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Die Bildungsreisen unserer Zeit

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Das Kunstbuch hat den vor nicht allzu langer Zeit noch beengten Blickpunkt auf vergangenes und gegenwärtiges künstlerisches Wollen, Denken und Arbeiten unermeßlich erweitert und so eine Handhabe dazu gebildet, die großen Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Die Reproduktion veränderte unser Bild von der Kunst der Welt, erweiterte es, rückte es zurecht und erschloß ihm neue Dimensionen. Durch das vervielfältigte Bild entstand, was Malraux das „musee imaginaire“ nannte: „ein Reich der Kunst mit eigenen Maßstäben und eigener Idealität, erfüllt mit Werken aller Zeiten und Zonen, allen erschlossen und überall verbreitet durch die Technik der Reproduktion“. Reproduktionen ersetzen die „Bildungsreisen“ vergangener Jahrhunderte.

Diese Ausweitung unseres Bewußtseins durch eine mit dem Fortschritt der Druck- und Photo-techniken dem reproduzierten Kunstwerk immer adäquater werdende Wiedergabe' im Buch brachte im Lauf der Zeit und unter dem Aspekt der Kommerzialisierung auch ihre Gefahren mit sich. Heute ist es so, daß die Qualität zum großen Teil schon durch die Menge kompensiert wird, eine Tendenz, deren Entwicklung noch lange nicht beendet scheint. Vom Heute, will sagen der Entwicklung des Kunstbuches nach dem Kriege, soll hier gesprochen werden.

Den ersten, auf schlechtem Papier mangelhaft gedruckten Nachkriegspublikationen, die aber doch eher begehrter und notwendiger waren als ein großer Teil dessen, was die Schaufenster der Buchhändler heute anfüllt, verdankten wir den verlorengegangenen Kontakt zur Kunstwelt Europas oder überhaupt das Bekanntwerden mit dem Ausdruck und der Wesensart einer Kunst, der wir zunächst in einer heilsamen Hilflosigkeit und doch fasziniert gegenüberstanden. So ist die Geschichte des Kunstbuches in den letzten Jahren auch in erster Linie eine des Verbreitens und Vorstellens zeitgenössischer Künstler und ihrer Arbeiten. Die ersten, heute längst verschwundenen Broschüren und Zeitschriften, die den entscheidenden Beginn setzten, haben bald dem modern-vornehmen, reich bebilderten Kunstbuch Platz gemacht, das heute einen wesentlichen Teil der anspruchsvollen Buchproduktion ausmacht. Nicht nur der modernen, auch der älteren Kunst sind viele neue, zum Teil prächtige Werke zugewachsen. Hier kann man eine nicht uninteressante Akzentverschiebung feststellen: während das Gebiet der bildenden Kunst, dessen Anziehungskraft heute immer mehr zunimmt, früher in erster Linie den Fachmann interessierte, für den auch publiziert wurde, hat sich der Käuferkreis ernsthafter kunstwissenschaftlicher Publikationen heute zusehends erweitert. Diesem Umstand und dem anderen: daß man die Kenntnis der Originale beim Laienpublikum in einem weitaus geringeren Maß voraussetzen kann als bei der Fachwelt, wird dadurch Rechnung getragen, daß man Kunstbände nun weitaus opulenter ausstattet, vor allem auch, was die Anzahl und die reproduzierte Größe der gezeigten Werke betrifft, als es früher der Fall und notwendig war. Man erreichte dadurch die Käufer, die weniger vom begleitenden Text als von den Bildern angezogen werden. Dies hatte wiederum zur Folge, daß auch solche Verlage dazu übergegangen sind, Kunstbände (eigentlich: Bilderbücher für Erwachsene) zu edieren die sich als Kunstbuchverleger bisher nicht betätigten, belletristische Verlage zumal (es werden ihrer immer mehr), denen auch die notwendige Erfahrung fehlt und die alles machen, was irgendeinen Erfolg verspricht: Verlage wie Kurt Desch als einem der größten und eine Reihe mittlerer und kleiner Auchverleger. Hier nun gilt es, den Bücher kaufenden Kunstliebhaber zu warnen: es geht, nachdem sich die Produktion auf diese Weise immer mehr erweitert, darum, die Spreu vom Weizen zu sondern, Richtlinien aufzustellen, an die sich der auf diesem Gebiet nicht versierte Kunstfreund beim Erwerb von Büchern halten sollte und vertrauenswürdige Verlagsnamen zu nennen, die für fachgerechte und genaue Editionen bürgen. Anderseits müssen Methoden gestreift werden, die dem Anliegen, Kunstwerke einem weiten Kreis zugänglich zu machen, in mangelhafter und verfälschender Weise entsprechen.

Das Kunstbuch als musee imaginaire wird hier als ein wichtiger und entscheidender Mittler zur Kunst gesehen — sowohl im Bild als auch im Text. Man muß von ihm verlangen können, daß es seinem Leser und Betrachter einen adäquaten Einblick in das Gebiet gibt, für das er sich interessiert und so ein Wegbereiter und Wegweiser für das Verständnis der Kunst sowie künstlerischer Forderungen und Probleme zu sein vermag. Diese Voraussetzung wird von vielen, willkürlich zusammengestellten, unzuverlässigen und mangelhaft gedruckten Publikationen nicht erfüllt. Kunstbände, die nur Farbtafeln enthalten und zugleich sehr billig herauskommen, lassen das notwendige Maß an Druckqualität fast immer vermissen, mitunter sind sie indiskutabel: Man hüte sich vor Reihen wie „Die Welt in Farbe“ des Desch-Verlages (sie wurde sehr treffend auch „Welt in Soße“ genannt), einer ähnlichen des Verlages Rosenbaum („Zeit in Farbe“) und vor Zusammenstellungen, die man Bildanthologien nennen könnte, wie denen des Herbig-Verlags („Malerei des Abendlandes“) und des Safari-Verlags („Malerei der Welt“). Fast möchte man sagen: man hüte sich vor allem preislich Billigen, wenn es nicht einerseits auch Kunstbände gäbe, die ordentlich, sauber gemacht und doch billig sind, vor allem auch die Reihenbändchen (bei Piper, Buchheim und im Insel-Verlag zum Beispiel) und anderseits teure, die trotzdem nicht gut sind. Aber sehr oft ist das Billige eben doch in jeder Hinsicht billig. Das ist auch nicht anders möglich, wenn man sich vor Augen hält, wie solche Bücher entstehen.

Ein heute entscheidendes Problem — eines für sich — ist das der Farbe, weil man (noch) nicht eingesehen hat, daß die schwarzweiße Wiedergabe oft weitaus besser und dem reproduzierten Kunstwerk entsprechender ist als die bunte. Und um den Affekt des Bunten geht es dem Bücher kaufenden Gros und den ihm willig dienenden Verleger. Es ist unmöglich, dickleibige Bücher, die ausschließlich Farbtafeln enthalten, gut herzustellen, es sei denn, daß ihre Preise die Grenze übersteigen, die dem normalen Konsumenten gesetzt ist. Viele Kunstbücher sind nicht schlecht, weil sie billig, sondern billig, weil sie schlecht sind.

Im Buchdruck — wenn wir hier nur dieses Druckverfahren als Beispiel anführen — werden bei Farbbildern vier Farben übereinanderge-druckt, deren jede eine eigene Druckform, ein eigenes Klischee, das heißt eine eigene Druckplatte, erfordert; ihre teure Herstellung ist die knifflige Aufgabe des Chemigraphen. Er macht die sogenannten Farbauszüge, aus denen sich die Farbskala zusammensetzt: Gelb, Rot, Blau und Schwarz. Naturgemäß richten sich diese Auszüge nach den Farbwerten des zu reproduzierenden Bildes und weisen jeweils verschiedene Nuancen, schwächere und stärkere Tönungen ejnes Blaus zum Beispiel, auf, worauf bei der Herstellung der Tonplatten, der Klischees Rücksicht genommen werden muß.

Diese technische Seite der in Büchern gebräuchlichsten Reproduktionsart mußte kurz gestreift werden, um erläutern zu können, worauf verfälschende Bildwiedergaben — neben der Fabrikation mangelhafter (billiger) Farbsätze — in der Regel beruhen. Da werden für Bildanthologien und auch ernsthaftere Editionen nämlich

Farbklischees verwendet, die von befreundeten und bekannten Verlegern, von denen sie bereits anderweitig verwendet worden waren, aus Ersparnisgründen ausgeliehen und zu mehreren in Druckformen zusammengestellt, so daß die Originalfarben der einzelnen Bilder zwangsläufig nicht mehr richtig wiedergegeben werden können; wenn auf dem einen Bild der Gelbton getroffen wird, kommt er dafür auf dem anderen zu stark oder zu schwach durch, weil sich dieselben Farbwerte erstens kaum wiederholen und zweitens bei jedem Klischee — falls nicht alle über dieselbe Skala liefen — differieren. Auf diese Weise entstehen die haarsträubendsten Produkte, die mit dem Original nichts mehr zu tun haben: es. kommt vor, daß aus dem Original-Gelb ein Rot oder aus dem Grün ein Blau wird. So entstehen zwar jährlich „Schlager“, aber keine anspruchsvollen und brauchbaren Bücher.

Bei Verlagen wie Bruckmann, Hatje, Kohlhammer, DuMont-Schauberg, Prestel, Schroll und Skira erlebt man derartige Dinge nicht. In ihnen entstehen auch die das moderne Kunstbuch repräsentierenden, vorbildlich gestalteten Bücher. Die typographische Gestaltung zum Beispiel und die dadurch gewonnene Ueber-sichtlichkeit ist eine wesentliche Arbeitshilfe und Erleichterung für den Betrachter. Auf diesem Gebiet leisten auch andere Verlage Vorbildliches, während es auch solche gibt, die in einem halbdurchdachten Experiment stecken bleiben (auch große Verlage sind darunter), was schlimmer ist, als eine mittelmäßig-konservative Buchgestaltung. Eine gute Mitte zwischen konservativ und modern fand neben französischen Verlagen — die mitunter beneidenswert schöne, kostbare und sorgfältig gestaltete Bücher herausbringen, wie wir sie im mitteleuropäischen Raum gar nicht kennen, zumal die vielen Luxusausgaben — der Schweizer Skira mit seinen wirklich bahnbrechenden Reihen groß angelegter Sammelbände und Monographien.

Ein Wort zu dem das Kunstbuch begleitenden Text. Es gibt große Namen, von denen nahezu jedes zweite und dritte der heute erscheinenden Bücher zur Kunst unserer oder vergangener Zeit einen Text enthält was sich natürlich nicht immer vorteilhaft auswirkt. Vor allen Dingen sollte man sich aber vor dem heute stark eingerissenen kunsthistorischen Geschwafel hüten, mit dem die Realität der Dinge eher ver- als enthüllt wird, kaum zum Nutzen des in das betreffende Gebiet Eingang suchenden Laien. Auch auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst gibfrve natürlich nichts, Worüber man nicht ebensogut eihfaeh/i.klart und verständlich schreiben kann. Schließlich ist es üblich geworden, daß sich heute jeder zweite Galeriedirektor, Museumsleiter und Sammler dazu berufen fühlt, ein Buch zu schreiben — ob dazu befähigt oder nicht. Die durch solchen Ehrgeiz entstehenden Texte verbinden sich zumeist mit einer ebenso mangelhaften Bildredaktion. Ein Beispiel dafür: Gerhard Händlers „Deutsche Maler der Gegenwart“ im Rembrandt-Verlag.

Der Vorteil der Reihenbändchen ist es, daß sie in knapper, übersichtlicher Form über einen Maler, eine Gruppe oder eine Stilrichtung informieren. Die „Piper-Bücherei“ (vor allem auch in den farbigen Bänden dieser Reihe) leistet hier Mustergültiges; die „Buchheim-Bücher“ zum Beispiel halten sich in der Hauptsache an die Graphik, die aber an die Malerei und die Hauptwerke der Künstler in besonders geeigneter Weise heranführt. Ein Nachteil vieler Kleinbuchreihen ist, daß sie, was die Qualität des Drucks und der „echten“ Wiedergabe farbiger Bilder betrifft, viele Wünsche offen lassen: man sollte sie besonders kritisch betrachten. Aehn-Iiche Probleme tauchenauch bei den Reproduktionen der Lexika auf. Hier kann es allerdings noch am ehestens in Kauf genommen werden, wenn farbige Abbildungen (die schon durch die starke Verkleinerung nie annähernd „richtig“ sein, können) den Ansprüchen, die man sonst an sie stellen muß, nicht genügen. Hier geht es vor allen Dingen um den Informationswert, und das Hauptaugenmerk sollte eher auf den Texten liegen. Vor allen Dingen kommt es — seien es nun ausgewachsene oder nur Taschenbücher — auf die richtige und treffende Auswahl an, mit der es oft im argen liegt.

Wie der ganze Buchmarkt heute, so geht auch das von Außenseitern verlegte Kunstbuch der Verflachung entgegen, der, recht besehen, nur vom Käufer ein Widerstand entgegengesetzt werden kann, indem er möglichst kritisch prüft, bevor er kauft, und indem er lieber ein gutes und teures, als zwei billige, auf die Dauer jedoch wertlose Bücher erwirbt. Die Verlage, die keine Mühe scheuen und ihre schwierige Aufgabe darin sehen, sich in den Dienst der Kunst zu stellen — dabei aber weniger an ein Geschäft denken können — werden es ihm danken: sie haben die Unterstützung des kunstliebenden Bücherkäufers nötig, sollen sie nicht von Hasardeuren überrannt werden.

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