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Hinknien, statt zu schwätzen

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Die augenblickliche Krise im Christentum hat eine Reihe von Ursachen. Da haben wir die Verwirrung des modernen Menschen durch Fernrohre, Mikroskope und die Sturmflut von Informationen, die scheinbare „Sicherheit“ durch sinkende Sterbeziffern, neue Medikamente und den Versorgungsstaat, das Verblassen des Vaterbildes und die allgemeine Auflehnung gegen Autorität im Namen der Freiheit. Dazu kommen noch ein gewisser Relativismus im Denken, die Sexwelle als Interludium zwischen dunkel geahnten Katastrophen globalen Ausmaßes, der „praktische“ Materialismus der prallen Brieftaschen und die daraus resultierende Gleichgültigkeit gegen das Übersinnliche. Und zum Schluß — die Theologen, wobei man noch bemerken muß, daß ein theologischer Hochbetrieb nur zu oft mit einer schweren Glaubenskrise Hand in Hand geht.

Nun ist das Christentum eine Summe von Glauben, Wissen, Ethos, sakramentalem Leben und Gemeinschaft, die sich in der Kirche konkretisieren. Die Kirche hütet das Wort Gottes, sie lehrt es, sie spendet die Sakramente, sie wacht über „Glauben und Sitte“. Eine lehrende Kirche braucht selbstverständlich Theologen, und diese gehören überall mit großer Mehrheit dem „geistlichen Stande“ an, was allerlei Gründe hat; den theologisch interessierten Laien hat es allerdings immer gegeben, und kein kirchliches Gesetz konnte es verhindern, daß er es manchmal zum Fachmann brachte.

Heute kann in einem freien Land jeder über Theologie und Kirche schreiben, was er will. Tatsächlich unc^WütÄ’Wi^eßfW Wildreservate des Amateurs. In allen anderen Domänen regiert der Fachmann. Der „zünftige“ Theologe, der sich öffentlich äußert, trägt jedoch eine höhere Verantwortung als der Dilettant. Auch der Mann, der in der Kirche ein Amt bekleidet. Sie gelten als „Autoritäten“.

Wahrheiten

Für jedes Dogma gibt es bei den Theologen tausend schwebende Fragen. Doch eine Kirche, die Kirche sein will, hat ihre unverrückbaren Wahrheiten, über deren Verkündigung sie wachen muß. Die Reformation sprach von der unfehlbaren Schrift, und weder Luther noch Calvin waren . leisetreterische Stammler, sondern lautstarke Glaubensboten. Luther bestand darauf, daß nicht einmal die Engel das Recht hätten, seine Doktrin zu beurteilen, und für Calvin war die Kirche eine höchst selbstbewußte ecclesia docens, wie das XV. Kapitel seiner „Insti- tutions“ beweist. Keine Kirche kann ihre Grundanschauungen aufgeben. Auch Horkheimer bekräftigte, daß religiöser „Liberalismus“ Unsinn sei.

Anders ist es mit bloßen theologischen Meinungen, die oft einer Korrektur bedürfen. Hier liegt zweifellos unter anderem ein Arbeitsfeld des schöpferischen Theologen, der manchmal nicht nur aufbauen, sondern auch die Spitzhacke benützen muß. Aber die großen Architekten dieser Welt waren Männer der Entwürfe und der Konstruktionen, nicht Abbruchspezialisten!

Theologen sind zweifellos „Intellektuelle“. Offiziell (oder auch inoffiziell durch ihren geistigen „Ein- Fluß“) sitzen sie im Gehirntrust der Kirche. Ihre Aufgabe ist es, dem Steuermann des Kirchenschiffleins Kurskorrekturen vorzuschlagen oder dem Kapitän zu helfen, das Wort Gottes den Gläubigen zu erklären.

Die Kirche lebt primär durch die Frömmigkeit, durch ihre Märtyrer, ihre Mystiker, ihre (kanonisierten oder auch nichtkanonisierten) Heiligen, ihre Sakramente, ihre Gebete, ihre guten Werke, durch die Liebe. den Glauben und die Opferfreudigkeit ihrer Kinder. Man könnte sich also ganz gut einmal ein theologisches Moratorium für 100 Jahre vorstellen: kein neues Dogma, keine neuen theologischen Schriften, keine „Dialoge“ und .Diskussionen“, also eine völlig kniende und nicht schwatzhaft gackernde „ecclesia bla- teraris“, eine Kirche der Stete in einem völlig ruhelosen, aus den Fugen geratenen Säkulum, in dem man sich nach Dauer, Ruhe, Stille, Sammlung, Geborgenheit sehnt

Das soll kein Plädoyer für eine permanente Abschaffung der Theologen sein. Dennoch sollten sie auf ihre Verantwortung aufmerksam gemacht werden, die alle, jene haben, die öffentlich reden oder schreiben.

Die Verantwortung des Theologen ist eine spezifischere als die des „profanen“ Denkens; denn selbst wenn er eine boße Privatmeinung vertritt, gehört er einer Kirche an. (Man sieht es ja besonders in unseren Tagen, wie der einzelstehende Apostel nach dem geräuschvollen Ausscheiden, nach Pressekonferenzen und Fernsehauftritten, rapid der Vergessenheit anheimfällt.) Ob er es will oder nicht, weiß oder nicht: Der Theologe redet und schreibt im Namen seiner Kirche. Das ist um so mehr der Fall, wenn er eine Berühmtheit geworden ist, ein Lehramt innehat oder gar als Hierarch fungiert. Es nützt ganz einfach nichts, zu sagen, daß der Kardinal N., der Bischof O., oder der Professor P. in seinem letzten Bestseller oder Radiovortrag lediglich seine höchst persönliche Ansicht zum besten gegeben habe, denn der einfache Gläubige sieht in diesen Ausagen in der Regel ein Wort der „Autorität“, während der besser Unterrichtete über den Mangel an der Einheit im Lehramt erschüttert sein wird.

Wie war doch die alte, dem heiligen Augustinus zugeschriebene Programmatik der Kirche: „In den notwendigen Dingen Einheit, in den zweifelhaften Fragen Freiheit, in allem die Liebe.“ Die Lage in den Kirchen ist aber nun die, daß die Freiheit in Zweifelsfragen zur Anarchie auszuarten droht, die necessaria frech in Frage gestellt werden, während die innerkirchliche Liebe längst abgebaut wurde. Man liebt nur noch den Außenstehenden.

Das Odium Theologicum, der Haß zwischen den Theologen und der Theologen gegen die Autorität, feiert heute Urständ.

Der christliche Schriftsteller muß sich fragen, ob er klärt oder verwirrt, ob er tatsächlich an der Vorbereitung des Reiches Gottes mitwirkt. An den zünftigen Theologen werden natürlicherweise noch höhere Ansprüche gestellt. Gerade dank seiner konkreten Stellung in der Kirche muß er das sentire in ecclesia (meistens als „sentire cum ecclesia“ wiedergegeben) sorgsam pflegen. Das mag allerdings zuweilen .mit seiner „Originalität“ oder mit dem Ungestüm seiner Überzeugung in Konflikt stehen. Freilich, eines der „obersten“ Gebote ist die Befolgung des Gewissens, auch selbst — wie Alfons von Liguori lehrte — des irrigen Gewissens. Doch wann wird eine intellektuelle (rationale) Überzeugung wirklich zum „Gewissen“? Oder soll, am Ende, der Theologe seine eigene „Unfehlbarkeit“ gegen die vorherrschende Lehre in der Kirche zur unbedingten Geltung bringen; (Wir reden hier nicht von der Leugnung einer fundamentalen Lehre, eines Dogmas, die logisch seinen Bruch mit der Kirche nach sich ziehen muß.)

Wird nun der Theologe als getreuer Sohn seiner Kirche, die auch eine Familie ist, seine sicher nicht unfehlbare abweichende Meinung um des Friedens und der Harmonie willen nur in kleinem Kreise vortragen, vielleicht sie auch mit Bescheidenheit, Geduld und Ernst auf höherem Forum vorzubringen versuchen, so kann man ihm nur auf die Schulter klopfen. Aber nicht alles Originelle ist richtig, nicht alles Alte ist falsch.

Das Schauspiel, das wir heute erleben, ist ein ganz anderes. Intellektuelle, besonders aber jene, die mit leicht etablierter Autorität ein Lehramt innehaben, genießen den Applaus der vielen wie Mimen. Originalität ist zweifelsohne der unausweichliche Fetisch des Denkers — und natürlich auch des Künstlers. Originalität heißt aber, anders zu sein, anders zu denken, anders zu schaffen, wobei gesagt werden soll, daß die „kleine Originalität“ (die oft die schwierige ist), das Alte und das Ewige neu zu beleuchten und faszinierend darzustellen, oft weniger befriedigt. Die Lockung der echten Neuschöpfung ist immer groß. Dieser Versuchung darf aber im Rahmen der Kirche, die eben nicht einem Gelage geistreicher Gäste gleicht, nicht immer nachgegeben werden.

Diese Zügellosigkeit geht jedoch unfehlbar in eine gewisse — sagen wir „linke“ — Richtung, und darin werden die Neo-Theologen von einem Chor von Soziologen, Psychologen, Politologen, „Historikern“ und anderen Kapazitäten unterstützt, die ihnen wie Primadonnen applaudieren. Doch gerade der subsidiäre Chor weist darauf hin, daß ihre Eingebungen nur selten aus der Theologie kommen, sondern aus der „Welt“. Es nützt wenig, wenn besonnene Geister heute auf die Bremse treten müssen. Die mondäne Theologie landet bald in der theologischen Demi-Monde.

Das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die originell sein wollenden Theologen unserer Zeit nur zu oft von einer erschütternden Banalität sind: Ihr Sinnieren wirkt wie der fahle Abklatsch des Sekun- däraufklärichts des Fin de siėcle mit dünnstem Aufguß des darauffolgenden Modernismus. Wir hören von ihnen, daß die Auferstehung Christi nur symbolisch sei, daß der Teufel in das Reich der Märchen gehöre, daß „Mitmenschlichkeit“ alle Religion überflüssig mache, daß der Erzengel Gabriel ein Mythus und die Geburt des Herrn aus einer Jungfrau (womöglich mit der Unbefleckten Empfängnis verwechselt) vom biologischen Institut der Harvard- Universität abgelehnt werde. Mit solchen Ladenhütern wird man heute belästigt! Dazu kommen die geistigen Fäkalien einer Wohlstandsgesellschaft: die neue Linke, die kindische Verehrung für den jugendlichen Marx, die Sexwelle und womöglich noch die „Gott-ist- tot-Theologie“. Wenn diese Theologen in ihrer Mehrheit wirklich schöpferisch, meinetwegen auch ketzerisch wären, so sollte ihnen so manches verziehen werden. •

Der Theologie — und nicht nur der Theologie — tut die viele Freiheit gar nicht sonderlich gut. Schlecht ist es, ein geistiges Korsett zu tragen und nur hinter dem Ofen zu sitzen; ebenso schlecht ist es aber, ziellos durch die Lande zu galoppieren. Viele der größten Theologen des Mittelalters und der Neuzeit wandelten unter einer dunklen Wolke. Thomas von Aquin, St. Johann vom Kreuz, Ignatius, Rosmini (von der heiligen Johanna ganz zu schweigen} haben es mit der Kirche schwer gehabt. Sie veranstalteten aber keine Pressekonferenzen und weinten sich nicht an den Schultern der Feinde Christi aus, dachten nicht daran, sich bei den Moslems oder den Illumi- naten anzubiedern und spazierten auch nicht am Arm einer kessen Schönen aus der Kirche heraus. Sie litten geduldig, wissend, daß die Kirche ein Kreuz ist.

Zu einer zweiten Reformation wird es in der katholischen Kirche nicht kommen, und dies, obwohl der Aufstand der „frustrierten“ Theologen permissiv-antiautoritärer Färbung unter seelischem „Stress“ — man gestatte .mir diese? soziologische Rotwelsch! — nach dem Zweiten Vatikanum (seine Botschaft schnell verfälschend) schon recht beunruhigend ist. Luther entfachte eine konservative Revolution — zum größten Ernst, zur größeren Theo- zentrik, weg von der Anthropolatrie der Renaissance! Er litt nicht an der Weltfremdheit unserer Weitverehrer. Unsere Aufweichler und Angleichungsenthusiasten sind da aus ganz anderm Holz geschnitzt. Luther wußte (wie Stanislaw Lee), daß der, welcher zu den Quellen zurück will, gegen den Strom schwimmen muß.

Dieser Versuchung — Glauben, Kirche und Re-Ligio durch „das Soziale“, Tiefenpsychologie, Linksdrall und neuerlich durch die Räu- berromäntik der Dritten Welt zu ersetzen — sind die Reformationsbekenntnisse schon seit längerer Zeit ausgesetzt gewesen. Sie haben dabei furchtbare Verluste erlitten, aber auch wertvolle Erfahrungen gesammelt. Diese gehen der katholischen Kirche, die jetzt vielleicht die „evangelischen Kinderkrankheiten“ nachholen möchte, bitterlich ab.

Es hat sich gezeigt, daß diese Geister nicht nur durch die „Welt“ (deren Fürst nur allzu bekannt ist), nicht nur durch die „Zeit“. in engstem Sinne des Wortes „geblendet“ wurden. Es ist eben so, daß jede schöpferische Tätigkeit, die immer eine wenn auch noch so bescheidene Analogie zur Tätigkeit des Urschöpfers darsteldt, einer seelischen Gratwanderung gleichkommt. Der Dämon begleitet einen immer dabei, und die Möglichkeit eines Absturzes in die Tiefe ist stets präsent. Das sind „mildernde Umstände“. So aber, wie die Dinge jetzt stehen, würden viele von uns sich einen Theologie-Stop wünschen.

Statt fortwährend „ins Gespräch zu kommen“, „Umbrüche“ zu veranstalten, zu „entmythologisieren“, Tabus abzubauen, zu diskutieren, zu demokratisieren und auf das kirchliche „Establishment“ zu schimpfen, würde man viel lieber einmal wieder schweigen, beten, betrachten und gewisse einfache Tugenden pflegen: Die Ehrfurcht vor dem Heiligen, wirkliche Liebe und Treue, von der man jetzt so auffällig wenig hört.

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