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Der Vatikan im 2.Weltkrieg (ii)

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Die Enttäuschungen des Vatikans über die steigende Nichteinhaltung des Konkordats mit dem nationalsozialistischen Deutschland vom Jahre 1933, die sich verschärfende Verfolgung der katholischen Kirche in Deutschland und in den von Deutschland seit März 1938 besetzten Gebieten führen zur Frage nach Kontakten des Vatikans mit der Opposition gegen das nationalsozialistische Regime in Deutschland. Von solchen Kontakten findet sich nach Aussage der Herausgeber (in der Einleitung) in den Dokumenten aus naheliegenden Gründen keine formelle Spur. Mit einer Ausnahme.

Eine Sensationsmeldung der kommunistischen Prager Zeitung „PRACE” vom 24. Jänner 1946 behauptete, Pius XII. habe im Anfang 1940 in Zusammenarbeit mit einflußreichen politischen Persönlichkeiten Deutschlands und Englands einen Friedensplan entworfen, wonach Deutschland auf den Blitzkrieg im Westen verzichten, die deutsche Armee sich von Hitler und Ribben- trop trennen und dafür freie Hand dm Osten auf Kosten der Sowjetunion erhalten solle. Der Osserva- tore Romano vom 11., 12. Februar 1946 brachte folgendes von Pius XII. selbst genehmigte Dementi: „Treu dem Grundsatz, nichts unversucht zu lassen, was irgendwie der Sache des Friedens dienen könnte, hat es der Heilige Vater, Pius XII., in dieser Zeit auf Bitten bedeutender politischer und militärischer Kreise Deutschlands übernommen, einige Fragen dieser Kreise hinsichtlich der Kriegsziele und der Friedensbedingungen der anderen kriegführenden Partei zu übermitteln, sowie die Antworten, welche diese Partei den Anfragenden erteilen zu sollen glaubte. Für diese Mitteilung hat sich der Heilige Vater ausschließlich des normalen offiziellen Weges bedient. Es ist daher nicht einzusehen, wie diese fraglichen Dokumente eine überraschende Entdeckung für die Alliierten gewesen sein konnten, wie dies die Prager Zeitung behauptet. Die Tätigkeit Seiner Heiligkeit hat sich ausschließlich darauf beschränkt Sie hat kein eigentliches Friedensprojekt vorgelegt. Desgleichen stand nie zur Frage, die Probleme Osteuropas einseitig zugunsten Deutschlands zu regeln, noch Goebbels nach dem Sturz Hitlers und Ribbentrops zum .Führer’ zu machen. Das Ziel der interessierten deutschen Kreise war es, zu einem vom Nationalsozialismus befreiten Deutschland zu gelangen.”

Nach Meinung der Herausgeber (S. 93) zeugen diese Zeilen für geheime Beziehungen Pius’ XII. mit deutschen Gegnern des Hitler- Regimes und lassen die Vorstellungen des Papstes von der weiteren Entwicklung erkennen. Als Hindernis des Friedens sah Pius XII. das Nazi-Regime an, hoffte aber, daß Deutschland selbst dieses Regime überwinden werde, etwa wie Italien schon 1943 den Faschismus zu stürzen vermochte. Daher hat Pius XII. trotz aller an ihn gerichteten Bitten niemals den Kreuzzug gegen den Nazismus ausgerufen. Er wußte zu gut, daß er, wenn er diesen Bitten Folge gegeben hätte, die Leidenschaften der anderen aufs höchste gesteigert, die Leiden vermehrt und die Ausübung seines Hirten- und Friedensamtes unmöglich gemacht hätte.

Um die Neutralität Italiens

Bei den Angriffen Deutschlands auf Polen, Dänemark und Norwegen war es der vom italienischen Außenminister Ciano geführten und vom Königshaus unterstützten Friedenspartei noch gelungen, Italien im Zustand der Nichtkriegführung und der Neutralität zu halten. Pius XII. hatte dies durch wiederholte Vorsprachen des Pater Tacchi Venturi, seines offiziösen Verbindungsmannes zu Mussolini, unterstützt.

Nach der Begegnung Mussolinis mit Hitler am Brenner (17. März 1940), über welche widersprechende Informationen hinsichtlich der von Italien gemachten Zusagen Vorlagen, sandte nach Fühlungnahme des Staatssekretariats mit einer Anzahl von Botschaften sowie mit Roosevelt der Papst am 24. April 1940 einen Brief an Mussolini, in dem er diesen beschwor, Italien und Europa die Ausweitung des Krieges zu ersparen (Dokument 284). Mussolini antwortete: „Ich verstehe, Heiliger Vater, Euren Wunsch, daß es Italien beschießen sein möge, den Krieg zu vermeiden. Das ist bis heute geschehen, aber ich kann keineswegs garantieren, daß das bis zum Ende so bleiben kann. Es muß auch dem Willen und den Absichten Dritter Rechnung getragen werden” (Dokument 290 vom 30. April 1940). Ähnlich unbestimmt antwortete der italienische Staatschef auf eine Botschaft des Präsidenten Roosevelt vom 29. April 1940. Der Papst ließ in einer Ansprache an die Katholiken Italiens vom 5. Mai 1940 nochmals deutlich erkennen, daß er dafür bete, daß Italien der Krieg erspart bleibe (Dokument 295).

Der „große Überfall”

Am 10. Mal 1940 entfesselte Hitler ohne Ultimatum oder Kriegserklärung die deutsche Offensive im Westen. Noch am Vormittag des 10. Mai sprachen der französische und der englische Botschafter im Vatikan vor. Noch am Abend des 10. MM gingen Telegramme des Papstes an König Leopold von Belgien, Königin Wilhelmine der Nie-

derlande und die Großherzogin Charlotte von Luxemburg hinaus (Dokumente 301, 302, 303). Im Telegramm an Belgien heißt es: „Im Augenblick, in dem das belgische Volk gegen seinen Willen und entgegen seinem Recht sein Gebiet den Grausamkeiten des Krieges ein zweites Mal ausgesetzt sieht, senden Wir in tiefer Bewegung Eurer Majestät und diesem so geliebten Volk die Versicherung Unserer väterlichen Zuneigung” (Dokument 301). An die Niederlande: „Wir flehen zu Gott, dem höchsten Richter der Geschicke der Völker, durch Seine allmächtige Hilfe die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und der Freiheit zu beschleunigen” (Dokument 302).

Die drei Telegramme des Papstes wurden am 12. Mai 1940 im Osserva- tore Romano abgedruckt, dessen Auflage von 80.000 im Oktober 1939 auf 150.000 im Mai 1940 gestiegen war; die faschistische Partei führte seit Monaten eine Kampagne gegen den Osservatore und verbot nun seinen Vertrieb in Italien. Staatssekretär Maglione wies die Nuntiaturen in Buenos Aires, Rio de Janeiro, Washington, Ottawa, Paris, Madrid, Lissabon, Bern und London mit Zirkulamote an, diese Behinderung der Verbreitung der Äußerungen des Papstes im Ausland entsprechend publik zu machen (Dokument 315).

Am 10. Mai meldete der vatikanische Botschafter Orsenigo aus Berlin, daß der italienische Botschafter Attolico noch am 9. Mai bei seinem Abschiedsbesuch bei Hitler eine Lanze für den Frieden eingelegt habe (Dokument 305).

Drohungen gegen den Papst

Am 13. Mai empfing Pius XII. den italienischen Botschafter Alfleri zur Abschiedsaudienz; Alfleri löste den italienischen Botschafter in Berlin, Attolico, ab. Alfleri war von seiner Gattin begleitet, die sich jedoch zurückzog, als das Gespräch ungewöhnlich ernst wurde (Dokument 313).

Alfleri betonte sofort, daß die Telegramme des Papstes an die Monarchen der Niederlande, Belgiens und Luxemburgs das stärkste Mißfallen Mussolinis erregt hätten, der darin eine Geste gegen seine Politik erblicke. Pius XII. wies darauf hin, daß in den Botschaften nicht einmal ein unmittelbar verletzendes Wort gegen Deutschland enthalten sei; daß es aber die Pflicht des Papstes gewesen wäre, dieselben Grundsätze zu bekräftigen und dieselben Erklärungen abzugeben, wenn die Verletzung der Neutralität der genannten Länder sich durch die Schuld der Alliierten ereignet hätte.

Botschafter Alfleri betonte die große Spannung und Nervosität, die in faschistischen Kreisen herrsche, er könne in keiner Weise ausschließen, daß es zu sehr schweren Vorgängen kommen könne (Dokument 313, S. 454). Das war die unverhüllte Drohung mit Gewaltanwendung: Besetzung des neutralen Vatikanstaates, Verhaftung des Papstes und der Würdenträger der Kurie, Erbrechung der vatikanischen Archive, Lähmung der Zentralleitung der katholischen Kirche mit allen unabsehbaren Folgen für die katholische Christenheit.

Der Papst erwiderte ruhig: „Wir haben keine Angst gehabt vor den Revolvern, die das erste Mal (während seiner Nuntiatur in München 1919) gegen Uns gerichtet waren; Wir werden noch weniger Angst haben beim zweitenmal.” Er fürchte sich nicht, in einem Konzentrationslager oder in den Händen der Feinde zu enden. Der Papst könne in gewissen Situationen nicht schweigen.

In der Folge sagte der Papst mahnend, daß die italienische Ehre sich mit dieser Halturlg selbst kompromittiere. Die Italiener wüßten ganz sicher und vollständig von den furchtbaren Dingen, die in Polen Vorgehen. „Wir müßten feurige Worte gegen derartige Dinge sprechen, und nur die Gewißheit hält Uns davon ab, daß Wir die Lage dieser Unglücklichen noch .erschwerten, wenn Wir sprächen” (Dokument 313, S. 455).

Nach dieser Auseinandersetzung nahm der Papst davon Abstand, Alfleri mit einer Botschaft an Hitler oder Ribbentrop über Herstellung eines der konkordativen Rechtslage entsprechenden Religionsfriedens in Deutschland zu betrauen.

Vor dem Kriegseintritt Italiens

Während die deutsche Offensive in Frankreich rasche Fortschritte machte, wurden noch Anstrengungen unternommen, Italien vom Eintritt in den Krieg abzuhalten. Als Kuriosum sei hervorgehoben, daß am 15. Mai 1940 der Nuntius in Paris, Valeri, den Besuch des amerikanischen Botschafters empfing, der sagte, daß ein Überfall Italiens auf die von Flugzeugen entblößte Südostgrenze Frankreichs „unabsehbare Schäden für die Zukunft der christlichen Zivilisation haben könne; das einzige Mittel, um das zu verhindern, sei, daß der Papst Mussolini für den Fall seines Eintritts in den Krieg die Exkommunikation androhe”. Msgr. Valeri antwortete, der Papst habe schon alles getan, um Italien im Friedenszustand zu erhalten; man dürfe nicht Unmögliches von ihm verlangen, insbesondere die Anwendung der Exkommunikation, deren Wirksamkeit heute sehr zweifelhaft sei (Dokument 83). Bemerkenswert ist, daß Göring den italienischen Botschafter in Berlin, Alfleri, am 23. Mai beunruhigt fragte, ob der Kriegseintritt Italiens nicht etwa eine Exkommunikation Mussolinis nach sich ziehen würde. Alfleri hielt dies nicht für wahrscheinlich, der Akt des Papstes würde die Haltung der Regierungskreise nicht ändern, auch wenn er „einen schädlichen Einfluß auf das Volk hätte” (S. 85).

Da Mussolini Interventionen Churchills sowie die letzte Botschaft Roosevelts höhnisch zurückgewiesen hatte, nahm Pius XII. davon Abstand, nochmals an den italienischen Diktator heranzutreten, obwohl er vom Kardinal-Erzbischof von Paris, Suhard (Dokument 329 vom 25. Mai 1940), sowie vom französischen Botschafter beim Quirinal, Franęois- Poncet (Dokument 330 vom 26. Mai 1940), darum ersucht wurde; der britische Botschafter riet davon ab (Dokument 331 und 337), und Außenminister Ciano bezeichnet jeden weiteren Schritt als unnütz (Dokument 332 vom 28. Mai 1940). Doch intervenierte der Vatikan bei der italienischen Regierung, um die Bombardierung Brüssels (Dokumente 322 und 323 vom 17. Mai) und von Paris (Dokument 333 vom 29. Mai 1940) zu verhindern; am 31. Mai ließ Staatssekretär Maglione Generalissimo Franco bitten, bei der deutschen Regierung auf die Schonung der Stadt Paris und der unbewaffneten Bevölkerung hinzuwirken (Dokument 336).

Am 2. Juni hielt Pius XII. im Kardinalskollegium eine Ansprache, in der er seine Bemühungen um die Erhaltung des Friedens in Erinnerung rief. Er gab seinem Schmerz nicht nur über die materiellen Schäden des Kampfes Ausdruck, sondern über moralische Schäden, die sich in Verletzungen des Rechtes äußerten. Am 10. Juni 1940 trat Italien in den Krieg ein.

„Dem Willen Dritter entsprechen”

Auch im Rahmen dieser kurzen Übersicht wurden zahlreiche Interventionen des Vatikans in der italienischen Regierung geschildert, sie waren meist erfolgreich bis auf den schließlichen — allerdings reichlich verspäteten — Eintritt in den Krieg.

Unter dem Einfluß der andauernden Ermahnungen des Papstes hatte Mussolini noch am 5. Jänner 1940 in einem Brief an Hitler die Stimme der menschlichen, der lateinischen Vernunft gesprochen. Er hatte Hitler seine Besorgnisse über die Folgen einer kriegerischen Politik mitgeteilt. Auf der Suche nach friedlichen Lösungen trat er für den Gedanken ein, daß die Wiederherstellung eines polnischen Staates, gebildet nur von Polen, unabhängig unter dem Schutz des Großdeutschen Reiches, zum Frieden führen könnte. Hieße das nicht, Engländern und Franzosen den Grund zu entziehen, dessentwegen sie in den Krieg gezogen wären? Er wisse wohl, daß die Demokratien das Deutschland des Führers nicht zur Kapitulation brächten. Aber es sei auch nicht sicher, daß man Franzosen und Engländer auf die Knie zwingen oder sie zu trennen vermöge. Die Vereinigten Staaten würden eine totale Niederlage der Demokratien niemals zulassen. Es wäre besser, sich die Risiken und Opfer einer massiven Offensive an der Westfront zu ersparen, wenn man zum Frieden mittels eines Vertrages gelangen könne, auf Grundlage der Anerkennung eines freien Staates Polen (S. 67).

Gegenüber dieser Äußerung politischer Vernunft klingt nach dem Treffen mit Hitler am Brenner der bereits zitierte Satz aus Mussolinis Brief vom 30. April resigniert und düster: „Es muß dem Willen und den Absichten Dritter Rechnung getragen werden” (Dokument 290).

So mag Mussolini wohl kaum den Größenwahn seines Innenministers geteilt haben, der den erwähnten päpstlichen Diplomaten unvermittelt fragte, warum der Heilige Stuhl gegen ganz Europa Stellung genommen habe, und auf dessen Frage, was er denn unter Europa verstehe, wörtlich antwortete: „Ja wißt Ihr denn nicht, daß wir uns mit den Deutschen den Besitz Europas geteilt haben?” (Dokument 328.)

Dennoch war die Friedenspartei in Italien sehr stark, auch innerhalb der faschistischen Partei selbst. Diese um das Königshaus und Außenminister Ciano gruppierten Kräfte verhalten dann der politischen Vernunft zum Sieg. Der Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943 führte das Ausscheiden Italiens aus dem von Anfang an unpopulären Bündnis mit Deutschland herbei. In Italien hatte die vatikanische Politik die Entwicklung richtig vorausgesehen. Ihre Hoffnung auf einen analogen Ablauf der Dinge in Deutschland sollte mit dem tragischen Zusammenbruch des Putsches vom 20. Juli 1944 enttäuscht werden.

Der letzte Akt

Am 28. Mai 1940 hatte Belgien kapituliert, am 18. Juni — acht Tage nach dem Kriegseintritt Italiens — suchte Frankreich über Spanien bei Deutschland, über den Vatikan (Dokumente 344 bis 353) und nochmals über Spanien bei der italienischen Regierung um Waffenstillstand an, der schließlich am 25. Juni 1940 in Kraft trat.

Bereits am 28. Juni 1940 richtete das Staatssekretariat Noten an Deutschland, Italien und England mit der Bitte, den Konflikt durch einen gerechten und ehrenhaften Frieden zu beendigen (Dokumente 360 bis 363). Italien und England antworteten ablehnend (Dokumente 365 und 366). Hitler machte in seiner Reichstagsrede vom 19. Juli 1940 Großbritannien ein Friedensangebot, das aber von Außenminister Halifax als deutsches Manöver sofort abgelehnt wurde. Der Vatikan bemühte sich noch um Aufklärungen, aber vergeblich (Dokumente 370 bis 374).

Das Eintreten des Papstes für den Frieden bei jeder Gelegenheit hatte zweifellos dazu beigetragen, den Eintritt Italiens in den Krieg zu verzögern, aber vielen den vom Vatikan unternommenen Schritten war kein Erfolg beschieden gewesen. Die weltweite Autorität des Heiligen Stuhles hatte aber auch am Ende des ersten Kriegsjahres keine Einbuße erlitten, wie sich aus zwei in der Sammlung abgedruckten Dokumenten ergibt, die nur als Beispiele herausgegriffen seien.

Pius XII. hatte am 23. Mai 1940 eine japanische Regierungsdelegation empfangen. Darnach war der japanische Minister Nubumi Ito beim Staatssekretär erschienen; er komme ganz privat und bitte um größte Geheimhaltung. Angesichts der Ausweitung des Krieges sei zu befürchten, daß der Krieg bei langer Dauer an vielen Stellen zu Revolutionen führen werde. Daher sollte der seit Jahren andauernde Krieg zwischen China und Japan, der beide Staaten schwer belaste, ehrenvoll beendet werden. Der Papst aber sei in der Lage, diese Befriedung herbeizuführen; dabei zeigte er sich über Bemühungen des Papstes in dieser Richtung bei Präsident Roosevelt orientiert (die Dokumente sind im vorliegenden Band nicht abgedruckt). Staatssekretär Maglione mußte aber erklären, er sehe derzeit — man stand kurz vor dem Eintritt Italiens in den Krieg — keine Möglichkeit einer Intervention (Dokument 327).

Nicht weniger bemerkenswert ist die Frage, die der italienische Botschafter am Vatikan, Attolico, an Staatssekretär Maglione am 6. August 1940 richtete, ob nämlich die Information richtig sei, daß der Heilige Stuhl den Katholiken der Vereinigten Staaten Weisungen gegeben habe, die Wiederwahl Roosevelts zum Präsidenten zu unterstützen. Maglione konnte erklären, daß die angebliche Information jeder Grundlage entbehre. Der Heilige Stuhl enthalte sich peinlich jeder Einmischung in Wahlen, sowohl aus grundsätzlichen Erwägungen wie aus Gründen, die für die Vereinigten Staaten gelten, wo die Katholiken italienischer, deutscher, irischer usw. Herkunft in den beiden großen Parteien aktiv tätig seien. Der Staatssekretär benützte die Gelegenheit, die italienische Regierung vor Informatoren, die sie im Vatikan habe, zu warnen; diese Informatoren verkauften Rauch. Attolico protestierte nicht und fügte hinzu, eine dritte Präsidentschaft Roosevelts würde die Intervention Amerikas im Krieg wahrscheinlicher machen (Dokument 377).

Als Myron Taylor zu einem Erholungsurlaub — er war am 26. Juni in Rom operiert worden — in die Vereinigten Staaten abreiste, richtete Pius XII. am 22. August 1940 einen Brief an Roosevelt, in dem man seine Enttäuschung über die Völker Europas, ihren brudermörderischen Hader und ihre mangelnde politische Einsicht und Voraussicht anmerkt.

Das „minus malum” erkennen

Damit endet der erste Band der vatikanischen Dokumentenpublika- tion, der die Zeit von der Thronbesteigung Pius XII. bis zum Ende des ersten Kriegsjahres umfaßt. Sie ist bestimmt durch das seelsorglichpolitische Thema, das die Kirche seit ihrer Stiftung begleitet: Das Verhältnis der Kirche zum Staat, das Verhältnis des Heiligen Stuhles zu den Staaten, deren katholische Staatsbürger dem Oberhirten der katholischen Weltkirche gleich nahestehen. In alle Gegensätzen religiöser, geistiger, politischer und wirtschaftlicher Art, die durch den Ehrgeiz und das Machtstreben einzelner Politiker noch verschärft werden, sollen die Päpste jenen Weg finden, auf dem das Glaubensgut am besten gesichert ist, Bedrängnis, Not und Leid unter Wahrung der christlichen Moral für Christen und Nichtchristen tunlichst gemildert werden und ein politischer und wirtschaftlicher Ausgleich den Weltfrieden sichert. Bei der Unvollkommenheit der Menschen und Verhältnisse werden die Päpste immer wieder wählen müssen, nicht so sehr zwischen dem Guten und dem Besseren, sondern zwischen dem weniger Schlechten und dem Schlechten. Nicht immer ist es leicht, das weniger Schlechte, das minus malum der Scholastik, zu erkennen und mit Sicherheit die Wahl zu treffen, um so mehr als das Leid der einen Ruhm und Vorteil für die anderen zu sein scheint.

Pius XII. hat in großer Einsamkeit, die das hohe Amt mit sich bringt, seine Entscheidungen zwischen dem 2. März 1939 und dem 1. September 1940 nicht nur mit der subjektiven Überzeugung, das unter den gegebenen Verhältnissen Bestmögliche zu tun, getroffen, sondern auch objektiv im Lichte der späteren Ereignisse und Entwicklungen das nach Auffassung der katholischen Weltkirche moralisch Gute in der europäischen und Weltpolitik unterstützt.

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ANTON PELINKA

Im Zeichen der Mitte

Die am 6. März von der österreichischen Volkspartei errungene absolute Mehrheit bringt für die Problematik der Koalition neue Aspekte: Eine Partei besitzt die Möglichkeit, allein die gesamte Regierungsverantwortung zu übernehmen. Geht die Volkspartei trotz ihrer absoluten Mehrheit eine Koalition ein — und die Anzeichen scheinen dafür zu sprechen, daß auf beiden Seiten ein ehrlicher Wille zur Fortführung der Koalition vorhanden ist, so wird dies in einer Form geschehen, die der ÖVP-Parole von der „Erneuerung der Zusammenarbeit” entspricht.

Schon 1962 hatte die ÖVP mit der Forderung nach dem „koalitionsfreien Raum” eine Lockerung des Koalitionsgefüges und eine „Aufwertung des Parlaments” verlangt und auch durchgesetzt. Rückblickend kann man jedoch feststellen, daß die Skeptiker recht behielten, die 1962 gemeint hatten, der vielgerühmte „koalitionsfreie Raum” sei keineswegs die Lösung aller koalitions- intemen Problematik. Sobald sich herausgestellt hatte, daß auch die SPÖ den Weg zur FPÖ finden kannte, war der koalitionsfreie Raum, die ureigenste Schöpfung der ÖVP, schon nicht mehr aktuell. Ebenso wird man aber skeptisch gegenüber den Erwartungen sein müssen, daß die Mittel einer Auflockerung — freie Abstimmung im Parlament, eventuell auch Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzips bei Regierungsbeschlüssen — für die Koalition in der neuen Legislaturperiode der ersehnte rettende Mechanismus sein werden. Das eine oder andere Problem wird sicher durch eine freie Abstimmung im Parlament gelöst werden können. Aber auf längere Sicht kann man von einer Partei, noch dazu von einer Großpartei nicht erwarten, daß sie sich in allen wesentlichen Streitfragen übereinstimmen läßt und dennoch bereit ist, als RegierungsPartei Mitverantwortung für die Regierungspolitik zu tragen. Die ÖVP als Mehrheitspartei würde bei einer solchen Entwicklung früher oder später vor die Entscheidung gestellt werden, entweder durch eine freie Mehrheitsbildung die SPÖ allmählich in die Opposition zu drängen, oder aber, wie bisher, in allen Fragen die Zustimmung der Sozialisten zu suchen. In diesem Fall würden wiederum alle Probleme, bei denen die Parteien keine Kompromißlösungen finden können, unerledigt liegen und der vielkritisierte Immobüiamus der Koalition erhalten bleiben.

Mehr Wechselwähler

Diese Überlegungen zeigen nur, daß irgendwelche Konstruktionen und Verbesserungen an der Koalition mit dem Ziel, dem erstarrten politischen Leben die nötigen Impulse zu geben, keine grundsätzliche Änderung bringen können. Was sich aber stärker denn je als Alternative anbietet, ist der Übergang zum Zweiparteiensystem. Eine solche Systemänderung würde in unserer Demokratie wieder Platz für die Funktion einer wirksamen Opposition lassen, deren Fehlen für viele Mängel verantwortlich gemacht werden kann.

Zwei Aspekte des Wahlergebnisses vom 6. März sind auf jeden Fall erfreulich und würden einen Übergang zu einem Zweiparteiensystem erleichtern: Der Wählertrend zum Zweiparteiensystem wurde bestätigt, und es gab stärkere Stimmverschiebungen als bisher. Das Anwachsen der Zahl der Wechselwähler zeigt, daß ein immer stärker werdender Prozentsatz der Wähler beginnt, der bisher gewählten Partei kritisch gegenüberzustehen und unter Umständen auch bereit ist, seine Stimme einer anderen Partei zu geben. Wenn aber die Großparteien in Zukunft das Reservoir ihrer potentiellen Wähler nicht mehr ausschließlich auf der äußersten Rechten oder auf der äußersten Linken sehen, sondern von einer wachsenden Schicht nicht- engagierter Wähler zwischen den beiden Großparteien gezwungen werden, in verstärktem Ausmaß sich an der demokratischen Mitte zu orientieren, wäre eine wesentliche Voraussetzungen für ein funktionierendes Zweiparteiensystem nach britischem Vorbild gegeben.

Oppositionspakt und Wahlreform

Eine weitere Erleichterung für eine Änderung des Regierungssystems wäre der Abschluß eines „Oppositionspaktes”. In diesem Pakt wären sowohl sozial- und wdrtschaftspolitische Grundsätze (etwa die Aufrechterhaltung der Verstaatlichung im bisherigen Umfang) außer Streit zu stellen und auf die Ebene von Verfassungsnormen zu heben, als auch außenpolitische Maximen, wie eine nähere Definition unserer Neutralitätsverpflichtungen. Ein solches Abkommen würde das Mißtrauen einer Partei gegenüber einer Alleinreigierung der anderen abschwfichen.

Aber auch eine Reform des Wahlsystems wäre erforderlich. Man muß sich nur vergegenwärtigen, daß das Grundmandat der FPÖ in Kärnten völlig ungefährdet zu sein scheint, daß also auch im übernächsten Nationalrat die Freiheitlichen mit mehreren Abgeordneten vertreten sein werden. Sind aber mehr als zwei Parteien im Nationalrat, so ist es eher als Ausnahme anzusehen, wenn eine Partei die absolute Majorität besitzt — .was jedoch eine conditio sine qua non eines funktionierenden Zweiparteiensystems ist. Ein solches Zweiparteiensystem hat den Übergang zum relativen Mehrheitswahlreobt britischen Typs zur Bedingung: Dieses Wahlsystem bietet die größtmögliche Garantie dagegen, daß kleinere Parteien zum „Zünglein an der Waage” werden und damit ein Zweiparteiensystem verhindern.

Zusammenarbeit ist mehr als Koalition

Diese Lösung einer „Zusammenarbeit jenseits der Koalition”, die Norbert Leser dm „Neuen Forum” (3/1966) von der Konzeption einer pluralistischen Demokratie ableitet, kann aber nur durch ein gemeinsames Vorgehen beider Großparteien erreicht werden. Eine Opposition auf Grund einer vielleicht verständlichen, aber nicht gerade zukunftsweisenden Enttäuschungs- und Trotzreaktion, wie sie unmittelbar nach dem 6. März von manchen Sozialisten ventiliert wurde, dürfte jedoch nicht die richtige Ausgangsbasis dafür sein. Eine solche Haltung würde eher an den Rückzug der Sozialisten aus der Regierung nach dem für sie ebenfalls enttäuschenden Wahlausgang von 1920 erinnern. Nicht ein unüberlegter Rückzug aus der Verantwortung, sondern ein gemeinsam durchzuführender Umbau des Systems wäre che Konsequenz aus der Einsicht, daß in der Demokratie eine wirksame Opposition benötigt wird.

Eine verstärkte Orientierung an der Mitte sollte beide Parteien dazu bringen, nicht nur an irgendwelche Augenblicksvortedle zu denken, sondern großzügige Lösungen zu erarbeiten. Eine Zusammenarbeit, deren Horizont über die nächsten Nationalratswahlen hinausreicht und die nicht mit dem Begriff der Koalition glelchgesetzt wird, sollte der Geist sein, von dem die Regierungsverhandlungen und die nächste Regierung getragen werden.

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