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Tradition uberflussig?

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Die Entwürfe des Wettbewerbes für die Neugestaltung des Karlsplatzes und Stephansplatzes waren ausgestellt und Wien hatte Gelegenheit zu begutachten, wie unsere Baukünstler diese Plätze für die Zukunft erstehen lassen wollen. Die Bevölkerung bekundete für die zahlreichen Projekte ein lebhaftes Interesse, geht es doch um die zwei Standorte jener Kirchen, welche“ den Begriff Wien repräsentieren und dem Wiener besonders ans Herz gewachsen sind. Die zünftige Kritik beschäftigte sich mit dem Wettbewerb, sie erörterte verschiedene künstlerische und städtebauliche prinzipielle Fragen und ent-' wickelte interessante Ansichten. Es muß als ein Zeichen des ernsten und unerfreuüdien Zeitgeschehens sowie des Druckes der die Menschen zermürbenden Lebenssorgen gelten, daß sich die Laienkritik kaum zu Worte meldete. Sicherlich mit Unrecht, denn sie hätte wohl manches gesunde Urteil gebracht. Ein Teil der Projekte mußte dem guten Wiener, der seine Stadt liebt und sich ihr Bild gerade in dem traurigen Jammer der Verwüstung und der Ruinen sorgsam behütet und mit diesem lebt, in Angst versetzen, wenn er die Veränderungen gewahrte, welche unsere Architekten in ihren Projekten sehen ließen.

Die Angst des guten Wieners ist nicht unbegründet. Der Gedanke drängt sich auf, es hänge die Lösung des gestellten Problems davon ab, daß man sich über die Frage klar wird, für welches Prinzip sich die maßgebenden Faktoren bei dem Wiederaufbau entschieden. Soll die Neuschaffung von Stephansplatz und Kar'splatz diese kostbaren Stücke des alten Wiener Gewohnheitsbildes weiterbewahren oder soll dort modernster Großstadttypus entstehen? Man fühlt sich dabei zu dem Bekenntnis gedrängt: gibt es denn überhaupt einen Zweifel darüber, daß Stephansplatz und Karlsplatz auch in Zukunft wieder Wien repräsentieren sollen? Bejaht man das, dann kann die Lösung des Problems wohl nicht so schwierig sein und Komplikationen bedrängen uns erst, wenn man das Alte fallen lassen will und Modernes anstrebt.p

Soll das Letztere geschehen, dann verzichtet der seine Stadt liebende Wiener auf das Wort und harrt bestürzt der drohenden Neuordnung. Soll aber das alte Wien in seinen Wahrzeichen, soweit es erreichbar, wieder lebendig und weltbekannte Begriffe abermals wirksam werden, so wird dieser Entschluß mit kleineren Veränderungen zu erzielen sein als jede andere Neugestaltung. Will man den Reiz des berühmten Blickes vom Graben gegen den Stephansturm noch steigern, beseitige man das Cook-Haus, wie bereits früher die Absicht bestand, ziehe, falls man unbedingt darauf bekarrt, das die Ecke bildende Teppichhaus Haas etwas zurück und lasse den übrigen Teil des Platzes, also die dem Domportal gegenüberliegende Wand mit möglichst entsprechenden, vorteilhaften Fassaden die alten Geschäftshäuser bleiben, wie sie sdion seit Jahrhunderten vorhanden sind, ohne daß man einen falschen Zauber verklungener Zeitepochen mit allerlei Lauben und Bogen erwecken oder ein amerikanisches Stadtzentrum mit vollkommen unverständlichen Säulenkolona-den und Hochhäuserblöcken mit Glasfassaden aufrichten will. Der Stephansplatz als Verkehrsknotenpunkt ist durch den Schnitt der wichtigsten, die Stadt in Nord-Süd- und Ost-West-Riditung durchziehenden Verkehrsstraßen bestimmt und wird zweifellos den künftigen Verkehr so bewältigen wie einst, ohne daß ein Umbau für eine stark gesteigerte Verkehrsintensität staatzufinden hätte. Warum soll die Zukunft dem Stephansplatz im kleinen Österreich einen Verkehr von amerikanischen Dimensionen bringen? Wir dürfen nicht zu viel planen und müssen uns an klare, dem logischen Denkensich offenbarende Gegebenheiten halten. Zu ähnlichen Gedanken drängt der Karlsplatz. Die Karlskirche, ursprüngüdi außerhalb der Stadt gebaut, ist mehr durch eine Naturverbundenheit charakterisiert und durch ihre heute sicher nidit repräsentativen Gartenanlajen betont. Auch hier müßte die Rücksidu auf das Denkmal vorwalten, das seine schöne Wirkung über die Anlagen hinweg zeigt. Warum soll es nicht genügen, das heute nichtssagende, störende Haus östlich der Kirche zu beseitigen, an dieser Seite einen der Symmetrie tunlichst Rechnung tragenden Gebäudekomplex — die Erreichung voller Symmetrie bleibt vergeblicher Traum — zu stellen und vielleicht noch einen sinnvollen Abschluß des Platzes gegen die Wiedner Hauptstraße zu schaffen, sonst aber das Augenmerk nur auf die schöne Gartenanlage zu richten? Der prächtige Blick auf die Kirche von der Kärntnerstraßenecke wäre zu erhalten und erfordert keine Verlängerung der Blickachse durch die Demolierung von Häuserblöcken der Ringstraße. Unbedingt jedoch ist eine Verbauung und Einengung des Platzes durch Hochhäuser oder Hallen auf eine kleine kreisrunde oder elliptische Form zu verurteilen, die das Verschwinden eines alten Wiener Bildes zur Folge hätte.

Die Lage unseres' kleinen Österreich ist heute von einer ernsten Eindeutigkeit. Das befreite Land kämpft seit seiner Befreiung bei dem Wiederaufbau mit den härtesten Widerständen und Hindernissen, deren Beseitigung für seinen Fortbestand unerläßliche Voraussetzung bedeutet/Oberstes Gebot bleibt es, auf allen Gebieten bei unseren Arbeiten das Optimum anzustreben. Es wäre unverantwortlich und sträflicher Luxus, von diesem Postulat Schlag Worten zuliebe abzugehen; es beinhaltet auch das Festhalten an dem Prinzip, nur stets die vorteilhaftesten, dem geringsten Widerstand begegnenden und auch finanziell günstigsten Vorkehrungen zu treffen.

Einem solchen Gebot muß man noch bereitwilliger folgen, wenn es die Erhaltung einer Tradition verbürgt, die zu hüten Erfolg verspricht. Niemand dürfte wohl so unklug sein, unter Wahrung der Tradition ein widersinniges Hängen an Verzopftem und Unbrauchbarem, eine Abwehr, gesunden Fortschrittes zu verstehen. Fällt diese Gefahr weg, dann gibt es nur einen Gedankengang. Wir sind nun einmal der Überrest eines zerschlagenen großen Ganzen, einer Gegebenheit, die jahrhundertelange Entwicklung in einer auf allen Gebieten glanzvollen Vergangenheit aufgebaut hat. Und Wien, der sichtbare, lebendige Repräsentant des ehemals mächtigen Reiches, ist für uns heute ein Produkt ehrwürdiger, stolzer Überlieferung. Es hätte im kleinen Österreich nie eine der wichtigsten Großstädte Europas werden können, wäre lie das Wien von einst geworden. Bei der Unzulänglichkeit der für unseren Wiederauf-au verfügbaren Mittel müssen noch Jahre vergehen, bis Wien wieder seinem alten, in ler Welt bekannten Bild gleichen kann, bis :s ein neuer Anziehungspunkt für den Schönheitssucher, Wissenschaftler und den reisefrohen Fremden wird. Das alte Erbgut bedeutet uns produktives Kapital, das durch zweckmäßige Verwendung Wohlstand bilden und zu einem eminenten Wirtschaftsfaktor für Österreich werden soll. Die Fortsetzung der Tradition 'gehört auch zu den bedeutsamsten Forderungen wirtschaftlichen Denkens, das uns gegenwärtig bei den Planungen und Vorbereitungen für die Zukunft not tut. Das Weiterwirken der stolzen österreichischen künstlerischen und wissenschaftlichen Tradition sowie der überlieferten Solidität und des Geschmacks österreichischer Erzeugnisse stellen einen Teil des zur Neuanschaffung unserer Wirtschaft und unserer Lebensfähigkeit notwendigen Betriebskapitals dar.

Darum verlangt fürsorgliches Denken für Österreichs Zukunft das Vermeiden kostspieliger Experimente, ob es sich um die Neugestaltung von Stephansplatz.und Karlsplatz oder um das Wiedererstehen anderer beschädigter Wahrzeichen Wiens handelt. Überall muß die möglichste Wahrung kultureller und künstlerischer Tradition den Leitgedanken bilden. Leider macht sich oft das Verlangen nach dem Gegenteil geltend. Die musikalische Weltbedeutung Wiens und der Wiener Oper als geheiligter Mittelpunkt dieses Kunstgebietes steht unwidersprochen fest. Der aus der Zerstörung des Opernhauses für Wien erwachsene Schaden ist in künstlerischer und materieller Hinsicht ungeheuer, und unser aller Wunsch vereinigt sich darin, daß sie ihren künstlerischen Glanz möglichst bald wieder ausstrahlen kann. Zur Wiener Oper gehört nicht nur das Haus und die ausübenden Künstler, der Weltbegriff Wiener Oper umfaßt darüber hinaus auch die Atmosphäre einer besonderen Weihe, einer Andacht, die schon die Anwesenheit im Hause und die Erwartung des Genusses zu einem Ereignis macht. Die Metropolitan Opera in New York gilt gewiß als Institut von Weltruf. Der Reichtum Amerikas kann sich ein Zusammenwirken von durchweg erstklassigen Musikern, Sängern und sonstigen Funktionären erlauben und Musik sowie Gesang müssen sicherlich nicht schlechter sein als bei uns. Und doch klagte eine kunstverständige Frau, die aus Wien nach New York kam, nach ihrem Besuch im dortigen Opernhaus, wie weihelos der Zuschauerraum auf den Besucher einwirkt und wie lahmend sich die Nüchternheit des zur Befriedigung eines Massenbedarfes dienenden Zuschauerraumes auf den kunstbegeisterten Zuschauer auswirkt, so daß man aller guten Darbietungen zu Trotz während des Abends mit Sehnsucht an die Wiener Oper denken muß. So die Stimme aus der Fremde. Dagegen hörten wir vor nicht langer Zeit zu diesem Thema bei uns einen anderen Ton. Für den Wiederaufbau des Opern-Zuschauerraumes wurde eine klare Absage in das Vergangene und Zerstörte gefordert, denn es gelte, die angebliche Vorherrschaft gewisser Gesellschaftsklassen zu brechen und der alten Form im Interesse des Volkes entgegenzutreten. Lassen wir uns nicht zu übereilten Schritten verleiten. Denken wir doch zuerst an die Wiedererweckung der Einzigartigkeit eines Wiener Opernabendes, belassen wir nach Möglichkeit die bekannte, gute Akkustik des Opernhauses, damit diejenigen, die den musikalischen Genuß einiger Stunden ersehnen, einen solchen erleben, indem sie das Bewußtsein haben, in der Wiener Oper zu sein und nicht in einem typisierten Theater einer Großstadt. Die vierte Galerie war in der Vergangenheit kein Raum für eine mindere Gesellschaftsschicht, sondern der Sammelplatz der Musikverständigen aller Klas-s e.n, die nicht vielleicht Weltanschauungen trennten, sondern welche Musikbegeisterung einigte. So sollte es auch weiterhin sein. Das Wiener Publikum dürfte wohl in der Zukunft keine derartige Umschichtung erfahren, daß das Innere des Opernhauses grundlegend umgebaut werden müßte. Auch in der Zukunft wird die Oper vor allem Kunstbegeisterte aufnehmen, politische Leitsätze sind nicht genug zugkräftig, um Unmusikalische für einen mehrstündigen Opernabend zu fesseln, und das unvermeidliche Häuflein einiger Blasierter tritt zu allen Zeiten in Erscheinung. Der wichtigste Grundsatz bleibt immer nur, die Preise der Plätze in einer Höhe zu halten, daß der Besuch der Wiener Oper nicht zu den unerschwing-t liehen Kostbarkeiten Wiens gehöre, wie es leider heute der Fall ist.

Die gleichen Gedankengänge gelten für alle übrigen Gebiete, wo es gilt die Tradition zu bewahren. Nicht nur Böses setzt sich stets weiter fort, auch Gutes, richtig verwendet, schafft immer wieder Gutes und hat bei uns die Aufgabe, Werte ertragreich zu erhalten. Darum Hände weg von dem Überbordwerfen des Überlieferten und von der gewaltsamen Unterdrückung aller Erinnerungen an frühere Zeit, weil vielleicht weltanschauliche Gegensätze zur Vergangenheit klaffen, die eine Gefahr für die Gegenwart zu sein scheinen. Österreich durchbbte schon so harte Zeiten, um daraus genügend Erfahrungen zu sammeln, wie man es schlecht gemacht hat und welche Fehler vermieden werden müssen. Die Folgen einstiger Irrtümer müßten wir heute alle mit allzu hohen Zinsen bezahlen. Erinnern wir uns wieder einmal des schönen Segensspruches eines guten Österreichers, der für die Gegenwart lebendigste Geltung besitzt:

„Andre Zeiten, andre Ziele! Andre Ziele,

andres Mühn! Dennoch kann aus dem Vergangnen ewig

nur die Zukunft blühn. Darum Wien, du neues, großes, laß bei

allem deinem Tun Nur getrost die tiefsten Wurzeln in dem

alten Grunde ruhn.“

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