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„Katholisches“ Buch und katholische Öffentlichkeit?

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Es ist nicht nur schwer, sondern unmöglich, das mir aufgegebene Thema in den wenigen Zeilen eines kurzen Aufsatzes zu behandeln. Die folgenden Ausführungen haben daher, ohne irgendeine Vollständigkeit zu erstreben, lediglich den Zweck, den Sinn für ein brennendes Problem zu öffnen, das in der Ueber- schrift dadurch angedeutet sein soll, daß ich das Wort: „katholisch“ einmal mit und einmal ohne Ausführungszeichen gesetzt habe. Diese Problematik beschäftigt heute einen großen Teil des „katholischen“ Verlagswesens, und es ist zugleich die Problematik der Situation des Christen von heute, der nicht nur soziologisch gesehen, sondern von der Sendung seines Glaubens her in einer engen Berührung mit der Welt und mit den „Kindern dieser Welt" lebt und eine andere Entscheidung zwischen Verantwortung und Distanz — „Alles ist euer; ihr aber seid Christi“ — fällen muß, als ihm früher vielleicht erlaubt war. Denn trotz der objektiven Einheit und trotz der dogmatischen Sicherheit des katholischen „Christentums“ ist damit gerade für den „Christen“, der die lebendige Einheit seines Glaubens als stets neu aufgegebene Akutalität erkennt, ein starkes Moment der Mehrdeutigkeit und Freiheit in eine Welt hineingekommen, die für viele bis dato eher eindeutig und reglementartig gewesen war. Fassen wir nun „katholisches Buch“ als Buch, auf, das dieser Situation und seinem inneren Wesen entspricht, dann müssen wir — wenn wir ehrlich sind — sagen, daß zwischen ihm und der katholischen, und das heißt nun kirchlichen und kirchlich-gebundenen Oeffent- lichkeit (wenigstens soweit Oesterreich und Deutschland in Frage stehen), kaum ein nennenswerter Zusammenhang da ist in der Art, daß jenes in dieser ein Echo und eine Antwort fände.

Zunächst fällt auf, daß — von wenigen rühmenswerten Ausnahmen abgesehen — die katholischen und kirchlichen Blätter und Organe es offenbar als unter ihrer Würde und als außerhalb ihrer Aufgabe liegend betrachten, sich in einer Weise mit dem „katholischen“ Buch zu beschäftigen, die ihm und der Gerechtigkeit gegenüber der Sache und dem Leser entspricht. Und sollte es doch geschehen, so ist das Ergebnis, die sogenannte „Besprechung“, häufig so nichtssagend, billig und teilnahmslos, daß man von Voreingenommenheit und Lethargie sprechen möchte, weil das berechtigte Verlangen der Christen hintangestellt wird, und von Diebstahl, weil die wenigen Zeilen Petitdruck, die eventuell dabei herauskommen, nicht einmal als einfaches Aequivalent zu dem erhaltenen Besprechungsexemplar gelten können. Das klingt hart, ist aber eine um so betrüblichere Tatsache, wenn man an die Wirkung, den Einsatz und die Methoden der Gegenseite denkt und weiß, welcher Einbruch hier bereits gelungen ist. Man muß schon sehr blind sein und die gelegentlich (wenigstens theoretisch) immer wieder herausgestellte positive (und negative) Bedeutung des Buches doch nicht sehr ernst nehmen (nach Aussage des Kardinals Su- hard von Paris „eine schwere Schuld"), wenn man diese fast allgemeine Unterlassung entschuldigen will. Sollte es denn tatsächlich unmöglich sein, außerhalb des Sektors der Gebetbücher und Erbauungsschriften jene 30 oder vielleicht 50 Bücher zu finden, die eine eingehende Würdigung oder Auseinandersetzung verlangen und verdienen? Oder eine Einrichtung wie „das beste Buch des Monats“ auch bei uns heimisch zu machen? Oder vom Buch her einen Leitartikel aufzuziehen? So aber bleibt die katholische Oeffent- lichkeit einmal mehr in jener Unkenntnis, die ihr bemerkenswertestes Kennzeichen ist, soweit es sich um die „katholische“ Buchwelt handelt, und unberührt von der zum Teil aufrührenden Problematik, die zumal heute die Welt des Geistes und der Religion kennzeichnet.

Eng damit zusammen hängt eine Hilflosigkeit des Urteils, die vor allem bei der Bewertung der modernen Literatur und in der Begegnung mit der Welt fast automatisch zu pseudomoralischen und pseudo- pastoralen Erwägungen führt, und zwar unbeschadet der sachlichen Unterschiede. Wenn aber die praktische Beurteilung eines Buches den Weg des geringsten Widerstandes wählt, das heißt ohne Rück-

sicht auf den individuellen Charakter des Buches sich allzusehr oder gar ausschließlich auf den Christen der Gewohnheit und der Formel ausrichtet und die entscheidenden Qualitäten seiner Personenhaftigkeit, seiner Freiheit, seiner Individualität und seiner Mündigkeit unterschlägt, wjnn man anderseits die Bedingungen seiner konkreten sozialen Situation, die zu seiner Conditio humana notwendig und unmittelbar hinzugehört, geflissentlich übersieht, dann ist zumal vor der Tatsache einer ungeordneten, brodelnden und unbeheimateten Welt mehr als eine unmittelbare Gefahr gegeben. Eine dieser Gefahren ist die Bevorzugung des christlichen, sittlich einwandfreien oder gar hagiographisch polierten Kitsches, in dem die geistige Anspruchslosigkeit, der „langweilige Tugendeintopf“, das Schema und ähnliches zum Prototyp, das Durchschnittliche zu einer Norm erhoben werden, die weder der Wahrheit noch der Wirklichkeit, auch nicht der christlichen Wahrheit und der christlichen Wirklichkeit, entsprechen, und Professor Egenter sagt mit Recht, daß mit dem Kitsch „an Stelle des wahren Bildes vom christlichen Menschen eine Karikatur gesetzt“ werde. Parallel damit geht ein utopischer Illusionismus, der den naiven Glauben einer Harmonie dieser Welt und des Christentums in ihr hochhält, in dem aber die vielfältige Aktualität des vor der Glorie liegenden Kreuzes und das Paradox des Evangeliums hinter einer geheimnisvollen Gefühlsamkeit, „frommen" Propaganda und spiritualistischen Technik verschwinden und für den die geistig und leiblich Enterbten, die „von Wegrain und Straße“, keinen Sinn mehr haben.

Tatsächlich entspricht nämlich die Situation des Christen in der modernen Welt, wie Prof. Karl Rahner kürzlich ausführte, einer „planetarischen Diaspora“, und zwar nach innen wie nach außen. Das bedeutet u. a., zumal wenn wir diese Situation, obwohl sie aus menschlicher Schuld geboren ist, als ein „heilsgeschichtliches Muß“ erkennen, daß die Kirche offen z u und offen i n einer heidnischen Welt leben und arbeiten und darum auf den hindernden Ballast unehrlicher Fassaden verzichten muß, daß ferner nicht die Bewahrung vor, sondern die Bewährung i n einer im steten Umbruch befindlichen heidnischen Welt unsere bevorzugte Aufgabe sei. Trotzdem darf man wohl sagen, daß zwar bereits viele Christen aus dieser Situation leben und handeln, daß aber die „Christenheit“ noch weit davon entfernt scheint, auf diese Entwicklung zu reagieren, oder, auf unser Thema angewandt, daß zwar das „katholische“ Buch dieser „Christen" bereits da ist, daß aber die herrschende katholische Oeffentlichkeit sich noch scheut, diesem Buch den Platz zu geben, der ihm seiner Aufgabe nach gebührt — von einer Resonanz ganz zu schweigen.

Der Glaubensoptimismus Prof. Rahners, der seine erwähnten Ausführungen trotz ihrer Realistik kennzeichnete, ist daher für das Verhältnis „katholisches Buch — katholische Oeffentlichkeit“ vorläufig noch ein „tragischer Optimismus“ Das gilt sowohl für die Interesselosigkeit, aus der heraus diese Oeffentlichkeit sich „in pharisäischer Selbstgenügsamkeit“ abkapselt oder ihren Bestand an Bildungsgütern „mit unzulänglichen Surrogaten" (Dr. Rob. Grosche) auffüllt, wie für die Gewohnheit, den „Geschmack für das Schöpferische" und Lebendige mit dem „guten Geschmack“ einer sentimentalen Befriedigung, das heißt „der von den frommen Seelen gewünschten Gefühle“ (P. Regamey OP.), zu vertauschen und die Spannungen (zwischen Zeit und Ewigkeit) in der Euphorie historischer Reminiszenzen zu ersticken. „Gewiß sind“, um wieder P. Regamey zu zitieren, „in den Augen Gottes viele Gläubige, vom Ueber- natürlichen her gesehen, .tiefer’ als andere Seelen,

die sich bewußter in die .Tiefen der Zeit gestürzt haben.“ Aber dieser Gesichtspunkt kann für uns nicht maßgebend sein, weil die Fragen der Ueber- natur nicht zu unserem Wertungsbereich gehören. Wohl aber gilt für uns, daß „die Kirche die Inkarnation fortsetzt“ und daß „die normale Ordnung der Dinge verlangt, daß die Gläubigen die ewigen Wirklichkeiten gemäß den Strukturen der aufeinanderfolgenden Zeitalter leben“ Dann aber geht es nicht an, Werke ä la Reimmichl als katholische „Klassiker“ zu verewigen und gleichzeitig den Zugang zu den Werken der katholischen Literatur der Gegenwart durch alle möglichen „Wenn“ und „Aber“ zu erschweren oder unmöglich zu machen, nur weil die Vertreter dieser Literatur die Wirklichkeit der gefallenen Natur und der entschristlichten Welt nicht übersehen und den Blick in den Abgrund der menschlichen Existenz und das Chaos der Zeit nicht scheuen. Darüber mehr zu sagen, verbietet der mir zur Verfügung stehende Raum.

Es muß nämlich in diesem Zusammenhang noch auf jene Gefahr aufmerksam gemacht werden, daß ein Aufbruch und Ausbruch der Laien aus den Formen des kirchlichen Lebens sich gerade dort vollzieht, wo. eine lebendige Verbindung von Religion und Dasein gesucht wird und ein verantwortliches Leben in der Zeit notwendig mit der. Tradition in Konflikt kommen zu müssen scheint. Diese Bewegung kann nicht mehr übersehen werden; sie ist ein Protest dagegen, daß „das Wort von der Mündigkeit der Laien mehr Schlagwort als Wirklichkeit ist“ (Prof. F. Foltich), und die Weigerung, nur als „Material der Seelsorge“ (Th. Tongar) eingeschätzt zu werden. Auch hier zeigt sich, daß Christen und Christenheit, Katholiken und katholische Oeffentlichkeit keineswegs mehr homogene Erscheinungen sind, und daß diese Oeffentlichkeit nur sehr müde aufmerkt, wo ein aufgeschlossenes „katholisches“ Verlagsschaffen sich um die aufgegebene Bewältigung der Welt kümmert. Einmal mehr zeigt sich, daß eine nur pastoral und im Hinblick auf die eigene Seelenrettung zusammengehaltene katholische Oeffentlichkeit an Dingen, die das „rein Religiöse“ überschreiten, nicht • interessiert ist, und darüber kann auch der disziplinarartige Einflußbereich der Organisationen und Aktionen nicht hinwegtäuschen.

Das sind, wie anfangs gesagt, nur einige kleine fragmentarische Bemerkungen. Ich möchte sie mit drei Antithesen schließen und abrunden.

1. Die Verantwortung vor dem Buch darf nicht etwas Statisches sein, sondern muß einen dynamischen Charakter haben. Deshalb darf sie. sich auf dem Fundament der geistigen und sittlichen Wertordnung nicht der Zeit verschließen und damit die Möglichkeiten verkennen, die uns ihre Probleme und Entwicklungen aufgeben.

2. Mit vollem Recht muß das Buchapostolat als seelsorglicher Auftrag angesehen werden. Das heißt aber nicht, die Seelsorge in das Buch hineinzu bringen und es dadurch eventuell in seiner Eigentümlichkeit zu verfälschen.

3. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß der Kampf gegen Schmutz und Schund ohne weiteres ein Beweis für die Verantwortung vor dem Buch ist, und es besteht die Gefahr, daß das Unterscheidungsvermögen bezüglich der Rangordnung der Werte geschwächt ist, wo die Aktion des Negativen nicht durch eine solche des Positiven überhöht wird, auch wenn sie tiefere Einsichten erfordert.

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