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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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MANDATE HOCH, DIE PREISE HOCH scheinen sich gewisse Elemente zu denken. Mit dem Jammern, die Mühlen fänden bei den .gelenkten“ Preisen und dem System der gestützten Artikel kein Auslangen, fing es an. Kaum hörte man auf der Seite der Arbeitnehmer . davon, sprach man von der „Ordnung“ der Löhne und der Arbeitszeiten. Das Mehl stob und sogleich rührte sich das Brauereikarlell — es hat freilich den Rückzug angetreten. In einer Sitzung des Niederösterreichischen Landtages kam dann die 800-Millionen-Anleihe der Weltbank an Oesterreich zur Sprache, die zum Ausbau der Wasserkräfte bestimmt ist, und wieder fielen Worle, die Bedenken erregen müssen, über die unbefriedigenden Stromtarife. Man scheint sich bei diesen Versuchsballons nicht darüber im klaren zu sein, daß Brot ebenso ein Schlüsselartikel ist wie der Strom. Es ist übrigens Tafsache, daß unverantwortliche Elemente die Periode des Wahlkampfes dazu ausnützten, für die eigene Tasche zu kämpfen, und stillschweigend die Preistafeln austauschten, um gewissermaßen die Regierung, sobald sie im Amte ist, vor eine vollzogene Tatsache zu stellen. Bei solchen Vorhaben wird die Stabilität der Währung ebenso gefährdet wie die mühsam errungene Lohn-Preis-Relation. Die Entscheidung des 13. Mai war aber — dessen sollte man sich klar sein — eine energische Absage an wirfschaftspolitische Experimente, mögen sie kommen, woher sie wollen. In dieser ernsten Situation ist es daher nicht verwunderlich, wenn der Bundeskanzler bereits sechs Tage nach der Wahl die Mahnung nach der Produktionsseite und der Konsumentenfront ergehen lassen muijle, Zurückhaltung zu üben; ja, dafj er sogar drohen muhte, durch Plaka-fierung die Drahtzieher der Bevölkerung bekanntzugeben. Der Kanzler kann sicher sein, bei seinem Vorhaben alle jene auf seiner Seife zu finden, denen die Wohlfahrt des Staates, die Herabsetzung der Steuern, das Wohnbauprogramm, die Dotierung des Kulfurbudgets am Herzen liegt und nicht der Profit sich bevorrechtet dünkender Kreise.

ECHO AUF AACHEN. So haften sich die Stifter des Aachener Karls-Preises die Wege westlicher Weltpolitik nicht vorgestellt, wie sie ihnen da eben der jüngste Preisträger, Winston Churchill, vor erlauchtem Publikum an die Wand malte. Dieser Aachener Karls-Preis verdankte seine Stiftung einem westlich-kleineuropäischen Wellbild, das, mit Frontstellung gegen den Osten, Europa etwa im, Sinne des karolingischen Reiches integrieren sollte. Romantisch im Sinne jener „Abend-land'-ldeologie, als deren Tofenrufer sich eben jetzt Winston Churchill eindrucksvoll genug in Aachen bekannte. Er sagte nämlich alles das, was in gewissen Kreisen zwischen Aachen, Köln, Bonn und München in den letzten zehn Jahren als Tabu erklärt worden war: Europa müsse offen gehalfen werden dem Osten gegenüber, auch Ruhland gehöre zu Europa und übermorgen in eine europäische Allianz hinein. Churchill sprach dann von verheißungsvollen Perspektiven in der osteuropäischen Welt, deutete Entwicklungen in Polen an, die vielversprechend seien. — Das Schweigen Dr. Adenauers und seines Außenministers Brentano auf seine Rede hin war ebenso vielsagend wie die freundliche Kommentierung von Seiten der westdeutschen Sozialdemokratie — und aus Washington. Staatssekretär Dulles kommentiert die gegenwärtigen Veränderungen und Maßnahmen in Rußland und seinen Satellifen in einer Weise, die sichtlich zum Ausdruck bringt, daß er von Washington her die künftigen Wege in die Metropole der USA nicht verbauen möchte. Eben deshalb finden die Reisen der französischen Staatsmänner nach Moskau und manche andere Moskau-Fahrer der letzten Wochen und Tage (von Skandinavien bis Afrika) eine aufmerksame Beobachtung in Amerika. Die USA sind in ihrem Regierungsteam durchaus bereif, die globale Herausforderung zu einem harten, friedlichen wirtschaftlichen Wettbewerb anzunehmen, und nehmen eben deshalb die „administrativen“ Maßnahmen Moskaus ernst: Kürzung der Rüstungsausgaben, Herabsetzung der stehenden Truppenstärken, gesetzliche Sicherung der Rechte der Arbeiter, und zahlreiche andere Verordnungen und Versprechungen zunächst an die Massen der Völker in der Sowjetunion, die alle den einen Sinn haben: freiwillige Mitarbeit bei den gigantischen Planungen der Staatsführung zu finden. Selbst das heißeste Eisen wird jetzt angefaßt: die Zwangsarbeifs-lager. Nach Schätzung von Kennern sollen sich um 1952 etwa 13 Millionen Menschen in ihnen befunden haben. Diese Massen versklavter Menschen wirken nicht nur nicht attraktiv auf die Weltöffentlichkeit, sie erweisen sich auf die Dauer als wenig rentabel, ja als gefährlich: sie bevölkern einen richtigen Leerraum in Kernlanden Asiens und Zentraleuropas. Wohl wird es noch Jahre dauern, bis diese Lager geräumt werden, die neuen Gesetze sehen nur noch beschränkte Zwangsarbeitslager vor; diese Räu-rtnmg ist aber nur noch eine Frage der Zeit — bis die sowjetische Regierung Mittel und Wege gefunden hat, dieses ungeheure Potential nutzbringender auszuwerten und es voll und ganz einsatzfähig in den großen Kampf um die wirtschaftliche und politische Durchdrinqunq der Erde zu werfen: als Mitarbeiter. — Wenn Moskau so große Anstrengungen macht, dann kann, davon ist Washington heute schon überzeugt, diesen nicht nur mit Reden entgegnet werden.

Hier müssen Aktionen die Bresche füllen — weit-planende konstruktive Unternehmungen —, wie aber für diese die nötigen Mittel auftreiben? V o r den Wahlen? Vor den Wahlen in USA und vor den Neuwahlen in Bonn? Darüber zerbrechen sich einige- der klügsten Persönlichkeiten im Westen die Köpfe — und sind, um Zeit und Rat zu gewinnen, nicht unfroh, wenn in der Zwischenzeit andere nach Moskau fahren — bis ihnen Moskau selbst näher auf den Leib rückt und mit großen, ernsten und riskanten Vorschlägen entgegenkommt.

DER ERZBISCHOF BESUCHT SZTALINVAROS.

An der Meldung, die Radio und Zeitungen in ganz Ungarn vor einigen Tagen verbreiteten, ist wahrhaftig etwas Besonderes: der Erzbischof von Kalocsa, Jozsef G r ö s z, kaum aus der Haft und Konfinierung entlassen, besucht die ungarische Industriestadt Sztalinvaros, die dortigen neuen Eisenwerke, sieht der Arbeit bei den Hochöfen zu und läßt sich alles erklären. Diese kurze

Meldung will beachtet werden. Der Erzbischof geht — und er darf gehen — unter das Volk, und über seinen Besuch wird sogar ausführlich berichtet. Es muh gleich/ hinzugefügt werden: diese gröfjere Freizügigkeit wurde seitens der Bischöfe nicht durch faule Kompromisse erkauft. Es handelt sich dabei um das Ergebnis der mehr als fünfjährigen Bemühungen des kürzlich verstorbenen Erzbischofs Czapik, der konsequent auf die friedliche Reparierung des der Kirche zugefügten Unrechtes hinarbeitete, weil er von einer Klärung der Atmosphäre einen gröberen freien Raum für die Anliegen der katholischen Kirche erhoffte: für die Seelsorge, für die Verbreitung der Lehre Christi. Die eingekerkerten Bischöfe und Priester waren für die Katholiken eine seelische Belastung, die ihnen eine in letzter Zeit etwas erstarrte defensive Haltung auferlegte. Dah ein Ausweg auch Von kommunistischer Seite angestrebt wurde und wird, ist ein Beweis dafür, dafj die Katholiken in Ungarn trotz der Unterdrük-kung in den letzten acht Jahren nicht aufgehört haben, ein ernstzunehmender Faktor zu sein. Aber die Bischöfe wufjten um die Gefahren eines länger währenden Stillstandes. Erzbischof Czapik und sein Helfer und Freund noch aus der Zeif, als sie beide in Wien Theologie studiert hatten, der Bischof von Csanad, Dr. Endre Horn-vas, erklärten bei jeder Gelegenheit, dafj sie jede Mafjnahme der ungarischen Regierung gutheißen, welche der friedlichen Aufbauarbeit zum Wohl der Bevölkerung dient; sie liehen aher nie einen Zweifel über ihre Loyalität Rom gegenüber aufkommen.

KLERIKO-TITQISMU5. Wer da vermessentlich meint, Gottes Wort gelte auch im öffentlichen Leben, ist ein Klerikaler. In ganz besonders fortschrittlichen Regimen, da, wo nur im Namen des Volkes dessen „geliebte Söhne“ oder, wie einst ein noch erheblich mehr geliebter „Führer“ regieren, weifj man sich der Klerikalen gut zu entledigen. Indem man die antiken Despoten kopiert, die es bereits meisterlich verstanden hatten, die Klerikalen zu liquidieren. Nur die Massenpresse stand noch nicht zur Verfügung. Aber dafür hatte man die Arena. In Jugoslawien ist es insbesondere Kardinal Sfepinac, der, weil Repräsentant einer in nichts gebrochenen Kirche, konfiniert und daher an der Ausübung seiner oberhirtlichen Gewalt gehindert ist. Wie könnte auch Tito jemals vor dem Tribunal des Weltkommunismus bestehen, wenn er nicht den Nachweis seines konsequenten Antiklerikalismus nachzuweisen vermöchte? Nun scheint das Regime in Jugoslawien plötzlich „klariko-faschistische“ Züge anzunehmen. Zumindest mühte man das annehmen, wenn man hört, dafj das Zentralorgan der jugoslawischen KP, die Belgrader „Borba“, sich mafjlos freut, dah der Erzbischof von Zypern sich politisch engagie't hqt. Den Engländern, die es unternommen haben, den Erzbischof an der Ausübung seiner politischen Tätigkeif zu hindern, wird gehörig die Meinung gesagt. Denn gerade der Umstand, dah Erzbischof Makarios sich zum politischen Führer schlechtweg gemacht, ist Anlafj besonderen Lobes. Wie wäre es nun, wenn die Engländer sich auf das jugoslawische Beispiel berufen und sich als gelehrige Schüler des Marxismus-Leninismus-Titoismus geben würden? Denn nicht nur dem katholischen Kirchenfürsten gilt der vehemente Hah der „vielgeliebten Söhne“ des Volkes, sondern auch den jugoslawischen orthodoxen Führern, so weit sie es sich nicht mit dem Regime gerichtet haben: Seit 1948 sitzt der orthodoxe Bisehof von Sarajewo, Barnabasl El gibt sicher so etwas wie eine kommunistisch Moral: „Sittlich“ richtig Isf, was der Sicherung der Position einer Elite von Führern dient. Wie sehr die kommunistische Moral eine Zweckmoral und insoweit eine doppelte ist, sieht man in Her grotesken „Abweichung“ der Jugoslawischen Kommunisten in der Sache des Kirchenkampfes.

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