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Platz oder Stadtlandschaft?

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Der Städtebau steht dem ins Ungemessene angewachsenen Verkehr vielfach noch hilflos gegenüber. Man nimmt das Ungeheuer Verkehr als etwas Schicksalhaftes hin, dem man schlechterdings nicht beikommen kann. Dabei muß der Verkehr nicht durchaus die Wege gehen, die er will, wir können ihm auch die Wege weisen, die wir für richtig halten. Es ist gar nicht einzusehen, warum wohl die Eisenbahnen bestenfalls in mehr oder minder weit von der Stadtmitte entfernten Kopfbahnhöfen enden, im übrigen aber oder überhaupt in Ringlinien um die Stadt herumgeleitet werden, man kann auch nicht verstehen, daß der Kraftwagenverkehr selbst kleine Orte, Gott sei Dank.', umfährt — warum er aber bis in das Herz einer Riesenstadt wie Wien hereingesaugt werden soll. Das will man aber, wie die mir zur Einsicht übergebenen Berichte der Herren Professoren Hölzmeister und Rainer zur Sitzung der Wiener Verkehrskommission vom 6. November 1957 und ein zugehöriger Lageplan des Karlsplatzes und seiner nächsten Umgebung erweisen.

*

Wir halten alle Planungen des Karlsplatzes für verfrüht, solange der Verkehrsplan nicht festliegt. Insofern gebührt diesem der Primat, der Vorzug, als ohne ihn eine sinnvolle Planung gar nicht möglich ist. Selbstverständlich wird sich die Verkehrsplanung den Gegebenheiten zu fügen haben, also im besonderen geziemende Rücksicht auf das Stadtbild und auf geschichtlich-künstlerisch wertvolle Bauten nehmen müssen, selbst auf Kosten seiner Ansprüche. Dem Höheren wird er weichen müssen.

Immer noch ist man sich nicht darüber einig, wo die Autobahn in Wien einmünden soll! Von dieser Frage hängt aber die Form des Wiener Verkehrsnetzes ab. Es liegt auf der Hand, daß die Einfallstraße von Westen jetzt 3ie wichtigste ist und auf lange Zeit bleiben wird. Wo immer aber der Enduunkt der Autobahn sein wird, ob, wofür alle Vorarbeiten und viele Hochbauten

sprechen, im Süden, oder im Westen, auf jeden Fall wird es ein unerläßliches Gebot sein, den Verkehr nicht in die Stadtmitte oder deren Nähe hereinzusaugen, sondern tunlichst rasch zu verteilen. Wenn kürzlich in einer Wiener Tageszeitung von einem Leser der vortreffliche Vorschlag gemacht wurde, die Innere Stadt für allen privaten Personenkraftverkehr zu sperren und die Einzelfahrer auf sehr wohlfeile Kleintaxi zu verweisen, so muß selbstverständlich um so mehr alles getan werden, um den Fernverkehr von der Stadtmitte und deren Nähe abzuweisen. Es würde sich daher empfehlen, dem Endpunkt der Autobahn nicht nur eine, sondern mindestens zwei Zubringerstraßen zuzuordnen. Immerhin kann heute schon gesagt werden, daß die Zubringerstraßen auf jeden Fall entweder da' Wiental oder die Triester Straße werden benützen müssen.

Daher kommt den an diesen Zubringerstraßen gelegenen Verteilerpunkten die größte Wichtigkeit zu, also dem Matzleinsdorfer Platz und dem Sechshauser Gürtel. Auf jenem Platz wird der Verkehr geteilt werden müssen:

Was nicht unbedingt in die Stadtmitte muß, das soll dorthin auch nicht kommen: was also den westlichen und nordwestlichen Stadtteilen zustrebt, wird über den westlichen Margareten- und den Neubaugürtel usw., was nach Süden und Osten möchte, über die Gudrunstraße und den östlichen Teil des Margaretengürtels, den Wiedner Gürtel usw. abfließen müssen. Und ebenso wird auf dem Sechshauser Gürtel der ganze Verkehr nach Westen und Nordwesten, nach Süden und Osten über den Gürtel gehen müssen, ohne das Wiental weiter zu verfolgen.

Dadurch würden die zur Stadtmitte führenden Zubringerwege bedeutend entlastet werden. Es würde sich dann erübrigen, woran man offensichtlich heute, zu so verfrühtem Zeitpunkt, denkt, die Autobahn, in der „Verdünnung“ der Zubringerstraße, über den Karlsplatz, den Schwarzenbergplatz und durch den Stadtpark zu lenken. Wohin? An den Donaukanal? Mit einem Worte, eine dem internationalen, ja transeuropäischen Verkehre dienende Straße durch die ganze Stadt in den, anatomisch gesprochen, Herzvorhof der Stadt zu ziehen!

Dieser Grundfehler darf unter gar keinen Umständen gemacht werden, denn er würde sich nicht nur für Karlsplatz und Karlskirche, sondern für die ganze Stadt aufs verhängnisvollste auswirken. Wir halten daher jede den Platz zerreißende Mittelstraße nicht nur für ganz überflüssig, sondern für höchst schädlich. Selbst aber wenn man sie heute, zu so verfrühtem Zeitpunkt, für unentbehrlich halten sollte, so müßte sie dem im Norden des Karlsplatzes ziehenden Verkehrsband hart angelagert werden, was allerdings ohne weiteres möglich wäre, zumal die Baumreihe an der Nordwand als ganz überflüssig fallen und dem Verkehrsraum weichen könnte.

Beide Herren, Professor Holzmeister und Professor Rainer, führen die Straßenbahn genau dort, wo wir sie uns vorgestellt haben, im Norden des Karlsplatzes und über den nördlichen

Ast des Getreidemarktes. Insofern wird also eine Hauptforderung: Freihaltung der Platzmitte in der Längsachse, durchaus erfüllt.

Die Herren haben sich die Arbeit geteilt, Holzmeister hat den östlichen, links der Wiedner Hauptstraße gelegenen „architektonischen“ Teil bearbeitet, Rainer den westlichen, den Verkehrsteil. Zunächst die Holzmeistersche Planung.

Ich wiederhole: Der Gedanke, vor die Kirche ein vertieftes, nur Fußgängern zugängliches Parterre zu legen, ist ein Königsgedanke. Gewiß, man hat schon vor Holzmeister gestaltete Grünflächen vor die Kirche legen wollen, das waren aber eben nur „Grünflächen“. Hier wird aber die Grundforderung aller Architektur erfüllt: es wird ein Raum gestaltet. Es hat auch niemand zuvor den Gedanken zu denken gewagt, die vor der Kirche nach Osten ziehende Technikerstraße ganz einfach aufzulassen und durch Grün und einen quergestellten Bau zu überdecken und das Gotteshaus nur vom Westen her dem Wagenverkehr zugänglich zu machen.

Es ist den Herren durchaus zuzustimmen,

wenn sie mit aller Entschiedenheit sich jedem nicht unvermeidlichen Tiefenverkehr widersetzen, also besonders der Führung einer Straßenbahnschleife quer über den Platz durch die Karlsgasse zur Gußhausstraße! Der Zug der Argentinierstraße mit seinem Wagenverkehr wird als notwendiges Uebel gerade noch in Kauf genommen und ihm eine mäßig breite Zweibahn zugebilligt werden müssen; die Unruhe des Straßenbahnverkehrs aber in dem dem Menschen gehörigen Teil des Platzes und der Leitungsständer „mastenreicher Wald“, in der Verkürzung noch dazu in der Hauptbliokrichtung, nachdrücklich abgelehnt. Dem ist durchaus beizupflichten.

Nicht so ganz möchten wir uns damit einverstanden erklären, daß links der Kirche ein ziemlich hohes, mindestens sechsgeschossiges, durch mächtige Breitfenster aufgerissenes Haus erbaut werden soll, das das Museum erheblich überragen würde. An Stelle des Fruhwirtschen Hauses, das, von anderer Seite, als Lagerstätte für das Museum in Anspruch genommen werden möchte: also ist dieses doch von Haus aus zu klein?! Wir halten nach wie vor daran fest, daß hier nicht mit Glas und Beton, sondern' mit Baum und Strauch gebaut werden sollte. Die Barockkünstler und nach ihnen Fürst Pückler

haben dies meisterhaft verstanden, also gehen wir bei ihnen in die Schule! Aber immerhin: Holzmeister stellt sein Haus nicht in die Flucht des Fruhwirtschen Hauses, sondern hinter die Querachse der Kuppel, hinter Baum und Strauch, es wird also zurücktreten. Freilich sollte der Bau geziemenden Abstand nehmen von der Kirche, jedenfalls so viel wie sein Gegenstück an der Argentinierstraße-Ecke Karlsgasse, um sie und besonders den linken Glockenturm atmen zu lassen, und er müßte ganz ruhige, großflächige und selbstverständlich weniger zahlreiche Geschosse erhalten, sonst ergeht es der Kirche wie der zweigeschossigen Oper gegenüber dem neungeschossigen Opernhof.

Das neue Museum ist ein städtebauliches Unglück (ohne daß hiermit, selbstverständlich, ein Wort über seine Erscheinungsform und seine Eignung gesagt werden möchte: das steht nicht zur Erörterung), auch und vor allem deshalb, weil es die prachtvolle Seitenansicht der Kirche vom Scnwarzenbergplatz aus größtenteils verdacht. Aber das schwerste Unrecht ist der Karlskirche

nicht durch die zum Teil recht fragwürdigen Bauten seit der Stadterweiterung angetan worden, auch nicht dadurch, daß alle, außer van der Null, sie bei der Stadterweiterung vergessen haben, sondern durch den an sich prachtvollen Bau des Polytechnikums. Der breite, tiefe Teppich, den Holzmeister ihr zu Füßen legen möchte, wird die Kirche aus der unziemlichen Umklammerung einigermaßen befreien.

Nun noch ein paar Worte zur Planung der anderen Seite des Karlsplatzes.

Gewiß, der Karlsplatz braucht einen Abschluß, und zwar eben dort, wo er vorgesehen wird, an der rechten Seite der vordersten Wiedner Hauptstraße. Dort wird, vom Cafe Pöchhacker bis zur Treitlstraße, ein gedeckter Bogengang führen müssen. Er wird folgende Aufgaben zu erfüllen haben.

1. reinliche klare Scheidung des „Architek-tur“platzes vom Verkehrsplatz;

2. tunlichste Unsichtbarmachung der Verkehrsmittel (Straßenbahnen, Kraftwagen) vom „Architektur“platz aus;

3. Aufnahme von Geschäften als Fortsetzung der Kärntner Straße.

Wie hoch dieser Bogengang sein müßte, das können nur sorgfältige Modellversuche erweisen. Kaum so hoch wie die mächtigen Kolonnaden Berninis in Rom oder die Verbindungsbauten am Salzburger Domplatz. Wir wollen ja auch von hier aus, von diesem „Verkehrsplatz“ aus, noch die Karlskirche sehen. Und dann sollten wir doch auch eines der ausgezeichneten Bauten des späten 19. Jahrhunderts gedenken, der Sezession. Der hervorragende Bau muß sich heute die Nachbarschaft des schrecklichen Dobnerhauses gefallen lassen. Es wäre höchste Zeit, ihn endlich zu Ehren zu bringen und ihm nicht alle Maße zu nehmen. Das geschieht weniger durch die Nachbarschaft des architektonisch gar nicht üblen Verkehrsbüros, das im Gegenteil durch seine Umpflanzung eine sehr anmutige Umgebung gebracht hat, so daß der Blick von der Gumpen-dorfer Straße über Sezession und Verkehrsgebäude auf St. Karl eine der reizvollsten Veduten des neuen $ien ist und uns in etwa die peinliche Nachbarschaft des Porrhauses vergessen macht — sondern eben durch dieses, und es würde erdrückt werden durch die 40 m hoben „Riegel“bauten. Nein, werden wir nicht nur der großen Kunst unseres Fischer gerecht, sondern s'ich derjenigen Meister Olbrichs! Unser Wunsch wäre, daß über den Verkehrsplatz die goldene Lorbeerkugel leuchte, wie wir sie noch in unseren Kindertagen haben glänzen sehen!

Der Wagenverkehr wird auf dem Verkehrsplatz sein Ende finden müssen, den Karlsplatz wird er gar nicht erreichen dürfen. Aber Raum werden wir ihm schaffen müssen!

Das böse, vor der „Demarkationslinie“ stehende Porrhaus wird uns Verlegenheit bereiten. Aber sein Dasein darf uns nicht hindern, die richtige großzügige Lösung zu suchen. Wir werden es irgendwie, durch Umpflanzung, unschädlich machen müssen. Im übrigen wird die Opern-„gasse“ folgerichtig ausgebaut werden müssen, nicht durch „Schlitz“bauten, sondern eben durch große Autosilos, deren wir nicht werden ent-raten können, und die unerläßlichen Bauten der Bundesbahn. An der „Demarkationslinie“ wird eine gestaltete Platzwand geschaffen werden müssen, um dem Verkehrsplatz Halt zu geben. Und wie werden wir ihn nennen? Wir schlagen vor: Freihausplatz oder Sezessionsplatz.

Wenn wir gefragt haben: Platz oder Stadtlandschaft? so geben wir die Antwort: zwei frei gestaltete Plätze und die durch sie gebildete Stadtlandschaft.

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