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Der dialektische Opportunismus

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anstaltet. Sie dauerte mehrere Stunden. Der Öffentlichkeit wurde darüber nichts mitgeteilt. Das Ergebnis der Begegnung, soviel dürfen wir nach unseren Informationen vermuten, war nicht allzu schlecht und darum eher günstig. Doch es gilt wieder sich vor allzu großen Erwartungen zu hüten.

Sechs Streitpunkte

Sechs Hauptpunkte sind es, worüber derzeit zwischen Staat und Kirche des kommunistisch gelenkten Polen eine Einigung zu suchen ist. Davon ist einer durch die Macht der Tatsachen gelöst, und zwar in einem anderen Sinne, als sich das der Primas und Gomulka wünschen: keiner von ihnen kann allein in Polen die Zügel in der Hand halten. Sie müssen miteinan-

Das Eisen im Feuer

Drittens, das Verhältnis zur „Pax“, der Von der Regierung unterstützten „fortschrittlich-sozialen Bewegung“ gläubiger Christen, die, von Piasecki geführt, eine beachtliche wirtschaftliche und politische Kraft geworden ist, von der Hierarchie aber mit Fug sehr scheel angesehen wird. Gomulka wird sich um der „Pax“ willen an sich keine besonderen Sorgen machen, doch will und darf er sie nicht voreilig preisgeben, um an ihr ein Eisen im Feuer zu haben, das jederzeit, sehr rot erglühend, gegen den Episkopat geschwungen zu werden vermag. Immerhin...

Und viertens: die drückende, schikanöse Belastung der Kirche und katholischen Institutionen, so der Lub-liner Universität, mit staatlichen Steuern. Ihr Ausmaß und ihre Eintrei-

der auskommen, soll nicht die Allgemeinheit, soll nicht hier die Kirche, dort das Regime Schadenleiden.

Über drei der anderen Dinge kann man reden. Punkt zwei ist eigentlich kein Gegenstand des Streits. Gomulka und Wyszyriski bejahen als polnische Patrioten die Westgrenzen an Oder-Neiße; Differenzen ergeben sich nur dadurch, daß Gomulka, zum Teil aus parteitaktischen Gründen, drängt, vom Heiligen Stuhl die Anerkennung eben-dieser Grenzen und die Organisierung einer endgültigen polnischen Hierarchie mit Neuabgrenzung der Diözesen zu erlangen, während der Primas weiß, daß von diesen Postula-ten im Vatikan nur einige, und auch die nur langsam, positiv erledigt werden können.

bung sind ein Pressionsmittel, das der kommunistische Staat nicht ohne weiters ungenützt lassen wird. Doch auch hier sind Ausgleichsmöglichkeiten vorhanden,

Unlösbar!

Unversöhnlich stehen da die Standpunkte einander gegenüber. Es gilt einen Entscheid über die sogenannte „bewußte Mutterschaft“ und über die Jugenderziehung zu treffen. Das Regime tritt mit allem Nachdruck für das Beschränken der Volksvermehrung über ein wirtschaftlich tragbares Maß hinaus ein.

Noch weniger ist das bei der Erziehung der Fall. Die Kirche möchte eine Gesamterziehung im christlichen Geist verwirklichen, mindestens aber einen guten Religionsunterricht ertei-

len und die Grundsätze der katholischen Ethik aufrechterhalten; sie begnügt sich, im gegenwärtigen Moment, damit, wenigstens den Religionsunterricht zu retten: für die Jugend und vor den Eingriffen des religionsfeindlichen Staats. Das Regime aber gibt vor, den Religionsunterricht als Privatsache aus dem Unterricht auszuscheiden, welch letzterer Staatsmonopol ist; sie trachtet aber, als Endziel, jeden Religionsunterricht zu unterbieten.

Besseres Klima möglich?

Ein Ausgleich ist also bei den letztgenannten Fragen nicht denkbar. Eine Verbesserung des Klimas zwischen Staat und Kirche wäre dennoch erreichbar. Wenn nämlich beide Partner stillschweigend jeder den anderen agieren ließen. Wobei allerdings mit Sicherheit anzunehmen ist, daß die zutiefst katholisch gebliebenen Polen die Religion zum Triumph geleiten würden; daß ferner eine unbeschränkte Gegenpropaganda der Kirche gegen die Geburtenkontrolle deren Erfolg auf den ohnedies der Kirche entfremdeten marxistischen Teil der Intelligenz und der Arbeiterschaft beschränken dürfte.

Doch von diesen gewissermaßen ewigen Problemen abgesehen, dreht es sich noch um die Rolle der Katholiken im Staat, dem sie gerne ihre Kräfte widmen möchten, um die Beziehungen zum Vatikan und um dessen Stellungnahme zu den Polen vordringlich beschäftigenden außenpolitischen Fragen. Hier ein günstiges Resultat zu erzielen, ist möglich, wenn nur vorher ein Modus vivendi für die innerstaatliche Symbiose von Kirche und Regime gesichert ist.

Nachdem am 9. Mai 1963, dem offiziellen Feiertag der „Befreiung“, der tschechoslowakische Staatspräsident Novotny in einer unvorbereiteten Ansprache an die angetretenen Truppen und schaulustigen Menschenmassen die Armee belobt, dem Westen die Münchner Kapitulation 1938 vorgeworfen und etwas überganglos ^dift Probleme der Fleischversorgung und der Landwirtschaft gestreift hatte, setzte er zu einer gänzlich unerwarteten Redewendung an. Einen Ausspruch Stalins über das deutsche Volk abwandelnd, sagte Novotny : „ ... Genossen, ich beziehe mich auf die letzte Entschließung des Zentralkomitees, ... es gibt Menschen, sie kommen und gehen, aber die komrnu-

nistische Partei ist ewig. Ich sage, es gibt Menschen, sie kommen und gehen, aber Idie Idee lebt weiter!“ Das Ende dieser bemerkenswerten Ausführung war dermaßen verworren, daß in der Annahme, die Ansprache sei zu Ende, der Rundfunksprecher der Direktübertragung dreimal zu einem anschließenden Kommentar ansetzte. Aber Präsident Novotny sprach weiter, wenn auch nicht mehr zu jenem Thema, welches heute in der CSSR am meisten interessiert. Selbst der höchste Repräsentant des Staates hatte es vorgezogen, den künftigen innerpolitischen Kurs der moskautreuen Tschechoslowakei verschleiert zu lassen.

Um so größer mußte die Überraschung sein, als am 14. Mai, um fünf Uhr früh, der tschechoslowakische Rundfunk seinen Zuhörern trocken mitteilte, daß, bereits am 3. und 4. Mai, das Plenum des Zentralkomitees der KP beschlossen hat, das Mitglied des Parteipräsidiums und ersten Sekretär der slowakischen KP, Karol Bacilek,

seiner Funktionen zu entheben. Gleichzeitig mit dem Slowaken Bacilek wurde auch der Sudetendeutsche Bruno Köhler von seinem Posten eines Sekretärs des Zentralkomitees der tschechoslowakischen KP abberufen. Nur im Falle eines dritten Betroffenen, des Sekretärs des Zentralkomitees, Vaclav Slavi.k, . wurde die Abberufung durch Gesundheitsrücksichten bemäntelt. Zu B a c i 1 e k s Nachfolger in beiden^ Funktionen wurde der Slowake Alexander D u b 5 e k bestimmt, Köhlers und S 1 a v i k s Posten übernehmen Fran-tisek P e n c und Cestmir C i s a f. Seit diesen wortkargen Eröffnungen hüllt sich die Prager Sphinx weiter in Schweigen.

Die Kerkertore öffneten sich kaum merklich

Die tschechoslowakische KP fügte sich den Beschlüssen des 22. Moskauer Kongresses nur widerwillig. Inmitten einer fühlbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, die 1962 durch ein Stagnieren der Landwirtschaft zur Lebensmittelknappheit und unerfüllten Produktionszielen der Industrien führte, manipulierte die tschechoslowakische KP ihre eigene Methode der „Absage an den Kult Stalins“: Lippenbekenntnisse zum 22. Moskauer Kongreß nach außen — ein festeres Anziehen der Schraube im Inneren, innerpolitischer Ballast wurde taktisch und wohlüberlegt abgeworfen, die mittleren Garnituren des wirtschaftlichen, administrativen und politischen Apparates regruppiert. Die oberste Hierarchie bewährter Stalinisten blieb aber unangetastet. Es kommt zu keinem Dammbruch in einem Regime, welches genau weiß, daß Rehabilitierungen toter Genossen eine Entwicklung auslösen

können, die auch vor den noch lebenden Machthabern keinen Halt macht. Die seit jeher vorsichtigen Machthaber der CSSR öffneten zwar die Kerkertore einigen Opfern der stalinistischen Ära, um sie stillschweigend in die sichere Anonymität verschwiegener Archivarposten zu entlasten, aber das mehr . aj^ geringe, Maß der Freiheit blieb für die Bevölkerung unverändert.

Das alte Rezept gilt plötzlich nicht

Aber das erprobte Rezept des Überlebens, dessen Prinzip die tschechoslowakische KP seit ihrer Gründung in den zwanziger Jahren auszeichnete, scheint am 3. Mai 1963 manches von der bewährten Wirksamkeit eingebüßt zu haben: zum erstenmal opfert man

zwei führende und charakteristische Persönlichkeiten aus den eigenen Reihen, zwei Veteranen der Bewegung, zwei radikale Stalinisten: Bacilek und Köhler.

Der heute siebenundsechzigjährige Bacilek, als k. u. L österreichischungarischer Soldat in Italien wegen Meuterei zu zweieinhalb Jahren verurteilt, ist, obwohl in Böhmen aufgewachsen, ein Slowake. Sein Aufstieg vom bescheidenen KP-Bezirkssekretär in Königsgrätz zum allmächtigen Sicherheitsminister umspannt 30 Jahre und führt über das Moskauer Exil im zweiten Weltkrieg. 1944 wird Bacilek aus einem sowjetischen Flugzeug in der Nähe von Warschau mit Fallschirm abgeworfen und erreicht die Slowakei, um dort am Aufstand gegen die Deutschen teilzunehmen. Während der Ära des dunkelsten Stalinismus ist Bacilek Minister für Staatssicherheit und so persönlich für alle Säuberungen, Verhaftungen und Hinrichtungen verantwortlich. Er spielt eine führende

Rolle bei der Liquidation der „Slansky-Gruppe“ ebenso wie bei der Entmachtung der „kosmopolitischen“ Genossen und der slowakischen „bourgeoisen Nationalkommunisten“.

Bacileks 42jähriger Nachfolger, der Slowake D u b c e k, ist in der Sowjetunion aufgewachsen und kehrte erst 1938 in die damalige CSR zurück. Den zweiten Weltkrieg erlebt er als Mitglied der illegalen slowakischen KP. Heute scheint Dubeek der wichtigste Mann der slowakischen Parteihierarchie zu sein.

Bruno Köhler, dreiundsechzig-jährig, sudetendeutscher Abstammung, einer der Mitbegründer der deutschen KP in der CSR, später tschechoslowakischer Delegierter bei der Komintern, verbrachte den zweiten Weltkrieg in

Moskau. Seine Ergebenheit der Partei gegenüber war dermaßen über alle Zweifel erhaben, daß er im Prager Parteisekretariat eine führende Rolle sogar während des „slawischen Sieggesrausches“ nach 1945 spielte, in einer Zeit, als auch manche nichtkommunistische Persönlichkeit anregte, das Wort „Deutscher“ mit kleinen Anfangsbuchstaben zu schreiben.

Sein heutiger Nachfolger Cfsaf erlebte dagegen die stalinistische Zeit außerhalb des Prager Machtzentrums. Erst 1957 kehrte Cisaf aus Pilsen zurück um später Chefredakteur des Zentralorganes der KP. „Rüde Pravo“, zu werden. P e n c, der dritte im Bunde der neuen Männer, gehört bezeichnenderweise der Klasse der Industriemanager an.

Ein Generationsproblem?

Es ist nicht leicht zu sagen, ob die Nachrückenden symptomatisch für einen neuen Kurs der tschechoslowakischen KP sind oder nur Novotnys Zögern personifizieren. Die alte Garde der Partei ist sich einig, daß man dem Zeitgeist Konzessionen machen muß. Die Uneinigkeit der obersten Parteiführung betrifft eher das Ausmaß derselben, nicht aber das Prinzip. Das, was der Westen optimistisch als „Liberalisierung“ innerhalb der Ostblockstaaten bezeichnet, hängt in der CSSR weniger von Novotny als von den jüngeren kotnunistischen Kadern ab, die ihr Streben nach Macht seit den Beschlüssen des 22. Moskauer Kongresses auch ideologisch verbrä-

men können. Bis jetzt sind die sichtbaren Vorstöße gegen die stalinistischen Konservativen auf den intellektuellen Sektor beschränkt geblieben. Aber jene Schriftsteller und Publizisten, die mit ihrer Vorstellung einer ,.De-Stalinisierung“ vom Konzept der politischen Repräsentation abweichen, sind innerhalb der Partei heimatlos. Sie vertreten weder eine Fraktion — die es, vom ideologischen Gesichtspunkt aus, in der tschechoslowakischen KP nicht gibt — noch sind sie Sprecher realer, oder potentieller Machtzentren. Es ist in erster Linie ein Generationsproblem das zu Vorstößen in die aus Unsicherheit leicht aufgeweichte Front des Regimes führt.

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