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Randhemerkungen zur woche

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DER JUGOSLAWISCHE STAATSCHEF hat eine Erklärung abgegeben, deren Auswirkungen man mit Interesse verfolgen wird. Bei Verhandlungen mit Mitgliedern des amerikanischen Kongresses kündigte Marschall Tito — das erste-mal — an, seine Regierung werde ihre Haltung gegenüber der Kirche ändern. Ein Mitglied der Redaktion der „Furch e“ hatte jüngst während einer Reise in Jugoslawien Gelegenheit, einen kirchlichen Würdenträger des Landes zu sprechen. Diese persönlichen Informationen ergeben folgendes Bild der gegenwärtgen Lage der katholischen Kirche in Jugoslawien:

Die Jahre offener Kitchenverfolgung sind vorüber, aber die Bestrebungen, das Arbeitsfeld der Kirche möglichst eng zu begrenzen, ihr jede Entfaltungsmöglichkeit zu nehmen und ihre Gläubigen vom religiösen Leben abzuschnüren, halten unvermindert an. Es ist ein Kampf im Verborgenen, ähnlich wie ihn das nationalsozialistische Deutschland gegen Klerus und Gläubige geführt hat. Kirche und Sakristei bleiben zwar zur Zeit im allgemeinen unbehelligt, aber an ihren Pforten endet auch schon die Religionsfreiheit. Als zum Beispiel die Bevölkerung eines dalmatinischen Dorfes das Fest Mariae Geburt mit einer ortsüblichen Feier und einem öffentlichen Spiel begehen wollte, wurden von den Behörden für eine bestimmte Zeit, ohne Nennung der aktuellen katholischen, alle damaligen Veranstaltungen untersagt. Aus den Schulen ist der Religionsunterricht praktisch nach wie vor verbannt und die von den Grundsätzen des Marxismus - Leninismus geleitete Erziehung ist betont antireligiös. Deutlich ist die Absicht zu erkennen, unter starker Kontrolle des kirchlichen Lebens die ältere Generation gewähren zu lassen und durch Schule und Organisationen zwischen Kirche und Jugend eine Mauer aufzurichten. Neben dem älteren Klerus, der durch die Jahre der Verfolgung zum Teil verschüchtert ist und in Geduld, aber auch vielfach in Resignation sein Schicksal trägt, wächst in den allein von freiwilligen Spenden der Gläubigen erhaltenen Seminarien eine junge Priestergeneration heran, die die Jahre vor der Verfolgung oft gar nicht mehr kennt und die gerade jetzt unter den harten Bedingungen ihre Berufung erkannt hat. Große Sorge bereitet der katholischen Bevölkerung das Schicksal des hinter Kerkermauern gefangengehaltenen Erzbischofs Stepina c. Wenn es der Regierung Tito mit der soeben angekündigten Revision ihrer Kirchenpolitik wirklich ernst ist, so wird das Drama dieses Mannes endlich sein Ende finden müssen. Solange der Dom zu Agram verwaist ist, werden alle Erklärungen einer veränderten Haltung gegenüber Kirche und Religion Lippenbekenntnisse bleiben.

DIE GROSSHÄNDLER DEUTSCHLANDS hatten im Frühjahr 1045 mehr als ein Jahrzehnt üppiger Konjunktur hinter sich. Auch seither ist nichts davon bekanntgeworden, daß in der dann angebrochenen harten Notzelt des deutschen Volkes einer von den Gewinnern mit zerrissenen Schuhen hätte umhergehen müssen. So manche sind frisch und gesund wieder auf neue Jagden nach großen Geschäften aus, in denen das deutsche Vaterland Hekuba ist. Der „Rheinische Merkur“ vermerkt Einzelheiten: Die Eisenhandelsfirma O. R. Krause in Düsseldorf lieferte viele Tonnen hochwertigen Stahls an ostzonale Stellen, wohl wissend, daß diese Lieferungen von der russischen Militärverwaltung übernommen wurden. Aus Hamburg gelangte Telegraphendraht aus amerikanischen Heeresbeständen, der für die deutsche Wirtschaft zu herabgesetzten Preisen freigegeben worden war, über Westberliner Händler an die Rote Armee. Etwa 1000 t Weißblech und 500 t Kupfer sollen an die berüchtigte „WiSmuth-AG.“ gelangt sein. Allein durch Transporte auf der Autobahn seien für 30 Millionen DM, im ganzen für etwa 100 Millionen DM Waren illegal nach dem Osten gebracht worden. Nach einer Exchange-Meldung schwebt gegen ein Essener Stahlwerk, das hochqualifizierte Spezialerzeugnisse herstellt, eine Untersuchung; der Firma sei es durch einen Betrug gelungen, unter falscher Deklaration gewisse Produkte auf dem Umweg über die Tschechoslowakei nach Rußland zu verkaufen. Die Sache wurde erst entdeckt, als ein großer Teil der Waren über die Grenze gegangen war. Beamte der Kommission für militärische Sicherheit fürchten, daß es sich keineswegs ym einen Einzelfall handelt, und daß Ruhr-Industrielle in großem Maßstabe mit Ländern hinter dem Eisernen Vorhang arbeiten. — Diealte Geschichte wiederholt sich: der beste Bundesgenosse des Kommunismus ist die korrupte Geschäftsmoral eines gewissenlosen kapitalistischen Verdienertums.

DIE SECHZEHN WIENER VOLKSbildungshäüser begannen ihr Wintersemester mit einem Rechenschaftsbericht über ihre Arbeit in den letzten Jahren, den sie der Öffentlichkeit unterbreiteten. Die Zahl der regelmäßigen Hörer ist im vergangenen Jahr um mehr als 20 Prozent gestiegen; die Besucherzahl der Einzelveranstaltungen — der Vorträge, Führungen und Filme hat bereits die Million überschritten. In der Nachkriegszeit haben die Kurse, in denen praktische Fertigkeiten gelehrt wurden, stark zugenommen und waren besser besucht: diese Entwicklungstendenz, die im Hinblick darauf, daß die Volksbildungshäuser ja V olkshochschulen sein wollen, manche Bedenken wachgerufen hat, ist rückläufig geworden: heute entfallen bereits wieder 4 7 Prozent aller Kurse auf Wissenschaft und Kunst. Dem Wiederaufbau der Fachgruppe — also jener Form des Arbeitskreises, in dem der Teilnehmer nicht bloß passiver Zuhörer, sondern aktiver Mitarbeiter ist — wird besondere Beachtung geschenkt; man erkennt, daß sie die Grundlage und den Kern des Volksbildungswesens darstellen. Die stille und verantwortungsvolle Tätigkeit der Wiener Volksbildner hatte die Ungunst der Zeit und viele Widerstände zu überwinden; es fehlt auch heuer noch an geeigneten Unterkunftsräumen, an Lehrmaterial, an Büchern, und die Dozenten können noch immer mit nur neun Schilling je Vortragsstunde honoriert werden. Man versucht, die technischen Mängel wenigstens zum Teil durch die Einführung neuer Lehrmethoden auszugleichen: moderne Diskussionsreihen und „Brain Trusts“ sollen unter anderem die Hörer zu temperamentvoller und anteilnehmender Mitarbeit veranlassen. Hohes Lob gebührt den Wiener Volkshochschulen dafür, daß sie ohne viel Bedenken bereit sind, zu allen Lasten noch neue Verantwortung auf sich' zu laden: sie setzen sich zum Ziel, der Nivellierung, die das Denken der Menge durch die unaufhörlichen Einflüsse von Film, Rundfunk, Schundpresse und ähnlichen Massenunterhaltungsmitteln erleidet, nach Möglichkeit Einhalt zu gebieten. Selbstkritik ist unseren Volksbildnern glücklicherweise nichts Fremdes; das wird sie vor zu früher Zufriedenheit bewhrev und sie auch i-“'terhin dazu befähigen, ihren Hörern mit neuem Wissen auch erhöhte Kritikfähigkeit gegenüber den Schäden unserer Zeit zu vermitteln.

DAS WIENER KAFFEEHAUS LIEGT im Sterben. Der wirtschaftliche Niedergang dieses Gewerbezweiges hat solche Formen angenommen, daß man einen Teil der Lokale schließen und die Besitzer als Kellner dem verbleibenden Rest der Unternehmen zuweisen will. Manche dieser gastlichen Stätten sterben gewissermaßen nicht ihren eigenen Tod, sondern einen fremden, wie die Theatercafes, die mit der Theaterkrise in die Versenkung verscliwinden, Wirtschaftskrise in einem einstmals blühenden Zweig des Gewerbes als Folge der Kulturkrise — wer hätte so etwas gedacht! Aber das trifft immerhin nur den geringeren Teil der Fälle. Wenn die Rollbalken vor den Billardtischen und vor lauschigen Fensternischen für immer niederrasseln und blinde Spiegelscheiben verödete Lokale einst blühender Geselligkeit verhüllen, dann ist es ein eigener Tod, der hier umgeht und etwas unter seine Sense nimmt, das zu dieser Stadt gehört, wie die Blüten zur Blume. Es ist ein leiser Hang zur Beschaulichkeit nnd die Freude an besinnlicher Ruhe, die unter ' die Räder des technisierten Zeitalters geraten. Im dröhnenden Lärm unserer Tage, in der Hetzjagd des Berufskampfes, im Gewühl der Geldjagd, in der Unrast des Meinungsstreites sterben die letzten Winkel friedlichen Beisammenseins und stiller Einkehr. Das Du und das Ich sitzen nicht mehr beieinander bei einer Schale Gold oder Mokka, sondern stoßen sich nur mehr im Gedränge der Straßenbahn, das entspannte, fruchtbare Gespräch in diskreter Umgebung hat der programmatischen Auseinandersetzung am grünen Tisch Platz gemacht und die Lektüre der Zeitungen ist dem Blick über die Schlagzeilen gewichen. Es sind die Zeugen eines inneren Gleichmaßes, die aus dem Bild Sieser Stadt verschwinden. Ihnen folgen in diesen Jahren die letzten Gaslaternen, und den Fiafcerri hat man eben eine Gedenktafel gesetzt. Vergangen und verweht...

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