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Die Kirche und die neue Kunst

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Im vergangenen Frühjahr und Sommer gab es im katholischen Bereich in der Bundesrepublik und in Österreich eine Reihe von Tagungen zu den Themen „Kunst und Kirche” oder „Theologie und Kirche”. Am Anfang stand eine Tagung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Bonn, an der Heinrich Böll, Joseph Beuys und andere bekannte Künstler teilgenommen haben (die FURCHE hat darüber berichtet). Es folgten Tagungen an den Katholischen Akademien in München, Stuttgart-Hohenheim und Freiburg. Der Autor hat an allen diesen Tagungen teilgenommen und anläßlich eines Symposions in Wien, im Juni dieses Jahres, folgende Stellungnahme gegeben, die wir im folgenden, leicht überarbeitet und gekürzt, wiedergeben.

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Im vergangenen Frühjahr und Sommer gab es im katholischen Bereich in der Bundesrepublik und in Österreich eine Reihe von Tagungen zu den Themen „Kunst und Kirche” oder „Theologie und Kirche”. Am Anfang stand eine Tagung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Bonn, an der Heinrich Böll, Joseph Beuys und andere bekannte Künstler teilgenommen haben (die FURCHE hat darüber berichtet). Es folgten Tagungen an den Katholischen Akademien in München, Stuttgart-Hohenheim und Freiburg. Der Autor hat an allen diesen Tagungen teilgenommen und anläßlich eines Symposions in Wien, im Juni dieses Jahres, folgende Stellungnahme gegeben, die wir im folgenden, leicht überarbeitet und gekürzt, wiedergeben.

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In der Kirche bricht vehement die Frage nach ihrem Verhältnis zur Kunst auf. Der gute Wille allein freilich genügt nicht. Den Problemen, die die moderne Kunst aufwirft, kann man nicht ausweichen, man muß sich ihnen stellen. Dazu seien hier sechs Thesen formuliert:

These 1:

Die Kirche befindet sich im kulturellen Sektor in einer Ghettosituation. Prälat Hanssler hat das in Bonn so formuliert: „Die Literatur pfeift auf die Kirche, die Kirche pfeift auf die Literatur.” Ich glaube, daß man das nicht nur von der Literatur, sondern auch von der bildenden Kunst sagen kann. Man kann sich außerdem fragen: Seit wann sind denn die Katholiken kulturell inferior? Wann hat das eigentlich begonnen?

Mir scheint, das Problem Kirche- Kultur ist so alt wie die Kirche selbst. Es hat schon in der frühen Kirche Streitigkeiten, Kämpfe und Auseinandersetzungen auf diesem Sektor gegeben. Tertullian war der Meinung, man müsse die antike Kultur ablehnen, die Alexandriner (Clemens und Origenes) begannen das Gespräch mit ihr. Diese Auffassung hat sich zunächst durchgesetzt. Dann hat es die verschiedenen Büderstreite ge- .geben; es ist bemerkenswert, wie heftig sie gewesen sind und wie leidenschaftlich sie auch heute noch geführt werden. Kunst weckt anscheinend immer wieder Aggressionen.

Nun habe ich allerdings den Eindruck, daß sich seit der Aufklärung etwas verändert hat, daß die bis dahin außerordentlich starke Tradition der barocken und vorher der gesamten europäischen Kunst abgerissen ist, die doch in einer sehr engen Verbindung mit der Kirche stand. Es kommt zu einer Ghettoisierung der Kunst im kirchlichen Bereich, einer sogenannten „kirchlichen” Kunst (den Begriff hat es vorher gar nicht gegeben).

These 2:

Unter Christen sind zwei Grundeinstellungen sehr häufig anzutreffen, nämlich die erste, die besagt: Kunst ist Luxus. Die Kirche hat es mit der Seelsorge zu tun, Kunst dagegen ist etwas Überflüssiges, sie ist bloß ästhetisch zu verstehen und ist ein Abweg, ein Seitengeleise. Mit ihr beschäftigen sich in der Kirche nur Leute, die nichts Wichtigeres zu tun haben.

Die zweite ist: Wenn man schon Ja zur Kunst sagt, dann zu einer Kunst, die pädagogisch-katechetisch einzusetzen ist Vielleicht ist das eine Rückwirkung der Aufklärung auf die Kirche. Bedeutende Künstler haben große Hemmungen, kirchliche Aufträge anzunehmen, aus Angst, ihr Niveau zu unterschreiten, oder vereinnahmt zu werden. Dagegen ist zu sagen: die Kirche darf nicht über Kunst verfügen, sondern muß sich ihr öffnen, muß auch ihre Botschaft hören; sie muß von der Kunst etwas lernen, auch von der Kunst dieser Zeit. Sie muß sich auf sie einlassen.

These 3:

Es ist bemerkenswert, daß der Situation, die ich ganz kurz für die kirchliche Kunst geschildert habe, auch die Situation der Gesamtkunst entspricht. Das Wort von Paul Klee ist ja bekannt: „Uns trägt kein Volk.” Es ist zu einem Riß gekommen zwischen der Kunst für eine kleine Schicht von Gebildeten, Museums- besuchem und Sammlern, und dem Volk, das weithin der Kunst fremd gegenüber steht und sehr lange zur Rezeption braucht. Wir wissen ja, wie radikal die Impressionisten abgelehnt worden sind, an denen heute kein Mensch mehr Anstoß nimmt. Dasselbe gilt für die Maler der Brücke oder des Blauen Reiter. Wir wissen, wie es hier bei uns einem Schiele gegangen ist. Das kommt also noch verschärfend hinzu.

These 4:

Es hat in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Ausbruchsversuchen aus dieser Situation gegeben: auf der einen Seite den integralistischen Versuch der Vereinnahmung der Kunst, auf der anderen den Rückzug aus allen Bereichen der Kultur, unter Berufung auf den Primat der „Seelsorge”. Es erhebt sich die Frage, ob es noch eine dritte Möglichkeit gibt: die Kirche nimmt die Kunst als Partner ernst, läßt ihre Autonomie unangetastet, stellt hohe Qualitätsansprüche, sucht aber das Gespräch mit ihr. Dieser dritte Weg ist schon beschritten worden.

Da sind einerseits die Dominikaner in Frankreich zu nennen, die nach dem Zweiten Weltkrieg Künstler wie Rouault, Bazaine, Richier, Läger, Le Corbusier usw. eingeladen und beauftragt haben. Leider ist das ziemlich alles versickert - heute gibt es in Frankreich so etwas kaum mehr.

Es gibt einen zweiten Versuch, der uns wesentlich näher steht, nämlich den von Otto Mauer, und ich glaube, daß er eine sehr starke Wirkung gerade auf die begabtesten Künstler in Österreich gehabt hat. Es ist doch bemerkenswert, daß ein Arnulf Rainer, Josef Mikl, Emst Fuchs, Wotruba, Prantl oder Hrdlicka immer wieder mit dem Religiösen sich auseinandersetzen, was innerhalb der Kunstszene heute - international gesehen - eher ungewöhnlich ist. Das hängt sicher mit der gesamten österreichischen Geistigkeit zusammen - aber Msgr. Mauer hat das Problem offengehalten: das ist sein Verdienst. Ich glaube, daß das ein österreichisches Specificum ist, das uns eine besondere Verantwortung auferlegt.

These 5:

Wir brauchen eine Theorie, die den Ort der Kunst in der menschlichen Existenz aufweist, wir brauchen also eine philosophische Anthropologie, die das tut, und ebenso eine Theologie der Kunst, des Bildes, nicht nur des Wortes. Das Wort steht ja den Theologen nahe - trotzdem ist die Literatur weithin abgewandert.

Ich glaube, daß es unhaltbar ist, die Bibel als die „Mutter aller Büder” oder gar als „Norm aller Büder” zu bezeichnen, wie dies auf zwei der genannten Tagungen (in Bonn und München) vertreten worden ist. Das ist integralistisch gedacht; es wird dabei übersehen, daß es Büder auch außerhalb der Bibel, in allen Religionen gegeben hat, und daß diese Bilder weder inferior noch weniger menschlich sind. Außerdem droht hier die Gefahr der Verengung auf eine mehr oder weniger traditionelle Ikonographie. Wir schneiden uns damit die Möglichkeit ab, mit den anderen Religionen und Weltanschauungen ins Gespräch zu kommen, und wir verlieren den Kontakt mit unserer Zeit, spielen uns selbst ins Abseits.

Denn es muß deutlich gesagt werden: es gibt in der modernen Kunst zahlreiche religiöse Impulse, die durchaus nicht vom Christlichen her allein zu verstehen sind: angefangen vom Chassidismus bei ChagaU bis zur Gnosis bei Malewitsch oder der Anthroposophie. Die indische Philosophie hat (auf dem Weg über Schopenhauer) auf so verschiedene Künstler wie Alfred Kubin und Max Beckmann gewirkt. Bei Täpies und vielen anderen lassen sich fernöstliche Einflüsse nachweisen. Für uns Christen müßte das eine Rückfrage seih, warum es vielen Künstlern des obersten Formniveaus offensichtlich nicht mehr genügt, aus unserer Tradition heraus zu schaffen.

Ich glaube also, daß der biblische Ansatz zu eng ist.

These 6:

Ein fruchtbarer Ansatz wäre eine Philosophie der Kunst, die die Frage stellt, ob es nicht so etwas wie ein Transzendieren des Kunstwerks gibt.

Ich möchte kurz auf drei Versuche hinweisen, zu umreißen, was mit dem Transzendieren des Kunstwerks gemeint sei:

1. Goethe spricht von der Rückführung der Phänomene auf die Urphä- nomene, d. h. das Besondere, das Konkrete wird überschritten in Richtung auf das Allgemeine. Das geschieht in Bildern und Symbolen, die im Anschaulich-Besonderen bereits das Allgemeine mitenthalten. Eine solche Kunst nennt Goethe die symbolische. In den poetischen BUdern und Gestalten liegt ihr unaussprechbarer Sinn, der unmittelbar geahnt und durch Anschauung offenbar gemacht werden kann. Das Symbol verharrt im Bild, indem das Allgemeine bereits als Unaussprechliches, als offenbares Geheimnis mitenthalten ist In den Phänomenen offenbart sich die Gestalt deines Urphänomena- len, das unerforschlich bleibt und sein Geheimnis nur durch Anschauung und vielseitige Beziehungen zwischen den Phänomenen offenbart. Die besondere Stärke dieser Auffassung ist, daß Goethe darauf hinweist, die Natur sei als Unverfügbare Ausgangs- und Zielpunkt der Kunst, ohne daß sie jene jemals völlig entschleiert

2. Unter Transzendieren kann das Überschreiten des gegenwärtigen Augenblicks auf Zukunft und Vergangenheit hin gemeint sein. Der Mensch ist ja jenes Wesen, das nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Zukunft und der Vergangenheit lebt. Er ist ein geschichtliches Wesen. Aus dieser Verfaßtheit des Menschen entspringt seine Fähigkeit, die Gegenwart zu kritisieren. In diesem Sinn ist Kunst Protest, und Albert Camus hat mit Recht bemerkt, daß sie das seit der Aufklärung in verschärfter Weise ist. Die große Literatur, angefangen von Boltaires Candide bis hin zu Kafka, Joyce und Beckett ist Protestliteratur. Dasselbe geschieht in der bildenden Kunst, seit Goya die Häßlichkeit der königlichen Familie gemalt hat. Dieser Protest richtet sich nicht nur gegen gesellschaftliche Zustände, er ist viel grundsätzlicher und wendet sich gegen die condition humain als solche, bei Kafka wie bei Camus, bei der ganzen absurden Literatur, und Kunst, etwa beim Surrealismus.

Andererseits kann Kunst Zukunftsentwürfe bieten, kann Verheißung sein auf Kommendes, kann Utopien entwerfen, was wörtlich „Nicht-Ort” heißt, besser „Noch- Nicht-Ort”. Dabei ist zu beachten, daß es auch rückwärtsgewandte Utopien gibt, wie etwa das Paradies, das in der modernen Kunst eine bedeutende Roüe spielt, etwa beim Blauen Reiter, bei Macke, Marc, Klee und Kandinsky. Sie alle sind auf der Suche nach dem verlorenen Para-\ dies, freilich immer im Blick auf etwas Kommendes.

3. Damit komme ich zu einem dritten Sinn des Transzendierens (der die beiden ersten nicht auszuschließen braucht): das Kunstwerk transzendiert als Kunstwerk. Adorno spricht von der „ästhetischen Transzendenz”. Im Gegensatz zur marxistischen Ästhetik eines Lukäcs etwa ist daran festzuhalten, daß Kunstwerke durch ihre Form Kunstwerke sind, nicht durch irgendwelche Bedeutungen. Das Kunstwerk setzt dem Chaos die Form entgegen, was freilich auf ganz verschiedene Weise geschehen kann. Darauf hat z. B. auch Heinrich Böll bei der Diskussion sehr energisch hingewiesen.

Das Kunstwerk steht unter dem Anspruch der Gestalt, die ein konkretes Ganzes ist, und das war wohl früher auch mit dem Begriff der Schönheit gemeint, wenn man Schönheit nicht als Behübschung begreift, sondern im Sinne Rilkes: „Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang..

Allerdings glaube ich, daß man eine Ästhetik nicht allein vom Begriff der Schönheit her aufbauen kann, sondern vielmehr von dem der Wahrheit, wie das Hegel als erster entschieden getan hat, aus dessen Ästhetik ich nur eine zentrale Stelle zitieren darf: „Hiergegen steht zu behaupten, daß die Kunst die Wahrheit in Form der sinnlichen Kunstgestaltung zu enthüllen, jenen versöhnten Gegensatz darzustellen berufen sei und somit ihren Endzweck in sich, in dieser Darsteüung und Enthüüung selber habe.” Adorno ist ihm hierin gefolgt: „Alle ästhetischen Fragen terminieren in solchen des Wahrheitsgehaltes der Kunstwerke: ist das, was ein Werk in seiner spezifischen Gestalt objektiv an Geist in sich trägt, wahr?”

Die Wahrheit des Kunstwerks liegt aber nicht in irgendwelchen ikono- graphischen Bedeutungen, sondern in der formalen Bewältigung. Daher ist bei der Beurteilung von Kunst zuerst auf das Formniveau zu achten, wie es die französischen Dominikaner und Otto Mauer unentwegt getan haben.

Um es nochmals in aller Deutlichkeit zu sagen: Das Kunstwerk als solches, seine Gestalt, seine Form, seine Schönheit - um es in verschiedenen Begriffen auszudrücken - weist über sich hinaus. Das könnte man die höchste, die transzendentale Ebene nennen, auf der unsere Frage zu verhandeln ist. In diesem Sinne transzendiert jedes Kunstwerk - und das um so mehr, je bedeutender, je qualitätvoller es ist, d. h. je mehr es an Wirklichkeit aussagt und verdichtet, je mehr „Wahrheitsgehalt” es hat, je heller und leuchtender und damit erleuchtender es unser Bewußtsein trifft und verändert.

Ob ein Kunstwerk ein religiöses Thema hat - also die Erschaffung der Welt, die Bergpredigt, die Parabel vom verlorenen Sohn darstellt, das ist demgegenüber sekundär, betrifft eine zweite, untergeordnete, katego- riale Ebene. Natürlich gehört auch das wesentlich zum Werk, muß formal bewältigt werden, wie überhaupt gesagt werden muß, daß aüe „Bedeutungen” ins Ganze des Büdes integriert werden müssen, wenn nicht das Werk mißlingen soll. Ein „religiöses” Thema, ein biblisches zumal, kann natürlich auch Vorwand für et- was anderes werden, etwa eine erotische Darstellung von „Susanna und die beiden Alten”. Das schließt nicht aus, daß es transzendiert, wenn es nur ein authentisches Kunstwerk ist.

Um das an einem weiteren Beispiel zu exemplifizieren: ein Bild Cėzan- nes, etwa eine Darstellung des Mont St. Victoire ist zweifellos im ikono- graphischen oder auch im symbolischen Sinn kein religiöses Büd, aber es ist ein bedeutendes Kunstwerk. Die Art und Weise, wie hier Farben moduliert werden, wie sich die Struktur des Büdes aufbaut, stellt eine außerordentliche künstlerische Verdichtung der Wirklichkeit dar, und in diesem Sinne, also im transzendentalen Sinne, dürfen und müssen wir sagen, daß es transzendiert, und das nicht bloß in einem gewöhnlichen, sondern in einem außerordentlichen Maße.

Ich habe immer von Transzendieren gesprochen und nicht von Transzendenz. Denn über Transzendenz verfügt das Kunstwerk nicht, es kann nur auf sie hinweisen. Transzendieren ist ein offener Begriff, und der Ansatz, der hier geboten wird, ist deshalb der Versuch eines Sich-Ein- lassens auf das Kunstwerk, eines wirklichen Anschauens und Hinhörens. Damit wird die Frage „Kirche und Kunst” eigentlich überstiegen auf die Frage nach dem letzten Sinn von Kunst überhaupt für die menschliche Existenz, und damit auch nach der wurzelhaften Verbundenheit von Kunst und Religion, die die Sinnfrage ebenfalls auf ihre Weise stellt. Diese Verbundenheit hat es von den frühen Höhlenmalereien an gegeben, und sie ist bis heute nicht abgerissen, und ich glaube, daß es sehr viele Künstler gibt, die das Gespür dafür haben: Wenn dieser Hintergrund verloren geht, dann ist das auch für die Kunst fatal, weil sie ihre eigentliche Tiefe und den Sinn ihrer Existenz verliert.

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