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Der Weg nach Europa führt über Paris

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Die Fünfte Republik hat sich dank der einmaligen Person General de Gaulies einen weltpolitisch wichtigen Platz gesichert, unterhält ausgezeichnete Beziehungen zur Sowjetunion, beeinflußt nach wie vor kulturell und wirtschaftlich weite Teile Afrikas und beansprucht die führende politische Rolle im bisherigen und nun erweiterten Gemeinsamen Markt. Diese Schlüsselposition von Paris wurde sowohl von Bundeskanzler Brandt wie voi Premierminister Heath respektiert. Wenn nun der österreichi sehe Bundespräsident die Seine-Metropole besucht und dami einen — wie man hoffen darf — konstruktiven Dialog mit den nachgaullistischen Frankreich einleitet, wird er in erster Linii mit einer kühnen außenpolitischen Initiative Präsident Pompi dous konfrontiert. Als erstes Staatsoberhaupt der EWG verlang der Nachfolger de Gaulies einen nationalen Consensus, um au der europäischen Gipfelkonferenz im Herbst dieses Jahres dii entscheidende Schiedsrichterrolle zu spielen. Außerdem ist de: Anspruch von Paris auf die Stellung einer Hauptstadt in dei erweiterten EWG ein offenes internationales Geheimnis.

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Die Fünfte Republik hat sich dank der einmaligen Person General de Gaulies einen weltpolitisch wichtigen Platz gesichert, unterhält ausgezeichnete Beziehungen zur Sowjetunion, beeinflußt nach wie vor kulturell und wirtschaftlich weite Teile Afrikas und beansprucht die führende politische Rolle im bisherigen und nun erweiterten Gemeinsamen Markt. Diese Schlüsselposition von Paris wurde sowohl von Bundeskanzler Brandt wie voi Premierminister Heath respektiert. Wenn nun der österreichi sehe Bundespräsident die Seine-Metropole besucht und dami einen — wie man hoffen darf — konstruktiven Dialog mit den nachgaullistischen Frankreich einleitet, wird er in erster Linii mit einer kühnen außenpolitischen Initiative Präsident Pompi dous konfrontiert. Als erstes Staatsoberhaupt der EWG verlang der Nachfolger de Gaulies einen nationalen Consensus, um au der europäischen Gipfelkonferenz im Herbst dieses Jahres dii entscheidende Schiedsrichterrolle zu spielen. Außerdem ist de: Anspruch von Paris auf die Stellung einer Hauptstadt in dei erweiterten EWG ein offenes internationales Geheimnis.

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Obwohl es landläufig heißt, Franzosen und Österreicher seien sich in ihrer Lebensauffassung ähnlich, werden die Beziehungen der beiden Staaten durch jahrhundertealte Differenzen getrübt. Der Machtkampf zwischen den Häusern Habsburg und Bourbon um die kontinentale Vorherrschaft hat im historischen Denken Europas tiefe Spuren hinterlassen. Der Nationalstaat Frankreich traf bei seiner Konsolidierung immer wieder auf das übernationale abendländische Konzept, das von Kaiser Karl V. in hervorragender Weise präsentiert wurde. Als sich die Habsburger den Lothringern näherten, die mit der Familie Guise verbunden waren, fürchtete Frankreich eine österreichische Einmischung in die Innenpolitik. Die Österreicher waren damals im ganzen Land unbeliebt und die unglückliche Königin Marie-^ Antoiraette wurde mit dem Schimpfwort belegt, „eben eine Autrichienne zu sein“. Auf der anderen Seite verstand Preußen, sich ein aufgeklärtes Image zu geben. Es wurde als deutscher Partner von Paris zum politischen Gegenpol im Reiche hinauflizi-tiert. Die damalige französische Intelligenz sah in der Figur Friedrichs II. das Musterbeispiel eines liberalen Herrschers, der — die gewagte Terminologie sei erlaubt — als „linksstehend“ gegenüber dem „ultrakonservativen“ Österreich empfunden wurde.

Antikatholischer Affekt

Die Niederlage Österreichs 1866 wurde in Paris mit Pomp gefeiert. Die französische Diplomatie des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts wußte mit dem Vielvölkerreich der Doppelmonarchie wenig anzufangen, das nach Geist und Sendung die Prinzipien der französischen Revolution zu negieren schien. Gewisse antikatholische Momente mögen in der laizistischen III. Republik mitgespielt haben, die Monarchie nicht in den Kreis der Bündnisse einzuschließen, den Paris zwecks Abwehr des deutschen Dyna-mismus gezogen hatte. Es gehört zu einer sorgfältig gepflegten Legende, das Eingreifen der französischen Freimaurer während der Phase der Friedensbemühungen des letzten österreichischen Kaisers hervorzuheben. Für einen direkten Einfluß auf die Ablehnung des Friedensfühlers Karls können nur die Rücksichten auf den italienischen Bundesgenossen angeführt werden. Die Bestrebungen der tschechischen Exilpolitiker wurden zwar von französischer Seite respektiert, Paris ging jedoch keine Verpflichtung ein, die darauf hinzielte, diese mitteleuropäische Ordnungsmacht in Teilstücke aufzufächern. Nach Auffassung französischer Historiker scheiterte die Monarchie an ihrem Unvermögen, das Nationalitätenproblem rechtzeitig und zufriedenstellend für alle Beteiligten zu lösen.

Eh bien, l'Autriche ...

Während der Pariser Friedenskonferenz spottete der Tiger Cle-menceau über den kläglichen Rest, tengebilde übriggeblieben war. Die französische Außenpolitik sah sich genötigt, die Resultate von Versailles durch ein Bündel von Bündnissen zu zementieren. Sie inspirierte die Bildung der Kleinen Entente vor allem zur Abwehr deutischer Expansionswünsche im Südosten und der ungarischen Revisionsforderungen.

Trotzdem unterstützte Frankreich den österreichischen Willen, die zusammengeschrumpfte Wirtschaft zu sanieren und leistete bei den diversen Verhandlungen zwischen Wien und dem Völkerbund diskrete Hilfestellung. Die Politik des Ballhausplatzes gab damals Anlaß zu französischen Klagen, nicht direkte Kontakte in größerem Umfang mit Paris aufgenommen zu haben. Der gleiche Vorgang spielte sich, wie wir später sehen werden, bei den österreichischen Gesprächen mit der EWG ab. Der Aufbau eines Machtzentrums in Mitteleuropa durch das dritte Reich bewog die französischen Staatsmänner erstmalig, sich intensiver mit dem Schictosall der Alpenrepublik zu beschäftigen. Aus einem Abwehrreflex gegenüber den Annexions-Bestrebungen Adolf Hitlers bildete Frankreich gemeinsam mit Großbritannien und Italien 1934 die Front von Stresa, um die Unabhängigkeit Österreichs zu schützen. Durch das abessinische Abenteuer Mussolinis wurde die Solidarität zwischen den westlichen Demokratien und dem faschistischen Italien zerbrochen. Dazu kam der negative Eindruck des blutigen Februars 1934 in Wien. Die Sozialistische Partei Österreichs erfreute sich großen internationalen Ansehens. Die Theorien der Sozialdemokraten fanden in Frankreich ein positives Echo. Der sogenannte Austro-Marxismus wird noch heute in Paris studiert und als Markstein für die sozialistischen Ideologien hingestellt. Dagegen hat das Regime Dollfuß-Schuschnigig niemals Sympathien bei den französischen konservativen Kreisen gefunden. Querverbindungen von österreichischen und französischen Katholiken sind im Zwischenkriegseuropa kaum zu notieren. Der Anschluß kam für die französischen Staatsmänner keineswegs überraschend. Sie wichen jedoch jeder Verantwortung aus, nachdem Großbritannien resignierte und Italien dem außenpolitischen Akt Hitlers zustimmte. Die öffentliche Meinung nahm die gewaltsame Einverleibung Österreichs in das Dritte Reich einfach hin. Eine Anekdote mag diesen Geisteszustand besser illustrieren als wissenschaftliche Untersuchungen: der jetzige österreichische Botschafter Dr. Lemberger war 1938 Angestellter in einem Pariser Reisebüro. Als die Rede Schusch-nigs übertragen wurde, klagte der Österreicher seinen Kollegen: „Unser Land ist verlorengegangen, Österreich existiert nicht mehr.“ Die anwesenden Franzosen verstanden diesen Schmerz nicht, bedienten ihre Rechenmaschinen und Telephone weiter und sagten gelassen: „Eh bien, l'Autriche, eins, zwei, drei, vier“ und die Arbeit wurde fortgesetzt.

Bescheidene Versuche wurden von der österreichischen Widerstandsbewegung unternommen, ab 1943 mit der Resistance in Kontakt zu treten. Diese Gespräche sind für immer mit dem Namen Otto Moldens und Doktor Lembergers verbunden. In der Epoche der Besatzung war es das französische Element, das vordringlich für die Lebens- und Souveränitätsrechte Österreichs eingetreten ist. Die Anstrengungen Frankreichs in dieser Beziehung, die Bemühungen des Hochkommissars Payart verdienen eine historische Würdigung von österreichischer Seite, die bisher nicht erfolgt ist. Auch beim einzigen nationallen Anliegen der II. Republik, der Lösung der Südtirolfrage zeigte Frankreichs offene Sympathie für Wien, Obwohl es sich, nach Meinung der Diplomaten des Quai d'Orsays, um eine bilaterale Angelegenheit handelte. Das Eintreten Robert Schumans für die österreichischen Südtirolsorgen sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnt. Der Vater Europas hat dem Verfasser dieser Zeilen gegenüber mehrfach die österreichischen Interessen als glaub- und unterstützungs-wündig anerkannt. Dennoch honorierte östenrich diesen Einsatz Frankreichs in keiner Weise, als die Vierte Republik in einen tödlichen Kampf mit den algerischen Nationalisten verstrickt wurde. Die österreichischen Sozialisten plädierten sofort für die Unabhängigkeit der nordafrikanischen Gebiete. Sie des-avourierten die sozialistische Regierung Mollet. So sehen zumindest die Kenner der Materie in Paris die österreichisch-französischen Beziehungen bis zum Jahr 1958.

De Gaulle — für Österreichs Presse eine Karikatur

In den seltensten Fällen wurden Leistungen und Persönlichkeit

General de Gaulles von Österreich anerkannt. Kein anderer Staat der westlichen Welt riskierte, bei aller Irritierung durch die damalige französische Außenpolitik, so das französische Staatsoberhaupt zu karrikie-ren und seine Intentionen in Frage zu stellen, wie dies Teile der österreichischen Presse wagten. Gerade für Österreich wäre es wichtig gewesen, das gaullistische Programm eines Europa der Vaterländer eingehender zu prüfen. Es kam den österreichischen Verpflichtungen, die aus dem Staatsvertrag resultierten, am nächsten. Die Relationen zwischen Wien und Paris zeichneten sich auf dem Höhepunkt der gaullistischen

Herrschaft durch eine unterkühlte Korrektheit aus. Auch ein Besuch des Ministerpräsidenten Pompidou und und des Außenministers Couve de Murville konnten diese frostige Atmosphäre nicht auftauen. Als der Wunsch Österreichs hörbar wurde, mit der EWG ein Arrangement zu treffen, begrüßte Paris diese Demarche, verwies aber auf die österreichischen Grenzen internationaler Natur.

Keine Wiener Geste

Die für die EWG-Verhandlungen zuständigen österreichischen Minister blickten fasziniert nach Brüssel, wallfahrteten allein oder in Gruppen in die belgische Hauptstadt und kamen mit den rosigsten Prognosen nach Wien zurück. Französische Politiker vertraten und vertreten auch heute noch die Ansicht, Österreich habe die politischen Aspekte seiner EWG-Wünsche nicht einkalkuliert. Die Brüsseler Kommission ist kein selbständiger Organismus. Sie hängt auschließlich von dem Willen der Regierungen ab. Ohne Zweifel nimmt Frankreich in diesem Gremium des Ministerrats eine privilegierte Stellung ein. Die Kandidaten für eine Neuaufnahme wählten sich jeweils nach außenpolitischen Erwägungen und ideologischer Affinität einen Fürsprecher aus. Die Skandinavier suchten Unterstützung in Bonn, die Iren fanden Verständnis in den Benelux-Staaten. Nur England konnte dank seiner wirtschaftlichen und politischen Potenz auf eine europäische Lobby verzichten. Österreich hat es immer versäumt — obwohl das Wiener Dossier eigentlich einfach und klar war — eine kräftige politische Intervention zu entfachen. Aus zahlreichen Gründen vermochte die Bundesrepublik diese Funktion nicht zu erfüllen. Italien blockierte Jahre hindurch die österreichische Bewerbung, besonders nach dem Aufflammen des Südtiroler Widerstands.

Es blieb also Frankreich übrig. Die Österreicher unterließen es — die Gründe sind in Paris univerständlich —, ihre Ansprüche zu definieren und konkrete Unterlagen vorzulegen. Zwei Jahre lang wartete man vergeblich in den zuständigen französischen Behörden auf eine Wiener Geste oder den Versuch, einen Dialog mit der Fünften Republik über EWG-Fragen zu beginnen. Auch in diesen historischen Augenblicken waren Franzosen und Österreicher nicht zu gleicher Zeit am gleichen Rendezvousort. Dabei liegt die österreichische Botschaft fünf Minuten vom Quai d'Orsay entfernt.

Alle Anzeichen deuten auf den Willen Frankreichs hin, die österreichischen Positionen besser als in der Vergangenheit einzuschätzen und Wien in der außenpolitischen Philosophie einen speziellen Platz einzuräumen. Wird Österreich diese diskrete Einladung rechtzeitig begreifen und aus begangenen Fehlern lernen? Die österreichischen Verhandlungen bei der EWG sind gegenwärtig, nach französischer Auffassung, in einer Sackgasse gelandet. Diese Feststellung ist auch nach dem relativen Erfolg der Reisen Bundeskanzler Kreiskys nicht zu eliminieren. Durch die Erweiterung der EWG änderten sich die bisherigen Perspektiven, aber der Weg Österreichs nach Brüssel führt nach wie vor über Paris

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