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RAN DBEM ERKU N GEN zur woche

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DER KAMPF UM DIE LANDGEMEINDE. Die Auseinandersetzungen im Karniner Landtag über eine Reihe von Gemeindezusammenlegungen zu größeren Verwaltungseinheiten sollten über das reine Parteiengezänk hinaus die verantwortungsbewußten Politiker unseres Staates zu gemeinsamer, schöpferischer Arbeit im Gemeindewesen zusammenführen. Zu diesem Thema seien daher doch noch einige Anmerkungen vorgefragen. Beim jährlich wiederkehrenden Ringen um den sogenannten Finanzausgleich zwischen dem Bund, den Ländern und Gemeinden wird immer darauf verwiesen, wie finanziell schwach die kleinen Landgemeinden seien. Offenbar also muß durch eine gerechtere Aufteilung der finanziellen Mittel der Republik getrachtet werden, die Anliegen aller Einrichtungen unseres staatlichen Lebens geordnet abzuhandeln. Anderseits sind, entsprechend der veränderten Situation im ländlichen Bereich, etwa durch die technisierte landwirtschaftliche Arbeit, das Eindringen der Motorisierung und die Erschließung der Verkehrswege, durch verschiedene Gemeinschaftseinrichtungen auf genossenschaftlicher Basis, durch den Einfluß von Fabriken in landnahen Städten mit pendelnden Arbeitskräften usw. die Gemeindegrenzen auf wirtschaftlich in sich stärkere Räume auszudehnen, damit eben die Mittel des Finanzausgleiches nicht zu sehr aufgesplittert und dadurch unwirtschaftlich eingesetzt werden. Wir meinen, daß mit sorgfältigem Bedacht auf örtliche Gegebenheiten zunächst alle Kleinst- gemeinden etwa im größeren, überlieferten Kultur- und W i r t s c h a f t s r a u m der Pfarre zusammengefügt werden müßten. In den meisten Pfarrorten entfaltet um nur einige Beispiele anzuführen das ländliche Genossenschaftswesen von den bekannten Raiffeisen- kassen her seine Tätigkeit. In den Pfarrorfen wurden seit eh und je die landwirtschaftlichen Produkte auf den Markt gebrach, sie wurden dadurch wichtige Ansätze des ländlichen Kleingewerbes. Hier strömen heute wie ehedem die lokalen Gelder und Wirtschaftskräfte in voneinander abhängigen Produkfions- und Austauschweisen zusammen; hier sammeln sich auch die Erträge, von denen die Sfeueranteile für die Gemeinden ermessen werden. Alle Anliegen eines solchen größeren gemeindlichen Lebens sind noch überschaubar. Die Menschen kennen einander, sie erleben noch die Wirkkraft der echten Gemeinschaft. Wenn nämlich die Sozialisten einseitig behaupten, daß die wirfschafflich-fechnische Entwicklung der Gegenwart auch die historisch gewordenen Einheiten zerschlagen habe, so spricht die sachliche Vahrheit eher dafür, daß der Mensch unseres Zeitalters die technisch-ökonomische Entwicklung nur dort zu bewältigen vermag, wo die Gemeinschaft, in der er steht, noch überschaubar ist und sich in ihr der Einzelmensch noch persönlich entfalten kann, anstatt als Nummer auch im sozialistisch gedachten ländlichen Kollektiv zu ersticken. Und damit meinen wir auch, daß die erste Regierungspartei in diesem Sinne ein moderneres Konzept entwickeln könnte, als dies die Sozialisten glauben machen wollen, daß sie es tun.

UNGARNHILFE UND NEUTRALITÄT. Vor dem Ablauf eines Jahres praktischer Nächstenliebe legte die österreichische Sektion der Europäischen Forschungsgruppe für Flüchtlingsfragen einen umfassenden Bericht über die ungarischen Flüchtlinge und die Rolle Oesterreichs bei ihrer Betreuung vor. Warum diese Schrift erschienen als zweite Folge des Jahrganges 1957 des internationalen Bulletins „Integration" mit dem Erscheinungsort Vaduz besondere Beachtung verdient, isf der Umstand, daß sie weit über die Sphäre der Bilanzen und Statistiken hinausgeht und eine Sammlung von psychologischen Tests und historisch-soziologischen Untersuchungen beinhaltet. Durch diese weifschauende Art der Flüchtlingsbetreuung gelang es den im stillen arbeitenden österreichischen Fachexperten, den Beitrag Oesterreichs zur Lösung der tragischen Probleme, welche die Revolution in Ungarn aufgeworfen hat, über die Millionenbeträge und Millionenwerfe, die für die Flüchtlingsbefreuung von österreichischer Seite aufgewendet- wurden, noch zusätzlich bedeutend zu erhöhen und damit auch einen dauernden Beitrag zur Völkerverständigung in Europa, im Donauraum, zu leisten. Es ist in diesem Jahr nicht weniger geschehen, als daß Oesterreich die Gelegenheit, die sich ihm durch das Hereinströmen von 175.000 ungarischen Flüchtlingen plötzlich bot, zu nützen verstand, um zu seiner alten Berufung und Aufgabe im Donauraum unter veränderten Umständen, diesmal schon im Sinne des modernen Begriffes der Neutralität, zurückzukehren. Die österreichische Wissenschaft hat vielleicht noch niemals so entschieden, in so klarer, unvoreingenommener Weise zum Begreifen der Mentalität und des Schicksals eines Volkes im Donauraum beigefragen, wie sie es in diesem schmalen Heft tut, indem sie Problemstellungen der Völkerpsychologie und der Soziologie andeutef und Fragen aufwirff, die in diesem Rahmen freilich nur sehr knapp beantwortet werden konnten, durch sie aber ein vielversprechender Anfang gesetzt wurde.

DIE SCHLACHT HAT BEGONNEN. Als Bundeswirtschaftsminister Erhard vor kurzem unver- richtelerdinge von seinen Gesprächen mit den Herren der Ruhrkohle zurückkam, wußten es auch die weniger Interessierten: die Schlacht hat begonnen, der Kampf um eine konstruktive Neuordnung der westeuropäischen Wirtschaft. Nun haben die Herren an der Ruhr den gefährlichen ersten Schritt unternommen; im Vollbewußtsein ihrer Macht haben sie Bonn den Kampf angesagf, und es ist kein Zweifel, daß die Bonner Regierung diese Schlacht annimmt, annehmen muß. Denn durch die Verteuerung der Ruhrkohle treten Kettenreaktionen ein. — Schon kündigt eine ganze Reihe von Industrien Preiserhöhungen an, und eine ganze Reihe von Gewerkschaften beginnt die Kollektivverfräge zu kündigen. Makabres Zusammenspiel zwischen links und rechts, wie oft schon beobachtet in den Krisen der Demokratie und der Freiheit in den letzten Jahrzehnten! Unternehmer, gewisse Unfernehmerkreise und Gewerkschafter, gewisse Gewerkschaffskreise, drohen durch ihre Erpressungspolitik zunächst die freie Wirtschaft, dann den freien Staat zu erwürgen. — Nachher will dann niemand der Schuldige gewesen sein . . . Bonn hat einige Mittel, die es gegen die Ruhrherren einsefzen kann. Einfuhr billiger amerikanischer Kohle, Förderung anderer Energielieferanten und Aufhebung der steuerlichen und finanzpolitischen Begünstigungen der Ruhrkohle gehören zu diesem Programm. Bonn will einen Umbau der Montanunion, da diese sich immer mehr als ein Hemmschuh einer konstruktiven Wirtschaft zeigt: sie behindert durch ihren steifen, statischen Bau schöpferische Initiative hilft aber nichf, wie der Ruhrfall zeigt, gegen drohende Gefahren.— Erhard wird darüber hinaus versuchen, zunächst die westeuropäischen Partner der Bundesrepublik auf den exemplarischen Ernst dieses Falles aufmerksam zu machen. Eine rapide Preis- und Lohnerhöhung in Westdeutschland kann das gesamte Gefüge der westeuropäischen Wirtschaft erschüttern. Frankreichs und Englands prekäre wirtschaftliche Lage kommentiert auf ihre Weise das dringende Anliegen Bonns. — In den Krisenjahren nach dem zweiten Weltkrieg hat der Marshall-Plan Westeuropa gerettet und konsolidiert. Jetzt tut es eines neuen Planes not: um die durch den Marshall-Plan geschaffene Konjunktur und neue Krise zu meistern. Dieser europäische Wirtschaffsplan ist nicht denkbar ohne weitreichende politische Absprachen aller daran beteiligten Regierungen. Diese sind nur denkbar, wenn zwei Elemente Zusammenwirken: ein echtes föderalistisches Denken und Wollen und stabile, starke Reaie- rungen. An dem einen oder dem anderen fehlt es leider, In ganz Europa, noch sehr.

MARSCHALL SCHUKOWS KALTSTELLUNG. Die Entmachtung des in der ganzen Welf bekannten, in Rußland verehrten, von ausländischen Militärs geachteten Verteidigungsministers erregt Besorgnis. Sorge, die nichf geringer wird durch das plötzliche Abblasen des Syrienkonfliktes durch Moskau. Und durch die Ankündigung einer neuen „Friedensoffensive" der Sowjets im Zusammenhang mit den Feiern zum vierzigjährigen Geburtstag der Sowjetunion. Schukow, auf den sich Präsident Eisenhower nicht ungern als Waffengefährten und persönlichen Freund berief, galt zu Recht als ein Element der Stabilität. Ausländische Diplomaten in Moskau rühmten ihm nach, daß er nie lüge… In Genf wurde seinerzeit sein Wort berühmt: einen zweiten Stalin dürfe es nichf geben, dem Manne, der solches wage, drehe er persönlich das Genick um. — Nun ist ihm selbst vielleicht bereits das Genick, zumindest der Nacken der Macht, der Position, gebrochen worden von jenem Manne, in dem viele den Nachfolger Stalins sehen: Nikita Chruschtschow. Der Parteisekretär, dieser mittelgroße, dickliche Mann, Freund starker Getränke und oft noch stärkerer Worte, befindet sich seit Jahr und Tag in einer Zwangslage: er muß immer mehr Macht um seine Person zentrieren, sich immer mehr Feinde schaffen, um sich überhaupt zu behaupten. Die Maßlosigkeit der Reden Chruschtschows in den letzten Monaten, die Aktion gegen die Türkei und den Westen in Syrien zeigen, wie dieser Spieler mit hohen Einsätzen um sein Leben kämpft. Für die besorgten Beobachter fern und nah war nun eben Marschall Schukow eine Art Gegengewicht gegen den Parteisekretär. Nun ist er gefallen, wie es offiziell heißt, weil er die Armee und sich selbst als Führer über die Partei und ihre Politik stellte. Dieser Vorwurf ist bestimmt richtig, ihn aber als tödliche Anklage zu verstehen, liegt nur im Interesse des einen Mannes und der einen Partei, die seit langem fürchtet, durch eine Allianz der Techniker, Fachleute, Soldaten abgedrängt zu werden. Da wird zudem ein Aspekt des Sputniks sichtbar, der im Ausland zu wenig beachtet wird: dieser Welferfolg der Sowjetunion ist ein Werk der arrivierten neuen Klasse, der Ingenieure und Manager; ohne sie wären die Politiker auf die Raketen ihrer dröhnenden Rfen angewiesen, auf den leeren Schall ihrer Worte. — Sie beide also, die Techniker und die Militärs, in Rußland seit eh und je Verbündete und Mitarbeiter, sollten nunmehr mit dem Marschall getroffen werden. Seine Ausschaltung wird wahrscheinlich zu einer weiteren Verschärfung der inneren Machtkämpfe führen.

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