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Wege aus der Einsamkeit?

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„Die Einsamkeit des Naturwissenschafters in der Kirche", betitelte der deutsche Theologe und Naturwissenschaftier Rupert Lay 1969 einen später auch in einem Buch abgedruckten Radiovortrag. Er umriß damit schon im Titel die merkwürdige Situation, daß es Vertretern der Profanwissenschaft vielfach kaum gelingt, in der katholischen Kirche geistig und (vor allem) spirituell heimisch zu werden, während anderseits die Vertreter dieser Kirche allenthalben beteuern, es gäbe ja gar keine offenen Fragen mehr, und alle früheren Probleme seien so gut wie ausgeräumt.

Diese stereotype Antwort kann man ja sowohl von den Repräsentanten der Theorie, den Theologen, als auch den Vertretern der kirchlichen Praxis, den Seelsorgern auf allen Stufen der Hierarchie, oftmals auch heute noch zu hören bekommen.

Nun mag man die Heimatlosigkeit einer relativ kleinen Gruppe von Menschen ohne gesamtkirchliche Krisenstimmung hinnehmen können. Naturwissenschaftler sind im allgemeinen trockene und selbstbewußte Leute, und wer, wie viele von ihnen, in der Welt herumreist, wohl gar seines Berufes wegen seine Heimat für immer verläßt, mag immerhin verdächtigt werden, so etwas wie heimatliche Nestwärme kaum zu missen.

Lay aber sprach vom „Naturwissenschaftler in einem jeden von uns", sprach vom Menschen dieses ausgehenden 20. Jahrhunderts schlechthin, der, ob in einer ihrer Disziplinen bewandert oder nicht, begreift, daß diese moderne Naturwissenschaft viel mehr ist als bloße Methodik oder Technologie, sondern daß mit ihrem Aufstieg ein fundamentaler Wandel der gesamten abendländischen Geistesgeschichte sich ereignet hat.

Und dieses neu entstandene und noch entstehende Weltbild, das bei aller Großartigkeit gleichwohl erschreckend in seinen Konsequenzen sein kann, dieses Weltbild ist es, mit dem wir alle konfrontiert sind, an dem sich unser aller Leben orientiert, mögen wir uns das nun eingestehen oder nicht.

Wie anders als mit Unbehagen soll man nun aber darauf reagieren, wenn man durch die Versicherung, es gäbe gar keine offenen Fragen, so explizit auf die scheinbar völlige Beziehungslo-sigkeit zwischen Naturwissenschaft und Theologie verwiesen wird? Werden wir nicht dadurch geradezu gezwungen, eben dieselbe Beziehungslosigkeit der Theologie zu unserem eigenen Leben zur Kenntnis zu nehmen?

Ich stelle diese Fragen keineswegs aus akademischer Diskutierfreude, noch aus polemischer Absicht, sondern weil ich die Probleme aus eigener Gesprächserfahrung gut genug kenne. Unser aller Unbehagen wird eben nur noch vertieft durch die vorwurfsvolle Beteuerung, daß es eigentlich gar nicht existieren dürfe.

Das bedeutet nun nicht, daß wir dieses Unbehagen hilflos in unser eigenes spirituelles Leben wie eine drückende Last hineintragen- müssen. Zwar ist die Diskordanz zwischen naturwissenschaftlichem und theologischem Weltbild ärgerliche Realität. Unser eigenes tiefstes Erleben aber ordnet sich nicht gleichsam von selbst in säuberlich getrennte Kategorien Erfahrung, die uns zu innerst betrifft, ja Erfahrung Gottes, vollzieht sich in dieser Welt und durch sie; sie erfaßt den ganzen Menschen ohne Rücksicht darauf, ob dieser für sein Denken über Gott ein anderes Instrumentarium sich zurechtgelegt hat als fiir sein Denken über die Schöpfung.

Dies zu erleben kann schmerzlich sein, denn es ruft uns die Diskordanz umso tiefer in Erinnerung, je mehr wir uns dieser Gotteserfahrung ausliefern, die uns geeint und heil machen möchte. Es ist aber, und das ist ungleich wichtiger, auch zutiefst tröstlich. Denn indem wir im Geist wachsen, wird es uns auch immer mehr möglich, diese Diskordanz zumindest für unsere eigene Person aufzulösen.

Wir sollten uns hier ausdrücklich daran erinnern, daß Gott immer ein-und derselbe ist, worin und wodurch er uns auch begegnen mag. Gegen den totalen Anspruch Gottes, ihn wachen Geistes in allem und durch alles zu suchen, nimmt sich die Sorge unseres Intellektes um Zuordnung in Bereicl)ewie „religiös", „wissenschaftlich", usw. kleingläubig, ja lächerlich aus.

Und doch: weder Wissenschaft noch Religion sind Sache nur der Einzelperson. Selbst wenn uns das begJückende Erlebnis zuteil wird, in dem alle Diskordanz vergeht, in dem wir Gott und seine Schöpfung als Einheit erfahren dürfen -sobald wir versuchen,diese Erfahrung fiir unser Leben wirksam werden zu lassen, erleben wir sehr schnell wieder, wie Wissenschaft und Religion einander einfach nicht zu verstehen scheinen.

Um diesen Totpunkt zu überwinden, wird nicht verlangt, die Gesamtheit der offenen schlichten Probleme bewältigen zu können; dazu wäre ein einzelner auch gar nicht imstande. Wir müssen uns nur bewußt werden, was es denn eigentlich fiir eine Bewandtnis hat mit diesen fein säuberlich kategorisierten Tätigkeiten, die wir als Einheit zwar erleben, aber nicht rationalisieren können. Erinnern wir uns, daß wir es mit Schöpfung zu tun haben - gerade auch mit dem den Menschen anvertrauten

Teil davon, mit menschlicher Kreativität. Gerade die Kreativität christlichen Lebens war jüngst ja auch Gegenstand der Diskussion.

Der Versuch, Religion. Wissenschaft und Kunst unter einem gemeinsamen Aspekt zu sehen, hat wohl zum Wort vom „Guten. Wahren und Schönen" gefijhrt. auch wenn uns dies durch unbedachten Gebrauch unversehens zur Phrase entartet sein mag. Bleiben wir einmal, trotz aller Problematik, dabei, Wahrheit (in einem entsprechend eingeschränkten Sinn) und Schönheit als die Zielpunkte kreativer Vorgänge zu verstehen, die wir Wissenschaft und Kunst nennen. Sie sind weder voneinander noch von Religion unabhängig, stellen doch Wahrheit und Schönheit (so etwa der Holländische Katechismus) „Spiegelbilder Gottes" dar. Wie, aber konnten sie dann in Gegensatz geraten? ‘

Hier hilft uns vielleicht ein Wort des holländischen Theologen Piet Schoo-nenberg weiter, der seiner Theologie das Thema „Denken auf Gott hin" vorangesetzt hat. Damit wollte er bewußt unterstellen, daß Theologie auch immer der Versuchung ausgesetzt ist, statt Gott zum Ziel ihres Denkprozeßes zu machen, sich sozusagen „auf den Standpunkt Gottes stellen" zu wollen.

Aber unter dieser Versuchung leidet nicht nur die Theologie. Auch die Ziele naturwissenschaftlicher und künstlerischer Tätigkeit enthüllen sich nur nach und nach; Wahrheit und Schönheit nehmen erst durch den auf sie gerichteten kreativen Prozeß Gestalt an. „Vom Ziel her" Wissenschaft bzw. Kunst treiben zu wollen, ist im wahrsten Sinne des Wortes Perversion, eine völlige Verdrehung (per-vertere) der natürlichen Ordnung. Am Ende steht die PseudoWissenschaft derer, die sich an Fliegenden Untertassen, Astronautengöttern und wer weiß was begeilen, weil ihnen in ihrer Einsamkeit die reale Welt nicht aufregend genug erscheint. Und anstatt Kunst bleibt, wenn man sich dem kreativen Prozeß nicht mehr ausliefern will, Epigonentum und Kitsch.

Natürlich bleibt solche Verfälschung auf einem Gebiet nicht ohne Auswirkung auf die jeweils anderen Gebiete, bewirkt doch die mutwillige Verzerrung des Spiegelbildes, daß wir auch das Original notwendigerweise verkennen müssen - was in praktischer Konsequenz bedeutet, daß es uns Katholiken keineswegs freisteht, irgendeiner Pseu-dowissenschaft nachzulaufen. Wissenschaftlichkeit heißt letzten Endes: Aufrichtigkeit vor Gottes Schöpfung.

Wir können aber noch eine zweite, vielleicht sogar wichtigere Erkenntnis aus diesen Überlegungen gewinnen: Religiös motivierte Wissenschaftsfeindlichkeit rührt eigentlich von einem falschen Gottesbild. So wie die katholische Kirche zu früheren Zeiten vergessen jene Religionen und Kirchen, die auch heute noch die Wissenschaft bekämpfen (und das ist leider gar nicht so selten), die Unermeßlichkeit göttlicher Liebe, und meinen, im Namen Gottes eifersüchtig sein zu müssen auf jene, die oft aus dem Spiegelbild tiefere Erkenntnis schöpfen als die, die ein Monopol auf das Original zu haben glauben.

Wenn wir uns aber vor Augen halten, daß wir in unserem spirituellen Leben immer nur auf Gott hin denken, daß jedoch anderseits auch Wissenschaft zu der von ihr verleidigten Wahrheit immer erst unterwegs ist, haben wir, meine ich, die Grundlage geschaffen, um jene Diskordanz der Weltbilder zu überwinden, die trotz gegenteiliger Beteuerungen auch heute noch das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft belastet.

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