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Zwischen Skyllct und CharYbdis

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Es gibt wenig Beispiele in der vielhundertjährigen Geschichte der christlichen Kunst, in denen der Aufbruch einer neuen Gesinnung und Gestaltungsweise auf einen derart genauen Zeitpunkt festzulegen wäre, wie dies für die bisher jüngste Phase ihrer Entwicklung möglich ist. Anscheinend schlagartig setzte Anfang der zwanziger Jahre eine völlig neu orientierte, zukunftsträchtige Bewegung ein.

Ihren beachtetsten Ausdruck fand sie zunächst auf dem Gebiet der kirchlichen Architektur. Daß dabei eine übernationale, also allgemein geistige Strömung in schweren Geburtswehen um ihr Dasein rang, beweist das fast gleichzeitige Einsetzen derartiger Versuche in führenden Ländern christlicher Kultur. Domenikus Böhm und Otto Bartning in Deutschland, Berlage in Holland, die Gebrüder Perret in Frankreich, Karl Moser in Basel sind als die Ersten zu nennen, die ein bisher bestenfalls ersehntes Neuland des Schaffens resolut betreten und betreuen wollten und zugleich damit wieder der Architektur jene beherrschende Stellung vor aller übrigen Kunstbetätigung zusicherten, die sie in allen Glanzperioden der christlichen Kunst ihnegehabt hatte. Seither reiht sich in ununterbrochener Reihenfolge Bau an Bau, in solcher Gesinnung geschaffen. . Diese Bemühungen wurden vertieft und geweitet durch zahlreiche, Aufsehen erregende Ausstellungen für christliche Kunst und durch reich beschickte Wettbewerbsausschrcibungen für kirchliche Neubauten. Das ungemein fruchtbare Ergebnis solcher Veranstaltungen war, daß durch. Pressestimmen, Fachzeitschriften auch aus neutralem Lager eine breite Oeffentlichkeit mit den Zielsetzungen dieser Erneuerungsbewegung vertraut wurde. Das wohlbehütete, aber auch unbeachtete Dasein der christlichen Kunst war mit einem Male durchbrochen, war nun eine vieldiskutierte Tagesfrage geworden. \

Ein geschichtlicher Rückblick über diese Zeit eines Ver sacrum, heute schon einigermaßen möglich, nötigt freilich zur Feststellung, daß auch diese scheinbar so elementare Wendung nicht ganz ohne Uebergänge und Voraussetzungen erfolgte, wie es den damaligen Zeitgenossen erscheinen mochte. Verfrühten Vorstößen in dieser Richtung, etwa von Otto Wagner, der in der Kirche am Steinhof verwirklichen konnte, was Berlage und van der Velde nur in Planskizzen niederlegen durften, mußte allerdings schon deshalb das bittere Schicksal der Primula beschieden sein, da sie noch nicht umfangen und getragen waren von jener religiösen Erneuerungsbewegung, die den Bahnbrechern der zwanziger Jahre das ihren Absichten so nötige Echo gab. Es fehlte auch nicht an Versuchen, die neuen, im Profanbau schon bewährten Baumaterialien zu verwenden (Kirche in der Herbststraße von J. Plecnik, 1911). Sie mußten freilich damals noch unzulänglich bleiben. Denn entweder wurden die dadurch bedingten Konstruktionen noch in die Zwitterung äußerer Stilnachahmung gezwängt, oder die Abhängigkeit vom beherrschenden Profanbau war so unbedingt, daß auch nur der Anschein eines sakralen Charakters verlorengehen mußte. Auch die Ausstattungskünste waren daran, sich zukunftsträchtig umzugestalten. Die Werkbund-Ausstellung in Köln 1914 zeigte bereits die vielbesprochenen Glasfensterentwürfe von Thorn Prikker für die Dreikönigskirche in Neuß.

Alle die verheißungsvollen Ansätze wurden jäh unterbrochen durch die Kriegsjahre und Wirren der ersten Nachkriegszeit. Aber bald brachen die verschütteten Energien wieder mächtig auf. Das repräsentative Forum wurden die Tagungen für christliche Kunst die seit 1920 jeweils in einer anderen deutschen Stadt abgehalten wurden. Alles, was in

Deutschland, Oesterreich, der Schweiz und Holland auf diesem Gebiet einen Namen hatte, traf sich zu gegenseitigem Gedankenaustausch, der fallweise sehr lebhaft, ja leidenschaftlich, aber auch vieles klärend und befruchtend ausgetragen wurde.

Das meist erörterte Hauptproblem, von dem alles übrige abhängig ist, war die Frage, ob es grundsätzlich möglich sei, unter den gegebenen Zeitverhältnissen noch oder schon wieder eine Kunst zu schaffen, die zeitverbunden und doch echt religiös sein könne. Die bejahende Antwort darauf gab das Leben selbst. Es gibt heute schon eine nicht geringe Zahl von Kirchenbauten und -ausstattungen, die dieser unerläßlichen Bedingung voll entsprechen. Wie alles Neue, war dieses revolutionierende Vorwärtstasten in den Anfangsstadien ein gewagtes Experiment. Aber die unreifen Pubertätserscheinungen, die in den ersten Stadien eines wilden Gärungsprozesses unvermeidlich sind, blieben ohne Nachfolge. Das wüste Stimmengewirr einer noch unartikulierten Formensprache hat sich zur verständlichen Rede geformt. Die Weiterentwicklung verläuft nicht mehr in so tosendem Gefälle. Die sichtlich zunehmende Beruhigung ist nicht ein Zeichen von ermattetem Elan, sondern vielmehr der zunehmenden Genesung. Auch Generationen können nicht in Jahrzehnte währenden Fieberdelirien verbleiben. Ein Kind, das Zähne bekommt, fiebert genau so lange, als es sie bekommt, dann aber ist es gesund und leistungsfähiger als je (E. Friedell). In der Schau des Feldherrn ist die Schlacht um die Existenzberechtigung einer zeitgemäßen religiösen Kunst schon gewonnen, wenn auch die Frontoffiziere an vielen Stellen noch heiße Kämpfe auszutragen haben. Es ist daher heute schon überholt, mit sogenannten Durchbruchstendenzen zu . jonglieren und bereits abgetane Radikalismen wieder aufleben zu lassen.

Gewiß, die Tore sind schon weit aufgerissen, aber gerade diese Kraftleistung legt den Nachfolgenden die heilige Verpflichtung auf, auf den neu erschlossenen Bahnen unentwegt weiterzuschreiten. Aus den neuesten Bewegungen der profanen Gegenwartskunst ergeben sich ständig wachsende Beziehungen und Aufgaben, zumal alle diese jüngsten Phasen dem Religiösen nicht beziehungslos gegenüberstehen wie seinerzeit der Impressionismus. Haben doch diese neuesten Richtungen, wie sie sich auch benennen mögen, mit demExpressionismusdieAbkehr vom Materiellen, Naturalistischen gemein und suchen inihrer oft krausen Art doch das Geistige, Wesenhafte. Die Einstellung zu ihnen hat sich nicht zu ändern. „Prüfet alles, was gut daran ist, behaltet.“ (Paulus I, Thess. 5/21.)

Man darf aber die Auseinandersetzungen von heute, so hitzig sie auch gelegentlich geführt werden, keinesfalls verwechseln mit den Diskussionen der zwanziger und dreißiger Jahre. Damals ging es um die grundsätzliche Existenzberechtigung einer religiösen Zeitkunst, heute nur noch um die Anerkennung oder Ablehnung dieses oder jenes Werkes. Und da Fragen dieser Art nie so eindeutig entschieden werden können wie mathematische Lehrsätze, ist des Für oder Wider oft kein Absehen. Die autoritativen Weisungen der Kirch.e, die sich niemals anmaßt, in innerkünstlerische Belange einzugreifen, sind deshalb mitweiserAb-sicht so allgemein gehalten, daß dem Element des Subjektiven in der Anwendung auf den Einzelfallein breiter Spielraum freigehalten wird. Darum hat auch die Erneuerung der religiösen Kunst an sich durch solche autoritative Erklärungen und Erlässe niemals einen Rückschlag erfahren, auch wenn die Weisungen und Warnungen ziemlich scharf formuliert sind. Es wäre oft viel leichter, zu einer Verständigung zu kommen, wenn nicht meist der Verführung nachgegeben würde, den Sonderfall mit Grundsätzlichem zu verflechten. Es steht dann meist schon voreingenommener Standpunkt gegen Standpunkt, nicht Mensch gegen Mensch, die beide sich dessen bewußt sind, daß sie in ihrem Urteil, noch dazu auf einem so heiklen Terrain, wie es die Kunst ist, irren können. Man bedenke doch, welch ungerechte Wertungen gerade oft Großmeister der Kunst, die doch mindestens ein Gefühl für Qualität haben müßten, wenn ihnen schon die andere Richtung nicht behagt, gelegentlich gegenseitig abgegeben haben. Solche Unstimmigkeiten hat es begreiflicherweise schon immer gegeben, ein wirkliches Kunstwerk hat sich oft dabei auch immer kraft seines inneren Wertes durchgesetzt.

Die religiöse Kunst von heute bietet ganz eigene gefährliche Ansatzpunkte des Mißverstehens, sowohl von Seite der Schaffenden wie ihrer Auftraggeber. Die gesunde Mitte, die keineswegs als lahme Kompromißlösung zu deuten ist, sondern als verständiges Zusammenspiel von Zeitwollen und Ewigkeitswerten, ist in ständiger Gefahr des Abgleiten! einmal zu dem „süßen“, dann wieder zu dem „sauren“ (Glaser) Kitsch. Der süße Kitsch, das Verniedlichen und Schönfärben, das Effektlüsterne, damit das Entmannen der künstlerischen und religiösen Kräfte, ist theoretisch dank der Vorarbeit der letzten Generation schon auf ein sehr geringes Aufgebot von Anwälten eingeschränkt. Die gröbsten Verstöße gegen den guten Geist der Kunst (Gipsstatuen, Papierblumen, schlechte Beleuchtungskörper) werden bei bischöflichen Visitationen meist beanständet und tunlichst abgeschafft. Immerhin ist diese Zurschaustellung künstlerischer Impotenz und geschäftlicher Kniffigkeit immer noch eine abschreckend große Macht, die nur mit geballtem Einsatz aller willigen Abwehrkräfte nach und nach unschädlich gemacht werden kann. Erprobte Kenner der Verhältnisse müssen nachsichtig lächeln, wenn sie zusehen, wie wieder einmal ungestüme Jugend auszieht, als moderner Ritter Georg den Drachen zu bezwingen. Es ist aber leider kein Drache, sondern eine Hydra, der immer wieder neue Köpfe zuwachsen. Die verpflichtende Aufgabe ist in diesem Falle das „Fruchtbringen in Geduld“. Nur unablässige Zähigkeit kann dem Enderfolg näherbringen.

Der saure Kitsch hat erst einen sehr jungen Stammbaum. Er ist mißratener Sprößling des Expressionismus, gekennzeichnet durch die gleichen Eigenschaften wie sein Widerpart, nur mit verkehrten Vorzeichen. Es eignet ihm derselbe Unernst der Gesinnung, dieselbe Schwäche der schöpferischen Kraft. Es ist ein anspruchsvoller Dilettantismus, „der das Dunkle für das Tiefe, das Wilde für das Kräftige, das Unbestimmte für das Unendliche, das Sinnlose für das Uebersinnliche“ (Schiller) ausgeben will. Es gibt nicht wenige Erscheinungen, auf die diese Charakteristik trefflich paßt. In neuester Zeit wird freilich dies doppelsinnige Wort „Kitsch“ in ungebührlicher Ausdehnung seines Begriffes, den niemand ganz klar definieren kann, zur modischen Etikette für alles, was nicht in die eigene Richtung paßt. Durch solch leichtfertiges Herumspielen ist das Getue damit nachgerade daran, selber kitschig zu werden. Vor einer kitschigen Ausdeutung ist auch das echte Kunstwerk niemals gefeit. Zwischen der Skylla und Charybdis von Verniedlichung und von Verkrampfung ist das Schiff der modernen religiösen Kunst mit weiser Führung durchzusteuern.

Wenn nicht alle Anzeichen trügen, steht das profane Schaffen in absehbarer Zeit vor entscheidenden Wandlungen. Weithallende Parolen von heute werden verstummen und durch andere abgelöst werden. Die echt religiöse Kunst lehnt in voller Uebereinstim-mung mit ihrer kirchlichen Autorität keine Richtung, die nur in irgendeiner Beziehung . die Worte: Geist, Seele in ihr Vokabular aufgenommen hat, grundsätzlich ab, verpflichtet sich aber auch keiner auf Gedeih und Verderben. Sie hat ihre Eigengesetzlichkeit und ihre Sonderbedingungen und wird sich letztlich aus ihrem unzerstörbaren Wesenskera heraus erneuern müssen.

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