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Neutralitat verpflichtet

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Alljährlich taucht im Zusammenhang mit den Wiener Messen das Wort von Österreich als einer „Drehscheibe zwischen Ost und West“ auf. Ohne Zweifel ist jede Masseveranstaltung mit einer Tradition, wie sie die Wiener Messe aufweist, eine „Drehscheibe“. Das Wort hat aber einen aktuellen Akzent dadurch erhalten, daß in jenem Teil Europas, der geographisch mit „Ost- und Südosteuropa“ lokalisiert wird und für den sich heute wieder langsam der Begriff der Zugehörigkeit zu „Mitteleuropa“ einbürgert, ein nicht mehr zu übersehender Auflockerungsprozeß im Gange ist, der seinerseits wieder nicht nur Österreich, sondern auch andere Staaten der westlichen Welt zu einer aktiveren Ostpolitik veranlaßt; darüber hat sich erst kürzlich auch der amerikanische Botschafter in Österreich, Riddleberger, eingehend geäußert. Bs sei einem Manne der Wirtschaft gestattet, sich bei der Behandlung eines solchen Themais an die Fakten zu halten, sich im Augenblick erst einsetzender Entwicklungen einen realistischen Blick zu bewahren und von Oberischwenglichkeit in der Beurteilung der Bewegungen in Mitteleuropa abzuraten.

Es ist ferner verständlich, daß seit der Erklärung der immerwährenden Neutralität österreichs verschiedentlich versucht wurde, den völkerrechtlichen Rahmen mit einer Art „Neutralitätsideologie“ auszufüllen. Ohne Zweifel bieten sich auch hiefür Ansatzpunkte. Wenn aber in der Diskussion der Begriff einer „wirtschaftlichen Neutralität“ gebraucht wird, so ist dem entgegenzuhalten, daß eine olche Bezeichnung kaum einer kritischen Prüfung standhalten kann.

Die österreichische Neutralität ist eine solche ausschließlich militärischer Natur, ihr Inhalt und ihre Bedeutung ergeben sich aus dem Text und dem Sinn des vom österreichischen Parlament freiwillig beschlossenen Neutralitätsgesetzes. In politischer Hinsicht ist Österreich zwar ein bündnisfreier Staat, aber es lehnt keineswegs ein internationales Engagement ab, was zum Beispiel in der Mitgliedschaft zu den Vereinten Nationen und zum F.uroparat zum Ausdruck kommt. Es ist daher auch in der Gestaltung seiner Handelsbeziehungen völlig frei, wobei diese nach allen Seiten hin nur von wirtschaftlichen Erwägungen, also von Absatz- und Liefermöglichkeiten, bestimmt werden.

Selbstverständlich will Österreich den Handel mit den Staaten Ost- und Südosteuropas pflegen, und es tut dies auch im Rahmen seiner und der von der anders gearteten Wirtschaftsordnung dieser Länder bestimmten Möglichkeiten. Denn die Beziehungen zwischen Ländern mit marktwirtschaftlicher und solchen mit staatswirtschaftlicher Ordnung sind von vornherein im handelspolitischen Bereich klar abgesteckt. Noch immer ist das östlich von uns herrschende Wirtschaftssystem <bai aller anerkennenswerten Auflockerung und bei allem — vorläufig rudimentären — Bemühen, lange verfemten Grundsätzen wieder Geltung zu verschaffen, auf eine zentrale Lenkung der Wirtschaft und Gesellschaft gegründet. In Österreich hingegen herrscht die Ordnung der sozialen Marktwirtschaft, die selbstverständlich nicht eine wirtschaftspolitische Aufgabe des Staates negiert, in der aber die völlige Entscheidungsfreiheit der Verbraucher am Markt, der Wettbewerb, das Rentabilitäts- und Gewinnstreben und die Unternehmerinitiative tragende Pfeiler sind. Daraus ergibt sich für den Handelsverkehr mit umseren östlichen und südöstlichen Partnern — wenn man von Entwicklungstendenzen im Jugaslaiwienbandel absieht — nach wie vor ein strenger Bilateralismus, der einer wesentlichen Ausweitung Grenzen setzt. Die Expanisionsmöglichkeiten im Außenhandel werden ferner dadurch eingeengt bleiben, daß die Aufnahmefähigkeit eines Marktes von 7 Millionen Menschen infolge der starken und überaus konkurrenzfähigen Einfuhr aus allen übrigen Ländern beschränkt ist, und überdies die ost- und südosteuropäischen Länder in ihrer Absatzpolitik doch noch zu wenig die in marktwirtschaftlichen Systemen selbstverständlichen Methoden der Werbung und Verkaufsförderung sowie des Services anwenden.

Was nun die besondere Stellung Österreichs aus seiner historischen Entwicklung heraus angeht, ist es richtig, daß zumindest im ersten Dezennium der Zweiten Republik, also bis zum Staatsvertrag, Österreich für viele Staaten der westlichen Welt ein äußerst wertvoller Brückenkopf zum Studium der wirtschaftlichen Entwicklung und zur Anbahnung von Handelsbeziehungen mit dem Osten war. Dieser Vorteil ist aber, nicht durch die Schuld Österreichs, sondern infolge des Einspielens der Verhältnisse in Ost- und Südosteuropa auf die Gegebenheiten des reinen Staatenhandels leider zurückgegangen. Die Staaten Ost- und Südosteuropas erleben geradezu einen Run westlicher Handels- und Expertendelegationen, es ist auch im Export dorthin ein Wettlauf auf dem Gebiet der Zahlungsund Kreditkonditionen wahrzunehmen, anderseits verhandeln Delegationen aus den Oststaaten direkt mir ihren potentiellen Lieferanten in der westlichen Welt. Die erhoffte Zwischenschaltung Österreichs entfällt daher vielfach. Anderseits aber — und das wird auch immer wieder von ausländischen Interessenten anerkannt — hat Österreich nach wie vor ein Potential an Experten des Osthandels, die teilweise durch ihre Herkunft, teilweise dank ihren Erfahrungen zur Veimitt-lung besonders geeignet sind und deren Rat und Meinung jenseits unserer Grenzen großes Gewicht haben.

Sosehr Österreich die den gegebenen Verhältnissen entsprechende Entwicklung des Osthandels begrüßt und sosehr es'auch bestrebt ist, alle Chancen wahrzunehmen, so wenig kann es an den Realitäten vorbeigehen, die dadurch bestimmt sind, daß die Märkte in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und in der Europäischen Freihandelsassoziation insgesamt 68 Prozent unserer Ausfuhren abnehmen. Österreich war nach 1945 gezwungen, seinen Außenhandel wegen der politischen Umschichtungen in Europa radikal umzuorientieren, und gerade in diesen Tagen und Wochen des Gedenkens sollte man sich auch der Leistung jener Pioniere des Exportgeschäftes dankbar erinnern, die damals unter größten Mühen in Westeuropa und in Übersee Position um Position gegen schärfste internationale Konkurrenz erkämpft haben. Wenn Österreich daher bestrebt ist, eine dauerhafte und die günstige Entwicklung unseres Lebensstandards ermöglichende Regelung des Verhältnisses zu beiden Wirtschaftsgruppierungen — zu Ost und West — zu erreichen, so folgt es damit ebenfalls nur wirtschaftlichen Überlegungen, die vor allem die Sicherung und Ausdehnung unserer Absatzmärkte zum Ziel haben. Diese Politik steht daher in vollem Einklang mit dem Gebot der Wahrung der Neutralität. Denn die Neutralität muß ein festes wirtschaftliches Fundament haben, und ein Land, das seine Neutralität ernst nimmt, muß dafür sorgen, daß es nicht zu einem wirtschaftlich und in der Folge auch sozial gefährdeten, anfälligen Raum wird. Die Erhaltung unserer wichtigsten Absatzmärkte auch in Westeuropa wird daher zugleich zu einem neutralitätspolitischen Postulat.

In einem Blatt wie der „Furche“, das seit Jahren einen eigenständigen österreichischen Kurs verfolgt, muß man nicht ausführlich erklären, daß Österreich eine besondere Stellung in Europa und in den Beziehungen zwischen Ost und West einnimmt. Niemand, der die Dinge realistisch sieht, wird die Position Österreichs mit jener der alten Monarchie vergleichen wollen, die auch politisch und militärisch einen ganz anderen Rang in der europäischen Mächtegruppierung eingenommen hat. Aber die Wirkungsmöglichkeiten eines uralten Kulturstaates wie Österreich sind nicht von machtpolitischen Größenordnungen abhängig. Österreichs Funktion gegenüber dem Osten und Südosten Europas liegt vor allem in seinem „Da-Sein“. Es kann zu dem Vorgang der Auflockerung im Osten auf eine ihm eigene, unprätentiöse Weise, vornehmlich im geistig-kuilturellen und im menschlichen Bereich seinen Beitrag leisten, wenngleich auch dieser realistisch betrachtet werden soll. Noch läßt sich nichts Verbindliches über Dauer, Richtung und Endziel der Auflockerungsbewegung im weiteren Raum Mitteleuropas aussagen. Aber nach wie vor geht von Österreich eine starke Emanation aus, und auch die menschlichen Kontakte zwischen Österreich und seinen Nachbarländern sind von Bedeutung.

Diese besondere Stellung Österreichs sollte für uns alle auch eine nachdrückliche Verpflichtung sein, unser Land zu einem demokratischen Mustergemeinwesen zu machen, — mit einer gesunden Wirtschaft, mit Aufstiegs- und Wachstuimschancen und mit einer Sozialstruktur, die den Beweis dafür liefert,daß der österreichische Stil des „Leben und Lebenlassens“ — nicht in einem phäakenhaf-ten, sondern in einem höheren Sinn, nämlich als wahrhafte Toleranz verstanden — auch noch in der Gegenwart lebt und in die Zukunft wirken will. Dem Wirtschafter sei gestattet, hier die Bitte vorzubringen, alles zu tun, um die motorischen Kräfte und Initiativen im Bereich der Wirtschaft anzuregen und zu fördern. Österreich kann es sich nicht leisten, wirtschaftspolitisch den Rückwärtsgang einzuschalten, während seine östlichen Nachbarn viele Vorzüge eines freien Wirtschaftssystems allmählich wieder zu schätzen beginnen.

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