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„Wir sitzen alle im selben Boot"

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John Kornblum steht seit 17 Jahren im Dienst der amerikanischen Diplomatie. Spezialisiert auf Deutschland- und Sicherheitsfragen, ist er heute Direktor des Büros für zentraleuropäische Fragen im US-Außenministerium, welches für die deutschsprachigen Länder zuständig ist. Anläßlich eines Besuches in Wien sprach FURCHE-Redakteur Burkhard Bischof mit dem Diplomaten.

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John Kornblum steht seit 17 Jahren im Dienst der amerikanischen Diplomatie. Spezialisiert auf Deutschland- und Sicherheitsfragen, ist er heute Direktor des Büros für zentraleuropäische Fragen im US-Außenministerium, welches für die deutschsprachigen Länder zuständig ist. Anläßlich eines Besuches in Wien sprach FURCHE-Redakteur Burkhard Bischof mit dem Diplomaten.

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FURCHE: Das inzwischen Jm schon geflügelte Wort von der transatlantischen Krise macht derzeit wieder allerorten die Runde: die NATO, ein scheinbar schwer maroder Dauerpatient Wie ernst ist die Krise denn dieses Mal?

JOHN KORNBLUM: Es hat in den letzten paar Monaten tatsächlich Probleme gegeben. Die Schwierigkeit besteht dabei insbesondere darin, zu bestimmten Fragen, vor allem zur Frage der sowjetischen Bedrohung und der Unterdrückungspraktiken Moskaus in Osteuropa, eine gemeinsame Haltung einzunehmen.

Im großen und ganzen gesehen sind die politischen Beziehungen zwischen den Mitgliedern des Bündnisses in ziemlich guter Verfassung. Es hat in den letzten 32 Jahren viel schwerere Krisen gegeben als die jetzige. Aber gewiß: Es hat sich in den letzten Jahren einiger Konfliktstoff angesammelt, was vor allem auch mit den Entwicklungen innerhalb unserer Gesellschaften zu tun hat—Stichwort: Friedensbewegung usw. Hier können Tendenzen gefördert werden, die die Einheit des Bündnisses unterminieren.

FURCHE:Die Einschätzung der sowjetischen Politik nannten Sie als einen der Punkte, bei dem zwischen den Partnern der westli-chen Allianz keine Ubereinstimmung besteht. Wo liegen hier die A uffassungsunterschiede ?

KORNBLUM: Wir haben es zuerst einmal mit verschiedenen geographischen Standorten zu tun; dann mit sehr verschiedenen Größenordnungen der Länder; schließlich mit objektiven, ehrlichen Unterschieden in der Analyse der Lage.

Dabei sind die Grundprobleme klar und sie werden von fast allen Mitgliedern des Bündnisses auch so gesehen: Die Schwierigkeiten resultieren aus dem nach wie vor nahezu vollständigen Fehlen an demokratischen Institutionen in Osteuropa und in der Sowjetunion; sie hängen zusammen mit den starken militärischen Anstrengungen der Sowjetunion in den letzten Jahren und den Aktivitäten Moskaus in der Dritten Welt. Dies alles kreuzt sich mit der Frage der Kontakte zum Osten. Und hier ist eine gewisse Sorge um den Ost-West-Handel in Westeuropa erkennbar.

FURCHE: Daß die Europäer vor zwei Jahren die Sanktionspolitik gegen die Sowjets nach deren Einmarsch in Afghanistan und gegen den Iran nach der Geiselnahme amerikanischer Botschaftsangehöriger in Teheran nicht mitgetragen haben, hat damals viele Amerikaner verärgert. Jetzt, nachdem die USA auf die Verhängung des Kriegszustandes in Polen wieder mit Sanktionen gegen Warschau und Moskau reagierten, verhalten sich die Europäer ähnlich zurückhaltend. Wie ernsthaft belastet das dieses Mal die amerikanisch-europäischen Beziehungen?

KORNBLUM: Von einer ernsthaften Belastung würde ich nicht

sprechen. Dies ist einfach einer jener Punkte, wo wir diesseits und jenseits des Atlantiks nicht ganz einer Meinung sind. Und überhaupt meine ich, daß es Mißverständnisse über die Rolle solcher Sanktionen gibt.

Europäische Staaten — insbesondere die, die unmittelbar an den Osten grenzen und denen es auf lange Sicht gesehen um eine Uberwindung der Teilung geht — konzentrieren ihre Beziehungen zum Osten auf praktische Schritte, um das Momentum der Politik aufrechtzuerhalten. In den Vereinigten Staaten sehen wir aber ein anderes Element, das in Europa nicht immer so im Blickpunkt steht. ,

Wir meinen, daß man nicht nur mit praktischen Schritten die Politik zu beeinflussen versuchen sollte — was sehr wichtig ist und was wir auch tun —, sondern daß man klarstellen muß, daß gewisse sowjetische Aktivitäten, daß eine gewisse Art sowjetischen Benehmens einfach nicht akzeptiert werden. Genau in diese Richtung zielen unsere Sanktionsmaßnahmen.

Diese sind nicht unwiderruflich und auch nicht dazu da, irgend jemanden zu bestrafen — schon gar nicht das polnische Volk. Ihr Ziel ist es, Grenzen aufzuzeigen und klarzumachen, daß wir einfach nicht sprachlos dastehen, wenn gewisse Dinge passieren.

FURCHE: Neben der Streitfrage der Einschätzung der sowjetischen Politik: Welches sind die anderen Punkte, bei denen die

Amerikaner und ihre europäischen Verbündeten nicht konform gehen?

KORNBLUM: Die Problematik der Friedensbewegung habe ich schon erwähnt. Ein weiterer Punkt: Es gibt Unterschiede in der Beurteilung der Lage in gewissen Teilen der Dritten Welt. Wir meinen, daß man klar sehen muß, daß die Dritte Welt auch für die Sicherheit und Zusammenarbeit des westlichen Bündnisses von Bedeutung ist.

Man muß versuchen, den Ländern der Dtitten Welt so wirksam wie möglich Hilfe zukommen zu lassen. Es genügt nicht, nur immer sogenannte progressive Bewegungen zu unterstützen - ohne zu wissen, wohin diese gehen. Und man sollte nicht vergessen, daß sogenannte Befreiungsbewegungen sehr oft tatsächlich von der Sowjetunion finanziert und gesteuert werden.

Wir sind auch in dieser Frage für eine sachliche Politik, sachliche Diskussion und gegen Pauschalierungen.

FURCHE: Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und ihren europäischen Verbündeten gibt es doch wohl auch in der Beurteilung der Lage im Nahen Osten. Was zum Beispiel die Verteidigung des Erdölgolfes anlangt, sähen es die USA doch sehr gerne, wenn sich die Europäer stärker engagieren würden...

KORNBLUM: Wir erwarten auf keinen Fall, daß etwa Österreich oder Dänemark oder Belgien Streitkräfte in den Nahen

Osten entsenden. Wie Sie wissen, gibt es bereits französische und britische Streitkräfte in der Region, und wir sehen sie gerne dort.

Das Problem aber ist folgendes: Wenn die Vereinigten Staaten neue Anstrengungen rund um den Persischen Golf unternehmen müssen, um die Interessen der gesamten westlichen Welt zu schützen, wenn dies notwendig ist, weil andere westliche Länder entweder aus historischen oder finanziellen Gründen sich nicht voll engagieren können, dann muß man aber wenigstens versuchen, die USA bei dieser Aufgabe zu entlasten.

Es ist für die amerikanische Öffentlichkeit jedenfalls schwer zu verstehen, daß die USA am Persischen Golf neue Aufgaben übernehmen sollen, zur gleichen Zeit aber die Verteidigungsanstrengungen der europäischen Verbündeten zurückgehen.

Wir erwarten nicht, daß in Europa neue Massenarmeen aufgestellt werden. Aber wenn gewisse Probleme nach wie vor einer Lösung harren, wenn zum Beispiel die Unterbringung amerikanischer Truppen in der Bundesrepublik teilweise katastrophal ist und wichtige Bündnispartner nicht mehr bereit sind, ihren Beitrag zu einer ausreichenden Verteidigung zu leisten, dann entsteht neuer Konfliktstoff.

FURCHE: Angesichts der Differenzen im atlantischen Bündnis und angesichts antiamerikanischer Strömungen in Westeuropa sind in den USA Stimmen laut ge-

worden, die für einen Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Nordatlantikpakt plädieren und einer Verlagerung der Bündnispolitik in den pazifischen Raum das Wort reden. Wie ernst sind solche Überlegungen zu nehmen?

KORNBLUM: Ich erwarte keinen politischen Kurswechsel in dieser Richtung. Unsere Beziehungen zum pazifischen Raum sind ganz anderer Natur als die amerikanisch-europäischen. Zudem ist dies eine unzutreffende Pauschalierung.

Auch wenn die Stimmen, die einen amerikanischen Rückzug aus der NATO befürworten, lauter werden: das ist nicht die reelle Gefahr, die dem Bündnis droht. Eine vorstellbare Gefahr ist es aber, daß die Politik auf beiden Seiten des Atlantiks nicht mehr so sehr in Richtung Zusammenarbeit geht.

FURCHE: Sie meinen im militärischen Bereich

KORNBLUM: Nein, denn die amerikanisch-europäischen Beziehungen betreffen nicht nur das NATO-Bündnis. Es gibt eine Unmenge konkreter Sachfragen, die wir miteinander behandeln müssen. Das kann reibungslos, schnell und erfolgreich geschehen oder es kann überschattet sein von Schwierigkeiten, Vorwürfen, Konkurrenz und so weiter.

Die Entwicklung unserer Beziehungen wird durch die Konsensfähigkeit bestimmt. Wenn sie nicht gegeben ist, könnte es immer schwieriger werden, gemeinsame Ziele zu definieren. Und wenn man in den USA den Eindruck gewinnt, daß die Europäer kein Interesse mehr zeigen, daß sie nicht mehr bereit sind, ihren Anteil zu leisten, dann könnte es passieren, daß die Bereitschaft zur Konsensbildung und zur reibungslosen Zusammenarbeit auf amerikanischer Seite nachläßt beziehungsweise aufhört. Das wäre eine negative und bedauerliche Entwicklung.

FURCHE: Könnten Sie das etwas konkretisieren?

KORNBLUM: Eine der erwähnten Sachfragen ist zum Beispiel das ganze Gebiet des Handels. Es ist einer der großen Erfolge der westlichen Welt in den letzten zehn, besonders in den letzten fünf Jahren, angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten den freien Handel aufrechterhalten zu haben. In den dreißiger Jahren war das anders ...

Eine andere wichtige Sachfrage: der internationale Finanzverkehr. Oder andere Bereiche: Verkehrspolitik, die Luftfahrt, Energiefragen: Alles ganz konkrete Fragen, die das tägliche Leben unserer Bevölkerungen unmittelbar betreffen.

In diesen Fragen müssen wir zusammenarbeiten, wir können gar nicht anders, wir sitzen alle im selben Boot. Und die Frage ist, ob wir erfolgreich zusammensitzen oder ob die Zusammenarbeit zur Bewältigung dieser immer komplizierter werdenden Probleme schwieriger wird.

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