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Randbemerkungen zur woche

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DER küCKTRITT ING. F1GLS als designierter Bundeskanzler, die Uebernahme seiner Mission durch den Präsidenten des Wirt-schaitsbundes Nationalrat Raab bahnt eine neue Lage an. Kürzlich skizzierte Präsident Raab andeutungsweise einen Plan, aus dem man schließen könnte, daß eine Minderheitsregierung im Kommen sei, die, aul dem Block der Volkspartei beruhend, von Fall zu Fall die Entscheidung im ollenen Hause sucht, in Abstimmungen, die nicht von einem allgemeinen Abkommen, sondern von der jeweiligen Stellungnahme der einzelnen Parteien bestimmt würden. Es wäre gewiß zu begrüßen, wenn künltig die Automatik der Gesetzesbeschlüsse aus den Kammern und Parteisekretariaten herausgehoben und tatsächlich in der Gesetzesberatung der öllentliche Austausch der Argumente der Kontrolle der Bevölkerung unterstellt würde. Einlach ist die Sache nicht. Vor allem ist es ein labiles System, das von solchen wechselnden Bedingungen abhängt. Oesterreich erlebte derlei 1920 unter der Regierung Mayr, deren kurze Dauer durch eine gesetzliche Schranke begrenzt war. Man möchte nicht wünschen, daß aus einer solchen Konstruktion iür die Volks-partei Abhängigkeiten erwachsen, die belastender sind als eine Koalition, weil sie von Fall zu Fall das System von politischen Handelsgeschälten abhängig machen. Welche Folgen daraus entstehen, hat das österreichische Volk schon einmal erlebt. Raab ist ein viel zu kluger Kopl, um sich aul solche Wagnisse einzulassen. Deshalb ist noch immer jene Lösung die naheliegendste, die auch Raabs Vorgänger Iür die richtige gehalten hat, das Arbeitsabkommen der beiden großen Parteien. Wenn jetzt Bundeskanzler Figl nach einer in der österreichischen Republik noch niemals von einer Regierung erreichten Amtsdauer den Platz am Steuer verließ, so folgt diesem redlichen Mann der reinen Absichten und der reinen Hände für seinen Dienst an Volk und Staat der Dank aller aufrechten Oesterreicher, ein uneingeschränkter, aus den Herzen quellender Dank. — Die Volkspartei ehrt ihn, indem sie nur ihren stärksten und besten Mann der Nachfolgerschalt für würdig gehalten hat.

IN DAS HOHE HAUS AM PARLAMENTSRING sind die gewählten Abgeordneten ieierlich eingezogen, Klub für Klub, zum Teil mit den traditionellen Blumen unserer Innenpolitik im Knopfloch. Mancher ist nicht mehr unter ihnen, der im Herbst das Haus der Gesetzgebung guten Mutes und in der Hoft-nung auf ein Wiedersehen im Frühjahr verlassen hat... Dafür eine stattliche Anzahl neuer Männer, jüngerer Gesichter. Stark bevölkern sich, wie bisher, die Sektoren der beiden großen Mittelparteien, aul dem rechten Flügel fällt der Verlust der zwei Mandate nicht sonderlich auf, ist doch die Zahl der Abgeordneten der WdU jetzt genau so groß, wie zu Ende der vergangenen Parlamentsession, als ihrem Rahmen bereits zwei „wilde“ Abgeordnete entsprungen waren. Allerdings bemerkt man jetzt hier den einen oder den anderen (vor allem den einen) neuen Mann, den man lieber auf einen Platz im Zentrum hätte einziehen gesehen. Nichts Neues ist von der extremen Linken zu berichten. Hier hat die parlamentarische Vierer-Mannschalt der KP in alter Frische, nach Verlust ihrer kurzlebigen Verstärkung durch den SP-Dissidenlen Scharf, ihre Stammplätze bezogen. Ein Glockenschlag ... er ruft zum Gedenken und neuem Beginnen, denn dem Gedächtnis des Mannes, der eigentlich dieser Sitzung präsidieren sollte — Leopold Kunschak — sowie der Neuwahl des Präsidiums war die Tagesordnung gewidmet. Uebrigens: gerade die Wahl des dritten Präsidenten des Hohen Hauses war nicht ohne Lehren. Sie zeigte durch ihr Ergebnis — die Stimmen seiner Fraktionskollegen —, daß jene wohl im Recht sein müssen, die davor warnen, in der „Wahlpartei der Unabhängigen“ eine genau berechenbare Größe, einen sicheren Posten in einer politischen Rechnung zu erblicken. Anderseits verstärken sich durch solche und andere Ouvertüren die Anzeichen, daß der österreichische Parlamentarismus in den nächsten Monaten aus seinem Starrkrampf erwachen, daß die Tätigkeit der Abgeordneten mehr sein wird als nach einem sarkastischen Wort eine „rein gymnastische“.

DER BONNER BUNDESTAG hat den Generalvertrag ratifiziert und in dritter Lesung den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft angenommen. Die Deutsche Bundesrepublik hat damit eindeutig und entschieden für den Westen optiert und ihr politisches, wirtschaftliches, militärisches und kulturelles Schicksal an die Macht des Westens gebunden. Das war es ja, was vielen Deutschen die Entscheidung so schwer machte: der Generalvertrag, der Deutschland den Frieden und eine weitgehende politische Souveränität zusichert, erwies sich taktisch als gekoppelt mit dem EVG-Vertrag. durch den sich die Bundesrepublik zunächst verpflichtet, 500.000 Mann zur Verteidigung des Westens zu stellen, darüber hinaus aber praktisch und vertragsmäßig das ganze Land mit all seinen Mitteln, Leib und Leben aller Deutschen in Westdeutschland zur Vertagung zu stellen für die weltpolitische Konzeption der Westunion-Selbst der Bundeskanzler konnte in seiner großen leidenschaltlichen Rede, in der er ein letztes Mal vor den historischen Abstimmungen an den Bundestag appellierte, nur versichern, daß es in den Plänen der NATO liege, ,,d i e Verteidigung so weit wie möglich im Osten auizunehmen“, sobald die Verteidigungsgemeinschaft Wirklichkeit geworden sei. Die Ratifizierung der Verträge, mit den Stimmen der lange uneinigen Koalitionsparteien, gegen jene der Sozialdemokraten, des Zentrums und der Kommunisten, muß als ein ganz großer entscheidender Erfolg der unermüdlichen Energie des Kanzlers Dr. Adenauer angesehen werden. Ais erster Staat der sechs Vertragsstaaten hat der am meisten gefährdete und zu allernächst betroffene, Deutschland, die EVG ratifiziert. Der weltgeschichtliche Moment war der günstigste, der seit Kriegsende sichtbar geworden war: soeben hatte der neue amerikanische Präsident vor den Augen der ganzen Welt durch seinen Außenminister Deutschland seine Sympathie und Unterstützung bekundet, der Weltkommunismus steht ohne sichtbaren Führer da, nach dem Tode Stalins, seine bedeutendste mythische Erscheinung, Maotsetung, weilt sehr lern, seine aktivste Potenz in nächster Nähe, Gottwald, ist soeben verschieden. Der einstige Kronprinz des Weltkommunismus in Europa, Marschall Tito, weilte im Augenblick der Unterzeichnung in England, um mit Churchill die Sicherung der gefährdeten Südostllanke Europas zu besprechen. Selbst das kleine Dänemark zeigte in diesem Moment Beweise beachtlichen Mutes, als es trotz massiver Drohungen „Polens“ die sofortige Auslieferung des ersten in die Hände des Westens gefallenen sowjetischen Düsenjägers MJ 15 verweigerte. Zur selben Stunde wurde dem Oberbürgermeister Berlins Dr. Reuter in Amerika ein triumphaler Empfang bereitet, und einiges mehr: das Volk der USA erklärte sich in demonstrativer Weise bereit, für Berlin einzustehen. Das ist mehr als „Danzig“ 1939. — An optisch günstigen Momenten fehlte es also in der Stunde der Entscheidung gewiß nicht. Das Risiko bleibt dennoch gigantisch. Deutschland hat alles zur Verfügung gestellt, was es zu geben hat. Bleibt zu hoffen: daß die übrigen EVG-Staaten ratifizieren — Frankreich bereitet die größten Schwierigkeiten — und daß der gesamte Westen mit hoher Umsicht und äußerster Vorsicht das große Vermögen verwaltet, das ihm hier eingebracht wird: das Kapital, das Potential, das Vertrauen des deutschen Volkes.

DER BALKANPAKT, in dem Griechenland, die Türkei und Jugoslawien ihren Entschluß bekanntgeben, ihre Freiheit gemeinsam zu verteidigen und alle Fragen ihrer Sicherheit gemeinsam zu behandeln, ist unterfertigt worden. Der Balkan, traditioneller Herd der Zwietracht und des Völkerhaders, ist damit zu einer er treulichen politischen Stabilisierung gelangt, nachdem das Projekt einer jugoslawischbulgarischen Union von Moskau vereitelt worden war. Der neue Verteidigungspakt umfaßt zwei antikommunistische und ein kommunistisches Land, geeint in der Abwehr der alle drei bedrohenden politischen und militärischen' Expansion Moskaus. Uralte Fehden werden damit zu Grabe getragen, die Schlachten, in denen sich Serben, Griechen und Türken, wechselweise geeint oder allein gegenüberstanden, gehören der Geschichte an. Realität und Gegenwart haben über Mythos und Vergangenheit die Oberhand behalten. Der Pakt sieht eine Zusammenarbeit der Außenminister, der Generalstäbe, der wirschaftlichen, kulturellen und technischen Organisationen vor. Er ist die Grundlage einer wirklichen Allianz, deren Verwirklichung ins Auge gefaßt wurde. Die Hindernisse, die sich noch der restlosen Ausschöpfung aller Möglichkeiten entgegenstellen, sind bekannt: Griechenland und die Türkei sind Mitglieder der Nordallantikpakt-Organl-sation, der Jugoslawien nicht angehört und in die es auch nicht ohne weiteres aufgenommen werden kann. Am ernstesten sind die italienischen Einwände. Während sich das italienisch-griechische Verhältnis nach den schweren Belastungen, denen es der Faschismus ausgesetzt hatte, normalisiert hat, ist der Streit um Triest eine italienische Herzensangelegenheit. In ihm liegt auch die Ursache, daß der neue Pakt nicht der letzte Schritt zur Errichtung eines Balkanverteidigungssystems ist, sondern nur der erste. Vielleicht werden die italienischen Wahlen eine innenpolitische Plattform und eine Atmosphäre schaffen, die eine Bereinigung der Triester Frage gestattet. Jedenfalls ist in Hinkunft Jugoslawiens Stellung wesentlich gefestigt. Es ist zum ersten Male in ein westliches Verteidigungssystem ausdrücklich einbezogen worden. Je größer aber das Risiko eines Angriffes, um so sicherer ist die Bewahrung des Friedens, des Friedens in Südosteuropa.

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