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Polnische Inkonsequenzen

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Die kommunistische Partei braucht Intellektuelle — nicht etwa, damit diese sich für die Klugheit der Parteibeschlüsse begeisterten, sondern damit jene Beschlüsse klug würden ... So schrieb 1956 der heute 39jährige Philosoph Leszek Kilokow-ski. Er blieb bei dieser Meinung, die in Funktionärskreisen — und nicht nur in polnisch-kommunistischen — meistens als freundlicher Irrtum behandelt wird, zehn Jahre lang. Auch dann noch, als ihn die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei im vergangenen November aus ihren Reihen verstieß.. In einem Vortrag zum zehnten Jubiläum des polnischen „Oktober“ war Kolakowskis Bilanz so kritisch ausgefallen, daß die anschließende Diskussion in der Forderung gipfelte, die Führung des Landes möge ihren Rücktritt erklären. Vor solcher Konsequenz war Kolakowski selbst etwas erschrocken. Schließlich hatte er der Inkonsequenz ein großes lobendes Essay gewidmet und sie als Quelle aller Toleranz gepriesen. Während viele angesehene Männer des polnischen Geisteslebens schon 1956 ihren Parteiausweis zurückgeschickt hatten, weil sie (spät) erkannten, daß dort nicht ihr Platz war, beharrt Polens geistreichster marxistischer Philosoph selbst jetzt noch auf der Mitgliedschaft.

Lehrstuhl: nicht gefährdet

Kolakowski hat gegen den Parteiausschluß bei deren höchster Appellationsinstanz Einspruch erhoben, unterstützt von 21 namhaften Schriftstellern und von 14 Professo-renkollegen, die zugleich auch der Möglichkeit vorbeugen wollen, daß Kolakowski seinen Lehrstuhl an der Warschauer Universität verlieren könnte. Aber daran ist gar nicht gedacht; Zenon Kliszko, der im Politbüro der Partei für Kulturfragen zuständig ist, hat das fest zugesagt. Außenstehende „Heiden“ fürchten Parteien weniger als „Häretiker“ in den eigenen Reihen. Kolakowskis Lob der Inkonsequenz hat also allenthalben Schule gemacht — wohl auch deshalb, weil es einem polnischen Wesenszug entspricht, der vieles mildert. Doch folgerichtig bleibt auch die Inkonsequenz nicht konsequent: Stefan Kisielewski, der als eine Art „Hofnarr der Volksrepublik“ lange Jahre in der katholischen „Zniak“ -Gruppe als Abgeordneter tätig war, hat die Tribüne des Sejm, so scheint es, mit den Spalten der „Furche“ vertauscht (siehe Nr. 1/1967). Daß er ein solches Wiener Forum sucht und — daß er es nicht scheuen muß, beides umschreibt genau die Möglichkeiten und Grenzen der Liberalität im heutigen Polen. Doch die Konsequenz, die er verlangt — „legaler und offen polemischer Kampf“ bei Weltanschauungs- und politischen Konflikten —, überfordert einen Staat, in dem Marxisten über dreißig Millionen Katholiken regieren. Wenn Kisielewski meint, eben dies sei im Oktober 1956 versprochen worden, so irrt er diesmal oder er verwechselt Kolakowskis Philosophie mit Gomulkas Oktoberreden. Ruhe, nicht „polemischen Kampf“, verordnete damals Gomulka (und übrigens auch Kardinal Wyszynski) den Polen als erste Bürgerpflicht. Eine Tendenz, die nicht nur den autokratischen Gewohnheiten der Kommunisten entgegenkam, sondern der äußeren und inneren Lage Polens entspricht, eines Landes, das allzu lange unter äußerer Bedrohung und innerer Zerrissenheit litt, bis es zu jener „kleinen Stabilisierung“ fand, die heute niemanden ganz glücklich macht, aber auch niemanden verzweifelt stimmt...

Wohin aber ein offener Konflikt unter den heutigen Bedingungen Polen führen kann, hat der heillose Millenniumsstreit zwischen Staat und Kirche zu Genüge gezeigt. Die Kraftprobe hat keinem der Streitenden wirklich genutzt, aber dem Land geschadet. Auch der neueste Konflikt wegen der Priesterseminare erweist das. Vier von den 48 Priesterseminaren Polens (in denen etwa viertausend Priester herangebildet werden) bedroht die Regierung seit Dezember mit Schließung, von zwei weiteren fordert sie die Entfernung der Rektoren. Es geht um die Durchsetzung der staatlichen Schulaufsicht in nichttheologischen Fächern, die, ursprünglich von der Kirche zugestanden, seit zwei Jahren grundsätzlich abgelehnt wird. Zuletzt in einem Brief von Bischof Choromanski, dem Sekretär des Episkopats, unter Berufung auf die verfassungsmäßige Trennung von Kirche und Staat. Nun hatte freilich Kardinal Wyszynski eben diese' Trennung immer wieder kritisiert, am 20. September sogar als „absurd“ bezeichnet und am 10. Oktober von „kulturlosen Barbaren“ gesprochen, in deren „Seelen sich das Bild Gottes nicht widerspiegelt, mögen sie auch Professoren, Doktoren, Schriftsteller, Minister, Mini-sterpräsidiemten sein und) was noch.“

Obschon der Kardinal seine Attak-ken fortsetzte, war der unfruchtbare Millenniumsstreit zwischen Kirche und Staaten in Polen während der letzten Monate doch merklich abgeebbt. Vor allem, weil die Regierung darauf verzichtete, zu antworten. Aber auch, weil der Kardinal sich zu kleinen Gesten entschloß, in denen Klugheit und Konsequenz rangierte: Am 4. Oktober beehrte er überraschend die Eröffnungsfeier der (staatlich finanzierten und kontrollierten) Katholisch-Theologischen Akademie in Bielany mit einer Rede, in der er eine zu starke „Westorientierung“ der polnischen Theologen beklagte. Am 23. Oktober erschien er zur Immatrikulationsfeier der (von der Kirche allein finanzierten, aber staatlich beaufsichtigten)

Katholischen Universität in Lublin, an der gegenwärtig 1516 Studenten eingeschrieben sind. Als „Hoffnung auf eine bessere Zukunft“ lobte Wyszynski in seiner Rede Baugenehmigungen und Steuererleichterungen, die das Hochschulministerium dem Rektor dieser kirchlichen Universität in Aussieht gestellt hatte.

Auf der alten Ebene?

Der neue Streit wegen der Priesterseminare, der kurz nach dem Warschau-Besuch eines vatikanischen Unterhändlers, des Erzbischofs Franeo Costa, ausbrach, ließ daran zweifeln. Diese Auseinandersetzung verschiebt den Konflikt nach einem Jahr dramatischer Grundsatzkontroversen wieder auf die alte Ebene des administrativen Tauziehens (in ihrem Schulgesetz von 1961, das Zugeständnisse an religiöse Erziehungseinrichtungen ermöglicht, hat die Regierung sich schon ihre Rückzugsposition eingebaut!). Aber ein „modus vivendi“ zwischen den zerstrittenen Mächten nach Art der Gomulka-WyszynsM-Vereinba-rung von 1956 kann heute nicht mehr genügen. Zu der Tendenz der Regierung, auf lange Sicht zu einer Vereinbarung mit dem Vatikan zu gelangen, hat sich in seinem besorgten Kommunique vom 13. Dezember auch der polnische Episkopat bekannt — wenn auch nur in der Form einer Warnung, daß der Streit um die Seminarien eine Abmachung mit Rom behindern kann. Der Episkopat will sich, auch wenn zwischen Warschau und Rom Abmachungen getroffen werden, nicht übergehen lassen. Die Regierung anderseits hat in einem „Trybuna-Ludu“-Artikel am 27. Dezember versichern lassen, daß es ihr im Streit um die Seminare nicht um eine Kontrolle der theologischen Fächer oder um Eingriffe in kiirchenrechtliche Kompetenzen des Vatikans geht, daß sie vielmehr eine „staatsfeindliche Atmosphäre“ bei der Priesterausbildung in den weltlichen Fächern verhindern will.

Trotz gegenseitiger Vorwürfe blieb also die Tür für Verhandlungen offen, die letzte Konsequenz blieb aus. Am 30. Dezember trat, zum erstenmal seit drei Jahren, wieder die „gemischte Kommission“ von Episkopat und Regierung zusammen: Bischof Choromanski, der Sekretär des Episkopats, und der Lodzer Bischof Klepacz auf der einen Seite, Zenon Kliszko, Gomulkas Vertrauter, und der neue, intelligente Kirchenamtschef Skarszynski auf der anderen Seite. Bischof Choromanski äußerte sich nach der mehrstündigen Verhandlung vorsichtig optimistisch; in drei Wochen will man einander wieder treffen, und bis dahin soll nichts geschehen.

Türspalt bleibt offen

Eine Situation, die sich in Polen seit zwanzig Jahren immer wiederholt: Der unbequeme Kardinal kann, wenn er will, jede Vereinbarung blockieren, der verbitterte Parteichef kann,, wenn er will, der Kirche das Leben sauer machen und abwarten. Doch eine realistische Einschätzung der eigenen Stärke — und Schwäche — führt beide immer wieder zusammen. Auch das patriotische Gefühl. Zur totalen Konsequenz neigen als Polen beide nicht.

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