6559109-1948_38_13.jpg
Digital In Arbeit

Vakuum in der deutschen Kunst?

Werbung
Werbung
Werbung

In Umfragen und Diskussionen hat man in den letzten Wochen auf ein fühlbar vorhandenes Vakuum im deutschen Kunstschaffen hingewiesen. Man vermißt zu sehr die neuen Repräsentanten auf den Gebieten der Musik, der Dichtung, der Malerei und Bildhauerei. Dabei kam es zu aufgeregten und anregenden Auseinandersetzungen über die fast schweigsamen und retardierenden jungen Nachkriegsautoren. Auch nach dem Kunstschaffen der Künstler mittleren Alters wird gefragt.

Der Querschnitt der Untersuchungen nach dem „Warum“ ergab die meist mit Nachdruck vertretene Annahme, daß das Nichtvorhandensein potenzierter schöpferischer Kräfte in Deutschland als Folge der Katastrophenpolitik des vergangenen Regimes, dem alles aus den Fugen reißenden Kriege, den damit verbundenen furchtbaren Erlebnissen und dem Sturz des deutschen Volkes in die Hölle des Elends und der Hoffnungslosigkeit zu erklären sei. Das Übermaß der Erschütterungen wäre noch zu gewaltig und unfaßbar, um von der gegenwärtigen Künstlergenenation, gültig und über das Maß des Gewöhnlichen hinausgehend, aufgelegt und gestaltet zu werden; Die Fülle der Anregungen und Erlebnisse der Zeit legten sich dem geistigen Höhenflug in den Weg und bewirkten Stagnation und Lethargie. Hat der Wirbel der politischen und kriegerischen Vorgänge, die wie Sturzbäche in dem vergangenen Jahrzehnt und in der Gegenwart über die lebende Generation niedergehen, das Fassungsvermögen der Menschen überschritten oder gar gesprengt? Ist die pausenlose Atemlosigkeit der fortschreitenden Zeit mit ihren seelischen Krisen und nervösen Erscheinungsformen eine der Ursachen, die geistige Fähigkeit einzubüßen, überhaupt Positives zu registrieren und in künstlerischer Form festzuhalten?

Tatsache bleibt, daß seit dem Zusammenbruch und dem Beginn einer neuen Zeit auf keinem der benannten Kunstgebiete eine wirklich neue Erscheinung von genialer Kraft zur Oberfläche durchgestoßen ist. Man führt an, daß die Möglichkeiten für das Bekanntwerden und die Veröffentlichung oder Ausstellung von Werken auf Grund der umfangreichen Zerstörungen zu große Schwierigkeiten bereite und viele Begabungen keinen Weg fänden, vor die Öffentlichkeit zu treten. Nicht mit Unrecht wird erwähnt, daß verantwortliche Stellen nur zu leicht einer Auseinandersetzung mit den künstlerischen Problemen der Gegenwart aus dem Wege gehen und lieber dem Publikumsgeschmack opfern oder aber die extreme Kunstverkapselung, wie sie vordem in Deutschland Wirklichkeit war, zu sehr in das krasse Gegenteil verkehren. Die Stimmen der Nationen übertönen im Reiche der Kunst gegenwärtig noch zu sehr die künstlerische Aussage der eigenen Landsleute, ein wohl zeitbedingter Übelstand, der im Zuge der Entwicklung kommen mußte, nun aber nach fast vier Jahren sich wieder normalisieren dürfte. Zu all diesen Dingen tritt nun der harte Existenzkampf des freischaffenden Künstlers durch die Währungsreform, die Nichtigkeitserklärung aller finanziellen Mittel des Staates, der Städte und Stiftungen.

Liegt die Krise nun tatsächlich in all den aufgeführten Punkten begründet? Schließt das Zusammenwirken dieser-völlig amusischen Kräfte das Erscheinen eines wirklich überragenden Genies aus?

Wenn ich beginne, diese Frage aufzuwerfen, so sei mir eine kurze Betrachtung über den augenblicklichen Umfang der künstlerischen Produktivität gestattet.

Übereinstimmend geben die Verleger und Kunstexperten zu, daß ein Überangebot an Manuskripten auf musikalischem und schriftstellerischem Gebiet vorliegt. Es läßt sich klar aüfzeigen, daß eine; fast „übertriebene Besessenheit“ zum Schreiben offensichtlich ist. Parallele Erscheinungen finden sich in den Sektoren Malerei und Bildhauerei. Epigonales einerseits und fundamentlos weit über jedes Ziel , Hinausschießendes halten sich das Gleichgewicht, während substantiell wirklich Hervoragendes nur sporadisch festzustellen ist. Interessant ist, zu wissen, daß ein Fehlen des rein handwerklichen Könnens geradezu in die Augen springt, von dem Ausbleiben der Intuition ganz abgesehen. Bei einer derartig negativen Wertung von Einfall, Handwerkskönnen und Form muß jeder Versuch zur Schaffung eines Kunstwerkes in einem unmündigen Gestammel enden. Wenn unmißverständlich sichtbar wird, daß die Schreibenden oder Gestaltenden nicht mehr wissen, wie ein Stoff zu meistem und das Zuviel innerhalb des Stoffes zu bewältigen ist, dann klafft jene Lücke unübersehbar auf, welche das Ausbleibe einer genialen Leistung nur allzu deutlich macht. Nach dem ersten Weltkrieg und erst recht nach dem vernichtenden Zusammenbruch in der jüngsten Zeit zeigt es sich mit unmißverständlicher Deutlichkeit, daß eine .Inflation des Geistes auf künstlerischem Gebiet, wie alle Produkte, welche aus der Synthese des Hasses und der Vergeltung geboren sind und der ethischen Kraft wie einer klaren Sicht der tatsächlichen kausalen Zusammenhänge entbehren, eine Verirrung in die Untiefen des Alltags bedeutet. Diese Zeit, in der Stümper und Kunstmacher das Feld zu beherrschen scheinen, ist relativ kaum in das Gewicht fallend.

Es ist festzustellen, daß das Leben der Menschen der Gegenwart genau noch so stark und eindrucksvoll die Rohmaterialien zum Schaffen eines Kunstwerkes liefert wie vor Hunderten von Jahren. Wenige sind es, eine Handvoll Deutscher gehört dazu, die tatsächlich in der Gegenwart Gültiges aufzuzeichnen imstande sind.

Um so schärfer tritt zutage, was jede Begabung erst zum Künstler reifen läßt und die allerwenigsten Autoren in ausreichendem Maße besitzen, nämlich das Voraussetzung bleibende Wissen um das Wort und seine Anwendung, um den Ton und seine Motorik, um die Farbe und ihre Vielfältigkeit, um den Stein, und die ihm innewohnenden Gesetze. Nur wer bereit ist, ' sein Metier als genau so herbe Arbeit aufzufassen wie die großen Meister, deren Werke Epochen überdauern, wird die Freude an der Inspiration genau sö .stark empfinden wie die Freude an der nun beginnenden handwerklichen Arbeit.

Noch ein wesentlicher Faktor scheint mir bis jetzt außerhalb der Betrachtung in der Untersuchung der Gründe über ein schöpferisches Vakuum geblieben zu sein: die moderne Kunst selbst.

Ihre Richtungen, die als Expressionismus, Impressionismus, Futurismus und Kubismus bekannt sind, bergen für die heranwachsenden Autoren vielerlei ernsthafte Gefahren in sich. Das nur scheinbar funktionslose Wesen in der modernen Musik, die Trennung von jahrhundertelang geltenden Mitteln, wie Dur und Moll, Konsonanz und Dissonanz, bestärken den oberflächlichen Beurteiler in der Meinung, eine lückenlos gekonnte Beherrschung der Gesetze und Regeln der klassischen Schule umgehen zu können, um so intensiver sich in einer „übernommenen Harmonik" oder gar „sachlichen Linearität“ zu gefallen. In der Malerei rückt das Loslösen von der malerischen Bildvorstellung in den Vordergrund. An Stelle einer bis zum Raffinement ausgereiften Licht- und Schattentechnik treten fortschreitend gleichmäßige oder kontrapunk- tische Bewegungen kubischer Formen. Moderne Malerei und Plastik arbeiten unter Preisgabe der seither üblichen Sehgewohnheiten. Grundregel wird der in der Gegenwart nur wenigen schon begreifbare Vorgang vom „reinen Abbilden“ zum „Neubilden" von innen, nicht, von außen her, Die Herausstellung dieser Tatsache beleuchtet jene krassen Fälle von „moderner Kunstmacherei", welche ohne Kenntnis der Grundvorgänge sich zur irrigen Auffassung verleiten lassen, daß jedes Kind und jeder Stümper solche Kunstprodukte zu verwirklichen imstande Seien uncj daß gerade die absichtliche “ÄUßefätlftläs ung ‘ '’jėgliche'd Einfalls, des technischen Könnens und der Formbezwingung, die Voraussetzung zur Lösung dieser Probleme in sich trage. Allein der Vorstoß in die Ausdruckswelt der abstrakten Form oder auchi das Zurückkehren zur Urkraft des Idols, das die Entmenschlichung eines Bildwerkes nach sich zieht, kann nur als Zuspitzung neuer Möglichkeiten gewertet werden. Das Hineinwachsen in diese Endpunkte grenzt an die Schwelle des Erfaßbaren überhaupt und stellt eine Vereinigung von künstlerischer Schau und abstrakter Wissenschaft dar. Äußerlich, für die Umwelt vergleidibar, steht nun ein Werk der Gegenwart völlig identisch einer Arbeit der frühen, nach landläufiger Auffassung primitiven Kulturstufe gegenüber.

Diese eben gemachten Ausführungen haben keinesfalls den Zweck, über Wert oder Unwert solcher Ausläufer im künstlerischen Sektor zu entscheiden oder Annahme oder Ablehnung durch das Publikum zu diskutieren. Dies läge außerhalb der gestellten Aufgabe. Dieser Aufriß bestätigt jedoch unzweideutig die These, daß die Gefahr origineller Nachahmer auf solcher Basis geschaffener Werke offenkundig besteht und dem Drang solcher Individuen, aus der Gesellschaft herauszuragen, verführerisch entgegenkommt.

Die Kehrseite dieser Feststellungen schließt jenen großen Kreis ein, der nicht über die technischen Errungenschaften der klassischen Musik, Malerei und Dichtkunst hinauswächst. Es handelt sich um einen Personenkreis, der in der Hauptsache jeden Fortschritt ablehnt und einer alten Welt verhaftet bleibt. Solche Epigonen, .welche nie ihre großen Vorbilder zu erreichen vermögen, obwohl es ihnen weniger an Technik und Form mangelt, besitzen weder die zwingende Kraft des Einfalls noch eine eigene typische Ausdrucksweise. Es ist jene nicht zu untersdiatzende Gruppe inmitten der wirklich Neues Schaffenden, die dem bürgerlichen Geschmack der Zeit entgegenkommt. Sie tut dies um den Preis der künstlerischen Wahrhaftigkeit. In Deutschland ist dieses Kontingent an epigonalen Kräften auf allen Gebieten der Kunst als erheblich zu bezeichnen. Sie und die bürgerliche Welt messen sich allzu leicht das Urteil und die Herrschaft über die künstlerische Wahrheit an. Der Schritt zur wahren Kunst ist der Schritt in die Einsamkeit und nicht in die Bezirke des Scheins und der Illusion. Genies aber sind Revolutionäre und stehen im Gegensatz zum allgemeinen Zeitgeschmack.

Eine objektive Geschichtsbetrachtung beweist eindeutig, -daß das Erscheinen neuer Genies, welche die Kunstentwiddung revolutionierend Vorwärtsreißen, weder von sozialen noch von politischen oder gar kriegerischen Konstellationen abhängig ist. Vielleicht erwartet unsere, im rasenden Wirbel der Ereignisse sich verbrauchende Zeit vom Schicksal zuviel der schöpferischen Kräfte. Sie erwartet wohl zuviel der bürgerlichen Tagesauffassung entgegenkommende Beweise in den verschiedenen Bereichen der Kunst und zieht so das rastlose Schaffen jener Männer als nicht „diskutabel" in Zweifel, die morgen den Lorbeer der Unsterblichkeit erlangen.

Da zudem die Zukunft erst das endgültige Werturteil über Künstler der Gegenwart zu fällen imstande ist, scheint der Mensch vom Tage ein vorhandenes Vacuum, das in seiner schwankenden Tendenz immer vorhanden ist, unmittelbar stärke, zu empfinden als das tatsächlich wirkende Genie. Außerdem ist das Auftauchen einer großartigen schöpferischen Potenz an keine Nation gefunden, so wenig das künstlerische Teilgebiet vorherzusehen ist, innerhalb dessen es seine Leuchtkraft entfalten wird.

Unbestritten ist jedoch, daß ein großes Kunstwerk auch die menschliche Reife und Garizheit des Künstlers voraussetzt. Darin unterscheidet er sich ganz klar im Stadium der Entwicklung und der Meisterschaft vom Dilettanten, Epigonen und künstlerischen Scharlatan. Nur wenn er als Mensch den Alltag und die Welt zu überwinden imstande sein wird, wenn er ohne Kompromisse alles falsche Sein und Scheinen apostrophiert und im Endziel dem Urschöpfertum Gottes in Demut gegenübersteht, wird das lebende Kunstwerk Mensch das geistige Kunstwerk in der vollendetsten Form schaffen können. In diesen Randbezirken, da der Atem des Ewigen nur wenigen spürbar wird, bricht aller Nihilismus zusammen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung