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Randbemerkungen zur wochb

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NUN IST ER ALSO AUSGEBROCHEN: der wohlvorbereitete und nur wegen der Weihnachtszeit unterdrückte Wahlkamp f. Wie immer waren die „Kleinen“ vorwitzig. Die mit dem Namen eines „wilden“ Abgeordneten verbündete Gruppe engagierte Götz von Berliehingen auf der Plakatwand und die in der Zeit der Masken in die sogenannte Volksopposition verwandelte KP benützte die Not der alten Rentner zu einem Appell an das menschliche Mitgefühl. Auch tauchten da und dort in den Bundesländern zur großen Freude von Hausbesitzern wie Hausbesorgern weißgekalkte E's auf — die Visitenkarte der „Wahlpartei der Unabhängigen“, die hiermit ihre Wahlparolen der Einigkeit und Erneuerung ins Gedächtnis rufen will. In Wien begnügte sie sich inzwischen mit den altbewährten sogenannten Pickerln. Geschäftsleute haben stets eine Riesenfreude, solche an ihren Auslagenscheiben kleben zu sehen. Ob diese noch größer ist, wenn sie grünes mit dem Erneuerungs-E geschmücktes Eichenlaub ziert...? Ansonsten war alles (leidlich) still, ganz mäuschenstill — bis am 7. Jänner der Startschuß krachte. In der Bundeshauptstadt präsentieren sich seit diesem Tage an belebten Verkehrsknotenpunkten wieder die italienischen Wahlkämpfen abgeschauten Türme und Mammutplakate. Auf ihnen wirbt die Volkspartei. Schutz gegen Inflation ist die Parole. Auch ein neues Tier wird vorgestellt: Die „Rote Spinne“, Symbol eines weitausholenden Sozialisierungsdranges des Gegners. Vor ihr wie vor dem Zugriff der an allen Litfaßsäulen auftauchenden „Roten Hand“ verspricht die erste Regierungspartei ihre Wähler zu schützen. Die zweite Regierungspartei war in der ersten Runde auch auf den Plakatwänden Zweiter, dafür wartete sie zuerst mit einem ausgefeilten Wahlprogramm auf, versucht durch ein Gegen-Tier, genannt „Schwarze Spinne“, Schreck einzujagen. Außerdem hält sie eine runde Anzahl von Werbefilmen als Pfeile in ihrem Köcher ... Der Anfang wäre gemacht, die Kugel rollt: allein die Einsätze sind noch lange nicht gesperrt..»

ANLASSUCH DER FERTIGSTELLUNG DER AUSSENFASSADE DER WIENER STAATSOPER legte das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau der Oeffentlichkeit Rechenschaft über seine Bautätigkeit und damit über die Verwendung öffentlicher Mittel im abgelaufenen Jahre. Das ist ein demokratischer Gedanke, und er sollte in regelmäßigen Abständen in die Tat umgesetzt werden — was auch vom Bundesministerium geplant sein dürfte. Im vergangenen fahre wurden, wie man dem Bericht entnehmen konnte, das Aeußere und die Freitreppe der Albertina, das Palmenhaus in Schönbrunn, das Untere Belvedere, das nun das Barock' museum aufnehmen kann, und das Regierungs-gebäude am Stubenring fertiggestellt und die Arbeilen am Parlament bis auf die Wiederherstellung des Herrenhaustrakies abgeschlossen. Bei dieser Gelegenheit wurden auch zum ersten Male genaue Zahlen über die Kosten der Wiedererrichtung der Staatsoper und des Burgtheaters bekanntgegeben: Darnach wurden für die Staatsoper bisher 90,3 Millionen Schilling aufgewendet; die weiteren Kosten werden 125 Millionen Schilling betragen. Das Burgtheater verschlang bisher „nur“ 15,7 Millionen; mit Aufwendungen von noch mindestens 55 Millionen Schilling ist zu rechnen ... Dafür ist aber hier noch nicht einmal die Außenfassade fertig geworden. Wie lange es noch dauern wird, bis der Spielbetrieb in beiden Häusern wieder beginnen kann? Wir haben schon viele Daten gehört und glauben nicht mehr recht an sie... Aber man kann es sich ja leicht ausrechnen: Wenn das Budget jährlich etwa 40 Millionen Schilling für den Wiederaufbau der Bundestheater ansetzt, wird es noch gut drei, vier Jahre dauern. Ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre — wie dies anderswo geschehen ist —-, zuerst Zuschauerraum und Bühne zu restaurieren, die Aufführungen beginnen zu lassen und mit den Fassaden zuzuwarten?

DIE BOTSCHAFT PRÄSIDENT TRUMANS, mit der er sich nach achtjähriger Amtszeit vom Kongreß und der Weltöffentlichkeit als Träger der Verantwortung der stärksten Macht der Erde verabschiedete, ist ein Zeitdokument. Hier spricht die Verantwortung nicht nur für das eigene Volk, sondern für die Menschheit. Truman beschwört zunächst das amerikanische Volk, sich nicht dem „zersetzenden Prozeß der Angst“, der in den USA begonnen habe, weiter hinzugeben, weil dadurch die Gefahr nur größer wird; eine Kurzschlußpanik kann zu einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod führen. Die freie Welt darf sich nicht in diesen Engpaß hineinmanöverieren lassen — das ist es eben, worauf alle ihre Gegner warten: daß sie den Atem verliert, zuerst kurzatmige, einseitige und überhitzte Reflexe von sich gibt, denen nur zu bald kurzatmige Entschlüsse und dann katastrophale Taten folgen müssen, wenn eben diesem Mechanismus nachgegeben wird. Stark, wach und gelassen soll sich die freie Welt ihren Lebensfragen stellen. Truman beschwört also als zweites Gegenüber seine Nachfolger in der Mitverantwortung für das Schicksal dieser Welt, sich nicht zu gefährlichen Veränderungen hinreißen zu lassen, die das innere und äußere Gleichgewicht vieler Kräfte stören .müßten. Was er damit meint, geht aus anderen seiner Aeußerungen in den letzten Wochen hervor: Er befürchtet in der Innenpolitik Methoden, die nur allzusehr an die des bekämpften Totalitarismus erinnern — man denke etwa an die politische Ueber-prüfung der Universitäten, geistigen Arbeiter usw. —i und er fürchtet in der Außenpolitik zumal einen asiatischen Kurs, der durch das Bündnis mit den mehr als problematischen Tschiangkaischek-Truppen und den reaktionären Cliquen Koreas und Vorderasiens große Risken in sich birgt. In einer drittelt

Beschwörung stellt Truman fest: Lenin (und mit ihm so viele, vielleicht alle Rezeptverfasser, System schmiede und Propheten der letzten Vergangenheit) sah die Welt noch mit vor atomischen Augen. Seither ist etwas Grundlegendes ge' schehen. Der Krieg hat sich in seiner Form, seinem Umfang, seinem Wesen total verändert. Niemand kann heute die Folgen eines neuen Weltkrieges ab' sehen und niemand kann die Verantwortung für di» Katastrophe tragen, die sich aus der Anwendung immer neuer Vernichtungswaffen ergeben mußt Mögen sich doch die sowjetischen Führer abkehren von der Prophezeiung Lenins über die Unvermeid lichkeit eines Krieges zwischen den kapitalistischen und kommunistischen Ländern. Mögen sie die Welt mit nachatomischen Augen sehen lernen — der Augenblick, in dem dies Wirklichkeit wird, ist der Moment, in dem sich die freie Welt zu einer Ver ständigung finden wird, weil die sowjetischen Führer dann selbst Verständigung suchen werden. — Mit nachanatomischen Augen sehen — gestehen wir es doch: Wir selbst, auch hier in Oesterreich, haben es noch nicht erlernt. Sonst wären unsere Auseinander' Setzungen nicht so ungut, unsere Planungen und Arbeiten so kurzatmig, unsere politische und geistige Atmosphäre so eng und beklommen. Es kann sich also durchaus jeder ein Stück abschneiden von dieser Abschiedsbotschaft des scheidenden USA-Präsidenten, der Kleine und der Große. Für den Hausgebrauch wie für das internationale Geschäft. Mit nachatomi' sehen Augen sehen lernen: Gibt es einen treffenderen und trefflicheren Neujahrswunsch als diese Mahnung und Begrüßung in ein neues Zeitalter hinein?

DIE ERSETZUNG ROBERT SCHUMANS durch Bidault im französischen Außenministerium mag wie eine der üblichen französischen Veränderungen in der Regierung erscheinen, nach der die Männer gehen und kommen, die Politik jedoch im wesentlichen die gleiche Linie verfolgt. In diesem Fall jedoch bedeutet der Sturz Schumans — und man kann von einem solchen sprechen — den Versuch, eine klar umrissen» Außenpolitik mit einer anderen zu tauschen, obwohl letztere weder definiert noch überhaupt möglich er» scheint. Persönliche Intrigen, die Abneigung weiter Rechtskreise, eine Aufrüstung Deutschlands zuzulassen und die Abgabe der französischen Souveränität über die eigenen Truppen, vorgesehen in den BVG-Verträgen, haben damit das französische Parlament und viele Parteien bewogen, das Schumansche Konzept einer Integration Europas mit immer größeren Reserven zu betrachten. Nicht zuletzt mußte das MRP diesen Preis zahlen, um eine von Bidault schon lange angestrebte Regruppierung der Parteien um die Ideale der Resistance zu erlangen. Mit Schuman verläßt ein Mann die internationale Szene, der mehr als jeder andere die Beziehungen der europäischen Völker nach dem Kriege beeinflußt und gestaltet hat. An Stelle des Hasses und der Revanche, der zerfleischenden Kämpfe zwischen Frankreich und Deutschland wollte er eine Union dieser beiden Nationen setzen und beschritt damit jene konstruktive Bahn, die Briand einstmals ersehnte,' aber niemals erreichen konnte. Mit seinem Namen wird für immer die Schaffung der europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft verbun? den bleiben. Aber auch der Europarat wäre ohne ihn niemals in Funktion getreten. Fern aller Demagogie und dem Lärm der Massenversammlungen war Schuman niemals ein Meister der politischen Intrige, er war viel eher ein nüchterner Arbeiter, überzeugt von der Notwendigkeit einer Einigung Europas. Sein Bild schwankt sicherlich nicht in der Geschichte, sondern hat bereits jetzt einen fest um-rissenen Platz gefunden. Als Lothringer, der fließend Deutsch sprach, begriff er in ausgezeichneter Weise die Psychologie des deutschen Nachbarn. Als Katholik mögen in ihm letzte Erinnerungen an die unverlier-' bare Reinheit und Größe des übernationalen westlichen Reiches lebendig geworden sein. Seine Ueberzeugung, daß ohne Europa die Welt einer der kostbarsten Güter entbehren müßte und daß der Ausgleich der Weltgegensätze ohne Europa als handelnder Partner niemals erfolgen kann, beweist die zukunftsweisende Linie seiner Politik und wird ihr eine ständige Bestätigung und Rechtfertigung geben. Die als sicher anzunehmende Unterredung Bidault-Adenauer wird schließlich beweisen, ob Schumans Ideen, wenn auch in geänderter Form, als Grundlage der europäischen Politik weiter anzusehen sind — oder ob die Politik der reinen Nationalstaaten die nähere Zukunft beschweren wird.

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