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Polens Katholizismus unter der Volksdemokratie

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Am 12. März 1956, kurz vor Mitternacht, ist in Moskau, wohin er als Führer einer Ab-oidnung der PZPR. der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, gekommen war, deren Erster Sekretär Boleslaw Bierut gestorben; er hatte am 20. Kongreß der sowjetischen Kommunisten teilgenommen. Wenige Stunden nach dem Tod dieses kämpferischen Schülers Lenins und Stalins erschien beim Direktor des Warschauer Amtes für Religionsangelegenheiten — wie es in einer offiziellen Aussendung heißt — „der Sekretär des polnischen Episkopats, Bischof Z. Choromallski, und überbrachte im Namen des polnischen Episkopats und im eigenen Namen das Beileid zum Ableben Boleslaw Bieruts; er bat zugleich, diese Kondolenz dem Zentralkomitee der PZPR, dem Staatsrat und dem Ministerrat zu übermitteln.“ In den noch zugelassenen, unter katholischer Flagge erscheinenden Organen, und zwar nicht nur im täglichen „Slowo Powszechne“ und in Wochenschriften wie „Dzis i Jutro“, „Wroclaw-ski Tygodnik Katolicki“, sondern auch in dem eine letzte Zufluchtsstätte für Gemäßigte bildenden „Tygodnik Powszechny“, ward an vorderster Stelle; schwarz umrahmt und mit dem Bildnis des Dahingeschiedenen geschmückt, der Nachruf des Zentralkomitees der PZPR, des Staatsrats und der Regierung der Polnischen Volksrepublik abgedruckt, der an Bierut vordringlich rühmte, er sei „ein Streiter für die Einheit der Arbeiterbewegung auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus“ gewesen, ein „unbeugsamer Soldat des Kommunismus“.

Am 29. Februar 1956 verschied in einem Warschauer Vorort, einundneunzigjährig, Erz-bischof Szlagowski, gewesener Kapitelvikar von Warschau, der berühmteste Kanzelredner seiner Zeit, Verfasser hervorragender und vielverbreiteter Bibelkommentare, und eine der glänzendsten Gestalten der polnischen Kirche. Von seinem Tod erfuhr die nichtkatholische Oeffent-lichkeit nur durch eine bezahlte Parte im Sprachrohr der Intelligenz, dem „Zycie War-szawy“ und eine kurze Notiz im illustrierten Wochenblatt „Przekröj“. Von einer Beileid-bezeigung staatlicher Würdenträger oder gar der Kommunistischen Partei hat man nichts erfah-ten; die /.katholische“ Presse beschränkte sich auf den Abdruck knapper biographischer Angaben.

Am 2. März feierte Papst Pius XII. seinen 80. Geburtstag und die 17. Wiederkehr seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Kirche. Dasselbe „Dzis i Jutro“, das auf der ersten Seite dem Namen Bieruts huldigte, erledigte diese Gedenktage im Innern des Blattes mit wenigen Zeilen.

Rufen wir noch ein Bild in Erinnerung, das nur ein Jahrzehnt zurückliegt: Bierut, damals Vorsitzender der sogenannten Krajowa Rada Narodowa und in dieser Eigenschaft provisorisches Staatsoberhaupt, wohnt an der Seite Erz-bischofs Szlagowskis der religiösen Feier zur Wiedereröffnung der Warschauer Universität bei. In diesen drei Tatsachen — dem Verhalten der Kirche beim Tod Bieruts, dem des offiziellen Polens zum Papstjubliäum und zum Ableben des ehrwürdigsten Mitgliedes des Episkopats, endlich der unmittelbar nach Kriegsende betriebenen, von den kommunistischen Führern betonten Methode der „ausgestreckten Hand“ ist bereits das Wesentliche, die ganze Tragik der Entwicklung gegeben, die dem polnischen Katholizismus seit 1945 verhängt war.

Am Beginn steht einerseits die Täuschung, der weite Kreise der Gläubigen und nicht zuletzt manche Zierden der Hierarchie, des Klerus und der gebildeten Laienschaft verfallen sind, anderseits die Verquickung politisch-wirtschaftlicher Erwägungen mit Gewissensbedenken bei unversöhnlichen Feinden des neuen Regimes und zugleich unerschütterlichen Anhängern der früheren gesellschaftlichen Ordnung. Die einen bieten ihre Mitarbeit beim Wiederaufbau, in Verwaltung, Industrie und Kulturschaffen an. Sie meinen, daß mandie Volksdemokratie werde taufen können, daß sich die Bindung an das kommunistische Rußland auf rein außenpolitische Gemeinschaft beschränken dürfe. Sie legen allerlei Gesten der neuen Machthaber günstig aus. Bierut, in seiner Jugend und seither immer ein überzeugter Atheist, nimmt an kirchlichen Zeremonien teil, er bewirkt sogar, daß seine Partei im Reichstag für Beibehaltung des religiösen Eides stimmt, den er bei Uebernahme des Amtes eines Präsidenten der Republik auf den Namen Gottes leistet. Die Kirche wird von der Zwangsenteignung zunächst ausgenommen, die den gesamten sonstigen Großgrundbesitz liquidiert. Man bemüht sich um diplomatische Beziehungen zum Vatikan. Ein Katholik, Prof. Grabski, ist als stellvertretender Vorsitzender des provisorischen Parlaments eine der ersten Persönlichkeiten im Staate. Eine christlich etikettierte „Arbeiterpartei“ gehört zur Regierungskoalition, und sie ist im Kabinett vertreten. Ein Professor der Katholischen Universität Lublin, ein päpstlicher Kämmerer und Graf bekleiden hohe Posten im auswärtigen Dienst. Als ein führender Kommunist und ehemaliger Spanienkämpfer einem Attentat zum Opfer fällt, geleitet die Geistlichkeit den Sarg auf den letzten Weg. Ja es ereignet sich, daß Parteigebäude der Kommunisten kirchlich geweiht werden. Und der hochbegabte Organisator des Pressewesens des Nachkriegs, Jerzy Borejsza, bringt in seinem Verlag, dem „Czytelnik“, zutiefst katholische Autoren wie Golubiew, denen er den Weg bahnt; er zieht katholische Publizisten wie Osmanczyk heran, vermeidet in seinem Zeitungskonzern jede antikirchliche'Note.

Als erste Störung einer scheinbaren Idylle beunruhigte die gegenüber den kommunistischen Avancen Mißtrauischen ein vorschneller Schritt, der offenbar von Extremisten verlangt und von Moskau aus befohlen war: die einseitige, völlig unmotivierte Aufkündigung des bestehenden Konkordats, wodurch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Vatikan von vornherein erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht wurde. Zwei Jahre lang unterließen jedoch die Staatslenker weitere Akte der Feindseligkeif, sei es gegen die polnische Kirche, sei es gegen den Heiligen Stuhl. Das war nicht zuletzt der Einfluß eines auf Wahrung der eigenen Unabhängigkeit auch von Moskau bedachten Flügels der Kommunisten zurückzuführen, der unter Go-mulka und Spychalski die Leitung der Innenpolitik und die Verfügung über die Armee in der Hand zu haben meinte. Als vom Kreml aus der Kampf wider diese „nationalistischen“ und „opportunistischen“ Rechtsabweicher aufgenommen wurde, als sie von ihren Schlüsselstellungen als Generalsekretäre der PZPR und Vizepremier bzw. als eigentlicher Chef des Verteidigungsressorts verdrängt und zuletzt aus der Partei entfernt worden waren — später sind sie in Haft gekommen und erst vor wenigen Monaten in Freiheit gesetzt worden, ohne daß je ein Prozeß stattgefunden hätte —, da setzte eine haßerfüllte Offensive gegen die Kirche, ein wahrer Kulturkampf mit den im Dritten Reich und in der Sowjetunion bewährten Mitteln ein. Episkopat und Klerus, soweit dieser den Bischöfen gehorchte und auf Rom hörte, wurden als Verräter und als Volksfeinde gebrandmarkt. Man beschuldigte sie der Spionage, der Sabotage, der Mißachtung von Devisengesetzen, massiver Schiebungen; geistlichen Lehrern wurden Sittlichkeitsvergehen angelastet, Klöster und Wallfahrtsorte sahen sich als Brutstätten falscher Wunder angeprangert. Zugleich bemühte sich das Regime, die Laien gegen die Priester und diese gegen die Oberhirten aufzuhetzen, Mißtrauen gegen den als Bundesgenossen Hitlers bezeichneten Heiligen Stuhl zu säen.

Der Ansturm gegen den Katholizismus brach mit voller Wucht in der zweiten Jahreshälfte 1948 los, als die hundertprozentigen Moskowiter innerhalb der polnischen Kommunistenpartei völlig das Uebergewicht errungen hatten. Fünf Stöße zielten unmittelbar auf entscheidende Positionen der Kirche. Der eine betraf das Erziehungswesen, der zweite die wirtschaftlichen Grundlagen, der dritte die Verbreitungsmöglichkeiten des unverfälschten christlichen Gedankengutes, der vierte die Unabhängigkeit der Hierarchie und des Klerus von der weltlichen Gewalt bzw. die Unterordnung des gesamten polnischen Katholizismus unter die Römische Kurie, der fünfte und schmerzlichste verschaffte den politischen und wirtschaftlichen Konzeptionen des Marxismus-Stalinismus, damit aber, allem Leugnen zum Trotz, auch den weltanschaulichen Ideen dieses allumfassenden, in sich geschlossenen und mit dem Christentum, wie mit jeder politischen Religion unvereinbaren Systems, Eingang in die ihm bisher versperrten Reihen der Gläubigen. Diese Entwicklung vollzog sich keineswegs kontinuierlich. Es gab Ruhepausen, die dazu benützt wurden, um die Hierarchie, den Klerus und die Laien aufatmen zu lassen und um deren Widerstandslust zu schwächen. Während eines dieser Augenblicke trügerischer Entspannung wurde dem Episkopat ein „Modus vivendi“ halb abgelistet, halb aufgezwungen, der am 14. April 1950 in Kraft trat. Die Zugeständnisse des Staates liefen im wesentlichen auf das Gewähren der Freiheit des Gottesdienstes, auf den Fortbestand des fakultativen Religionsunterrichts an den Staatsschulen, auf die Erlaubnis, einige geistliche Unterrichtsanstalten weiter offenzuhalten hinaus, wogegen die Bischöfe sich verpflichten mußten, in Rom für eine endgültige Diözesaneinteilung der östlich der Oder-Neiße-Linie gelegenen Gebiete zu wirken und im Innern das Regime beim Wieder aufbau zu unterstützen, ferner dem Klerus die Zusammenarbeit mit der, von der Emigration aus gelenkten, anti-volksdemokratischen Untergrundbewegung zu untersagen.

Der weltliche Vertragspartner erfüllte nur die ersterwähnte seiner Versprechungen. Um nicht den Unwillen der gläubig gebliebenen Massen zu wecken, die sogar unter dem kommunistischen Parteivolk, geschweige bei der nicht-Coder anti-) kommunistischen Bevölkerung die Mehrheit besitzen, wurde die eigentliche Religionsausübung in keiner Weise behindert. Ja, man förderte aus staatlichen Mitteln den Wiederaufbau der im zweiten Weltkrieg zerstörten Heiligtümer, öffentliche Prozessionen und Wallfahrten durften ungestört veranstaltet werden. Dabei aber hatte es sein Bewenden. Schon das karitative Wirken der Kirche mußte sich erhebliche Einschränkung und eine Ueberwachung durch dem Regime ergebene Geistliche gefallen lassen. Die mannigfachsten Schikanen und Listen wandten sich gegen den Religionsunterricht.

Das Regime beanspruchte für sich die alleinige Verfügung über den Propagandaapparat: Presse, Rundfunk, Verlage. Den Katholiken wurde nur ein kleines Ghetto eingeräumt, das die staatlichen Aufsichtsstellen sorgsam kontrollierten. Von den beiden wirklich katholischen Wochenschriften, deren hohes Niveau ihnen zahlreiche nichtgläubige Mitarbeiter und Leser zubrachte, verschwand die Warschauer auf immer, die, nunmehr auch, Mitte 1956 eingestellte Krakauer — Tygodnik Powszechny — wurde der erzbischöflichen Kurie, der sie nahestand, weggenommen und einer wenn nicht zur direkten Kollaboration, so doch zur Fügsamkeit an die weltlichen Machthaber geneigten neuen Redaktion anvertraut. Eine sehr günstige Entwicklung, nämlich was die Verbreitung betrifft, nahm dagegen die Tätigkeit eines Kreises, der anfangs von der Hierarchie verurteilt, darnach von ihr ignoriert wurde, mit dem sich aber der Episkopat unter dem Zwang der Verhältnisse gezwungen sah, irgendwie Fühlung zu wahren. Diese Gruppe „fortschrittlicher“ Katholiken hatte im Jahre 1946, unter dem Schutz des damals auf literarisch-journalistischem Gebiet maßgebenden Borejsza, den Versuch gestartet, unter katholischem Vorzeichen in die neue Aera hinüberzugleiten. Die Führer der Bewegung stammten fast alle aus der Aristokratie oder dem einstigen, nun enteigneten Großgrundbesitzerstand. Ihre Weitläufigkeit, ihre Bildung und ihre geistigen Fähigkeiten machten sie für das Regime interessant. Sie begannen klein, mit einer Wochenschrift, „Dzis i Jutro“ (Heute und Morgen) und einem Tagblatt „Slowo Powszechne“. Sie begründeten einen Verlag „Pax“, Tyn ersten Sejm (Reichstag“) von 1947 waren sie durch drei Abgeordnete vertreten. Die Bedeutung der katholischen Regimefreunde stieg in aem Maße, als sich die Warschauer Machthaber auf Moskauer Drängen zu schärferem Vorgehen weder die Hierarchie und den „reaktionären Teil des Klerus“ entschlossen. Den ,,Pax“-Leuten, die in der „Nationalen Front“, bei allen Protesten gegen die Wallstreet-Imperialisten, das neuhitlerische Westdeutschland, die Pestflöhe in Korea, mit dabei waren, kam bald ein faktisches Monopol zu, Bücher katholischer Verfasser zu drucken; ihre :Presseerzeugnisse wurden, vom Staat mit Papier beliefert, zu Hunderttausenden verbreitet. Dafür billigten sie — nach außen hin — alles, was Staat und Partei taten. Die „Fortschrittlichen“ Katholiken griffen auf Versammlungen, bei denen das Kreuz und das Bildnis Bieruts nebeneinander den Saal schmückten, den Episkopat als reaktionär an. Sie forderten immer wieder engste Gemeinschaft mit den ungläubigen Volksgenossen, huldigten den Größen des Regimes und ließen sich dabei durch keine Zwischenfälle stören. An derlei Zwischenfällen mangelte es seit 1952 immer weniger. Eine Reihe von Bischöfen wurde verhaftet. Der eine, Msgr. Adamski von Kattowitz — das 195 3 in Stalinogröd unibenannt wurde —, ist kurzerhand von der weltlichen Behörde abgesetzt worden, ein zweiter, Msgr. Kaczmarek von Kielce, wurde in einem Prozeß zu zwölf Jahren Kerker verurteilt — er hat freilich nur zwei Jahre abgesessen. Andere, wie der Krakauer Kapitelvikar und frühere Lemberger Erzbischof Baziak, wurden interniert. An die Stelle der Verhafteten oder in „Schutzhaft Genommenen“ kamen Kapitelvikare, die unter staatlichem Hochdruck von eingeschüchterten Domherren gewählt wurden. Nicht genug daran: um die Geistlichkeit, wie es meinte, völlig in seine Hand zu bekommen, verfügte das Regime am 9. Februar 1953, die staatlichen Behörden hätten vor jeder Ernennung zu einem kirchlichen Amt die Genehmigung zu erteilen, die mit dem Treueid auf die Polnische Volksrepublik seitens des betreffenden Klerikers zu verknüpfen wäre. Nun war es auch den Verständigungswilligsten klar, daß der Kirche jede Bewegungsfreiheit geraubt wurde. Kardinal Wyszynski — seit kurzem mit dem Purpur bekleidet, der Nachfolger des unbeugsamen, selbstbewußten Warschauer Erzbischof? Kardinal Hlond und seit dem Tod des nicht minder charakterfesten, auch den weltanschaulichen Gegnern imponierenden Krakauer Kar-dinal-Erzbischofs Fürsten Sapieha der alleinige Führer des polnischen Episkopats — rief den weltlichen Mitunterfertigern des Modus vivendi von 1950 ein „Bis hieher und nicht weiter“ zu. Mit demselben Erfolg, den eine ähnliche Mahnung eines nur auf sein Recht und nicht auf Waffen pochenden Staatsmannes zwölf Jahre früher gezeitigt hatte. Ein Memorandum der Hierarchie, das die staatlichen Uebertretungen des zweiseitigen Abkommens schilderte, ein Brief an Bierut, eine Predigt in der Warschauer Metropolitankirche beschwören den Zorn der polnischen Machthaber auf den tapferen Primas herauf. Wyszynski wurde verhaftet, seines Amtes durch die Regierung entsetzt und in einem Kloster interniert.

Der Episkopat, an dessen Beratungen eine Anzahl Ordinarien teilnahmen, die ihre Würde erst nach 1950 erhalten hatten, wurde zusammengerufen und zur Unterschrift unter eine vorbereitete überloyale Erklärung genötigt. Die Leitung der Kirche wurde nun dem Bischof von Lodz, Klepacz. zugesprochen, der allerdings bereits beim letzten Besuch Wyszynskis in Rom, als man schon die künftigen Ereignisse in Polen vorhersah, vom Vatikan zum Vertreter des Kardinals nach dessen erwarteter Internierung bestimmt worden war. Wenige Tage nach Kardinal Wyszynskis Abgang wurde eine Abordnung des Episkopats von Bierut empfangen, der damals als Ministerpräsident — wie vorher als Präsident des Nationalrats, dann der Republik und später als Erster Sekretär der PZPR - die Geschicke Polens lenkte. Es wurde eine Art mündliches Stillhalteabkommen geschlossen, dessen Leitmotiv in der kühlen Antwort Cyrankiewiczs auf die ihnen diktierte Kundgebung der polnischen Oberhirten vom 28. September 1953 zu lesen war: Wenn Hierarchie und Klerus sich widerspruchslos dem Regime fügen, dann werde der Kirche weiterhin ungestörte Kultausübung gewährt bleiben: nicht weniger und, falls die Geistlichkeit „brav“ sein wird, hie und da eine kleine, aufmunternde Gnadenbezeigung.

Unter diesen Umständen, denen sich gewaltsam zu widersetzen die Bischöfe und die breiten Massen der Gläubigen weder Lust noch Möglichkeit haben, ist der Waffenstillstand im Kulturkampf einzig von der allgemeinen politischen Lage abgehangen. Zum Glück für die polnische Kirche war das gesamteuropäische Klima milder geworden. Moskau drängte nicht mehr auf Verfolgung der Katholiken, und die Warschauer Kommunistenführer zogen es vor, keine unnützen Konflikte auszulösen, die das nun moderne Schlagwort von der Nationalen Einheit beeinträchtigen konnten. Volksdemokratie und Katholizismus lebten aneinander vorbei und darum in einem halbwegs friedlichen Nebeneinander. Im Zuge der Versöhnungsaktionen, die sich an die Exilpolen und an die heimatlichen Regimegegner wandte, wurden “ alle verhafteten oder' internierten Bischöfe bis auf zwei freigelassen. Nur Wyszynski, der sich im Gefühl seiner Unschuld und des ihm angetanen Unrechts weigert, anders als auf seinen Metropolitansitz in die Welt jenseits der Zwangsaufenthalte zurückzukehren, und Msgr. Baraniak, der einstige Sekretär und Vertraute Kardinal Hlonds, sind noch interniert bzw. in Haft. Das ihnerkirchliche Leben blüht und gedeiht. Mehrere prächtige Kathedralen sind aus dem Schutt wiedererstanden; ihnen gesellen sich viele andete Kirchen bei. Niemals war der Andrang zu den Sakramenten so groß wie heute. Ungeachtet der Bestrebungen, Marxisten an den Hochschulen und im gesamten Kulturleben an alle Plätze zu bringen, ist die Zahl der Tatkatholiken unter Professoren und Studenten, unter Schriftstellern und Künstlern groß. An der Schwelle des Heimes, im Kreise der Familie ist vom militanten Materialismus nichts mehr zu spüren, es sei denn bei den fünf bis zehn Prozent echten Kommunisten.

Doch es gibt eine Gefahr, vielleicht die ärgste, die den Katholizismus in Polen bedroht: das schon flüchtig erwähnte Eindringen marxistischer Ideen, die einerseits durch den Appell an die edelsten Gefühle — das Streben nach sozialer Gerechtigkeit, den Abgehen vor-Ent--artungserscheinungen des Kapitalismus —, anderseits durch die Behinderung energischer Gegenpropaganda und durch die Abschnürung vom westlichen Ausland begünstigt werden. Der Vatikan hat durch die Verurteilung eines Buches des Publizisten Piäsecki „Wesentliche Probleme“' und durch die der Wochenschrift „Dzis i Jutro“ seine warnende Stimme erhoben. Sie vermag aber in Polen nicht völlig durchzudringen. Auch erschweren die Indizierten durch scheinbaren Gehorsam das Eingreifen des Episkopats, der ohnedies kaum imstande wäre, sich offen gegen die von der Regierung beschirmten „fortschrittlichen Katholiken“ vernehmen zu lassen. Doch man mag sich auch darüber trösten. Die aller-jüngste Erfahrung legt uns mancherlei Vermutungen nahe, die bisher nur angedeutet, doch nicht beweisbar waren. Sollten die Leute von „Pax“ nicht doch ihre kühne Politik betrieben haben, um einen Platz an der Sonne der Macht offenzuhalten und • um eine düstere Periode durchzustehen? Seit einigen Monaten ist in Polen die „Odwilz“, die „Schneeschmelze“, zu beobachten. Die Kritik an Zuständen und leitendere Männern erhebt immer höher das Haupt. Unter denen, die sich dabei am meisten auszeichnen, schreiten die wenigen' katholischen Abgeordneten und einige andere Volksvertreter, die früher als treue Söhne der Kirche galten, voran. Einer dieser Kritiker ist trotzdem (oder deshalb)' soeben für einen Bötschafterpösten aus-ei sehen worden. Freilich 'möge man weder diese

Lockerung des Maulkorbes noch die jetzige relative Bewegungsfreiheit des polnischen Katholizismus überschätzen Noch immer befindet er sich in der Defensive gegen einen über alle staatlichen Machtmittel verfügenden Widersacher auf dem Terrain der Jugenderziehung; ist er, nach Enteignung fast des gesamten Kircheneigentums, auf Beihilfe des ihm wesenhaft feindlichen atheistischen Staates angewiesen, entbehrt er der wahren Pressefreiheit. Die jüngst erfolgte Zusammenlegung von „Dzis i Jutro“ und „Tygodnik Powszechny“ zu einer neuen Wochenschrift „Kierunki“ (Richtungen), die eindeutig von der Warschauer Gruppe beherrscht wird, bringt sogar eine zusätzliche Einengung des publizistischen Raumes der Katholiken.

Das Verhältnis zwischen der geistlichen und der weltlichen' Autorität wird durch die Vorgänge beim Tod Bieruts und Erzbischofs Szla-gowskis grell beleuchtet, die wir zu Beginn unseres Berichtes schilderten. Und dennoch, die Ergebnisse der mehr als elfjährigen Symbiose mit einem Regime, bei dessen unleugbaren großen wirtschaftlichen und hygienischen Leistungen Katholiken hervorragend mitgewirkt haben, dessen Ideologie sie aber einen, dem Einsickern marxistischer Gedanken zum Trotz, nicht zu brechenden Widerstand leisten, diese Bilanz eines schicksalhaften Dezenniums gestattet es den Gläubigen, mit Zuversicht den künftigen Zeiten entgegenzuschreiten. Sie vertrauen darauf, daß auch für die polnische Kirche das Wort gilt: „Und die Pforten der Hölle werden' sie nicht überwältigen.“

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