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Schon im Vorfeld des Kremls?

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Keine Affäre, die Österreich in den letzten Jahren betraf, hat ein solches Echo in der französischen Presse gefunden wie der Entschluß der Wiener Regierung, künftighin den Transit sowjetischer Juden nach Israel zumindest einzuengen. In den Kommentaren konnte man nicht das leiseste Verständnis für die Haltung Bundeskanzler Kreiskys finden. Wer die vergilbten Zeitungsbände der Pariser Presse aus dem Jahre 1934 in der Nationalbibliothek studiert, wird ähnliche Angriffe von gleicher Heftigkeit gegen Bundeskanzler Dollfuß anläßlich der bitteren Februarereignisse lesen können.

Die französische Presse, deren Einfluß auf die Meinungsbildung trotz Fernsehens ungebrochen ist, hat stets, im Gegensatz zur offiziellen Politik der Regierung, die starke proisraelische Haltung der weitaus größeren Mehrheit der Nation dokumentiert. Der oberflächliche Beobachter wird vielleicht diese Einstellung mit dem billigen Urteil beiseite schieben, die Pariser Presse sei eben stark „verjudet“. Der intime Kenner des französischen Zeitungsmarktes dagegen wird diese Meinung nicht teilen. Keine der führenden Tageszeitungen wird direkt vom jüdischen Kapital kontrolliert oder läßt einen jüdischen Einfluß in der Gestaltung zu. Und die wichtigsten Wortführer der proisraelischen Lobbies sind profilierte christlich-demokratische Politiker wie Senatspräsident Poher, oder der Chef des oppositionellen Zentrums, Lecanuet.

Das ohnehin seit Jahren unterkühlte Verhältnis zwischen Wien und

Paris wird sich sicherlich dadurch nicht bessern. Natürlich kann Österreich mit Recht einwenden, daß die V. Republik vor einigen Wochen in einer ähnlichen Situation auch nur die eine Sorge kannte, Geiseln der eigenen Nationalität zu retten. Der Staat, der so sorgsam die Souveränität hütet, der darin ein Leitmotiv seiner Außenpolitik sieht, mußte ebenfalls vor einigen schwerbewaffneten Terroristen kapitulieren.

Niemand konnte in Frankreich bei dem Uberfall auf die saudiarabische Botschaft, wie bei der Entführung sowjetjüdischer Geiseln und eines österreichischen Zollbeamten, die Frage beantworten, wie man der politischen Erpressung ausweichen konnte, ohne das Leben unschuldiger Menschen zu gefährden.

loh habe sie Frau Golda Meir auf der Pressekonferenz gestellt, die sie am 2. Oktober in Straßburg hielt, und auch dem berufenen Sprecher der französischen jüdischen Kultusgemeinde, die mit 700.000 Mitgliedern einen beachtlichen Faktor der französischen Innenpolitik darstellt. Aber weder der Ministerpräsident Israels noch Monsieur Masliah konnten mir eine eindeutige und befriedigende Antwort geben.

Also werden die Österreicher sagen: „Was dem einen billig, ist uns recht“; darauf werden die Franzosen erwidern, daß die V. Republik den Terroristen eben keine politi-schen Zugeständnisse gemacht hat.

Bei allem darf ein wesentlicher Umstand gegenüber Wien nicht übersehen werden. Frankreich ist

eine angesehene Großmacht. Man bedenke nur, daß Präsident Pompi-dou innerhalb von vier Monaten die wichtigsten Staatsmänner der Welt persönlich gesprochen hat. So traf er Nixon, Breschnjew, Heath, Brandt und Mao und dürfte folglich der bestinformierte Mann der westlichen Welt sein. Das internationale Prestige de Gaulies schimmert auch über den Aktionen und Verhandlungen Pompidous. Die Relationen zu Moskau sind nach wie vor vorzüglich, die Freundschaft Chinas gesichert und das Wohlwollen der USA kann trotz einiger Mißverständnisse als ein weiteres Atout der französischen Diplomatie angesehen werden. Die politische Stellung Frankreichs in der EWG ist ungebrochen. Sowohl Bonn wie London würden sich hüten, Paris zu verärgern. Man kann kaum ableugnen, daß die Handlungen der Groß- und Weltmächte mit einem ganz anderen Maßstab beurteilt werden, als die Aktionen der Kleinen.

Nun ist es sozusagen allgemeine Meinung in Österreich, daß das Völkchen zwischen Neusiedler- und Bodensee so sympathisch sei, daß Ost und West ihm gleichzeitig eine Liebeserklärung zu machen hätten. Diese' Haltung beruht auf gefährlichen Illusionen. Klar heraus gesagt: die österreichische Neutralität beruht in erster Linie auf dem Willen der USA, das westliche Europa, und damit auch Österreich, zu schützen. Frankreich hat wohl die militärisch integrierten Stäbe der NATO verlassen, Präsident Pompidou und seine Berater wollen jedoch von

einem Abzug der amerikanischen Truppen aus Europa nichts wissen. Auch Paris weiß zu genau, daß trotz eigener Atomversuche im Pazifik die Freiheit der westlichen Ordnung ausschließlich von der Führungsmacht der atlantischen Gemeinschaft abhängt.

Nun hat es Wien aber nicht verstanden, mit Paris echte Bande der Freundschaft zu knüpfen. Dies erscheint verwunderlich, denn die IV. Republik hat sich energisch für den Abschluß eines Staatsvertrages eingesetzt und sogar den österreichischen Standpunkt in der Südtirolfrage gewürdigt. Das Verhältnis trübte sich zusehends, als de Gaulle 1958 an die Macht kam. Die österreichischen Politiker haben zum französischen Staatschef nie ein richtiges Verhältnis gefunden. Die Wiener Presse hat de Gaulle vielfach als „größenwahnsinnig“ karikiert, der Ballhausplatz hat keine echte Geste gewagt, um eine Brücke zum gaullistischen Frankreich zu schlagen.

Bis zum Machtantritt de Gaulles gab es zahlreiche Querverbindungen zwischen französischen und österreichischen politischen Parteien. Die ÖVP fand einen verständnisvollen Partner in., den christlichen Demokraten des MRP. Nach' dem Verschwinden der Partei. Robert .Schu-mans ist es jedoch der jetzigen österreichischen Oppositionspartei nie richtig gelungen, politische Freundschaft mit einer anderen Regierungspartei Frankreichs zu schließen. Dabei würden sich die unabhängigen Republikaner Giscard d'Estaings als Gesprächspartner durchaus anbieten. Zwischen den österreichischen und den französischen Sozialisten gab es jahrelange Verstimmungen wegen ihrer divergierenden Auffassungen während des Algerienkonfliktes. Die neue sozialistische Partei Mitterrands konnte dagen mit dem Verständnis des Chefs der SPÖ so sehr rechnen,' so daß dieser vor den französischen Parlamentswahlen nach Paris eilte, um an einer Sitzung der Sozialistischen Internationalen teilzunehmen.

Und wieder hat die Anwesenheit des Bundeskanzlers die Pariser Regierung überaus verstimmt. Sie sah darin eine eklatante Einmischung in die Innenpolitik, knapp vor einem entscheidenden Votum. Auch die seinerzeitige Staatsvisite, die Bundespräsident Jonas in Paris abstattete, war von einigen peinlichen Nebenerscheinungen begleitet, die das Klima zwischen den beiden Staaten wenig verbesserte.

Man wird dem jetzigen österreichischen Botschafter zugutehalten, daß er ehrlich bemüht ist, zerrissene Fäden wieder zu knüpfen. Im Frühsommer hielt er eine formvollendete und inhaltsreiche Rede vor dem Senat, die positiv aufgenommen wurde. Aber es fehlt sichtlich an der großangelegten Politik, die imstande wäre, die öffentliche Meinung Frankreichs mit den Problemen eines neutralen Kleinstaates in exponierter Lage vertraut zu machen. In mehr als einem Artikel habe ich den Wunsch diplomatischer und politischer Kreise der Seinemetropole wiedergegeben, die österreichische Presse möge eigenständige Korrespondenten in diese Zentrale der europäischen Politik entsenden. Ich vernahm zwar einige wohltuende Worte aus Wien und Graz, aber geschehen ist nichts. Wenn die führende Tageszeitung Österreichs in Paris durch einen Ostpreußen ver-

treten ist — persönlich ein sehr netter Mensch —, so muß man zwingend fragen, wie dieser Korrespondent eigentlich in der Lage ist, seinen französischen Kollegen mit echt politischem Engagement die brennenden Probleme Österreichs zu schildern. Da der Verteidigungswille Österreichs nicht gerade glaubwürdig wirkt, wäre es immerhin angebracht, die fehlenden Divisionen durch weitgestreute Public-Relations-Politik zu ersetzen. Aber der Standpunkt des Herrn Karl lautet: „Mir san mir“ und „Wozu brauchen wir dös?“ Nämlich die westliche Welt von unserer Lebensfähigkeit zu überzeugen.

„Sie werden uns nicht fallen lassen“, lautet offenbar eine heimliche Parole des Durchschnittsösterreichers. Nun — hier ist der Wunsch der 'Vater des Gedankens. Betrachtet man von Paris aus die außenpolitische Situation Österreichs, so wird man mit Schrecken feststellen, daß Österreich fast vollkommen isoliert dasteht. Werden wir noch deutlicher: Nach der Meinung politischer Beobachter in Paris, und nicht der geringsten, gehört Österreich bereits zur östlichen Sphäre. Die Alpenrepublik wäre demnach nichts anderes als ein besseres Finnland. Wien müsse sämtlichen '•' Direktiven7 Moskaus nachkommen und sei ein verschleiertes Vorfeld “der Außenpolitik des Kreml.

Jeder Österreicher weiß um das schlechte Verhältnis zur Tschechoslowakei und zu Jugoslawien. Die kühlen Reserven des Westens gegenüber Österreich will er jedoch nicht zur Kenntnis nehmen. Die Geiselaffäre hat eine Wunde aufgezeigt, die, falls man sie nicht heilt, die Sicherheit und die Zukunft des österreichischen Volkes gefährdet. Es ist nicht immer bequem, die Kas-sandra zu spielen, aber die Außenpolitik der Staaten steht unter dem eisernen Gesetz der Machtverhältnisse. Noch ist es Zeit, die Elemente einer neuen Außenpolitik zu analysieren und sie konstruktiv in gewisse Schwerpunkte zu verlagern. Dazu gehört unbedingt das Gebot, mit dem gewichtigsten Staat der Europäischen Gemeinschaft andere Relationen zu finden als dies bisher der Fall war.

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