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Landschaft der Seele

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Menschen ohne Phantasie, und zwar die ernsthaften, ernst zu nehmenden unter ihnen, denen wir manche wertvolle Verstandes- und Willcnsleistung zu danken haben, empfinden, auch wenn sie es nicht gerne zugeben, ein Mißtrauen und Mißbehagen, wenn von „Seele“ die Rede ist, der ewig Unwägbaren, Unbegreiflichen, die kein Irdischer je absieht und ermißt.

Für sie ist sie — mit sehr viel Recht — das Unheimliche an sich, da5 Rand-, Ufer-, Umriß- und Gestalt-, das Grund- und Bodenlose, immer wieder einmal auch Vorwand und Anlaß zu allem möglichen Zauber und Klimbim; und in der Tat, die Freibeuterei auf der, wie schon gesagt, nidn abzusehenden und unermeßlichen „See“ der „Seele“ war und ist zu allen Zeiten groß, bis hinein in Kreise, die ihr Tun und Treiben die „Wissenschaft“ von der Seele nennen, „und wissen gar nicht viel“. Der musische Mensch vergibt sich alo nichts, solche Einwände reiner Vernunfsmenschen zu bedenken; es sind etliche erwägenswerte darunter und sie werden gewiß nicht aus Nörgelsucht geäußert, sondern aus Verantwortungsbewußtsein.

Andere hingegen andere Manschen ohne Phantasie, oberflächlich und unweise, belächeln sie nur, die Seele, wenn sie sie nicht überhaupt leugnen, belädieln sie nur, überheblich, und als fegten sie mit einem Handumdrehen diesen Afavismus, diese altbackene Romantik resdi und fesch vom Tische — an den sie freilich nie geladen waren. Sie gehen uns hier nidn wtiter an, diese „Vernünftigen“, für die nur das Sehbare die Wirklichkeit und nur das Sinnenfällige die Welt bedeutet, diese. Toren, denen vor lauter Außen das eigene Innen entgeht, der Hintergrund entgeht vor lauter Vordergrund, das Drüben und Drüber entgeht vor lauter Hüben und Unten. „So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehn.“ Nein, mit ihnen ist nicht zu rechten!

Uns aber gelte die Seele als das, was sie schon dem Wortsinn nach bedeutet, schledit-hin als die Lebenskraft. So wollen wir sie werten, in Ehrfurcht, aber eingedenk dessen, daß die Seele — wie das Leben — immer und ewig ihre Rätsel hat und mehr, viel mehr noch: ihr Geheimnis. Ihr Geheimnis, das ihr Anwalt, der Künstler, uns zu offenbaren hat.

Treten wir mithin einem Kunstwerk gegenüber, e|wa einem der Landschaftsmalerei, so dürfen wir also nicht bei der Frage stehenbleiben, die der im Kunstgenießen und -erkennen noch wenig Geübte immer wieder zuerst und zuvörderst stellt, bei der Frage nach der Naturähnlidikeit oder -unähnlichkeit. Wir müssen uns vor Augen halten, daß ein Kunstwerk der sinnlich erfahrbaren und erfaßbaren Natur entsprechen kann, nicht aber muß, daß nicht jeder Landschafter, nicht jede Künstlerseele der Natur gegenüber in der gleichen Distanz aufgestellt ist. Es gibt so dingfrohe, so sinnenselige, so naturnahe Künstler, daß ihre, freilich mitunter recht geheimnislosen Bildwerke der Natur in hohem, ja höchstem Grade entsprechen müssen, und zwar aus der Anlage heraus, die Schicksal ist: Reichtum und Armut zugleich (etwa zuweilen Armut an Phantasie)„ aus dem innerlichen Müssen ihres Schöpfers heraus; denn diese Maler siftd in erster Linie Auge, und somit ist die Anschauung, weniger die Erfindung, die Wiedergabe immer etwas mehr als die Gabe ihr Teil und Beruf.

Sie werden uns manche herrliche, köstliche Landschaft der — Sinne schenken, diese Realisten, Naturalisten, Impressionisten, diese auf alt und neu Sachlichen, so meisterlich und gekonnt wie nur denk-und wünschbar und so „aus dem Leben“, daß an ihren gemalten Früchten immer wieder einmal die Vögel, genarrt und getäuscht, picken werden wie an „wirklichen“. Sie müssen so, sie können nicht anders, diese Künstler, dürfen gar nicht anders; denn es ist ihre Sendung, ihr Auftrag, und es sei nichts dagegen gesagt.

Immer wieder aber steht, gar im germanischen Bereich, so ein Speerschütteier auf, ein Pandämonium in der Brust, ein Romantiker, ein Gotiker etwa oder gar so ein Gottseibeiuns, ein böser Expressionist, und meißelt und. malt, aber was ihm „ans Innre des Lids gemalt ist“, um ein Wort des Dichters Wilhelm Franke, der selbst ein gotischer Lvriker ist, hier ortgerecht anzuwenden, einen Lindwurm, ein Gespenst, eine Fratze, ein Wesen, „das es nicht gibt“, eine — seltsame Landschaft, seine Landschaft, die inwendige, die Landschaft seiner Seele, unserer Seele, der Seele oder auch die Seele der Landschaft selbst; eine Landschaft, geboren und gestaltet aus einem rein seelischen (nicht nur sinnlichen) Erlebnis der Seele der Dinge (und nicht nur ihrer Haut). In einem Gedicht „In memoriam Egon Schiele“ hat der vorhin zitierte Dichter das, worauf es in diesem Zusammenhang ankommt, sehr einprägsam in die Worte gefaßt:

„Unzählige Blicke der Wandernden glitten

über sie hin, scharfe Augen der Schiffer faßten sie nicht, die Stadt am blauen Fluß. Niemals und nimmermehr traf sie ein weckender, Seele schenkender Blick voll Lieb' wie der ihres Malers, Steine rufend aus ihrem Tod. Denn so war sein Schauen.“

Wohl ist also Kunst immer geformtes Erlebnis; aber nicht nur das ist Erlebnis, was äußerlich, auf dem Wege unserer täglichen Erfahrung, unserer Sinne, zustande kommt und sich damit bescheidet. Die höheren, die künstlerischen Erlebnisse sind entweder Körper- oder Bedeutungserlebnisse; und es ist leicht einzusehen, daß ein phan tasievoller, ja phantastischer Künstler mehr Bedeutungs- als Körpererlebnisse haben wird, daß er immer mehr ein Meister des Hintergrundes sein wird als einer des Vordergrundes, daß ihm die Naturähnlichkeit unmöglich das oberste Gesetz sein kann, daß bei ihm die Wahrheit des Ausdrucks nicht wie bei einem ausgesprochenen Wirklichkeitskünstler in der Übereinstimmung mit der Außenwelt zu suchen und zu finden sein wird, sondern in der Übereinstimmung mit seiner Innenwelt. Erlebt der eine, der Realist, etwa ein Haus, so wird er es erleben, wie er es anlagegemäß erleben muß, er hat keine Wahl, er erlebt es körperlich, besser: vorwiegend körperlich, und stellt es dar, eingehend genau, liebevoll betrachtend und noch die Einzelheit beachtend. Und erlebt der andere das nämliche Haus, so wird er es erleben, wie er es anlagegemäß erleben m u.ß, er hat keine Wahl, er hat nur oder fast nur Bedeutungserlebnisse; alles Körperhafte, Äußerliche ist ihm nicht wichtig, er denkt sogleich nur an das Leben der Inwohner hinter diesem belanglosen Mauerwerk, an die Mühe und Not ihres Tages, an die Süchte und Sünden ihrer Nächte. Wie anders wird sein Bildwerk sein müssen; müssen, auch wenn ein paar allzu Nüchterne es exotisdi, exzentrisch, ekstatisch, ja „umöglich“ schelten.

Es begreift sich von selbst, daß sowohl die reine Eindruckskunst als auch die reine Ausdruckskunst, die eine, weil sie das Geistige allzu verdinglicht, die andere, weil sie die Dinge allzu vergeistigt, „nur die halbe Wahrheit in Händen hat“, um es mit Hermann Bahr zu sagen. Die ganze Wahrheit haben immer nur wenige in der Hand. Goethe etwa, wenn er sagt: „Alle, die ausschließlich die Erfahrung anpreisen, bedenken nicht, daß die Erfahrung nur die Hälfte der Erfahrung ist.“ So wehrte er, der Glückliche, so Auge wie Seele, allen extremen Impressionismus des Lebens, der Wissenschaft, der Kunst von sich ab und wußte sich doch ebenso vor allem extremen Expressionismus (der wieder die äußere Welt mit des Menschen- innerer Kraft vergewaltigen will) durch sein stillbeglücktes Vertrauen zu den Sinnen zu bewahren. Die ganze Wahrheit liegt wieder einmal in der Mitte: im vollen Sehen, das weder den Menschen durch die Natur noch die Natur durch den Menschen vergewaltigt, sondern beiden ihr Recht läßt. Sie ist so groß diese Wahrheit, diese ganze Wahrheit, daß nur eine große Begabung sie in den Händen hat, hält und behält.

Aber malt uns ein solcher Künstler eine Landschaft, dann gewiß nicht nur ihre Hügel, Bäume, Straßen, Häuser, ihr Licht und ihren Schatten, ihre Formen und Farben, sondern immer auch etwas mit von ihrer geheimen Dämonie; eine Landschaft der Sinne nicht nur, nein, auch eine der Seele.

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