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Beitrag der Christen zur Entwicklung der Menschenrechte

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Täglich zeigen Zeitungen und Rundfunk die Aktualität der Menschenrechte und ihrer Durchsetzung. Zur Entscheidung steht die Frage, ob diese Rechte seit der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen eine grundsätzlich völkerrechtliche Angelegenheit sind oder ob sie nach wie vor als innere Angelegenheiten der Staaten zu betrachten sind. Die Arbeit einzelner und die von Organisationen, wie etwa Amnesty International, beweist, daß die Bemühung um die Menschenrechte nicht den Staaten überlassen werden darf und kann. In dieser Lage mag es sinnvoll sein, über die geschichtliche und gegenwärtige Beziehung der Christen zu den Menschenrechten nachzudenken.

Gaben des Schöpfers

In der Friedensenzyklika Johannes XXIII. vom 11. April 1963 wurden die Menschenrechte und ihr wirksamer, unparteüscher Schutz als Grundlage des wahren Friedens dargestellt. Damit war ein positives Verhältnis zwischen Kirche und Menschenrechten in feierlicher Weise begründet. Dieses Verhältnis war aber lange aus vielen Gründen schwer gestört gewesen. Eine der tiefsten Wurzeln der Menschenrechte liegt zwar im Christentum.

Die Ausprägung der Menschenrechte aber, die sie im 18. Jahrhundert zunächst in Amerika, dann in Frankreich gefunden hatten, war lange von kirchlicher Seite als Frucht eines falschen Individualismus gesehen worden. Doch steht, wie kürzlich Johannes Messner in Erinnerung rief, schon am Beginn der Unabhängigkeitserklärung der Staaten Nordamerikas vom 4. Juli 1976 der Satz: Wir halten es für eine von selbst einleuchtende Wahrheit, daß alle Menschen gleich geschaffen wurden und daß sie von ihrem

Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, zu denen das Recht auf Leben, Freiheit und auf die Suche nach Glück gehören.

Die unveräußerlichen Rechte des Menschen werden hier also als Gaben des Schöpfers gesehen. Das Mißtrauen gegenüber dem Denken war kaum berechtigt. Der erste Rechtsphilosoph, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts den Menschen unwandelbare natürliche Rechte zusprach, Fernando Vas- quez, war ein Schüler der Naturrechtslehrer von Salamanca. Er hat aber, wie Alfred Verdross in seiner unvergleichlichen „Abendländischen Rechtsphilosophie“ zeigt, nur die „schon in der antik-christlichen N aturrechtslehre keimartig enthaltenen Gedanken zur vollen Entfaltung gebracht“.

In den Menschenrechten verbindet sich eben vielfältiges Erbe. Der Sophist Alkidames hatte, wie Aristoteles überliefert, erklärt, Gott habe alle frei geschaffen und niemanden zum Sklaven gemacht. Lactantius, ein großer christlicher Schriftsteller des 4. Jahrhunderts, lehrte gleichfalls, Gott habe die Menschen als Gleiche gewollt. Niemand sei bei ihm Sklave, niemand Herr.

Dies waren im 4. Jahrhundert kühne Töne. Waren sie Übernahme aus sophistischem oder stoischem Gedankengut oder bestand hier eine Beziehung zur heiligen Schrift? Beides trifft zu. Im Kolosser-Brief 3, 9 bis 12, heißt es: „Zieh den neuen Menschen an, den der neu geschaffen ist zur Erkenntnis nach dem Büde dessen, der ihn erschaffen hat. Da gibt es nicht mehr Heiden und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Barbaren und Skythen, Sklaven und Freie, sondern alles und in allem ist Christus.“

Hier erhebt sich eine verbindende geistige Macht über alle Schranken der Staaten, Völker, Rassen und Klassen. Der heilige Paulus hat die Sklaverei nicht revolutionär in Frage gestellt. Wenn aber die Unterscheidung zwischen Sklaven und Freien, wie die eben angeführte Stelle zeigt, in der religiösen Tiefe aufgehoben sind, dann wird der Unterschied auch für die soziale Wirklichkeit relativiert und das Konzept der Menschenwürde mußte die Institution verwandeln.

Das christliche Erbe

Lange war die Kirche Trägerin einer Bewegung zur Freilassung. Smarag- dus, ein AtJt von St. Michel, forderte im 9. Jahrhundert vom fränkischen König die Freilassung aller seiner Unfreien und begründete dies aus dem Vaterunser. Auch für den heiligen Thomas ist trotz der oft mit Recht schmerzlich empfundenen Abhängigkeit von Aristoteles in der Frage der Sklaverei der Sklave nicht Sache des Herrn. Thomas lehrte, die dem positiven Recht entstammende Knechtschaft könne dem nicht präjudizierlich sein, was das Naturrecht gebiete.

Die Erinnerung an die Schöpfung und Erlösung ließ auch den großen ‘sächsischen Rechtsdenker Eike von Repgan im 13. Jahrhundert sagen, er könne nicht fassen, daß nach der Wahrheit jemand dem anderen gehören könne.

In der von einem Geistlichen verfaßten Reformschrift „Reformatio Sigis- mundi“ findet sich die bewegende Stelle, es sei eine unerhörte Sache, daß in der heiligen Christenheit einer dem anderen zu sagen wage, „Du bist mein Eigen“. Daß ein Mensch des anderen Sache sei, verträgt sich nicht mit seiner Würde. Mit jener Eigenschaft des Menschen, von der es im ältesten Weihnachtsritus der Kirche hieß: „O Gott der Du die Würde der menschlichen Natur wunderbar begründet und noch wunderbarer erneuert hast.“ Daß gerade diese Stelle, die so lange Zeit fester Teil des Offertoriums war, heute nicht mehr dem Meßtext angehört, ist schmerzlich. Die Erinnerung an Schöpfung und Erlösung und die so begründete und erneuerte Würde war für solche, die alle bestehenden Abhängigkeiten sichern und voll ausnützen wollten, stets gefährlich.

Wie stand es aber in der Praxis? Sind etwa die jetzt gegebenen Hinweise dürftiges Alibi für das Unterbleiben einer realen Bemühung, um die Verwirklichung von Menschenwürde? Es ist wissenschaftlich eindeutig nachweisbar, daß die Rechtsstellung der Frau, des Kindes, der Unfreien und der Fremden durch den Einfluß jener höheren, über den Stämmen und Staaten stehenden Ordnung gebessert wurde.

Ein unverdächtiger Zeuge ist in diesem Zusammenhang Karl Freiherr von Lemayer, einer der größten Geister des österreichischen Liberalismus und geistiger Vater der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Er hat ausgesprochen, daß die Voranstellung des Individuationsprinzips ihre tiefste Begründung,in der christlichen Lehre findet, für welche jeder Träger menschlicher Gestalt als Ebenbild Gottes und der göttlichen Verheißungen teilhaftig Selbstzweck war.

Alle diese Überlegungen können anderes nicht aüs der Welt schaffen: Im Konstantinischen Zeitalter haben die Kirchen in der Sorge um die Bewahrung der geschlossenen christlichen Welt die Einsicht in die Freiheit der Gewissen und Meinungsäußerung nicht bewahren können. Es genügt, das Wort „Inquisition“ anzuführen. Auch gab es starke Kräfte im kirchlichen Raum, die den himmlischen Trost zur Stabilisierung bestehender Ordnungen und Gegebenheiten eingesetzt haben.

Erschütternd ist es, wenn der große Martin Luther als Antwort auf die zwölf Artikel der aufständischen Bauern, in denen aus der Schrift abgeleitet wird, daß es zwar eine Obrigkeit geben muß, daß aber dennoch Freiheit bestehen müsse, antwortete, „das heißt christliche Freiheit ganz fleischlich machen“. Gewiß besteht auch heute die Gefahr, die tröstliche Erinnerung an die Befreiung durch Christus auszutilgen und nur den Auftrag zur Befreiung in der Zeit zu sehen. In Wahrheit aber sind die Erinnerung an die Erlösung als gewirktes Heil und der Auftrag, die Welt der Menschenwürde gemäß zu gestalten, miteinander zu verbinden.

Auch das Völkerrecht in seiner jetzigen Gestalt ist aus christlichem Ursprung, aus den Lehren des Franziskus Vitoria entstanden, und die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, die nach den Katastrophen des Zweiten Weltkrieges einen neuen Beginn setzen wollte, steht in tiefer Verbindung mit christlichem Erbe.

So war es berechtigt, wenn Johannes der XXIII. die Verbindung zwischen Kirche, Frieden und Menschenrechten neu begründete. Daraus sind aber nicht nur Forderungen an Staaten abzuleiten. Die Menschenrechte zu verwirklichen, ihnen zu dienen, ist auch die Pflicht der einzelnen. Deshalb ist es von hohem Wert, d ß in Österreich und in aller Welt jene Kräfte sich zusammenfinden, die das Bewußtsein von den Menschenrechten wecken und den Dienst an ihrer Verwirklichung möglichst vielen Menschen nahelegen sollen. Heute findet der Dienst der Christen an den Menschenrechten bezeichnenden Ausdruck in der Verteidigung der Schwächsten, der Ungeborenen.

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