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Abgesehen vom Leid der Bevölkerung: Wer sind die Profiteure, wer die Verlierer eines Kriegs am Golf?

Selten noch wurde ein Krieg so intensiv propagandistisch vorbereitet wie der nun entweder noch vor dem Beginn des Ramadan am 6. November oder eventuell nach Weihnachten zu erwartende Feldzug gegen den Irak. Zweifellos geht es in diesem Krieg um mehr als nur darum, eine potenzielle regionale Bedrohung auszuschalten. Als weitere Argumente werden deshalb genannt: Hussein verfüge über biologische und chemische Waffen und könne diese innerhalb von 45 Minuten einsetzen; außerdem könne er, bekäme er am Weltmarkt die nötigen Materialien, innerhalb weniger Monate Atomwaffen herstellen.

Darüber hinaus habe die Führung des Irak Kontakte zu Bin Ladens Terrororganisation El Kaida. Sechzehn UN-Resolutionen wurden ignoriert - wenn dies ohne Folgen bliebe, könne das eine weitere Schwächung des internationalen Sicherheitssystems bedeuten. Schließlich trage eine Militäroperation gegen den Irak nur ein verhältnismäßig geringes Risiko in sich, denn wichtige Teile der militärischen Infrastruktur sind den amerikanischen und britischen Luftwaffenangriffen der letzten Jahre zum Oper gefallen und die technische Überlegenheit der USA ist unübersehbar.

Weitere Pro-Stimmen für einen Feldzug argumentieren, dass nach dem Sturz von Hussein der Irak wieder frei Erdöl exportieren könne und damit die irakische Bevölkerung nach einigen Jahren einen ähnlichen Lebensstandard erreichen würde wie vor 1980. Dies hätte aber noch einen anderen Effekt: Bislang funktioniert das Kartell der OPEC vor allem auf Grund der Leistungen von Saudi-Arabien: Verfällt der Ölpreis zu stark, so reduziert dieses erdölreichste Land seine Förderung; steigt der Ölpreis zu stark, so kurbelt es seine Erdölförderung an. Nur Saudi-Arabien ist reich genug, um sich eine solche Strategie leisten zu können.

Das Land mit den größten Erdölvorkommen nach Saudi-Arabien ist trotz aller Funde am Kaspischen Meer der Irak. Ein freier Irak müsste zum Wiederaufbau seiner Wirtschaft so viel Erdöl exportieren, dass auch Saudi-Arabien den Preis nicht mehr stabilisieren könnte. Ein anhaltend niedriger Ölpreis wäre die Folge. Für die gegenwärtig schwache Weltwirtschaft wäre dies zweifellos stimulierend.

Gegen saudische Islamisten

Zugleich könnte ein Krieg gegen den Irak auch andere - teilweise nicht unerwünschte - Nebeneffekte haben. Dies betrifft vor allem den militanten islamischen Fundamentalismus, der vor allem von Saudi-Arabien aus unterstützt wird. 15 der 19 Attentäter vom 11. September waren Saudis und in den verschiedensten Kontexten konnte man im letzten Jahrzehnt immer wieder den Vorwurf hören, die Saudis hätten militante Islamisten am Balkan, im Kaukasus, in Afghanistan, in Ostasien und anderswo unterstützt. Auch wenn das saudische Königshaus ein Verbündeter der Amerikaner ist, die saudische Gesellschaft, in der Bürger zum Gebet gezwungen werden und in der das Aufhängen der Schweizer Fahne (weißes Kreuz auf rotem Grund) ein Problem darstellt, ist ein idealer Nährboden für Fundamentalismus. Würde im Laufe eines Irakkriegs eine Situation eintreten, die eine Änderung der Gesellschaftsordnung in Saudi-Arabien fördert, ohne dass damit das Königshaus stürzen muss, so wäre dies wohl im Interesse mancher Kreise in den USA.

Daneben mag es auch interne Gründe in der Administration von US-Präsident Bush geben, die für einen solchen Krieg sprechen: die Unterstützung durch die Öl-Lobby; die Überzeugung, dass es ein Fehler von Bush senior war, Hussein 1991 nicht zu stürzen und schließlich auch die anstehenden Kongresswahlen im November.

Spricht man von den Argumenten gegen einen Angriff auf den Irak, so ist zuerst vom menschlichen Leid, das dieser Krieg auslösen würde, zu sprechen. Es ist fraglich, ob es überhaupt ein Ziel gibt, dass diesen Preis rechtfertigt. Daneben gibt es aber auch wirtschaftliche Überlegungen, die gegen einen Irak-Krieg sprechen: Der Ölpreis ist in Folge der Kriegsvorbereitungen bereits gestiegen, ein Krieg könnte ihn noch weiter nach oben treiben. Der saudische Erdölminister meinte, er könne sich vervierfachen. Aber auch eine geringere Veränderung hätte bereits gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaft, vor allem auf jene von Japan und den USA, die Staaten, die besonders vom Erdöl abhängig sind.

Eine Gegenmeinung dazu lautet, dass sich die wichtigsten irakischen Erdöllagerstätten nördlich vom 36. und südlich vom 32. Breitengrad finden, das heißt innerhalb der Flugverbotszonen, die von den USA und Großbritannien überwacht werden. Der Stabilisierung des Erdölmarktes wäre auch gedient, wenn sichergestellt wird, dass die bedeutende Pipeline von Kirkuk im kurdischen Siedlungsgebiet ans Mittelmeer funktionsfähig bleibt. Mit dieser Maßnahme und mit der Kontrolle der Flugverbotszonen könnte das Risiko eines sehr starken Ölpreisanstiegs weitgehend gebannt werden.

Die größten Gefahren, die ein Krieg am Golf auslösen würde, sind somit weitgehend politischer Natur. Zuerst ist hier von der möglichen Solidarität in der arabischen Welt zu sprechen. Darüber, wie ausgeprägt diese Solidarität mit Hussein ist, gibt es allerdings sehr unterschiedliche Auffassungen. Von Bedeutung ist, dass ein Krieg gegen den Irak den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern weiter verschärfen könnte. Dazu kommt, dass die USA neben Afghanistan dann an einer zweiten Front einen Krieg gegen ein islamisches Land führen würden. Diese Gefahr wäre zweifellos geringer, wenn es den USA gelingt, ein UN-Mandat für den Angriff zu bekommen und damit auch die Unterstützung einzelner arabischer Staaten.

Unabhängigkeit für Kurden?

Eine weitere Frage stellt die Haltung der Türkei dar. Ein Irakfeldzug würde wahrscheinlich die Stellung der kurdischen Minderheit verbessern, sogar eine Unabhängigkeit wäre nicht auszuschließen. Laut Le Monde fürchtet man in Ankara eine solche Bewegung, da dies natürlich ähnliche Entwicklungen unter den türkischen Kurden nach sich ziehen könnte. Andererseits brauchen die Vereinigten Staaten die Militärbasen in der Türkei für einen Irakkrieg. Dazu kommt, dass die USA nach dem 11. September große Solidarität erlebt haben. Diese Koalition gegen der Terrorismus könnte mit einem Irakkrieg rasch zu Ende gehen, vor allem wenn es kein Mandat des UN-Sicherheitsrates geben sollte. Hingegen hat in den letzten Wochen das Risiko einer russischen Intervention im Kaukasus im Schatten eines Irakkriegs abgenommen.

Kein Nachfolger in Sicht

Daneben bleiben zahlreiche Fragen für die Zeit nach Hussein ungelöst. Bislang ist kein Nachfolger in Sicht und die Opposition ist weitgehend zerstritten. Das Land ist nur zum Teil eine natürliche Einheit: 65 Prozent sind Schiiten, 35 Prozent Sunniten, 80 Prozent der Bevölkerung sprechen arabisch, 15 Prozent kurdisch und der Rest Minderheitensprachen. Auf Grund der bisherigen Geschichte ist es auch schwer denkbar, dass sich der Irak in wenigen Jahren zu einer wirklichen Demokratie wandelt.

Eine starke internationale Präsenz wie am Balkan und in Afghanistan wäre somit wahrscheinlich auch im Irak nötig. Hier stellt sich die Frage, wer eine solche Friedenstruppe und Übergangsverwaltung bezahlen soll. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre dies wie schon im Falle von Afghanistan vor allem Europa: Den eigentlichen Krieg haben die militärisch überlegenen Amerikaner geführt, die Friedenserhaltung liegt aber dann in den Händen der Verbündeten. Hier liegen die größten Risiken für Europa: Die Folgen eines solchen Krieges könnten über Jahre die Haushaltsbudgets belasten. Aber dies ist noch das geringere Problem. Die amerikanischen Öllobbys würden zweifellos einen niedrigeren Ölpreis begrüßen, ebenso wie viele Autofahrer. Zugleich würde dies aber bedeuten, dass alternative Energiequellen noch mehr als bisher wirtschaftlich unattraktiv werden. Was das für die Umsetzung der Ziele von Kyoto bedeutet, braucht gar nicht mehr eigens geschrieben werden.

Recht auf Präventivschlag

Die Idee eines Schlages gegen den Irak beruht auf der neuen "Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten" vom 20. September dieses Jahres, worin das Recht auf einen "Präventivkrieg" eingeführt wird. Gegenüber Terroristen wie Schurkenstaaten nehmen sich die USA das "Recht auf Selbstverteidigung durch präventives Handeln" heraus. Präsident Bush schreibt in der Vorrede zum Dokument: "Amerika wird gegen solche heraufziehenden Gefahren tätig werden, bevor sie sich voll herausgebildet haben." Neben vielen grundsätzlichen Problemen, die ein Präventivschlag verursacht, gilt es zu bedenken, dass wenn dies die USA machen, es nicht lange dauern wird, bis andere dem Beispiel folgen. Mit dem Konsens des weltweiten Gewaltverbotes außer mittels Auftrag des Sicherheitsrates könnte es dann sehr bald vorbei sein.

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