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Organisation des Donauraumes

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Das Ergebnis der Pariser Friedenskonferenz liegt jetzt der letzten Instanz, dem Rat der Außenminister der Großmächte, vor, dem die endgültige Abfassung der fünf ersten und vorerst einzigen Friedensverträge obliegt. Hiebei sollen die in Paris von den einundzwanzig „Vereinten Nationen“ gefaßten Beschlüsse, nach Maßgabe ihrer Erbringung durch einfache oder Zweidrittelmehrheit, berücksichtigt und in die ursprünglichen, von den Großen Vier vorgelegten Entwürfe eingebaut werden.

Von den fünf Friedensverträgen betreffen allein drei Verträge Donaustaaten: Rumänien, Bulgarien, Ungarn. Auch der Vertrag mit Italien berührt, schon durch das Problem von Triest, organisch den Fragenkomplex um das künftige Schicksal des Donaubeckens. An diesem aber sind zw-dem noch die beiden UNO-Mitglieder Jugoslawien und Tschechoslowakei und wahrlich nicht zuletzt Österreich unmittelbar und hervorragend interessiert.

Wenn wir uns die Frage stellen, ob im Zage der vielmonatigen Vorbereitungen dieses Vertragswerkes und dessen breitspuriger und höchst offenherziger Beratung im Schöße der Friedenskonferenz der naheliegende Gedanke aufgetaucht ist, die Zukunft dieser einzelnen Teilhaber am Donauraum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und durch ein konstruktives Konzept zu untermauern, so müssen wir bestürzt feststellen, daß sich keine Spur einer tragfähigen Organisie-r-u n g, einer fruchtbaren Idee, vorfindet, aus der sich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft kommender Generationen dieser Völker schöpfen ließe. Im Gegenteil, in dieser Hinsicht ist es um das vorliegende Vertragswerk, das dauerhaften Frieden, Wiederaufbau und Prosperität der Donauländer sichern soll, noch um etliches schlechter bestellt als um die Verträge des Jahres 1919, die mindestens einige — wenn auch in der Folge nicht weiter entwickelte — Ansätze zur Wahrung der naturgegebenen wirtschaftlichen Zusammenhänge enthielten. Der Geist, der die mühseligen Beratungen der letzten Monate beherrschte und den die Vertragsinstrumente — in ihrer heutigen, wohl im wesentlichen endgültigen Gestalt — atmen, unterscheidet sich keineswegs von jenem, der die im ersten Weltkrieg erschütterten Verhältnisse Europas meistern zu können glaubte, sodann schmerzlich versagt und seine Untaug-lichkeit so katastrophal unter Beweis gestellt hat. Kleinlicher Nationalismus, Ver-geltungsbedürfnis und Prestige, durch Technik und Erfahrung längst überholte „strategische“ Erwägungen und merkantili-stische Tendenzen beeinflussen heute wie damals die Auseinandersetzungen, denen trotzdem — wir wollen es keineswegs leugnen oder bezweifeln — der Glaube und Willen aller zur Schaffung einer gerechteren und dauerhaften Friedensordnung ebenso zugrunde liegen wie in den Pariser Vororteverträgen im Jahre 1919.

Die Schuld daran tragen wohl kaum die unmittelbar betroffenen Völker kleiner und mittlerer Ordnung und deren Vertreter, sondern die schwere Wolkenwand, die sich zwischen Ost und West gelagert hat und jede konstruktive Aufbauplanung für den aus allen Fugen geratenen Kontinent lähmt. Aus Berichten von Zeitungskorrespondenten, die der Pariser Friedenskonferenz beigewohnt haben, erfährt man, daß im Gegenteil die keineswegs neue Idee der planmäßigen Organisierung des Donauraumes in den Kreisen der Vertretungen der Donau-und Balkanstaaten Gemeingut ist und bloß aus taktischen Erwägungen heraus nicht zur öffentlichen Erörterung gelangte. „Unter vier Augen“ wurde aber aus der Enttäuschung darüber kein Hehl gemacht, daß die allgemeine Erkenntnis von der kategorischen Notwendigkeit eines engeren Zusammenschlusses der Donauländer sich trotz der gründlichen Vorarbeiten, die einzelne Exilregierungen (Tschechoslowakei und Polen, Griechenland und Jugoslawien) und insbesondere der 1942 in New York geschaffene „Central European Planning Board“ (Zentraleuropäischer Planungsausschuß) während des Krieges geleistet haben, nach Kriegsende bei den Großmächten nicht zu einem konkreten und verwirklichbaren Programm durchzuringen vermocht habe. Die Folge sei, heißt es in diesen Kreisen, daß in Paris nicht nur kein Lösungsvorschlag der Großen über die Bewältigung der vielfältigen und brennenden wirtschaftlichen wie politischen — zum Beispiel Minderheiten — Probleme des Donauraumes vorgelegen habe, sondern auch die Hauptinteressenten selbst — um sich nicht in dem Räderwerk der Weltpolitik zu verfangen und ihre heutige Misere noch zu steigern — es nicht wagen durften, die Frage anzuschneiden. So sei es notwendigerweise gekommen, daß in den auf den „heimischen Konsum“ eingestellten Reden die alten Walzen eines unfruchtbaren Nationalismus gespielt wurden.

Trotzdem muß gesagt werden, daß sieb in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen die Erkenntnis durchschlagend Bahn gebrochen hat, daß wirtschaftliche Kleinräume, enge, hohe Zollgrenzen und nationalistischer Antagonismus in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht Anachronismen sind. Sie geraten täglich mehr in Widerspruch zur Entwicklung der Technik und zu den sozialen Fortschritten. Dies gilt in noch höherem Maße für Gebiete, die geopolitisch zusammengehören und aufeinander angewiesen sind. Einzelne Donauvölker mögen sich in den zwanzig Jahren „auseinandergelebt“ haben; die natürlichen Gegebenheiten, die ihr „Zusammenleben“ als Lebenserfordernis kategorisch erheischen, haben _ sich nicht verändert.

Gewiß, die gegenwärtige gespannte Atmosphäre in den Weltbeziehungen ist dem Aufwerfen eines so umfassenden und folgenreichen Problems nicht günstig. Es ist auch schwer, sogar überaus schwer, gegen die Gesetze eines natürlichen Aufeinander-angewiesenseins gesündigt worden. . Aber sollen diese Sünden für immer die BeZiehungen der Völker zerstören, sie zu Not und Rückschritt verurteilen? Und kann das Mißtrauen der beiden Mächtegruppen, dem heute die konstruktiven Ideen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet begegnen, sich auf lange hinaus als stärker erweisen als die Vernunft und der Drang der friedensdurstigen kleinen Völker nach Schaffung aussichtsreicher Voraussetzungen für ihren Wiederaufstieg und ihre künftige Wohlfahrt? In einer einigermaßen normalisierten Welt — für die sich in den letzten Wochen so maßgebliche Stimmen aus beiden Lagern eingesetzt haben — müßten die Vorteile, die von der Vernunft diktierte Lösungen bieten, die auf Mißtrauen und -Wettstreit der Kräftepotentiale der beiden Mächtegruppen beruhenden Bedenken schließlich überwiegen und Ordnung schaffenden Ideen die Bahn freimachen.

Zu den vordringlichsten konstruktiven Ideen gehört an einer der ersten Stellen die Organisierung des Donauraumes, wobei die wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Ziele in den Vordergrund zu bleiben haben. Wenn man sich auch, realpolitisch gesehen, die ungeheuren Schwierigkeiten und Bedenken, die es zu überwinden gilt, angesichts der gegenwärtigen Weltlage nicht verhehlen kann, so bietet der Gedanke eines wirtschaftlichen Zusammenschlusses doch so greifbare, positive Vorteile für alle, daß man trotz allem auch heute seine endliche Verwirklichung ins Auge fassen darf, ohne sich in Phantastereien einzulassen.

An Stelle des auf viele Jahre hinaus als aktiver Faktor ausfallenden Deutschen Reiches, das die Rolle eines stoßausgleichenden Puffers zwischen dem westlichen und dem östlichen Kulturkreis Europas ausfüllen könnte — und hätte ausfüllen sollen! —, träte ein Gebilde unabhängiger, demokratischer, miteinander durch ein dichtes wirtschaftliches Vertragsnetz verbundener Nationalstaaten. Ein derartiges mitteleuropäisches Commonwealth wäre weder ein „eiserner Vorhang“, den der Westen zu befürchten hätte, noch auch das alte Schreckgespenst des „cordon sanitaire“ für den Osten Europas. Es könnte keinesfalls die Sicherheit und die Interessen irgendeiner der beiden Mächtegruppen gefährden. Es würde im Gegenteil den allseits anerkannten Sicherheitsbedürfnissen Sowjetrußlands eine ausreichende Garantie bieten, ganz abgesehen davon, daß diese durch zwei-

Für die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, die Donaustaaten zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu bringen, sind von prominenten Persönlichkeiten des politischen und wirtschaftlichen Lebens so viele stichhaltige Begründungen gebracht worden, daß es völlig überflüssig erscheint, neuerlich im Detail darauf zurückzukommen. In der am 5. November 1935 vom Industriellen-Klub in Wien veranstalteten Donaukonferenz haben führende Männer aus den sechs Donaustaaten (Bulgarien, Jugoslawien, Österreich, Rumänien, Tschechoslowakei und Ungarn) aus der wirtschaftlichen Blickschau ihres eigenen Landes die wirtschaftlichen Gegebenheiten und Beziehungen im Donauraum eingehend dargestellt und in sehr weitgehender Ubereinstimmung der Schaffung eines organisierten Wirtschaftsraumes im Donaubecken das Wort geredet. — Indessen ist die Entwicklung weitergegangen. Die internationale Politik hat in hochgehenden Wogen die Regierungen der Staaten vielfach von der konsequenten Verfolgung programmatischer Ziele abgehalten und zur Politik von der Hand zum Munde gezwungen. Um so notwendiger ist es, immer wieder an die großen Ziele zu erinnern, den richtig erkannten Dauerlösungen zuzustreben, zumal damit wieder die internationale Politik erleichtert und vor allem klarer wird. Das Donauproblem besteht nach wie vor in seiner ganzen Dringlichkeit, die wirtschaftliche und politische Entwicklung im letzten Jahre hat es vielmehr in deutlicher Schärfe gezeichnet.

Bundesminister a. D. Dr. Ludwig Strobl im Jahre 1936 in einer Artikelreihe über Ziel und Weg der Zusammenarbeit im Donauraum nach Autsätzen des gewesenen ungarischen Handelsministers Baron S z t e r e n y i und des jugoslawischen Ministers des Innern Dr. Anton Korosec in Dr. Messners „Monatsschrift für Kultur und Politik“, Heft 9.tige Schutzverträge untermauert werden

könnten, so wie dies von Mr. Eden erst unlängst als schon während des Krieges einvernehmlich beschlossene Maßregel empföhle wurde. Andererseits bietet ein organisierter, politisch wie wirtschaftlich konsolidierter Donauraum der gesamten Welt eine volle Gewähr dafür, daß sich auch in weiter Zukunft Uberfälle aus dem mitteleuropäischen Raum — wie sie mangels jeden wirksamen Zusammenhaltes zwischen den Donaustaaten tatsächlich erfolgten und den zweiten Weltkrieg entfesselten — nicht wiederholen könnten. Auch jede Gefahr faschistischer Renaissancen in diesem Raum wäre gebannt. So würde aus einer Reihe hilfsbedürftiger -und kostspieliger Sorgenkinder der großen und begüterten Länder eine zufriedene Familie der Donauvölker entstehen, deren gestärkte Kaufkraft der Weltwirtschaft zustatten kommen würde. Letzten Endes aber — und diese Errungenschaft kann gar nicht überschätzt werden

— träte eine heute noch durch die beklagenswerten Gegensätzlichkeiten zwischen den Großmächten „verdrängte“ Idee an die Stelle der abgenutzten und kurzlebigen Konzepte, die ihre Bewährungsprobe nicht bestanden haben und den Keim dauernden Unfriedens im Herzen des europäischen Kontinents in sich tragen.

Die jüngsten Anzeichen einer Entspannung in der verkrampften Welt — noch sind es freilich erst zu Hoffnungen berechtigende Worte, denen Taten folgen müßten — lassen einen Schimmer von Optimismus aufkommen, daß auch die Idee der planmäßigen ökonomischen Organisierung des Donauraumes, als einer der wichtigsten Bestandteile der europäischen Friedensordnung, in absehbarer Zukunft

— auch hier obliegt ohne Zweifel die Führung den Großmächten — in praktische Erwägung gezogen werden wird. Damit aber wäre der Weg zur Entmachtung des Chauvinismus und zur Veredelung der geistigen und wirtschaftlichen Grenzen im Herzen des Kontinents freigemacht. In goldener Ferne müßte er in die Vereinten Staaten Europas münden.

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