6546663-1947_19_04.jpg
Digital In Arbeit

Historisches Seminar uber Kirche und Staat

Werbung
Werbung
Werbung

Noch klagen allum die Trümmerlandschaften an, künden die moralischen Verwüstungen in Recht und Sitte, Menschenliebe und Anstand vom Unglück, das über die Menschheit hereingebrochen ist. Nur mit Widerstreben greift man da zu Büchern, die sidi zu dieser Weltkatastrophe äußern. Bruder, deine Legitimation? Durch welches Fenster siehst du die Welt?

Bei Kar! Barth ist das anders. Seine Briefe und Vorträge, die er in diesem Buche * vorlegt, sind selbst in gewissem Sinne Quellen, nicht eine Darstellung der neuesten Geschichte. Der Verfasser zählt mit Thurn-eysen, Gogarten, E. Brunner, Buttmann und anderen zu den Begründern der dialektischen Theologie, die den schärfsten Bruch mit dem Immanentismus Schleiermachers und dem deutschen Idealismus bedeutet. Als Professor zu Göttingen, Münster und Bonn lernte der geborene Schweizer Deutsdiland in ereignisschweren Jahren kennen.

Der Verfasser nimmt zum Zeitgeschehen vom Standpunkt des reformierten Theologen aus Stellung. Obwohl solidarisch mit der deutschen Bekenntniskirche, dem Weltprotestantismus und der freien Eidgenossenschaft, wahrt er sich Aufgeschlossenheit, Kritik und Freimut des Urteils nach allen Seiten hin. Er war, wie die verschiedenen Zensurierungen zeigen, bisweilen auch seinem Vaterlande ein unangenehmer Mahner. Um so mehr darf das, was er während des Ablaufs des gewaltigen Dramas zu sagen hatte, hernach Beachtung beanspruchen.

Es kann sich nicht darum handeln, eine genaue Inhaltsangabe des Buches vor den Lesern auszubreiten und die Briefe nach Prag, Holland, Frankreich, England, Deutschland, Norwegen und Amerika zu analysieren. Wichtiger scheint es, die weltanschauliche Grundlage herauszugreifen

* 432 S. Evangelischer Verlag St. G., Zolli-kon-Zürich 1945.

und dazu vom katholischen Standpunkt aus Stellung zu nehmen.

Das Kernproblem des Buches wird mit der Frage der Beziehungen zwischen den durch den Glauben Gerechtfertigten und dem menschlichen Rechte angeschnitten. Mit der Rechtfertigung — so der ge-schichtstheologische Ausgangspunkt des Verfassers — ist auch das menschliche Recht Gegenstand der christlichen Liebe, der christlichen Verantwortung und des christlichen Bekenntnisses geworden. Wie gehören aber die Ordnung, die noch nicht die des Gottesreiches, der Friede, der nicht der ewige Gottesfriede, die Freiheit, die nicht die Freiheit der Kinder Gottes sind, in die neue Wirklichkeit des Gerechtfertigten? Gibt es etwas wie einen „politischen Gottesdienst“? Es handelt sich also nicht um Kirche und Staat als zwei Bereiche, sondern um das Ineinander, worüber die reformierte Theologie nichts aussagt, weder Luther in seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit“ (1523) noch Kalvin im magisralen Schlußkapitel seiner „Institutio“.

Gründet sich die politische Gewalt auf die Gewalt Christi oder ist das menschliche Recht der Rechtfertigung bloß angeklebt? Dann sind Welt und Reich Gottes getrennt, fallen in eine spiritualisierte Kirche und in ein säkularisiertes Recht, in Pietismus und Aufklärung auseinander. Heute ist die Frage nach dem mensdilichen Recht in neuer Eigenart und Schärfe erwacht. Was der Kalviner Barth zur Beantwortung des Problems „Kirche und Staat“ im Lichte des Neuen Testaments vorbringt, muß in hohem Grade auch das Interesse der katholischen Geschichtsbetrachtung und Geschichtsphilosophie erregen.

In der Begegnung Jesus und Pilatus tritt uns zunächst ein Gegenüber von Kirche und Staat entgegen. Der als Macht dämoni-sierte Staat und die Heimatlosigkeit der Kirche in diesem Äon werden sichtbar. Doch ist diese Diastase nicht das einzige evangelische Zeugnis über Kirche und

Staat. Ferner ergibt sich aus dem Gegenüber Von Jesus und Pilatus, daß der dämo-nisiertk Staat das Böse zwar wollen kann, aber aas Gute tun muß. Gerade durch die Preisgabe des Herrn wurde der Staat irgendwie zum Begründer der Kirche.

Dem Staate eignet gegenüber der Person und dem Werke Christi eine relative Substanz und Würde. Seine Dämonisierung besteht gerade im Verluste dieser relativen Selbständigkeit, Cäsarenkult und Staatsmythus sind die Folgen. Es hätte keinen Sinn für die Kirche, sich dem Staate gegenüber gleichgültig oder abweisend einzustellen, da es dauernd um wichtige Entscheidungen geht. Wenn das Neue Testament vom Staate spricht, befinden wir uns grundsätzlich im christologischen Bereiche.

Schließlich ein eschatologischer Aspekt. Da. der kommende neue Äon die Kirche vom Staate dieser Zeit und dieser Erde trennt, verbindet gerade diese Hoffnung die Kirche in eigentümlicher Weise mit dem 'Staate. Die gegenwärtige Welt ist Schöpfung Gottes, in Christus begründet, zusammengefaßt und wieder hergestellt. Die reale irdische Kirche sieht ihre Zukunft nicht in einem himmlischen Spiegelbilde ihrer eigenen Existenz, sondern in dem realen himmlischen Staate. Es ist die Stadt des ewigen Rechtes. Aber auch der schlechteste Srdisdie Staat muß zu dieser Herrlichkeit beitragen. Die Christen haben in der Rechtfertigung die eigentliche Quelle und Norm alles menschlichen Rechtes gesehen.

Dieses ewige Recht hat die Kirche auch der Welt zu verkünden und da die Freiheit der Kirche nur durch den Staat garantiert ist, so muß die Gemeinde durch ihr Gebet die Fjxistenz der irdischen Polis garantieren. Der Staat müßte sich selbst aufgeben, wenn er Kirche werden wollte, und die Kirche kann nicht wünschen, daß der Staat aufhört, Staat zu sein. Umgekehrt müßte sich die Kirche aufgeben, die Staat werden* wollte. Dieses Verhältnis schließt es jedoch nicht aus, daß das Problem des Rechts auch auf dem Boden der irdischen Kirche beantwortet sein will. Es gibt nach Eph. 2 ein Kirchenrecht und zu Unrecht bezeichnete Rudolf Sohm die Entstehung des Kirchenrechts als den großen SUndenfall der alten Kirche. Das Neue Testament schließt die Ordnung des Staates irgendwie in die Ordnung! der Kirche ein.

Daraus folgt, daß von allen anderen Stellen aus Staat und Recht grundsätzlich problematisiert werden können, nur nicht von der Kirche, denn für sie ist die Autorität des Staates eingeschlossen in die Autorität Christi. Staaten kommen und gehen, aber die Kirche als staatserhaltender, ja stiatsbegründender Faktor bleibt. Dagegen hat der Staat nicht das Recht, von seinen Bürgern innerlich eine Weltanschauung zur Verstärkung seiner Macht zu fordern. Der Staat ist nur berufen, menschliches Recht aufzurichten. Menschliches Recht mißt sich an dem Freiheitsrecht der Kirche für die Wortverkündigung. Dieses Freiheitsrecht ist der Inbegriff alles Menschenrechts.

Das ist die Frage „Kirche und Staat“ vor dem obersten Forum. Der Mut Karl Barths, sich I angesichts der säkularisierten Staatskanzleien voll zum Evangelium zu bekennen und die Ereignisse des zweiten Weltkrieges samt ihren ideologischen Hintergründen an dieser Norm zu messen, verdienet alle Anerkennung. Die Annäherung an die katholische Auffassung der Frage ist unverkennbar. Barth steht freilich nicht auf dem Boden des katholischen Kirchenbegriffs, die Theorie von der mittelbaren Gewalt der Kirche in zeitlichen Dingen und die Vertiefung des Kirchenbegriffs durch die Enzyklika „Mystici Corporis“ sind ihm nicht zu eigen. Aber dennoch will scheinen, daß Ausstrahlungen solcher Gedanken ihn erreichten, sicherlich über den Weg des gemeinsamen Ursprungs.

Um so betonter rückt er von der lutherischen Auffassung ab. Er spricht vom Irrtum Luthers über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium, von weltlicher und geistlicher Ordnung, durch den das natürliche Heidentum des deutschen Volkes ideologisch verklärt und gestärkt worden sei. Ja, er zieht von dieser Christianisierung des deutsdien Heiden eine gerade Linie zur herrschenden Ideologie von 1938.

Bemerkenswert auch die Warnung vor einer gewissen Flucht vor der Wirklichkeit in das Nurreligiöse: Sie bedeutete in Deutschland nach 1933 den Rückzug aus der kirchlichen und politisdien Verantwortlichkeit, eine innere Linie der Religiosität, die sich, um sich selbst zu erhalten, nicht mehr um die rechte Gestalt der Kirche und des Staats kümmerte, die nicht mehr kämpfen wollte. Dieses Urteil eines Beobachters von draußen ist für die, die drinnen waren, auf alle Fälle aufschlußreich.

Barth malt nicht wie ein Rubens, sondern wie ein Greco. Ein ekstatisdier Schein liegt über seinen Gedanken. Seine Farben glimmen eigentümlich, gehen unruhig und glitzernd dahin. Jedenfalls hat die Spiegelung des letzten Weltdramas im Kopfe dieses Theologen auch dem Historiker manches zu sagen. Vor allem: es spricht ein Christ.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung