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Moderne Architektur und Wiener Tradition

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Die moderne Architektur Wiens besitzt zwei große Lehrmeister, die sie die großen einfachen Formen schon vor Jahrzehnten gelehrt haben, inmitten einer Welt, die sich noch mit altem unechtem Wust umgab: Adolf Loos und Otto Wagner. Sie predigten als Einsame in der Wüste, aber ihre Arbeit und ihr Vorbild waren nicht umsonst. Die Ideen, die sie verkündeten, sind vielen' Architekten der jungen Generation in die Herzen gedrungen; es ist anzunehmen, daß ihr Wirken jetzt, da ihre Gedanken Allgemeingut geworden sind, auf fruchtbaren Boden gefallen ist, auch wenn es ihnen selbst nur in bescheidenem Maße gegönnt war, in ihrer Stadt zu bauen. Trotz ihrer Radikalität in der Verkündung moderner Ideen der Baukunst und trotz der Revolutionierung, die ihre Gedanken damals bedeuteten, waren sie doch echte Söhne ihrer geistigen Heimat Wien. Denn sie fußten auf der alten Bautradition ihrer Stadt, die sie, in ihren Werken und ihrem Wirken zum Ausdruck bringend, als gültige Form herüberretteten in eine neue Zeit durch alle Irrungen und Verwirrungen einer verfallenden und in Umbruch befindlichen Welt. \

Die wenigen Werke, die Otto Wagner der Stadt schenken durfte, stehen noch heute in jugendlicher Frische vor uns; wenn man seine Bauten von der an die Mode der Zeit gebundenen Ornamentik befreit, zeigen sie sich uns als die ersten Künder einer neuen Baukunst. Adolf Loos war es fast nur vergönnt, literarisch zu wirken. Sein Verdienst bleibt es, auf die klassische Form des Wiener Stadthauses verwiesen zu haben, wie es noch in einigen isolierten Mustern erhalten geblieben ist: am Kohlmarkt, am Graben — Ecke Tuchlauben, in der Wallnet straße. Er selbst führt die zeitlose Baukunst Wiens weiter in seinem modernen Haus, das er souverän der Michaelerfassade der Hofburg gegenüberstellt. Und das wohl erst die jetzige Generation schätzen gelernt hat als eine edle und bescheidene Einfügung in den genius loci des Platzes. Unterdessen ist die Baukunst in ihren Möglichkeiten weiter fortgeschritten. Die radikalste Revolutionierung der Bauten in dem Skelettbau corbu-sierscher Prägung aus Stahl und Glas hat bis jetzt nur dort Fuß fassen können, wo der „Stützenbau“ von Urbeginn als Ausdruck nordischen Wesens heimisch ist, also in Stuttgart und Karlsruhe, in Holland und Skandinavien, nicht im bajuwarisch bestimmten Siedlungsgebiet, das auf die Wirkung der geschlossenen Mauerfläche nie verzichtet hat. Er hat sich durchsetzen können in den romanischen Gebieten Europas, nicht wegen seiner aufgelösten Stützenarchitektur, sondern weil seine äußere Erscheinungsform, die erlaubt, mit den kubischen Flächen von Glas zu spielen, die Klarheit des Kristalles besitzt, der, als Ausdruck des lateinischen Geistes und als durch den Geist geschaffenen Form, der von der Natur bewegt gestalteten entgegengestellt wird. Es ist der Grund, warum sich in unseren Gegenden eine solche Bauform in der Natur wie eine Verlegenheit oder wie eine Spielerei ausnimmt. Denn die germanische Form steht nicht im Gegensatz zur Natur, sondern verbindet sich mit ihr zur Harmonie, indem sie die Musikalität ihrer Linien aufnimmt und weiterführt in der Linie ihres Baukörpers. Das englische Landhaus, das ein vollkommener Typus seines Genres ist, ebenso wie die Bauernhöfe, Schlösser und Stifte unserer Gegenden, erzählen davon. Aber die städtische Architektur spricht eine eigene Sprache. Für sie wird der Stützenbau aus Stahl und Beton eine der großen Möglichkeiten und Gegebenheiten sein, die ihr erlauben, in ihre Arbeitsstätten, sei es Industrie oder Büro, ein Maximum an Licht und Luft and damit an Reinlichkeit und Gesundheit gelangen zu lassen. Es ist gegenwärtig noch nicht abzusehen, in welchem Ausmaße er in der Gestaltung Wiens seinen Platz einnehmen wird. Diese Bauten werden auch das Stadtbild selbst in seiner Grundform nicht wesentlich verändern; die Straßenzüge Wiens haben mehrmals im Laufe der Zeit ihre Häuser gewechselt, aber der Grundriß der Stadt ist im allgemeinen der gleiche geblieben, wie er schon im Mittelalter vorgezeichnet war. Das bedingt auch den eigenartigen Reiz seiner alten Straßen, selbst wenn sie mit häßlichen Häusern versehen wurden, die nichts mehr gemein haben mit der Wiener Tradition, sondern einer mittelmäßigen Allerweltsarchitektur angehören.

Schon Adolf Loos polemisiert gegen die Architekten, die zuviel in deutschen Bauzeitschriften blättern und den Vertikalismus in Wien einführen, während das Wiener Stadthaus immer horizontal gegliedert war. In der Tat hat das Wiener Stadthaus eine merkwürdige Kontinuität durch die Jahrhunderte bewahrt. Aus welcher Stilepoche es auch stammen mag, es zeichnet sich durch seine ruhige, fast ungegliederte Fassade aus, der keine Erker und nur Balkone in spärlichem Ausmaß zugehören. Die Flädie ist zart und nie aufdringlich gegliedert. In seinen hohen, in sechs: Scheiben, gewöhnlich von der Proportion 10 : 11 unterteilten und mit der Mauer bündig sitzenden Fenstern, die alle Stadthäuser vom frühen Barock bis zum späten Biedermeier aufweisen, zieht ein großer Rhythmus durch das Stadtbild des alten Wien. In diesem Sinne haben auch die viel gelästerten „Ringstraßenhäuser“ noch Stil, denn in ihnen steckt noch vieles von echter Wiener Bautradition, Sie zu bewahren und mit dem Neuen zu verbinden, das während einiger Jahre Architekturdiktatur zwar verschüttet, aber nicht zerstört ist und in vielen Köpfen vielleicht ausreifte und in geläuter-terer Form als in der Sturm- und Drangzeit der neuen Architektur wieder erscheinen wird, muß die erste Aufgabe der kommenden Baukunst sein. Sie wird Gelegenheit haben, sich zu manifestieren in den Neubauten der zerstörten Inneren Stadt und der äußeren Bezirke, in den Neubauten der zerstörten Verkehrsanlagen und vor allem in den Wohnung s- und Siedlungsbauten, den einzigen, die während der Periode zwischen den beiden Weltkriegen eine große Förderung erfuhren und die die dringendste soziale Aufgabe darstellen, die nach dem Kriege der Stadt gestellt ist. So erfreulich viele dieser Gestaltungen vom grundrißlichen Standpunkt waren, wird man ihren Neubauten eine größere Ruhe und Ausgeglichenheit in der Gestaltung der Baukörper und der Fassaden wünschen, bei den Stadtrandsiedlungen eine! größere Lebendigkeit statt der Starrheit iö der städtebaulichen Konzeption. Insbeson-i dere aber ist mit aller Macht anzustreben daß am Rande unserer Stadt nicht Häuser; entstehen, die uns und den nachfolgenden Generationen zum Ärger werden. Es ist nicht notwendig, daß weite Gebiete zwischen Grinzing und Sievering, zwischen Mauer und Mödling mit öden würfelartigen Häusern bespickt werden und sich die verschieden-! artigsten Experimente oder krasser Dilettant rismns austoben können. Ebenso unnotfg ist es, daß die Hauptstraßen der Innenstadt durch Geschäftsportale verunstaltet werden, die in schreierischer Reklame auf jede Bindung mit der oft gut gestalteten Fassade ▼erzichten. Die Zeit ist vorüber, da ein Architekt geglaubt hat, modern zu sein, wenn er möglichst viel Glas, Stahl und ein flaches Dach anwendet; denn darauf kommt es nicht an!

Die hohe Verantwortung, die den Bauämtern in der kommenden Zeit zufällt, steht außer Frage. Ebenso ist ihnen die Aufgabe gestellt, zwischen völligem Liberalismus, der sich nur auf Be Prüfung der baupolizeilichen Erfordernisse erstreckt, and der „Architek-tnrpoIizei** des Dritten Reiches, die die Form diktierte, den richtigen Weg zn finden, bis die Disziplin des „Bauherrn“ wieder so groß ist wie in alten Zeiten mit sicherem Formgefiihl. Dieses Formgefühl besaß in neuerer Zeit auch noch das W i e n der frühen Ringstraßenzeit oder das ParisHaußmanns, die beide große städtebauliche Leistungen einer wahrhaft disziplinierten Gemeinschaft aufzuweisen haben.

Der hohe Stand der Wiener Innenarchitektur und des Wiener Kunsthandwerks sind international anerkannt. Sie haben in glücklichster Weise die Synthese von Tradition und. Forderungen der neuen Zeit bei bester handwerklicher Qualität erreicht. Architektur ist mehr. Die großen Aufgaben, die jetzt seit Jahrzehnten wieder gegeben sind, können mit gutem Geschmack und handwerklichem Können allein nicht gelöst werden. Nur das Durchdrungensein von der Idee, für die Ewigkeit zu schaffen und nicht für den Augenblick und die jeweilige Mode, kann eine neue große Bauperiode Wiens entstehen lassen, die würdig ist, sich an die anderen großen Bauwellen anzureihen, die der Stadt ihre Schönheit, ihre Würde und ihre Geltung verliehen haben.

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