6592808-1952_37_15.jpg
Digital In Arbeit

Bauerntum vor der religiösen Entscheidung

Werbung
Werbung
Werbung

Ist nicht schon allzuviel gesprochen und geschrieben worden über die heutige religiöse Lage der Bauern? Man weiß es doch bereits, daß in den Dörfern unseres Vaterlandes lang nicht mehr der Glaube lebt wie einst; ja vielleicht war das überhaupt nicht so, wie man es schlechthin imitier für wahr gehalten hat. Es war vielleicht immer nur ein mehr brauchmäßiges Glaubensleben, in dem der einzelne von der Gesamtheit mitgezogen wurde. — So ähnlich ist das allgemeine Urtjeil. Was will man noch dazu sagen oder schreiben? Wie weit scheint das den Lesern der „Furche" überhaupt noch näher des Besprechens wert? Auf welcher Seite steht der Leser? Am Ende hält er überhaupt nicht viel von den Bauern. Die Kriegs- und Nachkriegszeiten haben eine Kluft zwischen Stadt und Land aufgerissen, die noch nicht geschlossen ist. Wie soll man da über den Bauernglauben schreiben?.

Aus der leidenschaftlichen Sorge um das Landvolk möchte sich einem da eine Anklage entringen, laut und leidenschaftlich und ohne Hoffnung auf eine fruchtbare Debatte. Eine Anklage gegen die Stadt! Ist nicht alle Auflösung des Dorfes von der Stadt hergekommen, von ihrer Lebensform und ihrer Geistigkeit? Mit dem technischen Fortschritt, mit Vęrkėhr und Industrie hat sich das so- ziölogische Bild der Städte in den letzten Generationen vollständig umgeän

dert. Diese Entwicklung rinnt wie eine Lava von der Stadt auf die Dörfer hinaus, zersetzt das Bauerndorf, nimmt ihm seine Geschlossenheit und damit seine starke Lebenskraft als Gemeinwesen. Und das ganze Erbe der letzten Jahrhunderte, wie es sich in den Städten von den Menschen der sogenannten Hochkultur bis zu den Arbeitern der Städte und Industrieorte herabgemindert hat, kommt in Begleitung dieser Entwicklung auf das Dorf: da ist die reine Dies- seitigkeit des Denkens, der Zweifel, die Ehrfurchtslosigkeit, der Spott, die geistige Verproletarisierung, der Nihilismus. „Sinkendes Kulturgut“ hat man einmal das alles genannt; es ist sinkende Unkultur. Was allein Kino und Radio in der Seele des Landvolkes ruinieren! Was nützt da alles Reden? Im 19. Jahrhundert sehen wir in den Witzblättern und anderswo den Bauer von den Städtern als Trottel verlacht, im 20. Jahrhundert speit die Stadt ihre ganze Unkultur aufs Land, der Bauer verschlingt sie gierig und geht daran zugrunde. Daß sich Einzelheiten dieser Entwicklung im Bauemleben nicht sehr erhebend dem Betrachter darbieten, das braucht nicht ständig festgestellt zu werden. Das billige Erschauern manchen Städters, dem sein im allgemeinen doch romantisches Bild vom Bauern beim näheren Betrachten zerstört wird, führt nicht weiter.

So möchte man sich etwa einmal die ganze Sache von der Seele reden angesichts der immer häufiger werdenden klagenden Darstellungen der religiösen Situation unter den Bauern.

Aber auch unsere Rückanklage führt nicht weiter.

Wir müssen immer wieder auf das Grundsätzliche hinuntersteigen. Wir werden den tieferen Gründen der soziologischen Umbildung unserer Dörfer nachgehen müssen. Wir werden der ganz neuen Situation der Pfarrgemeinde im Dorf gerecht werden müssen. Denn die gläubige Pfarrgemeinde ruhte, wenn wir so sagen dürfen, bisher auf der Dorfgemeinde, auf der selbstverständlich kulturellen Einheit der Volksgemeinde. Nichts hatte bisher diese im Wesen berührt. Keine Kriege früherer Zeiten, nicht die Glaubensspaltung der beginnenden Neuzeit, nicht Aufklärung, nicht der Josephinismus. Dieser hat den Klerus erfaßt, aber ist nicht bis zu den Bauern gedrungen. Diese Frage ist zunächst überhaupt keine religiöse Frage im engsten Sinne, sondern eben ein Besinnen auf diese Vorbedingungen bisheriger bäuerlicher Frömmigkeit, nämlich die geschlossene Kulturgemeinschaft. Wenn diese heute in Frage gestellt ist (und sie ist es, denn jedes Dorf hat heute schon einen größeren oder kleineren Hundertsatz von

Menschen, die dem bäuerlichen Kulturkreis und Lebensrhythmus entwachsen), dann wankt ein starker Pfeiler dörflichen Glaubenslebens. Damit ist noch nicht gesagt, daß der bisherige Glaube überhaupt nicht echt oder persönlich erfaßt gewesen ist. Es wäre einer eigenen Betrachtung wert, wie sehr im Lauf der Jahrhunderte gläubiges Leben in den Dörfern gelebt hat. Heute aber ist der einzelne Bauer, der einzelne Mensch des Dorfes, in einer nie dagewesenen Weise auf seine eigene Entscheidung gestellt. Es ist ein Verlust für sein Leben, daß er auf den Nachbar vielleicht nicht mehr rechnen kann. Fürs erste zieht er sich nun zurück und wird untätig. Wenn der gläubige Lebensrhythmus die Gesamtheit nicht mehr trägt, so ist das eine Lähmungserscheinung, ein Stocken des Lebens. Auf der gleichen Ebene läßt sich dieser Verlust nicht mehr gut machen. Es ist ein Verlust für das ganze Volk. Freilich nicht in jeder Hinsicht ein Verlust. Nun muß sich nämlich jeder einzelne, wenn er gläubig sein will, in einer nie erlebten Tiefe seines Wesens entscheiden. Diese Entwicklung ist freilich in den verschiedenen Dörfern, in den verschiedenen Siedlungsformen verschieden weit vorangediehen; aufzuhalten ist sie nicht.

Die Entscheidung braucht eine geplante und gelenkte Einsatzbereitschaft. Auch die Seelsorge darf angesichts dieser Tatsachen nicht unberührt bleiben. Man hat gefragt, wo denn das Neue liege, und man hat angesichts der vielen einstürmenden Fragen Und neu hinzukommenden Tätigkeiten nach der immer notwendig bleibenden cura ordi- naria gerufen, die über einer Vielfalt neuer Dinge nicht vernachlässigt werden dürfe. Natürlich bleiben Wort-Gottes- Verkündigung, Religionsunterricht, Beichtstuhl usw. in ihrer Bedeutung bestehen. Jetzt geht es aber um Dinge, die weder in der Erinnerung der heute lebenden Seelsorger noch in der Geschichte der Dorfseelsorge (sie ist noch nicht geschrieben) eine Parallele hat. Es geht um etwas, das die Seelsorge in der Form nie hat tun müssen: um den inneren Neubau der Pfarre. Diese Lage hat es seit Bestand dieser Dörfer nie gegeben, in dieser Form nicht. Es muß aus der Zahl der mit Selbstverständlichkeit noch Getauften des Dorfes der gläubige und willige Kern um die Mitte organisiert werden. Dieser Kern muß Christus kennenlernen mit einer Lebendigkeit, wie sie im Zeitalter dieses Verfalles nicht vorhanden ist, und muß Christus bekennen lernen. Denn die Frage ist nicht ausreichend umschrieben — das soll ganz klar gesagt sein — mit Volkskunde oder mit Volksbildung oder auch mit einem billigen Wort vom Väterglauben, sondern es geht darum, daß der einzelne lebendig Christus begegnet. Weiter muß dieser Kern seine Spitze finden in führenden und einsatzbereiten Christen aller Altersstufen und beider Geschlechter. Diese müssen geweckt und geschult werden für ihre Aufgabe. Ein Plan muß erstellt werden, wie das Gesamtleben des Dorfes von einem christlichen Formungswillen durchdrungen wird. Denn das Dorf steht heute an dem Punkt, wo alle Lebensbereiche sich aus dem Bereich christlicher Durchformung herausentwickeln. Das Religiöse verweltlicht, das Verweltlichte verfällt der Dämonie. Ein Ringen entsteht, das nur deshalb nicht als grandios empfunden wird, weil es sich im kleinen Bereich des Dorfes abspielt, weil es großer Gesten ermangelt, vielmehr sich oft in an sich unbedeutend scheinenden Häßlichkeiten darbietet. Aber es ist geladen mit dem Leide dessen, der oft hilfloser Augenzeuge ist all dieses Geschehens, des Priesters, des Lehrers, des geweckten Bauern, die oft einer Einsichtslosigkeit, einer Borniertheit gegenüberstehen können, daß sie mutlos werden möchten. Daneben stehen freilich auch schon Erfolge des Aufbaues: Verlebendigung des Gottesdienstes, des sakramentalen Lebens, steht ein Anfang in der jungen Generation, die bereits auf das Wesentliche des Christentums hingelenkt ist, wie es in diese Situation hineingebaut werden muß.

In dem Rahmen dieses Geschehens spielt sich etwas im Besonderen ab, dessen gedacht werden muß. Es ist die

Krise des Weltbildes des einfachen Menschen. Weltbild kann hier heißen das naturwissenschaftliche Weltbild und die gesamte Weltauffassung, auch „Weltanschauung" genannt. Was ist gemeint? Der Bauer ist heute, wenigstens die jüngere Schicht, durchaus dem Fortschritt zugewandt. Der wissenschaftliche und technische Fortschritt ist für seinen Beruf ja von größter Bedeutung, kann allein ihn wirtschaftlich retten, wird von ihm bejaht und ist auch zu bejahen. Aber mit dem Fortschritt kommen an den Bauer auch all die Fragen heran, die das moderne naturwissenschaftliche Weltbild mit sich bringt. Da gibt es scheinbare Widersprüche zwischen Wissen und Glauben. Das naturwissenschaftliche Weltbild der Heiligen Schrift, das von der Kirche vom Glaubensgehalt der Bibel getrennt wird, ist dem Menschen des Dorfes von Kindheit an eigen. Jetzt sieht er einen scheinbaren Zwiespalt, es kommen Zweifel, oft erhält er keine ausreichende Erklärung des Sachverhalts. Die Richtung aber, aus der er die neuen Erkenntnisse erfährt, sie ist dieselbe, die ihm den notwendigen und ihm letztlich auch imponierenden Fortschritt vermittelt — sie ist die Richtung vom Fachmann, vom Wissenschafter, vom Städter her. Oft begegnen ihm auf diesem Wege Menschen, die selber durch das neue naturwissenschaftliche Denken zu keinem gläubigen Denken durchgestoßen sind. Denn das Denken des Durchschnittsstädters ist rein diesseitig. Der Bauer aber hatte bislang ein umfassendes Denken,. ein die sichtbare Welt und die unsichtbare Wirklichkeit, die dahinter steht, umfassendes Weltbild. Das bleibt auch wahr, wenn man zugestehen muß, daß sein Glaube an die übersinnliche Welt durch Aberglaube und Einseitigkeiten ein klärungsbedürftiges Gottesbild aufwies. Sein Weltbild war um

fassend und richtig. Jetzt kommt der Zweifel, ob das, was gepredigt wird, auch der modernen Zeit standhält, und mit diesem Zweifel kommt die große Versuchung des heutigen Menschen auch an den Bauern heran, nämlich sich ein Leben zu bauen, das ganz absieht von der göttlichen Wirklichkeit. Kurz gesagt, der Bauersteht vor der Gefahr des Materialismus. Man hört es heute oft genug sagen: Der Bauer ist Materialist. Meist soll das heißen, daß sich mancher Bauer lebensmäßig ganz diesseitig das Leben einrichtet, und anstößig ist noch dazu, daß sich das anscheinend mit noch ein wenig oder mehr Kirchengehen zu vertragen scheint.

Die Frage liegt aber tiefer. Es geschieht doch auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung in der Bauernseele. Auseinandersetzungen müssen nicht schädlich sein, sie rütteln auf. Es wird aber eine Schicksalsfrage des bäuerlichen Glaubenslebens sein, daß der Bauer Menschen begegnet, die das moderne wissenschaftliche Denken mit einem lebendigen Glauben verbinden. Die Richtung, die den Zweifel gebracht hat, kann auch wieder viel Sicherheit bringen. In diesem Sinne kann man es gelten lassen, was man heute öfter hören kann, daß aus der Stadt, aus der der Unglaube kam, auch wieder der Glaube kommen müsse. Nur so weit können wir nicht zustimmen, daß zuvor aller bisheriger Bauernglaube untergehen müsse. Unser heimatliches- Bauerntum hat noch so viel gläubige Substanz, daß es, soweit es überhaupt hiebei auf Menschenwerk ankommt, einer gläubigen Planung, Weckung, Bewegung, Aktion gelingen müßte, das Wesentliche des christlichen Glaubens der Bauern, unseres kostbaren Erbes, auch in eine moderne Zukunft hineinzubauen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung