Fessel abzustreifen, hat neue Interessenlagen entstehen lassen. Alte Freundschaften und Fronten brechen zusammen, neue entstehen. Die arabischen Staaten halben ihren Spielraum vergrößert. Die Großmächte öffnen bereitwilliger ihren Waffenkorb, um sich die Gunst zu sichern. Denn das Einfluß-Karussell dreht sich in erster Linie noch immer um Waffen. Seit dam Jom-Kippur-Krieg wechselte Kriegsmaterial im Wert von schätzungsweise 16 Milliarden Dollar den Besitzer. Bereits getätigte Bestellungen lassen diesen Betrag auf 20 Milliarden ansteigen. Allein die USA haben Arabern und Israelis in einem Jahr Waffen für 4,7 Milliarden Dollar verkauft. Stolz verkündete der ägyptische Verteidigunigsmi-nister Gamassi: „Wir haben unsere Potenz seit 1973 verdoppelt.“ (Siehe Tabelle!)

Wohl bedeutet die Aufkündigung des Freundschaftsvertrages mit Moskau ein in allen Auswirkungen noch nicht völlig abschätzbares Handikap. Präsident Sadat hofft jedoch, durch amerikanische Lieferungen und Watffenkäufe in Großbritannien und Frankreich dieses Manko rasch aufholen zu können. Ja, die Ägypter meinen sogar; westliche Waffen würden sie von der qualitativen Unterlegenheit ihres sowjetischen Rüstangsmaterials befreien. Die ägyptischen Militärs bestätigen jetzt freimütig, der Jom-Kippur-Krieg habe die Überlegenheit der westlichen Rüstangsgüter bewiesen. Die Amerikaner besäßen vor allem die besseren Radarsysteme und Feuerlenkeinrichiungen für Panzer.

Freilich hüten sich arabische Waffeneinkäufer, Optionen auf sowjetische Waffen erlöschen zu lassen, 'da die Sowjets riesige Lagerbestände versandbereit halten, währendi Lieferunigen aus dem Westen oft komplizierte und langwierige Verhandlungen vorangehen. Auch sind die Lieferfristen der westlichen Firmen länger als im Osten. Sieht man von der politischen Komponente ab, kann der Versuch Jordaniens, Luftabwehrraketen zuerst im Westen und nun im Osten ziu kaufen, als Beispiel dafür genannt werden.

Die USA hatten Jordanien bereits im Frühjahr 1975 die Lieferung eines modernen Luftabwehr-Systems zugesagt, das von Saudi-Arabien finanziert werden sollte. Der Verkauf wurde zunächst 'durch die pro-israe-lische Lobby im amerikanischen Kongreß verzögert. Später lehnte Saudi-Arabien die Finanzierung ab, nachdem die ursprüngliche Kalkulation von 350 Millionen Dollar weit überschritten worden war. Nun will König Hussein mit Moskau über den Verkauf von sowjetischen Luftab-wehr-Jtakten verhandeln. Eine ranghohe sowjetische Militärdelegation war bereits im vorigen Monat in Amman, Hussein wird noch im Juni nach Moskau reisen. Wer ihm allerdings die sowjetischen Raketen bezahlen wird, ist ungewiß. Saudi-Arabien auf keinen Fall.

Der saudiarabische Herrscher hat gegenüber seinem Vorgänger Feisal die neutrale Haltung zugunsten einer pro-westlichen geändert. König Khaled fürchtet den revolutionären Geist, der vor allem in Bagdad, aber auch in Damaskus vom linken Flügel der Baath-Partei ausgeht. Die reichen Fürstenhäuser am Golf steuem ebenfalls immer mehr Geld für Rüstungskäufe im Westen und weniger für den Osten bei. Nachdem die Wende in Ägypten bereits durch den starken Finanizarm Saudi-Arabiens mitgesteuent wurde, wird 'nun auch der Einfluß Riads in Syrien größer.

Syrien ist derzeit noch die militärisch stärkste Bastion des Kreml im Orient. Die knapp mehr als 2000 Panzer sind alle sowjetischer Bauart, auch die 1100 Schützenpanzer. Sowjetisch sind auch die Flugzeuge und die Raketen. In beiden Bereichen ist Syrien mit moderneren sowjetischen Waffen ausgerüstet als Ägypten. Dies war auch einer der Gründe, die zum Bruch mit Moskau führten. Während sich die ägyptische Luftwaffe mit den bereits überholten ' MIG-21-Jägern zufrieden geben mußte, hat Syriens Luftwaffe bereits 45 Maschinen des Typs MIG 23, dasselbe Muster, das auch die sowjetische Luftwaffe fliegt Gerätselt wird noch, oib in Syrien auch bereits Aufklärer vom Typ MIG 25 stationiert sind. Diese Maschine ist für die westliche Luftverteidigung derzeit ein großes Problem. Sie operiert außerhalb der Reichweite der westlichen Flugzeuge und Raketen. Die MIG 25 würden aber sicher von sowjetischen Piloten geflogen.

Die Russen haben derzeit etwa 3000 Berater in Syrien, dazu kommen kubanische Panzersoldaten und nordkoreanische MIG-Piloten. Um die syrische Hauptstadt Damaskus wurde der wohl stärkste Luftverteidigungsring seit Hanoi errichtet. Die syrischen Raketenverbände werden auf 40 SAM-Batterien geschätzt. Mit hundert FROG-Raketen (Reichweitebis zu 65 Kilometer) und 30 SCUD-Raketen (Reichweite bis zu 280 Kilometer) können die Syrer fast alle Bodenziele in Israel erreichen.

Zum Unterschied von Ägypten haben sich die Syrer dabei nie zu einem Abkommen mit Moskau zwingen lassen. Auch beschert ihnen die Tatsache, die letzte wichtige Bastion des Kreml zu sein, größere Zugeständnisse Moskaus.

Als größtes Handikap der sowjetischen Nahost-Politik erweist sich zunehmend die starke Unterstützung der PLO durch den Kreml. Jede politische und militärische Stärkung der Palästinenser geht zu Lasten der arabischen Staaten und deren eigenen Ziele. So ist derzeit weder Syrien noch Jordanien an einem Paiästinen-serstaat unter der Führung der PLO interessiert. Dem syrischen Präsidenten werden die Männer Arafats in doppelter Weise unsympathisch: Sie tragen die Hauptschuld an dem Chaos im Libanon und widersetzen sich am konsequentesten allen Bestrebungen Assads, die Libanon-Krise nach Syriens Vorstellungen zu beenden. Ferner ist Syrien nur an einem Palästinenserstaat unter Führung von Mannern interessiert, die loyal zu Damaskus stehen, also Leuten aus der sogenannten Seika. Diese Truppe wird von Palästinensern geführt, die auf Syriens Militärschulen gedrillt wurden. Die Abneigung Assaids gegen einen PLO-Staat hat ihn auf dieselbe Wellenlänge gebracht wie Jordanien. Husseins Politik, 'die geradlinigste und konsequenteste im arabischen Lager, scheint Früchte zu tragen. Das große Ziel des kleinen Haschemitenkönigs ist nach wie vor eine Föderation mit den Palästinensern auf den von Israel im Jialhre 1967 besetzten Gebieten des Westjordan-Landes. Auch Syrien scheint der Vorteil einer starken Achse Damaskus-Amman wichtiger zu sein, als die Gunst der PLO. Hilft man Hussein, stärkt man sich selbst, hört man in Damaskus. Die Front gegen Israel würde automatisch stärker. Hussein würde für sein Ziel der Föderation Syriens Präsidenten bereitwillig den Führungsanspruch überlassen.

Diese Perspektive gefährdet alte Fronten und läßt neue entstehen. Ägyptens Präsident Sadat, durch sein Abkommen mit Israel als Feind der arabischen Sache abgestempelt, nimmt sich mehr und mehr des von Damaskus fallengelassenen PLO-Führers Arafat an. Da Kairo aber nicht mehr Moskaus Verbündeter ist, könnte diese Annäherung für die PLO eine Sackgasse bedeuten. Da scheint schon eher König Husseins Rechnung aufzugehen.

Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß ihm ein Frieden mit Israel lieber ist als ein Krieg. Die Motive liegen sicher auch in der militärischen Schwäche seines Landes. Die fehlenden Luftabwehrraketen haben die jordanischen Panzer zu bevorzugten Zielen der israelischen Jagdflugzeuge im Sechs-Tage-Krieg gemacht 1973 diente diese Schwäche Hussein als Argument, sich nicht am Krieg gegen Israel zu beteiligen. Hussein vertritt 'die Ansicht, Israel werde zerfallen, wenn Friede geschlossen wird. Dann würde nämlich die internationale Solidarität des Welitjudentums aufhören, Amerika seine Hilfe kürzen oder sogar einstellen und, so meint Hussein, Israel sich in inneren Kämpfen aufreiben.

Israel leidet schwer unter den enormen Rüstungsanstrengungen. Wahl glaubt man ebenfalls, stärker als vor dem Jom-Kippur-Krieg zu sein. Auch besitzt Israel 'die einzige Rüstungsindustrie im Nähen Osten, denn bisherige Versuche Ägyptens in dieser Richtung zeigten keine befriedigenden Ergebnisse. Israels Militärs fürchten auch weniger einen neuen allgemeinen Krieg als begrenzte kleine Dauerkonflikte. Diese würden den Judenstaat militärisch verschleißen und wirtschaftlich aushöhlen, während die Araber auf die fast unbegrenzten Geldreserven aus dem öl zurückgreifen könnten. Einen Ausweg könnte die Atomwaffe bieten. Doch mehren sich auch unter den israelischen Militärs und Politikern die Skeptiker. Sie sagen: „Die Atombombe würde unsere politische und militärische Handlungsfreiheit einschränken.“ Die territoriale Kleinheit Israels könne ein Gleichgewicht des Schreckens nicht garantieren. Denn ein Atomschlag auf Israel könnte dessen Ende sein; ein Gegenschlag auf die arabische Welt würde diese sicher nicht auslöschen. Daher sei keinerlei Gleichgewicht des Schreckens gegeben.

Da vorerst alle Beteiligten in erster Linie mit sich selbst und den Problemen innerhalb der eigenen Allianzen beschäftigt sind, scheint der Status quo für absehbare Zeit ungefährdet. Entgegen der Ankündigung Arafats wird 1976 nicht das Jahr Palästinas werden. Auch ist die Weltpolitik derzeit in anderen Regionen und auf andere Sorgen fixiert. Allein das angehäufte militärische Potential macht aber den Nahen Osten zu einem stets explosionsbereiten Pulverfaß.

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