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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DAS SCHWEIGEN MOSKAUS, mitten in einer neuen Anlaujwelle des Kalten Krieges, hatte für nicht wenige Beobachter etwas Bedrückendes. Moskau schwieg und antwortete nicht auf die letzte Note der Westmächte bezüglich des österreichischen Staatsvertrags. Den Bonner Generalvertrag nahm es zwar sehr deutlich zur Kenntnis: die Absperrung Ostdeutschlands, die Eingrenzung Berlins sprechen eine laute Sprache — klar aber wurde noch niemand aus ihr. Nun beginnt sich zum erstenmal der Schleier zu heben, der über dem, Lärm und Geläute propagandistischer Aktionen lag und liegt. Moskau hat die größte diplomatische Umbesetzung seit Lttwinows Abtritt vollzogen: Botschafter Panjuschkin wurde von Washington nach Peking, Sarubin von London, nach Washington versetzt. Hochbeachtliche Perspektiven ergeben sich bereits aus dieser Demonstration: will Moskau damit sagen, daß ihm Peking wichtiger als Washington ist? Das ist sehr wohl möglich, der Verdacht verstärkt sich, wenn die beiden übrigen Um- besetzüngen ins Blickfeld treten. Puschkin, Botschafter in Ostdeutschland, wurde bereits vor einiger Zeit von Berlin nach Moskau berufen, als stellvertretender Außenminister. Nach London aber wird nun Gromyko entsandt, der geschickteste Diplomat, über den Moskau an der Vorderfront verfügt. Berlin T— und London: darum geht es nämlich, in der nächsten Zukunft, im Kampf um Deutschland, um die Verhinderung der westdeutschen Aufrüstung, und im Kampf um England, um eine Trennung also Englands von den USA, hofft die Sowjetunion ihren größten politischen Schachzug zu gewinnen. Seit dem Regierungsantritt Churchills war es bereits international aufgefallen: Moskau begegnete dem „alten Schlachfroß“, wie Stalin Churchill genannt hatte, mit diskreter Zurückhaltung. Seither sind die britischen Delegationen nach Moskau und den Staaten der Ostwelt nicht abgerissen; Bevans Erfolg in breiten Schichten der Labour Party kollaboriert merkwürdig dicht mit den Bestrebungen konservativer Lords um eine Belebung des britischen Osthandels. Grund genug für die Sowjetunion, Hoffnungen zu schöpfen… Diese Gesichtspunkte sich vorzustellen , ziemt deni gelernten Österreicher, der eben in diesen Tagen durch die gute Botschaft, von der Aufhebung der Donausperre sich ermutigt fühlt — wieder einmal —, neue Hoffnungen db des Staatsvertrags’ zu hegen. Es wird uns nichts geschenkt werden. Österreich ist ein Stein, besser ein Kraftfeld im großen weltpolitischen Spiel, das heute Symbolnamen wie Washington, Peking, Moskau, Berlin bezeichnen. Nur wesentliche Veränderungen in den Beziehungen zwischen diesen Mächten werden auch eine wesentliche Veränderung unserer Situation mit sich bringen. Das gilt es sich täglich nüchtern vorzustellen. Bleibt uns selbst also nichts zu tun übrig? Im Gegenteil: anstatt und an Stelle falscher Ängste und falscher Hoffnungen haben wir zu arbeiten, zu arbeiten, zu arbeiten. Und. das heißt: wir haben zusammenzustehen. Dann nämlich, und nur dann, werden wir jenes Gewicht, jenes spezifische Eigengewicht darstellen, das jeden der großen Spieler veranlaßt, jeden, aber auch jeden Schritt hierzulande und | um unser Land reif liehst zu überlegen.

„DIE DEUTSCHE POLITIK von 1914 zielte nicht auf die Entfesselung eines Krieges hin“, stellten nicht nur deutsche, sondern auch französische Historiker kürzlich fest. Man wollte, um das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich zu entspannen, auf dem Gebiet der Schulbücher beginnen und diese von Verzerrungen des Geschichtsbildes reinigen. So setzten sie sich zusammen, zuerst in Speyer, dann in Paris, später in Mainz, die Professoren Gerhard Ritter, Freiburg, Georg Eckert, Braunschweig, Hans Herzfeld, Berlin, und andere auf deutscher, Bruley und P. Renouvin, Paris, und J. Droz, Clermont- Ferrand, auf französischer Seite. Sie gingen Punkt für Punkt alle strittigen Stellen, von den Reunionskriegen Ludwigs XIV. über Napoleon und Bismarck bis Versailles und Hitler. Es gab heftige Diskussionen, bis man in allen Punkten eine Einigung erzielt hatte, die beiden Seiten gerecht werden konnte. Mėlac wird nun auch in französischen Büchern als Kriegsverbrecher gebrandmarkt, der Krieg von 1870/71 ist nicht mehr der „deutsche Überfall“, sondern ein „tragischer Konflikt nationaler Machtinteressen“. Die „Weltherrschaftspläne des Deutschen Reiches unter Wilhelm II.“ werden trotz aller unkluger Äußerungen seines Herrschers in das Reich der Legende ver- tVisen, man verschweigt andererseits nicht die Gefährlichkeit der pandeutschen Bewegung, warnt aber vor ihrer Überschätzung ebenso wie vor der der französischen Revancheideen. Viel Arbeit gab Versailles Kriegsschuldparagraph, Abtretungen, Reparationen und Besetzungen,. Völkerbund und Entwaffnung konnten nur durch ein sorgfältiges Abwägen und Betonen der Gründe der Alliierten, wie auch der Motive der deutschen Opposition gegen Versailles beiden Seiten mundgerecht gemacht werden. Und auch die Untersuchung der Umstände, mit deren Hilfe Hitler zur Macht kam, erforderte einige Korrekturen gewohnter Vorstellungen, Dreihundert Jahre deutsch-fran- zössicher Geschichte in Schulbüchern konnten „bereinigt“ werden. Es ist viel gewonnen, wenn schon den Kindern ein verständnisvolleres Bild des Nachbarn auf den Weg gegeben wird. Wird es aber genügen, um die Begriffe des „Boche“ oder des „vergewaltigenden ßesatzungs Soldaten“ auch aus dem. Vokabular der Demagogen zu entfernen? Wird die Reinigung der Schulbücher verhindern, daß verantwortungslose Politiker diesseits und jenseits des Rheins je nach Bedarf die Losung vom Erbfeind neu beleben? Auch mit den Historikern anderer Länder wurden ähnliche Besprechungen geführt. Es wäre gut, wenn sich auch österreichische Fachkreise in diese Gespräche zwischen den Nationen ein- sęhalten würden. Sie hätten dort, wo es die Überwindung nationaler Vorurteile gilt, sicher etwas zu sagen — und das nicht erst im Jahre 1952.

DER SKANDINAVISCHE BLOCK hat sich stets als ein Eckpfeiler der europäischen Neutralität erwiesen, und in dieser Eigenschaft zur Begrenzung politischer und militärischer Konflikte wesentlich beigetragen. Im ersten Weltkrieg bildete der neutrale Norden eine von beiden Lagern. anerkannte und respektierte Insel des Friedens. Hitler war die nordische Neutralität ein Dorn im Auge und so blieb diesesmal nur Schweden verschont, für dessen militärische Unterwerfung übrigens auch die Pläne bereitlagen. Kaum waren die letzten Schüsse des zweiten Weltkriges verhallt, so nahmen die nordischen Staaten ihre Politik der Abstinenz von allen Macht- und Mächtegruppierungen wieder auf. In diesem Punkte zeigen die sonst vermittlungsbereiten Skandinavier eine beachtliche Nackenstärke, mit der im politischen Kräftespiel gerechnet werden muß. In diesem Sinne erklärte der schwedische Außenminister Undėn vor kurzem, Schweden iperde möglicherweise den Europarat verlassen, wenn dieser mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft enger verknüpft werden sollte, und führte vor dem Parlament aus; „Wenn dįe Mitglieder des Europarates die britischen Vorschläge annehmen, durch die er zur Dachorganisation der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wird, werden wir . voraussichtlich den Europajrat verlassen und andere Wege der Zusammenarbeit mit diesen Völkern suchen.“ Es ist kein Zweifel, daß ein solcher Schritt einer wahren Integration Europas höchst abträglich wäre, und es wird Aufgabe der verantwortlichen Staatsmänner sein, Schweden nicht zu einer solchen Maßnahme zu nötigen.

AUS EINEM SANDMBER, in dem Nomaden ‘ schweiften, hat die amerikanischarabische Ölgesellschaft „Aramco“ durch Tatkraft und gewaltigen Kapitaleinsatz einen prosperierenden Staat gemacht. Sie hat Bahnen und Straßen, Ortschaften und Bewässerungsanlagen errichtet, quer durch die Wüste eine 1800 Kilometer lange Pipeline angelegt. Aus ihren Abgaben wurden Schiilen und Spitäler gebaut, die Eingeborenen wurden’ nach modernsten Gesichtspunkten sozial betreut, kurz, es entstand im Reiche der Scheiks und Beduinen durch westlichen Unternehmungs- nicht Unternehmergeist in jedem Sinn eine Oase. Diese Kuh gab also reichlich Milch, zahlt doch die Aramco an das Königreich Saudi- Arabien jährlich 150 Millionen Dollar Tantiemen. Aber der Zauberstab Mossa- decqus, der die iranischen Ölquellen und deren Abgaben so rasch und erfolgreich zum Versiegen brachte, soll jetzt auch am Südufer des Persischen Golfes Anwendung finden. So hat König Ibn Saud der Aramco ein neues Förderungsprogramm vorgelegt, das einer Zusammenfassung kaum erfüllbarer und einer Nationalisierung nahekommende Punkte enthält. Unbeschadet dessen, daß der gegenwärtige Vertrag, im Jahre 1950 erst abgeschlossen, auf 50 Jahre läuft… Vergessen ist, daß ohne die technische Höchstleistung der ausländischen Ingenieure, ohne den Kapitaleinsatz von 750 Millionen Dollar das öl noch weitere Jahrtausende in der Erde geschlummert hätte. Sind für diese unerwartete Wendung nationale Ambitionen maßgebend? Nein — um es vorsichtig auszudrücken —, rein kommerzielle. Denn wenn die Aramco nicht zustimmt, sollen die entzogenen Konzessionen an andere Ölgesellschaften vergeben werden.

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