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Zwischen Rom und Moskau

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Am 28. Juni dieses Jahres hat die Kongregation des Heiligen Offiziums die katholische soziale Wochenschrift „Dzis i Jutro“ (Heute und Morgen) und das Werk Boleslaw Piaseckis „Zagadnienia istotne“ (Wesentliche Fragen) auf den Index gesetzt und die in beiden Veröffentlichungen enthaltenen Ansichten über das Verhältnis der Kirche und der einzelnen Katholiken zum Kommunismus und zu den von diesem beherrschten Regimen als mit der christlichen Weltanschauung unvereinbar abgelehnt.

„Dzis i Jutro“ ist im Jahre 1945, kurz nach Kriegsende, begründet worden. Die an Jahren jungen, doch bereits im Lande bekannten Männer, die sich damals zusammenschlössen, um Anpassung an eine „neue Wirklichkeit“ 2U predigen, hatten so ziemlich alles zu verleugnen, was ihnen bisher sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen war. Sie stammten aus vornehmen Familien und traten für den sozialen Umbruch ein. Sie hatten aufs tapferste nicht nur gegen den deutschen Okkupanten, sondern auch gegen die kommunistische Gefahr gekämpft und die Russen als Erbfeinde betrachtet; fortan strichen sie die Verdienste des Marxismus auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet heraus, allerdings ohne den klaffenden Widerspruch seiner materialistischen zur von ihnen weiterhin bekannten christlichen Weltanschauung zu leugnen, und sie bejahten die außenpolitische Bindung an die UdSSR. Sie waren vor dem Kriege entweder Anhänger des westlichen oder gar eines deutschen Kurses; später kehrten sie sich ganz dem Osten zu.

Alle Redakteure und Mitarbeiter des „Dzii i Jutro“ gehörten zur besten Vorkriegsgesell-schäft, zu jener feingebildeten Elite, die durch den Umsturz Macht, Eigentum und den gesamten altgewohnten Rahmen eines kulturgesättigten Daseins verloren hatte. Dominik H o r o-d y fi s k i und Boleslaw P i a s e c k i sind Nachfahren von Großgrundbesitzersgeschlechtern, die seit Jahrhunderten in der polnischen Ostprovinz ansässig waren. Wojciech K e t r z y ri-s k i, Sohn eines Gesandten und berühmten Historikers unter Ptfsudski, Enkel eines noch berühmteren Geschichtsforschers aus pommerischer germanisierter („v. Winckel“), dann repolonisierter Familie, Jan Dobraczinski, aus mittelpolnischem Adel, waren, im Gegensatz zu den oben Erwähnten, nicht mit der ererbten antirussischen Abneigung behaftet. Gemeinsam war den durch den Krieg aus der Bahn und aus gesichertem Wohlstand Geworfenen die Teilnahme am bewaffneten Widerstand. Horodynski hat tapfer kämpfend am heroischen Warschauer Aufstand 1944 als Offizier teilgenommen, seine Familie wurde beinahe restlos von den Deutschen ermordet. Piasecki war vor 1939 geistiges Oberhaupt eines heftig antisemitischen, faschistischen und chauvinistischen Kreises und ein leidenschaftlicher Publizist. Ketrzynskis Kampf erlebnisse könnten den Inhalt eines spannenden Abenteuerromans bilden. Was hat nun diese Paulusse der früheren Gesellschaftsordnung zu Saulussen verwandelt?

Einfach von Verrat, von gekaufter Kollaboration oder von zügellosem Ehrgeiz zu reden, ist eine, um den falschen Sprachgebrauch anzuwenden, sehr billige und im richtigen Wortsina sehr unbillige Erklärung eines verwickelten psychologischen Prozesses. Dankbarkeit gegenüber einzelnen Vertretern des Volksdemokratie sehen Kurses und Sympathie von Mensch zu Mensch mag eine gewisse Rolle gespielt haben. Der vor einigen Jahren verstorbene geniale und zuletzt vom Regime mit Undank belohnt Litraturdiktator der ersten Nachkriegszeit, Jerzy Borejsza, hat einem der vorgenannten vier das Leben, einem zweiten die Freiheit gerettet. Eben jener eine war als antirussischer Partisane gefangen und zum Tode verurteilt worden. Da eilte Borejsza, bei der Roten Armee sehr angesehen, zum Sowjetgeneral. „Hören Sie, Genosse, schenken Sie dem X. das Leben, lassen Sie ihn frei!“ „Geht nicht, geht nicht, Faschist, gefährlich für Sowjetunion.“ „Sie scherzen, eine solche Wanze und die mächtige Sowjetunion!“ Das Argument wirkte. Der General befahl, di Wanze freizulassen; sie beißt seither nur noch die Feinde der UdSSR. Doch nicht einzig oder vordringlich wegen dieser keineswegs heiteren Begegnung mit der stalinistischen Welt.

Die Leute von „Dzis i Jutro“, und außer ihnen untadelige Priester, wie der Bibelübersetzer Professor Eugeniusz Dabrowski oder der hervorragende Dekan der, neuestens von der Universität losgetrennten, in ein eigenes Institut umgewandelten Theologischen Fakultät, Jan Czuj, der Kirchenhistoriker Professor Äywczyn-ski und mehrere seiner Kollegen von der Lubliner Katholischen Universität, wie der Sproß einer Primatialfamilie, Graf Lubienski, sind der Ansicht, daß die Volksdemokratie, mindestens im Osten, auf lange hinaus unerschütterlich bleiben wird; daß man mit deren Führern ein erträgliches Zusammensein suchen soll und daß man, angesichts der Leistungen des Regimes auf sozialem Gebiet wie in Anbetracht der Machtmittel, die es sonst gegen Widerspenstige gebrauchen würde, jedes Zugeständnis machen muß, um nur das wesentliche: die Kultübung und einen Rest von Teilnahme bewußter Katholiken am öffentlichen Leben zu retten. Nebenbei mögen bei vielen heute den offiziellen Kurs mitmachenden Katholiken auch allerlei weniger erhabene, menschliche, allzu menschliche Momente mitspielen: die Sorge ums tägliche Brot, Ehrgeiz, Furcht.

Wie dem sei, der Weg, den diese Männer beschreiten, ist gefährlich. Sie wissen das selbst nur zu gut. Doch sie wollen und sie können nur schwer zurück. Sie haben sich in ihre eigenen Gedankengänge verstrickt. Das, was sie anfangs als Werkhypothese unternahmen, ist ihnen zur unumstößlichen Wahrheit geworden. Persönliche Erfolge bestärken diese Haltung. So ist Horodynski kürzlich zu einem der drei Sekretäre der Nationalen Front gewählt worden. Den „fortschrittlichen Katholiken“ gewährt man Gunst von oben — freilich nie den Zutritt zu wirklich Macht verleihenden Posten —, die Freiheit des Kultus wird geachtet, und in jüngster Zeit trachtet man, die in der Stalin-Aera begangenen groben Fehler gutzumachen. So wurden die meisten verhafteten Geistlichen, darunter mehrere Prälaten, freigelassen. Kardinal Wyszynski scheint der Gegenstand emsiger Bemühungen zu sein.

Doch all dem sind folgende entscheidende Bedenken entgegenzuhalten: erstens, die Erziehung der Jugend erfolgt an den Schulen des' Staats im rein materialistischen, kommunistischen Geist; zweitens, Hierarchie, Klerus und gläubige Intellektuelle sind materiell völlig, geistig, soweit sie irgendwie durch Wort oder Schrift an die Oeffentlichkeit wollen, vom Regime abhängig; drittens, die Zusammenarbeit wirkt sich dahin aus, daß die Katholiken immer mehr unter den Einfluß kommunistischer Lehren geraten, nicht aber umgekehrt, daß christliche Ideen den Kommunismus zu „taufen“ vermögen. Vor allem jedoch ist man im Vatikan darüber beunruhigt und empört, daß - einzelne Stimmen, nicht alle — die Gemeinschaft mit dem volksdemokratischen Regime als Gebot christlicher Ethik und die heute im Osten herrschende Staats- und Gesellschaftsordnung als die am ehesten mit dem Evangelium übereinstimmende preisen. Um diesen Tendenzen einen autoritativen Widerspruch entgegenzustellen, hat Rom gesprochen. Womit weder gegen &e lauteren Absichten so vieler „fortschrittlicher Katholiken“ noch gegen die Möglichkeit oder die zeitlich und örtlich bedingte Wünschbarkeit eines Modus vivendi mit der volksdemokratischen — wie mit einer anderen, dem Wesen nach areligiösen oder gar prinzipiell kirchenfeindlichen Gewalt etwas Negatives gesagt wurde. Man soll nur nicht aus der Not ' oder selbst aus einer betrüblichen Notwendigkeit eine Tugend machen!

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