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Randbemerkungen zur woche

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DER ÖSTERREICHISCHE BUNDESKANZLER - hat in würdiger Form die Erklärung des sowjetischen Hochkommissars in Oesterreich zurückgewiesen, in der Oesterreich Sowjet- ‘ leindlicher, laschistischer und militaristischer Aktionen und der Anschlußpropaganda be- ‘ schuldigt wird. Herr Ujitschow iührt auch den Titel eines Botschalters: in dieser seiner Bot- schalt hat er jedoch nur als Kommissar gesprochen, der beauftragt ist, der österreichischen Regierung Weisung zu erteilen. Neun Jahre nach der Befreiung erhält Oesterreichs Volk, ein Volk von Arbeitern, Bauern und friedlich ihrem Handel und Wandel, ihrer Kunst nachgehenden Menschen, Befehle,, die nach bestem Wissen und Gewissen von Regierung und Gesamtvolk Anschuldigungen enthalten, die in keinem Bezug zur Wahrheit stehen. Was sich die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken von dieser bösen Botschaft erwartet, entzieht sich unserer Kenntnis. Sichtbar geworden ist aber bereits ihr erster Erlolg: Oesterreichs Volk steht geschlossen zusammen und ist bereit, in großer Geduld weiter seinen Weg zu gehen: iriedsam an einem Ort dieser Erde, an dem sich die Kraftlinien der beiden Weltmächte treilen. In Hinsicht aul die Sowjetunion und ihren augenblicklich verschärlten Kurs in Oesterreich drängt sich ein Gedanke aul: die UdSSR hat in diesen Nachkriegsjahten in ganz Nordeuropa beachtliche außenpolitische Erfolge erzielt und eine wichtige propagandistische Welt- wirkung eingeheimst durch die kluge Behandlung eines kleinen tapleren Volkes und Landes. Sollte Finnland nicht ein Exempel darstellen, das auch für die Behandlung Oesterreichs gute Früchte tragen könnte? Noch nie in der Geschichte hat es einer Weltmacht Ruhm eingetragen, wenn sie einer kleinen Nation Gewalt antat. Wohl aber gibt es tausend Beispiele für, den Nutzen, den die großen Mächte dieser Erde durch eine schonende Rücksichtnahme und durch Gerechtigkeit erwarben. Es steht an der UdSSR, diese oder jene Perspektive zur Kenntnis zu nehmen.

DEN EXISTENZKAMPF DER KATHOLISCHEN SCHULEN behandelte Staatssekretär D r. B o c k. in einer Rede in Graz: Die katholischen Eltern verlangen die Wiederherstellung der Gleichheit vor dem Gesetz, Einerseits müssen sie durch ihre Steuerleistungen die allgemeinen Schulen miterhalten, anderseits müssen sie zur Gänze für die katholischen Schulen auikommen. Leider ist in den Verhandlungen mit den Sozialisten nicht einmal der bescheidenste Vorschlag, nämlich, den Verhältnissen vor 1933 entsprechend, etwa einen Betrag von 10 Millionen Schilling als Subvention für die katholischen Schulen zu bewilligen, durchgedrungen. Der Staat aber erspart sich durch das Bestehen der von der Elternschalt erhaltenen katholischen Schulen jährlich etwa 70 Millionen Schilling. — Dr. Botk stellt dann die Frage an die Sozialistische Partei, ob sie bereit ist, weiter über die Schullragen zu verhandeln und zu einem raschen Abschluß zu kommen, und ob sie bereit ist, ,,die so außerordentlich bescheidenen Forderungen der katholischen Eltern zu akzeptieren“, oder ob sie jede im Interesse der katholischen Eltern gelegene Regelung ablehne. — Eine Frage, die weit über Parteihorizonte und Parteiverhandlungen hinausgeht — eine wahrhaft überfällige Frage, deren Bereinigung mehr für den inneren Frieden leisten würde als viele programmatischen Erklärungen hüben und drüben.

KEIN THEATERSKANDAL, wohl aber eine recht betrübliche politische Sache ist die Serienaufführung des „Rege n" im Volkstheater. Ein Stück von zweifelhaftem literarischem Wert stiftet hier Unheil. Die Publikumsstimmen belegen das mit aller nur gewünschten Eindeutigkeit. „Ich hab’s ja immer g’sagt, so sind die Piaffen." „Ja, so san die Christen." Was der „Scala nicht gelang und in ihr auch nur selten andeutungsweise versucht wurde, gelingt hier auf das schönste: die breiten Kreise des Volkstheaterpublikums, aus den Gewerkschalten, aus einer großen Besucherorganisation erhalten hier in der Gestalt eines schizophrenen, fast perversen Pastors, der das „einfache Volk" und alle, die ihm unter die grausamen Hände geraten, malträtiert, ein Zerrbild vorgesetzt, wie es seit den Pubertätsjahren der politischen Freidenkerbewegung im Austromarxismus nicht mehr gemalt wurde. Oder, sagen wir vorsichtiger, wie es nicht mehr auf die Bühne unserer innenpolitischen Auseinandersetzungen gestellt wurde. Gott sei Dank. Hier aber haben wir es wieder. — Es gibt auch in Oesterreich Kreise, die von einer „Gegenreformation" sprechen und von einem „Kulturkampf" in anderen Ländern gerne reden. Wer’ unser Land nur ein klein wenig kennt, weiß, daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, mag sie nun links oder rechts oder mittelrechts stehen, von solchen Schemen nichts wissen will. Wozu dann dieser Popanz? Will .man wirklich nicht wissen, daß es Gift ist, was da verspritzt wird? — Was würden die Herren hinter dem Volkstheater sagen, wenn an Stelle dieses Pioniers des Christentums — ein Missionär, der da sein Leben einsetzt, ist nämlich immer ein solcher

— ein Pionier der Arbeiterbewegung oder der Gewerkschaftsbewegung in den 1890er Jahren dermaßen verzeichnet auf die Bühne gestellt würde? Sie würden das Stück ablehnen, als ein übles Nachspiel, als eine böswillige oder dumme Verzeichnung eines großen und ehrlichen Ringens. — Mehr wollen wir nicht feststellen. ;

DIE UHR BLIEB WIRKLICH STEHEN, das Linzer Landesgericht hat,in ihr Räderwerk ge- grillen. Das jüngste Opus Erich Kernmayers, „Die Uhr blieb stehen", ist der Beschlagnahme verfallen, gegen seinen Verfasser wurde die Voruntersuchung eingeleitet Es ist der „Furche" seinerzeit nicht leichtgeiallen, die beruienen Hüter unserer Republik darauf aulmerksam zu machen, daß Duldsamkeit gegen eine gewisse Art von „Literatur" leicht als. Schwäche empfunden wird. Plaidoyers für Bücherverbote sind nun eben für Menschen, die sich weder den Erben Berijas noch den Gehilfen McCarthys verbunden fühlen, keine leichte Sache. Allein, dann stiegen, vor dem Blick wieder die Bilder jener Männer auf, denen wir verdanken, daß Wien 1945 nicht, das Schicksal Breslaus zuteil geworden ist: Major Biedermann, Hauptmann Huth und Oberleutnant Raschke. Sie haben ihre kühne, Tat mit dem Leben bezahlt. Wir haben die Vergangenheit nicht beschworen. Der Ver- lasser des genannten Buches war es, der neun Jahre später die Zeit für teil hielt, öster-, reichische Patrioten als „Verräter" und ,,Judasse von Wien" bezeichnen zu können. Aul solche Ungeheuerlichkeiten gibt es nur die Antwort, die das Landesgericht Linz nun gegeben hat. ,

FÜR REVOLUTIONEN UND NICHT FÜR RESOLUTIONEN sprach sich der wegen seines- trockenen Humors bekannte Generalsekretär der britischen Labour Party, Morgan- Philipps, nach der Tagung des Generalrates der Sozialistischen Internationale in Wien aus, als die Frage aulgeworlen wurde, warum eine Schlußresolution diesmal fehle. Diese Tagung in Wien hatte sich indessen eine weit leichtere Aufgabe gestellt als die vorangehenden Konferenzen dieser Körperschaft. Diesmal ging es nicht um das heiße Eisen der auch innerhalb der sozialistischen Parlamentsfraktionen einzelner europäischer Länder umstrittenen ,,Europäischen Verteidigungsgemeinschalt"., sondern hauptsächlich um Asien. Das am Schluß der Tagung ausgegebene Kommunique, zeigt, die Umrisse einer sozialistischen „Asienpglitik Freiheit, Einheit und Demokratie für Korea wie für Indochina unter gleichzeitiger Warnung vor der „Geiahr der weiteren Ausbreitung des Kommunismus, der das Weiterbeslehen des Kolonialsystems sich zunutze macht". Weiter: Südostasiatischer Sicherheitspakt, aber „die. Initiative zu einem solchen Plan soll von Asien ausgehen". Die Internationale stünde dem aufstrebenden Nationalismus der asiatischen Länder freundschaftlich gegenüber, erklärte der Vorsitzende anläßlich einer Pressekonferenz. Fragen von Journalisten beantwor- . tete er mit Zurückhaltung uhd englischem , Humor. Andere Fragen blieben ollen, wie etwa diese: Glaubten die Delegierten wirklich, daß , ihre lobenswerten Wünsche und Empfehlungen zur Lösung der Asienprobleme beitrugen?

War nicht vielmehr die Themenwahl dieser, Tagung ein Versuch, über die trennenden europäischen Fragestellungen hinwegzukommen, indem man im Kreise von Delegierten aus eil europäischen Ländern über Asien Gespräche führte, ohne daß ein ein- . ziger Exponent asiatischer Sozialisten dazu bei-. , gezogen worden war — sehr im Gegensatz . zu der im Pressekommunique’ betonten asia- . tischen Monroedoktrin?

WÄHREND IN SÜDTIROL ungezählte Be- ; amte aller Grade tätig sind, welche mit der ‘ bodenständigen Bevölkerung in deren Muttersprache nicht verkehren können, ist die Praxis im Grenzgebiet eines zweiten westeuropäischen Staates, dem nach dem ersten Weltkrieg gleichfalls eine fremdsprachige Minorität angeschlossen wurde, völlig anders. In Eupen, Malmedy und St. Vieth, jenen Grenzstrichen ; bei Aachen, die damals an Belgien fielen, lebt eine deutschsprachige Bevölkerung von 60.000 Seelen — sie zählt also nur ein Viertel der Südtiroler Minorität. Belgien ist weit- entfernt, diese Minderheit in eine schwierige kulturelle 3 oder seelische Lage zu drängen — obzwar es nicht durch einen Vertrag mit ‘einem Nachbar- Staat daran gehindert wäre. Amtlich und im allgemeinen Sprachgebrauch werden in diesen Bezirken nur die deutschen Ortsnamen ver- j wendet. Soweit Beamte und Staatsangestellte nicht der deutschen Bevölkerung des Gebietes angehören, sind sie durch ministerielle Ver- 3 Ordnungen gehalten, binnen drei Monaten die " deutsche Sprache zu erlernen, welche die Amtssprache des Gebietes ist. — Das i ist nun wirklich eine Ausübung der Staatsgewalt, die der Menschlichkeit und dem europäischen Geist alle Ehre macht. Wann ‘wird Südtirol die gleichen Rechte genießen?

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