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„Von einem ansteckenden Bazillus befallen“

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Fast gleichzeitig setzte (vor defi letzten Weihnachtsfeiertagen in Ungarn, der ČSSR und Bulgarien eine starke antireligiöse Kampagne ein, die ihren Höhepunkt aber offenbar im Jahre 1975 erreichen soll. Führende Wissenschaftler und Publizisten der drei Länder und alle Massenmedien beteiligen sich mittlerweile daran.

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Fast gleichzeitig setzte (vor defi letzten Weihnachtsfeiertagen in Ungarn, der ČSSR und Bulgarien eine starke antireligiöse Kampagne ein, die ihren Höhepunkt aber offenbar im Jahre 1975 erreichen soll. Führende Wissenschaftler und Publizisten der drei Länder und alle Massenmedien beteiligen sich mittlerweile daran.

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Mit Überprüfungen des „ideologischen Profils1’ und „Intensivierung der Aufklärungs- und Erziehungsarbeit“ hat die ungarische KP eine neue antireligiöse Kampagne auf breiter Basis gestartet. Die Massenmedien des Landes versuchen dabei den Eindruck zu erwecken, als würden nur noch ganz wenige Kinder den Religionsunterricht besuchen. Aber aus vielen Zeitungsartikeln geht hervor, daß selbst Kinder von Parteimitgliedern am kirchlichen Unterricht teilnehmen.

So befragte ein Reporter von „Demagyarorszäg“ während einer Versammlung ein KP-Mitglied: „Wie können Sie Taufe und Firmung ihres Sohnes mit Ihrer Parteimitglied-

schaft vereinbaren?“ Die Antwort lautete: „Ich dachte, die Religionsfrage könne keine große ideologische Rolle mehr spielen und außerdem drängten die Großeltern darauf.“

Die Zeitungen werfen den KP- Mitgliedem vor, sie diskutierten im privaten Gespräch mit Freunden und Bekannten zuwenig Fragen der materialistischen Weltanschauung.

Nicht zuletzt dadurch ist die ideologische Abwehrbereitschaft der Partei gegenüber der Kirche in Frage gestellt: Die Kirchen haben die Verfassung anerkannt und ihre Priester veranlaßt, das Regime im Sozialbereich zu unterstützen. Als Gegenleistung dafür garantiert die Regierung Freiheit des Glaubens und finanzielle Zuwendungen.

„Wenn also der Staat die Kirche akzeptiert, weshalb macht man uns dann einen Vorwurf daraus, wenn wir ihre Dienstleistungen in Anspruch nehmen?“ ist eine Meinung, der man in Budapest auf Schritt und Tritt begegnet.

Die Partei-Ideologen versuchen, diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität mit einem geradezu grotesken Mäntelchen aus fadenscheinigen Argumenten zu verhängen: Kirchenpolitik habe nichts mit dem- Kampf gegen „religiöse Irrlehren“ zu tun; friedliche Koexistenz gebe es zwar mit der Kirche, nicht aber mit ihren Thesen. Alle Parteimitglieder sind aufgerufen, keinen Unterschied zwischen öffentlicher und privater Auffassung mehr zu machen, denn „Religion ist für ein KP-Mitglied keine Privatsache“.

Diese Forderungen wurden auch an die Mitglieder der Kommunistischen Jugendliga (KISZ) gestellt, die jeden von der Mitgliedschaft ausschließt, der eine idealistische Weltanschauung oder religiöse Überzeugung demonstriert: „Wer regelmäßig zum Gottesdienst geht, kann auf keinen Fall eine Führungsposition in unserer Organisation einnehmen“ („Magyar Ifjüsäg“).

Verständnis für Kirchenbesuch finden nur jene, die „aus Respekt oder Furcht vor ihren Eltern in die Kirche gehen, um so den Familienfrieden nicht zu stören“. Erlaubt ist auch die Teilnahme an kirchlichen Einsegnungen. „Jemandem die letzte Ehre zu verweigern, würde uns Kommunisten in einem fragwürdigen Licht erscheinen lassen“, gab die Zeitschrift „Pärtelet“ zu.

Taktisch nicht ungeschickt, schlugen die gleichgeschalteten Parteiorgane vor, die KP-Mitglieder sollten im privaten Kreis für den Atheismus werben, ihre Aktionen aber nicht gegen einzelne Personen richten, sondern „prinzipiell und generell“ gegen die „verfehlten Theorien der Theologen“ polemisieren.

Wesentlich schärfer als die Ungarn geht das Prager Satrapen-Regime gegen Kirche, Gläubige und Priester vor. Die Kampagne richtet sich gegen Ziele, die untereinander sehr verschieden sind und erscheint in folgenden Formen: Verfolgung der Kirchen und der jüdischen Glaubensgemeinschaften, der Priester und Gläubigen; gleichzeitig eine Eskalation der atheistischen Propaganda, verbunden mit dem Bemühen einer „wissenschaftlichen Weltanschauung zum Durchbruch zu verhelfen“. Zielscheibe ist neben den Kirchen im Lande selbst auch der Vatikan. Die Liste der bisher inhaftierten Priester spricht für sich:

František Jureček, Erzieher und Mitglied des Salesianer-Ordens. Er wurde für schuldig befunden, sein Priesteramt ohne Erlaubnis des Staates ausgeübt zu haben, obwohl er in einem „Zivilbetrieb“ beschäftigt war. Außerdem habe er „junge Leute um sich geschart“ (Novy Zivot, Rom, November 1974). Jureček war schon einmal, nämlich 1957, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er das Staatsschutzgesetz verletzt hatte (Straz Lidu, 12. April 1957).

Stefan Kordą wurde eingesperrt, weil er die Werke Alexander Sol- schenizyns verteilte.

Dr. Jaroslav Studeny aus Olmütz, Experte für Liturgie, sitzt schon seit Mitte 1973 im Gefängnis von Bory. Angeblich ist er schwer krank.

Proteste des deutschen PEN-Klubs, zuletzt im November des Vorjahres, nützten bisher nichts.

Josef Gazda, ein Slowake, ist in Haft, weil er den Kindern seines Bruders Religionsunterricht erteilt hat, obwohl es ihm „von Amts wegen“ untersagt war, sein Priesteramt auszuüben.

Die in Rom erscheinende Zeitschrift „Listy“ berichtet, daß allein zwischen 1971 und 1973 acht protestantische und sechs katholische Priester vor CSSR-Gerichten standen. Als Anklagepunkt diente meist der Abschnitt 100 des Strafgesetzes („Widerstand gegen die Staatsgewalt“). „Listy“ hob den Fall des Pastors Zlamal aus Leitmeritz hervor, der schuldig befunden wurde, „dem Ansehen des Staates im Ausland“ geschadet zu haben (Abschnitt 112 des STGB).

Weitere Maßnahmen in der CSSR sind: Numerus clausus an den theologischen Fakultäten, frühzeitige Zwangspensionierung von Priestern; „Einteilung“ jüngerer Priester zu kirchenfremden Tätigkeiten in der Wirtschaft. Von den 3532 römisch- katholischen Priestern in der CSSR haben nur knapp zwei Drittel die Erlaubnis zur Ausübung ihres Amtes. Drei Bischöfe — Karei Otčenasek, Ladislav Hlad und Kajetan Matoušek — dürfen’ihre Funktion nicht wahrnehmen. Nur 1615 katholische Gemeinden der CSSR (von insgesamt 4615) verfügen über einen Pfarrer. Dem einzigen altkatholischen Bischof, Dr. Augustin Podolak, wurde es untersagt, seine Vorlesungen an der Hus-Universität in Prag fortzusetzen.

Selbst vor Nonnen macht das Husäk-Regime nicht halt. Am 30. Juli 1974 wurden sieben Schwestern des Heiligen Kreuzes aus Trnava in das Konzentrationslager Cerovä-Lies- kovä deportiert … die Polizei drang in das Kloster ein, verlud die Habe der Schwestern auf zwei Lastwagen und plünderten das Haus (Novy Zivot, Oktober 1974).

Als indirekte Verfolgung kann auch das Verbot religiöser Literatur gelten. Während 1969 bis 1970 das katholische Verlagshaus „Caritas“ und das protestantische „Kalich“ Dutzende von Büchern. edierten, durften die Katholiken 1974 lediglich einen Kalender herausbringen und die Protestanten zwei Bücher — „Svėt Brouku“ („Die Welt der Käfer“) und „Sbirame Motyly“ („Das Sammeln von Schmetterlingen“)…

Ein „positives“ Moment gibt es. Die derzeitige antikirchliche Kampagne kann nicht mit den Maßnahmen der fünfziger Jahre verglichen werden. Damals wurden Priester gezwungen, in Joachimsthal ohne die geringsten Schutzmaßnahmen uranhaltiges Gestein abzubauen …

Wie arbeitet nun die atheistische Propaganda in der CSSR? Das Programm folgt völlig den sowjetischen Richtlinien. Das beweisen nicht zuletzt Artikel in der Zeitschrift der Slowakischen Akademie der Wissenschaften „Ateizmus“. Besonderes Augenmerk wird dem Familienleben gewidmet, das nach Meinung der Parteiideologen in besonders krassem Gegensatz zu den Prinzipien der sozialistischen Gesellschaft steht.

In einer langen Abhandlung versuchte die „Jihočeska Pravda“ im Spätsommer 1974 zu beweisen, daß die Moralgrundsätze der Bibel nur für die Epoche gültig waren, in der dieses „Buch“ geschrieben wurde, nämlich für die Zeit der Sklavenhaltung. „Diese Grundsätze sind heute natürlich nicht mehr relevant“, schrieb das Blatt. Denn heute sei es in der Ehe viel wichtiger, über Medizin, Psychologie und Haushaltsführung Bescheid zu wissen.

Von Tiraden solcher Art blieb auch der Heilige Stuhl nicht verschont. In einem Bericht mit dem Titel „Die Frage des kirchlichen Antikommunismus in der ČSSR“ stellte der Autor Milan Zupka in „Nova Svo- boda“ fest, die katholische Kirche „verfüge nach wie vor über Einfluß auf eine beträchtliche Anzahl tschechoslowakischer Bürger“. Auch die anderen 16 Kirchen und Gemeinschaften hätten „Macht“ und die „Sekten“ (vor allem die Zeugen Jehovas) stellten ein ungelöstes Problem dar. Zupka warf dem Vatikan vor, er unterstütze die Hinwendung der Bürger , zu einem „menschlichen Sozialismus, also zur bourgeoisen Unordnung“.

Es geht laut Zupka einfach nicht an, daß der Vatikan versuche, Brük- ken zu verschiedenen Gesellschaftssystemen zu schlagen und dazu „auch die Grenzen der Legalität überschreite“. Die Bemühungen des Heiligen Stuhls um Koexistenz mit dem Kommunismus bezeichnete der Autor als einen „Versuch der Aufweichung und Unterminierung“ des sozialistischen Weltbildes.

Zupka schlug vor, die Kader der Partei sollten auf alle Fragen der Christen entsprechende Antworten parat haben, denn es sei notwendig, ein „marxistisch-leninistisches Gegengewicht“ zur kirchlichen Dogmatik und Lehre zu errichten.

Fast die gleichen — da von Moskau offenbar gleichgeschalteten — Argumente tauchen in letzter Zeit auch in den Massenmedien des treuesten Sowjet-Vasallen Bulgarien auf. Im Gegensatz zur offiziellen Außenpolitik (Freundschaft mit den moslemischen Arabern) geriet hier auch der Islam in die Schußlinie der antireligiösen Propaganda.

Professor Nikolai Mizow, bekannter Experte auf dem Gebiet „atheistischer Erziehung“, veröffentlichte Artikel in den Zeitschriften „Filosofs- ka Misai“ und „Polititcheska Pros- weta“, in denen er die wesentlichen Argumente des Regimes gegen die Kirchen formulierte.

Nach einem historischen Rückblick über die Bemühungen der KP, das kirchliche Leben in den letzten drei Jahrzehnten zu zerstören, mußte Mizow zugeberi, daß nach einer neuen soziologischen Studie rund ein Drittel der Bulgaren religiös seien. Die „Fanatiker“ machten allerdings nur zwei Prozent aus. Dieses Eingeständnis überrascht um so mehr, wenn man die zahlreichen Kampagnen der letzten dreißig Jahre Revue passieren läßt.

Obwohl „alle Anstrengungen unternommen worden seien“ — oder vielleicht gerade deshalb — das religiöse Leben zu ersticken, führt Mizow aus, „ist die kirchliche Aktivität wieder im Ansteigen begriffen“. Mit dieser Reaktion, vor allem „ausländischer Apologeten der Religion“ habe angesichts des hohen Prozentsatzes von Atheisten in Bulgarien gerechnet werden müssen, meinte der Professor. Speziell die Jugend sei für diese „schädlichen Einflüsse“ anfällig, hier wiederum besonders bei Osterund Weihnachtsriten.

Professor Mizow hat auch eine Erklärung für diese „Welle“ auf Lager: Die heutige Jugend sei in einer „religionsfreien“ Atmosphäre herangewachsen, kenne daher die „Gefahren“ der Kirche nicht und habe keine Ahnung, welche Kämpfe es die ältere Generation gekostet habe, die Kirche zu unterdrücken.

Mizow kritisierte auch indirekt die Regierung, indem er ihr vorwarf, sich zwar auf Aktionen gegen die größte Kirche des Landes, die orthodoxe, konzentriert zu haben. Dabei sei die Kampagne gegen die anderen Kirchen zu kurz gekommen. So sei die katholische Kirche „leider intakt geblieben“ und die Zahl der Protestanten habe sich vervielfacht. Einziger Ausweg ist, laut Mizow, eine breitangelegte „Aufklärung“ über alle Religionsgemeinschaften.

Offizielle Statistiken über die Größe, der Kirchen gibt es nicht, wohl aber Schätzungen. „Tsarkowen Westnik“ vermutete am 22. April 1974, es gebe in Bulgarien rund 60.000 Katholiken und 16.000 Protestanten. Frühere Schätzungen (so von „Nowo Vreme“ 1963) sprachen von 20.000 bis 25.000 Protestanten.

Beide Artikel Mizows lassen darauf schließen, daß die Regierung eine neue Agitationswelle gegen die rund eine Million Moslems türkischer und bulgarischer Abstammung im Lande auf Lager hat. Indirekt gab Mizow zu, daß die bisherigen Maßnahmen in dieser Richtung ein totaler Fehlschlag gewesen seien. Die Erklärungen dafür sieht Mizow in den starken Traditionen des Islam, der Geschlossenheit der Glaubensgemeinschaften und in den starken interfamiliären Banden. Die bulgarische Regierung hat sich mit den

Moslems stets schwer getan. Sie setzen sich aus 750.000 Türken und rund 200.000 Pomaks (Moslems bulgarischer Abkunft) zusammen. Vorwiegend in der Landwirtschaft tätig, haben die Moslems bisher allen Versuchen der Integrierung widerstanden. Ihr Bildungsniveau liegt weit unter dem bulgarischen Durchschnitt.

Die Schwierigkeiten zwischen Islam und Regierung haben zu einer Emigrationswelle geführt. Zwischen 1950 und 1951 verließen 150.000 Türken Bulgarien, 35.000 engere Verwandte dieser Gruppe durften ihnen im Februar 1968 folgen, nachdem die Türkei und Bulgarien ein diesbezügliches Abkommen getroffen hatten;

Trotzdem gab es in der Folge immer wieder Zusammenstöße. Auf einer Pressekonferenz im Juli 1973 — nach einem Besuch in Sofia — erklärte der damalige türkische Außenminister Haluk Bayulken, die Türken in Bulgarien hätten sich über ihre Lage beschwert: „Sie werden davon abgehalten, ihr altes Kulturgut zu erhalten und werden wegen ihres Glaubens diskriminiert.“

Als Grundsätze gelten in Bulgarien daher weiterhin: Religiosität und Parteimitgliedschaft sind miteinander unvereinbar. Wer kein überzeugter Atheist ist, findet keine Aufnahme in Partei und Staatsämter, denn „er ist von einem anstek- kenden Bazillus befallen“.

Fazit: Die Ernsthaftigkeit und Mühe, mit der im Ostblock gegen die Glaubensgemeinschaften vorgegangen wird, zeigt deutlich, wie hoch man Moral und Widerstandskraft der Glaubensgemeinschaften und ihrer Anhänger einschätzt. Denn sonst wäre es doch wohl nicht notwendig, mit zum Teil drastischen Maßnahmen gegen einen „Feind“ vorzugehen, den es theoretisch gar nicht gibt und dessen Ideen vom besseren Menschen man durch die eigene materialistische Weltanschauung für überwunden erachtet.

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