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Wiederkehr des Biedermeier?

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Auch bei vorsichtigster Prüfung der gegenwärtig erkennbaren und erspürbaren Entwicklungstendenzen in Kunst, Wohnkultur, Mode und Geselligkeit wird man sich eines gewissen Optimismus nicht erwehren können. Schon ein oberflächlicher Vergleich mit den Jahren nach dem ersten Weltkrieg zeigt, daß der Mensch der Gegenwart nicht Revolutionen machen, sondern Ruhe haben will.

Sieben Jahre Kunstdiktatur haben eine freie Entwicklung wenn nicht gänzlich unterbunden, so doch stark gehemmt und vor allem jeden Ausblick in das Ausland verhindert. Immerhin lassen sich gewisse Ergebnisse der offiziellen nationalsozialistischen Kunstpolitik feststellen. Auffällig ist zunächst, daß die Versuche, eine monumentale, heroische Kunstrichtung ins Leben zu rufen, kläglich scheiterten. Nicht eine einzige der mit ungeheurem Material- und Kostenaufwand fertiggestellten, halbfertigen oder geplanten Partei- und Staatsbauten kann ernstlich Anspruch auf bedeutsamen künstlerischen Wert erheben. Sie blieben bestenfalls in einem blutleeren, unangenehmen Klassizismus stecken, aufdringliche Kulissen, tlie einen nicht vorhandenen Inhalt vortäuschen sollen. Ähnlich verhielt es sich mit der Malerei und Plastik, deren Streben, heroisch zu sein, i m Kitsch endete, wie jeder Besucher der so eifrig propagierten „Deutschen Kunstausstellung“ in München feststellen konnte.

Alles in allem ein Beweis dafür, daß Kunst niemals gewaltsam in bestimmee Bahnen gelenkt werden kann und daß ein Stilwollen, von dem so viel geredet wüide, nicht imstande ist, auch schon einen Stil hervorzubringen. Der Stil der Zeit ist also nicht auf das Monumentale gerichtet.

Was ist dann aber der Stil der Zeit? In gewissem Sinne gibt ein Aufsatz einer Wiener Monatszeitschrift auf diese Frage eine Antwort, die deshalb charakteristisch ist, weil sein Verfasser im Grunde die gleiche Auffassung wie die Kunstdiktatoren des Dritten Reiches vertritt, wenn er meint, daß unsere Zeit der grandiosen Unterdrückung, des großen Krieges und schließlich der großen Befreiung auch große, das heißt „monumentale“ Kunstwerke hervorbringen sollte. Statt dessen findet er zu seiner Betrübnis in den Wiener Kunstausstellungen der letzten Zeit „nur“ Stilleben, Landschaften, Aquarelle und Porträts Ganz abgesehen davon, .daß e- dabei übersieht, daß die Bedeutsamkeit und das Wesen eines Kunstwerkes nicht nach seinem äußeren Umfang und nicht nach seinem thematischen Vorwurf zu beurteilen, sondern daß für die Beurteilung tief erliegen de geistige Beziehungen maßgebend sind, ist diese Aussage interessant. Es scheint eben doch so zu sein, daß die Kunst von der letzten Endes formlosen „Größe“ äußeren Geschehens abrückt, um bewußt in engeren Bezirken Form, Inhalt und Gesetzmäßigkeit zu gewinnen. Daraus folgt ein Zurückgreifen auf einen intimeren, menschlicheren Themenkreis, der den Beschauer nicht erschüttern, sondern ihm Freude und Genuß bereiten soll. Daher Bun Stilleben, Blumenstücke und Landschaft ■und daher auch die Vorliebe für Aquarelle, Zeichnungen und verwandte Techniken. Warum dieses Sichselbstbescheiden gleichbedeutend sein soll mit Verfall, ist keineswegs einzusehen; es ließen sich historische Stilepochen anführen, in denen inmitten höchster Kulturblüte die Kunst sich ebenfalls keine anderen Aufgaben stellte, als fern jedem Heroismus, dem Genuß und der Freude verständiger Liebhaber zu dienen. Eine Parallele zum Biedermeier liegt nahe: auch hier die Vorliebe zu dem Themenkreis Landschaft, Blumen und Porträt, auch hier die Anwendung wenig kostspieliger Tediniken, unter denen das Aquarell den ersten Platz einnimmt und die den Bedürfnissen •weiterer Kreise angemessen sind.

Es wäre freilich banal und falsch, wollte man heutige Kunstwerke mit solchen des Biedermeier einfach in eine Reihe stellen. Die Kunst hat seither zu viele Wandlungen durchgemacht. Eine Wiederkehr des gleichen Stils gibt es nicht. Wohl aber können verschiedenartige Faktoren eine ähnliche geistige Konstellation ergeben, die ihrerseits wieder ähnliche Ausdrucksformen zeugen kann.-

Das Biedermeier bildet einen Höhepunkt in der Geschichte menschlichen Wohnens, in ihm tritt der Mensch in ein neues Verhältnis zum Wohnraum. Bis dahin war die Bindung nur eine lockere, vergleichbar etwa dem Gegensatz zwischen Kunstwerk und Beschauer: der Raum bildet ein Ding für sich und ist — so paradox das klingt — unabhängig von seinem Bewohner, ja er verlangt gewissermaßen von jenem, er möge sich ihm anpassen. Auf die Spitze getrieben, äußert sich diese Auffassung dann beispielsweise im Prunkmöbel, das für den praktischen Gebrauch ungeeignet, oder in Prunkräumen, die nicht zum Wohnen, sondern lediglich für den ästhetischen Genuß bestimmt waren. Ins Bürgerliche umgesetzt und bis in unsere Zeit nachwirkend ist das die bekannte „gute Stube“ oder der „Salon“, in deren unbenutzte Pracht vielleicht einmal ein Besucher geführt wird, die aber keine eigentliche Verwendbarkeit besitzen — und auch nicht besitzen sollen.

Im Rokoko und Empire deutet sich bereits eine Wandlung an, das Biedermeier bringt die vollkommen neue Auffassung von Wohnkultur. Die Bindung zwischen Wohnraum und Bewohner wird eine engere, gewissermaßen auch eine vermin/tigere, insofern nämlich, als die Wohnung und das Möbel ihrem Benutzer untergeordnet und ihrem eigentlichen Zweck zugeführt werden. Sie sollen nun nicht mehr Prunk, Pracht und Kostbarkeit bieten, sondern unaufdringlich und sachlich dem Menschen dienen, ihm Bequemlichkeit und Behaglichkeit geben, ohne sich aufzudrängen, ohne ihren Eigenwert zu stark zu betonen, das heißt, nicht mehr Selbstzweck sein, sondern Mittel zum Zweck. Das ist eine Wandlung, deren Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Denn

der neue Wohnstfl, den sie brachte, bildet bis heute die Grundlage alles dessen, was unseren Begriff von „Wohnkultur“ ausmacht.

Was sind die Charakteristika der Bieder-meiermöbel, die sie uns so „modern“ erscheinen und bei Versteigerungen so hohe Preise erzielen lassen? Zunächst ihre handwerkliche Qualität, die wir in unserem Zeitalter der Serienfabrikation verloren haben. Das Neue ist ihre Sachlichkeit, die aber nie unorganisch und kalt erscheint. Sie sind klassisch in ihren sicheren und noblen Proportionen, in ihrem ruhigen und schlichten Liniengefüge. Ornamente werden sehr sparsam angewendet, im Gegensatz zu allen früheren Stilstufen, was auch der Grund ist, daß Biedermeiermöbel von Generation zu Generation weitergegeben werden konnten, ohne daß sie als veraltet empfunden wurden. Denn das Ornament ist gewöhnlich das erste, was „unmodern“ wird.

Unterdessen haben vielerlei Stilarten das Bild der Kultur verändert, von denen jede etwas hinterlassen hat, das aufgenommen und verarbeitet wurde. In der Kunst wie auch im Kunsthandwerk. Die Makartzeit, durchaus ein Rückfall ins Barock, hinterließ die Vorliebe für Polstermöbel, die uns in unseren Wohnungen unentbehrlid. sind, der Jugendstil erhöhte das Gefühl für Linie und Material. Die japanischen Einflüsse, die um die Jahrhundertwende bemerkenswerte Wirkungen in der Kunst hatten, sind auch für die Wohngeschichte von großer Bedeutung. Vor' allem räumten sie mit dem scheinbar unbesieglichen „Horror vacui“ auf, der jahrhundertelang die Wände mit Schnitzwerk, Möbeln, Tapeten, Holzgetäfel und jeglicher Art von Verkleidung bedeckt hatte. Die unbekleidete; einfarbige, leere Wand, der leere Raum werden zu einer ästhetischen Ausdrucksform, in der nur wenige, aber ausgesuchte Gegenstände und Farben ihre vollen Reize entfalten sollen. Mit diesem japanischen Einfluß hängt es auch zusammen, daß die Möbel, vor allem Sitz- und Liegestätten, niedriger und damit bequemer werden, so daß man fast die Behauptung aufstellen könnte, der Mensch habe erst seit fünfzig Jahren richtig sitzen gelernt. Bezeichnend ist ferner die zentrifugale Anordnung der Möbel, die nun aus der Mitte und vor die Wand gestellt werden, im Gegensatz zu der bis dahin zentripetalen Methode, die den Mittelpunkt, sei es durch“ den Tisch, eine Sitzgruppe oder ein Bett stark betont hatte. Die moderne Sachlichkeit schließlich und die Technik, deren Stahlrohrmöbel freilich nur mehr in Warteräumen von Zahnärzten und im Badezimmer sich länger behaupten konnten, brachten neue Werkstoffe und neue Möglichkeiten der. Materiafbehandlung hervor.

Alle diese Stilarten von der Jahrhundertwende bis etwa zur Mitte der dreißiger Jahre haben auf die Dauer nicht befriedigt, weil sie in ihrem Bestreben, neu und modern zu sein, meist vergaßen, daß nicht nur der Verstand, sondern auch Herz und Gefühl heimisch sein sollten. Allmählich machte sich die Reaktion geltend, die latent vor allem in Wien vorhanden war. Die harten und kubisch betonten Formen milderten sich und wurden weicher, ein Streben nach Intimität und einfadier, der Übertreibung abholder Behaglichkeit machte sich geltend und nun treten auch Formen auf, die solchen des Biedermeiers ähnlich sind. Ähnlich nidit durdi Stilkopie oder Nachempfindung, sondern ähnlich, weil-sie dem gleichen Gefühl entsprechen, daß die Wohnung nicht eine „W, o h n-m a s c h i n e“, sondern ein Ort der Behaglichkeit und der Ruhe sein soll.

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