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Polen, Deutschland und Europa

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Das Redaktionsteam der polnischen katholischen Monatsschrift „Wiei“ hat uns diese sehr offene Stellungnahme polnischer Katholiken zu einem der heißesten Eisen der europäischen Politik übersandt. Wir glauben, daß es gerade für den österreichischen Leser wichtig ist, den polnischen Standpunkt voll, ganz und ungeschminkt kennenzulernen. Hinter ihm steht die jahrhundertelange schwere Verwundung eines Volkes, dessen Staat viermal zerschlagen wurde. Wir haben, um die meistbetroffene andere. Seite mit ins Gespräch zu bringen, katholische Publizisten aus der Deutschen Bundesrepublik eingeladen, den westdeutschen Standpunkt zu vertreten (ihre Stellungnahme steht zur Stunde noch aus). Österreich, und nicht zuletzt die österreichischen Katholiken, sollten es sich zur Pflicht machen, hierzulande einen Raum der Begegnung zu schaffen, gerade auch für europäische Katholiken, die wie in diesem Falle politisch diametral entgegengesetzte Standpunkte vertreten. „Die Furche“

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Das Redaktionsteam der polnischen katholischen Monatsschrift „Wiei“ hat uns diese sehr offene Stellungnahme polnischer Katholiken zu einem der heißesten Eisen der europäischen Politik übersandt. Wir glauben, daß es gerade für den österreichischen Leser wichtig ist, den polnischen Standpunkt voll, ganz und ungeschminkt kennenzulernen. Hinter ihm steht die jahrhundertelange schwere Verwundung eines Volkes, dessen Staat viermal zerschlagen wurde. Wir haben, um die meistbetroffene andere. Seite mit ins Gespräch zu bringen, katholische Publizisten aus der Deutschen Bundesrepublik eingeladen, den westdeutschen Standpunkt zu vertreten (ihre Stellungnahme steht zur Stunde noch aus). Österreich, und nicht zuletzt die österreichischen Katholiken, sollten es sich zur Pflicht machen, hierzulande einen Raum der Begegnung zu schaffen, gerade auch für europäische Katholiken, die wie in diesem Falle politisch diametral entgegengesetzte Standpunkte vertreten. „Die Furche“

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Die Kontaktmöglichkeiten zwischen Katholiken des Westens und Polens — für beide Seiten sicherlich von großem Nutzen — sind seit dem Oktober 1956 zahlreicher geworden. Dadurch wird die günstige Gelegenheit geschaffen, ernste Probleme, die von Katholiken gemeistert werden müssen, zur Diskussion zu stellen. Ein solches Problem im internationalen Bereich ist das polnisch-deutsche Verhältnis.

Als Mitgliedern des Redaktionskollegiums der Monatsschrift „Wi^z“ ist es uns besonders angenehm, daß die Gastfreundschaft der „Furche“ es uns erlaubt, den österreichischen Lesern, vor allem aber den österreichischen Katholiken unseren Standpunkt in diesem Fragenkomplex darzulegen. Wir wollen uns nicht scheuen, das Problem drastisch darzustellen.

Wir brauchen nicht daran zu erinnern, daß der Überfall des Dritten Reiches auf Polen im Jahre 1939 und seine Folgen eine Bedrohung der biologischen Substanz des polnischen Volkes darstellten, ganz zu schweigen von der beabsichtigten und realisierten Vernichtung des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens. Aus vielen und tiefen Wunden blutend, hat sich unser Volk wieder aufgerafft. Auf Grund von Bestimmungen der siegreichen Alliierten wurde ihm dann ein festumrissener Platz in Europa zubedacht, und zwar zwischen Bug und Oder und Lausitzer Neiße, auf einem heute national einheitlichen Gebiet. Das war der Sinn der Potsdamer Beschlüsse, und es ist klar, daß geographische Veränderungen, in diesem Ausmaße und ein ganzes Volk betreffend, als ein für allemal abgeschlossen betrachtet werden müssen, wenn man die internationale Nachkriegs-prdnung ernst nehmen will.

Das- Land zwischen Bug und Oder und Lausitzer Neiße ist heute zur Heimat von 30 Millionen Polen geworden, und der feste Wille, diese Heimat für sich zu erhalten, kann nicht als Ausdruck von nationalistischen Motiven betrachtet werden bzw. von Motiven, die gegen ein friedliches Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Im Gegenteil, das Ansinnen auf ein erneutes Herumschieben von ganzen Völkern auf der Landkarte Europas entspringt nationalistischen Motiven und widerläuft einem friedlichen Zusammenleben der Völker.

Wir wollen hier nicht viele Worte verlieren über jene böse Tradition, die in gewissen deutschen Kreisen noch bis heute weiterlebt und für die immer nur diejenige polnisch-deutsche Grenze die gute ist, die gerade aufgehört hat, Grenze zu sein. Wir werden auch nicht viele Worte darüber verlieren, welche tragischen Folgen diese Methode der Betrachtung des polnisch-deutschen Verhältnisses in der Vergangenheit gezeitigt hat. Wir wollen dagegen auf ein grundsätzliches Element im polnisch-deutschen Problem aufmerksam machen.

Als der zweite Weltkrieg sich seinem Ende zuneigte, waren sich die Alliierten der Anti-Hitler-Kaolition darüber einig, daß die zukünftige Entwicklung Deutschlands die S i c h e r-h e i t der europäischen Staaten berücksichtigen muß, ganz besonders jener Staaten, die an Deutschland grenzen. Diese Verständigung im Grundsatz bestand unter den Alliierten trotz der schon damals auftretenden Meinungsverschiedenheiten.

Wenn man heute die Entwicklung der Politik der westdeutschen Bundesregierung ansieht, die mit dem Schlagwort: „Nie wieder deutsche Aufrüstung!“ begann und heute bei der Projektierung von Stützpunkten in Spanien, die nicht einmal von der NATO kontrolliert werden können, steht, und das alles im Zusammenhang mit immer wieder betonten Territorialforderungen gegenüber anderen Staaten, dann muß man feststellen, daß so eine Politik jene Garantie der Sicherheit nicht bietet.

Unsere Ansichten sind übrigens nicht die Ansichten von Einzelgängern. General de Gaulle hat klar festgestellt, daß die Grenzen Deutschlands so bleiben müssen, wie sie heute verlaufen. Damit wurde kundgetan, daß die Un-veränderlichkeit der deutschen Grenzen ein grundlegendes Element der europäischen Sicherheit geblieben ist. Man weiß zudem, daß grenzrevisionistische Tendenzen in jüngster Vergangenheit vor keiner Grenze Deutschlands haltmachten, weder im Osten noch Westen noch auch im Süden. Zweifellos hat der kalte Krieg die gemeinsame Lösung der deutschen Frage durch die Alliierten im Sinne jenes Grundsatzes vom Ende des zweiten Weltkrieges praktisch zunichte gemacht. Deutschland hat aufgehört, ein Problem der gemeinsamen Verantwortung der Großmächte zu sein und wurde zum Schauplatz ihrer gegenseitigen politischen Konflikte. Eine mit Atomwaffen der Westmächte ausgerüstete Deutsche Bundesrepublik ist hier ein schwerwiegendes Element der Vertiefung dieses Konfliktes, ein Element, das uns vom Geiste und von den Grundsätzen der großen Koalition des zweiten Weltkrieges entfernt. Wenn man aber die Entspannung als einen langfristigen Prozeß im Völkerzusammenleben betrachtet, dann birgt sie die Hoffnung in sich, daß dieser Konflikt im Herzen Europas allmählich beseitigt wird. Wie groß die Schwierigkeiten auch immer sein mögen bei der Lösung dieses Problems, eines steht fest: Die Verflechtung der deutschen Frage mit dem Ost-West-Konflikt ist ein folgenschweres Ergebnis des kalten Krieges. Ein Ausweg aus dieser Lage kann sich finden, wenn man darauf bedacht ist, die Beeinflussung des Ost-West-Konflikts durch die deutsche Frage zu vermindern. Auf diese Weise wird es möglich, zum Prinzip der gemeinsamen Verantwortung der Großmächte für die deutsche Frage als einer Frage der europäischen Sicherheit zurückzukehren.

Wenn die Politik der internationalen Spannungen darauf beruht, Deutschland zum Schauplatz der schärfsten Spannungen zwischen den zwei Blöcken zu machen, dann beruht die Politik der Entspannung darauf, daß man stufenweise und realistisch darauf bedacht ist, daß das deutsche Problem die Verhältnisse zwischen Ost und West nicht entscheidend beeinflussen kann.

Eine Politik, die die wirklichen Probleme zwischen Ost und West durch die enge, parti-kularistische These von der Notwendigkeit einer Ostverschiebung der deutschen Grenzen verschleiern möchte, ist heutzutage eine rückständige Politik, und zwar ist sie in so hohem Maße anachronistisch, daß sie beim gegebenen Kräfteverhältnis von vernünftig denkenden Menschen nicht ernst genommen werden kann. Dieser Anachronismus bildet jedoch — und leider — die ganz besondere Grundlage einer Politik, die nicht erst heute entstanden ist, wie wir schon vermerkten. Und dabei ist es doch eine Binsenwahrheit, daß jeder Versuch einer Ostverschiebung der deutschen Grenzen nicht ohne das Risiko der Vernichtung, die die Alternative der Koexistenz ist, vorgenommen werden kann, weil ein solcher Versuch ohne Zustimmung der hieran Interessierten vorgenommen werden müßte. Die Stellungnahme zu solchen etwaigen Versuchen wurde polnischerseits klar und oft genug kundgetan.

Nicht der entschiedene Wille zur Erhaltung der in Europa festgelegten Grenzen ist also gegen die Entspannung, sondern das Anstreben ihrer Veränderungen ist mit einem Jonglieren zwischen Koexistenz und Vernichtungsgefahr gleichzusetzen.

Die vertraglichen Bindungen des heutigen Polens sichern unserem Land, wie man weiß, eine feste internationale Position. Es muß dabei auch hervorgehoben werden, daß nach den schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit diese Bindungen von den Polen als ein grundsätzliches Element der Sicherheit für heute und morgen empfunden werden. Trotzdem lassen wir uns hier nicht von einer „Position der Stärke“ leiten, sondern betrachten das polnischdeutsche Problem aus grundsätzlicher und tieferer Sicht.

Polen und Deutschland sind Nachbarn. Wenn sie als Nachbarn Komplikationen und unnötige Sorgen vermeiden wollen, müssen sie nicht nur im Frieden zusammenleben, sondern auch zusammenarbeiten. Die Tatsache, daß zwei Völker Nachbarn sind, setzt bestimmte Dinge im politischen Leben voraus. Das ist natürlich auch der Fall im polnisch-deutschen Verhältnis.

In Polen erinnert man sich selbstverständlich daran, daß Polen bereits vor Hitler als ein „Saisonstaat“ betrachtet wurde, der früher oder später nicht mehr existieren werde oder zumindest einen Teil seiner Gebiete an das Deutsche Reich abtreten müsse. In Polen weiß man wohl, daß nicht alle Deutsche so eine Einstellung hatten und daß es in Deutschland Kräfte gab und gibt, die Polen und das Verhältnis zu unserem Lande in einem anderen Lichte sehen. Die biologische und kulturelle Ausrottung des Polentums und die Ausbeutung Polens durch den deutschen Staat und durch viele Deutsche während des Krieges können den Wert des deutschen Volkes Krieges können den Wert des deutschen Volkes als eines aufrichtigen Partners in friedlicher Zusammenarbeit nicht vermindern.

Das Ergebnis der Erfahrungen des polnischen Volkes mit Deutschland ist ein schmerzliches Ergebnis. Dennoch ist die Zukunft wichtiger als die Vergangenheit. Die Zukunft ist es auch, die uns verpflichtet, ein gutes Verhältnis zu Deutschland anzustreben. Man muß es einmal fertigbringen, seine Gemütsbewegungen zu meistern, ebenso wie Hemmungen, die das Ergebnis schwerwiegender Erfahrungen und erschütternden Erlebens sind. Man muß einen neuen Abschnitt in den Verhältnissen zwischen zwei Staaten und Völkern beginnen. Diese Bereitschaft besteht unsererseits. Polen hat Beweise dieser Bereitschaft gebracht.

Die feste Absicht jedoch, Polen müsse mit Wir wollen glauben, daß keine deutsche Regierung mehr Gewalt gebraucht, um ihre Politik durchzusetzen. Die Beziehungen eines Staates mit Deutschland werden sich nämlich nicht befriedigend gestalten, wenn Deutschlands Partner nicht frei von der Furcht, daß Deutschland wieder einmal Gewalt gebraucht, verhandeln kann.

Eine ebenso wichtige wie elementare Voraussetzung ist die eindeutige Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als dauerhafte Grenze durch ganz Deutschland. Die gegenwärtige polnisch-deutsche Grenze ist ein durch die Tatsachen und das Recht begründeter Faktor der internationalen Nachkriegsordnung in Europa. Wenn Deutschland in Frieden mit anderen Ländern zusammenleben will, muß es diese Ordnung anerkennen, und zwar mit allen Belastungen, die sich hieraus für Deutschland ergeben. Deutschland hat den Krieg begonnen und Deutschland hat ihn verloren. Deutschland hat die Vorkriegsordnung zerstört, es muß also seine Zubilligung zur neuen Ordnung geben, die auf den Ruinen der alten entstanden ist. Wenn man die Beziehungen des ganzen Deutschlands mit Polen auf dem Fundament der Unantastbarkeit der Oder-Neiße-Grenze aufbauen wird, dann ist der große Schritt getan, um den Zeitabschnitt des langen Ringens abzuschließen und einen neuen zu beginnen, den Zeitabschnitt einer aufrechten Zusammenarbeit.

Wir haben uns hier bemüht, unseren polnischen Standpunkt möglichst kurz darzustellen. Der von uns vertretene Standpunkt ist der Standpunkt des ganzen polnischen Volkes, ganz abgesehen von weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten bzw. von ausgeübten Ämtern.

Von besonderer Bedeutung für uns ist es, daß wir dank der „Furche“ unseren Standpunkt dem österreichischen Leser vorstellen konnten. Dem Leser jenes Landes also, das, auf dem Berührungspunkt zwischen Ost und West gelegen, naturgemäß dazu berufen ist, eine so notwendige Brücke des Zusammenlebens zwischen Ost und West zu sein.

Die unabhängige Neutralität Österreichs ist für dieses Zusammenleben ein rechtes Zeugnis, und die sich gut entwickelnden Verhältnisse zwischen Österreich und Polen sind eine Verbeißung — so hoffen wir — für ein immer besser werdendes gegenseitiges Verständnis für die schwierigen mitteleuropäischen Probleme.

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