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Ein Briefwechsel

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„La D^faite des Vainqueurs“ hat Louis Rougier sein aufsehenerregendes neuestes Buch benannt — „Die Niederlage der Sieger“. Ein vielsagender Titel. Der Hochschullehrer von Besancon, der seine Studierstube, in der er der Mystik der modernen Lebens- und Wirtschaftskultur nachgegangen war, während des Krieges verlassen hatte, um im geheimen Auftrag Petains bei Churchill nach Friedensmöglichkeiten zu forschen, hat schon in einem aufschlußreichen, 1946 in Genf veröffentlichten Buche über diese Mission sein gutes politisches Urteil unter Beweis gestellt. In seiner neuen Schrift kennzeichnet er die ganze Härte des Erlebnisses, das der Ablauf der letzten zwei Jahre über die Menschheit gebracht hat. In schonungsloser wissenschaftlicher Analyse untersucht Rougier Ursache und Gang der Begebenheiten, die heute schier die Gültigkeit der Atlantikcharta und die Lebenskraft der UNO in Frage stellen, und bricht zusammenfassend in die Worte aus:

„Europa ist nicht nur ein Waisenhaus für Kinder, ein Kehrichthaufen für Deportierte, eine Baracke für Stromer, eine Nekropole für tote Städte geworden, es ist auch ein priedhof zerrissener Verträge, verschlagener Ubereinkommen, geleugneter Gentlemen-Agreements, verdrehter Worte, verratener Eide, die nicht • wiedergutzumachende Enttäuschungen, unheilbare Hoffnungslosigkeit und endlost moralische Qualen hervorrufen. Was den Polen in London, den Chinesen in Kairo vetsprochen wurde, wird ihnen in Yalta bestritten, was den Rumänen und Bulgaren in Yalta. zugesagt wurde, wird ihnen in Moskau versagt. Der Glaube der Völker ist verraten.“

Mit seiner erbitterten Kritik der gegenwärtigen Weltsituation und der in ihr wirkenden schuldbar gewordenen Kräfte reiht sich der französische Gelehrte einem immer länger werdenden Zuge der Skeptiker, der Niedergeschlagenen und der Unheiispro-pheten an, einem düsteren Chor, der sich in der politischen Gegenwartsliteratur sehr laut vernehmlich macht und, was das Charakteristische ist, widerspruchslos vernehmlich machen kann.

Unverkennbar hat die Menschheit ein Pessimismus erfaßt, der um so ernster zu nehmen ist, als er die Völker in einer Lage befallen hat, da sie zur Wiederherstellung der Ordnung und zur Rettung aus schweren und gefährlichen Übeln aller ihrer sittlichen Kräfte zu einer starken Lebensbejahung bedürften. Der jähe Absturz aus den Himmeln der Friedensverheißungen, in die seit San Franzisko die Menschen versetzt worden waren, in die dunkle Schlucht von heute, konnte zu keiner anderen Reaktion führen. So lockend und schönrednerisch die Propaganda während der letzten Kriegsjahre für ein auf Erden bevorstehendes Eden, einen durch die Einigkeit der Mächte garantierten künftigen dauerhaften Friedenszustand war, so wäre doch selbst der Verdacht frivol, das verkündigte Vorhaben sei nicht ernst gewesen. Es entsprang vielmehr so großen Hoffnungen, so kühnen Erwartungen auf die hinreißende moralische Macht des durch gemeinsame Anstrengungen zu erringenden Sieges, daß kein kühler Realismus zu Yalta die Erneuerung einer der folgenschwersten, in der Geschichte genugsam widerlegten Einrichtungen, die Wiedergeburt des Liberum Veto, zu verhindern vermochte. Bei der feierlichen Begründung der UNO war dann fast vergessen, welches Teufellehen sich zwischen den schönen Blättern der Vertragsinstrumente eingenistet hatte. Hatten sie nicht schon aus dem damaligen pazifistischen Uberschwang die bevorstehende Abschaffung, die Ächtung des Krieges, den ewigen Frieden verkündet?

Schon zum zweitenmal, aber diesmal noch früher als nach dem ersten Weltkrieg und dem Erlahmen des Genfer Völkerbundes, dem Versagen des Locarnovertrages und des Kellog-Paktes, überkommt die Völker die dumpfe Erkenntnis, daß der wirkliche Fried mehr sein muß als ein Erzeugnis geschickter diplomatischer Planung und der Verhandlungskunst in Konferenzsälen und daß alle die namenlosen Opfer, mit denen eine neue bessere Ordnung der Welt erkauft werden sollte, umsonst gebracht sind, wenn wir nicht zu den wirklichen Quellen friedlicher Völkergemeinschaft vordringen. Hier wird das Schreiben, das Präsident Truman durch seinen Sondergesandten kürzilich dem Heiligen Vater überreichen ließ, zu einem Dokument tiefer Symbolik. Das Haupt der großen Siegermacht des Westens richtet seine Hoffnung auf den Papst in einer Zeit, da das stolze Werk feierlicher internationaler Mächte-abkonimen zu zerfallen und weltliche Staatskunst, militärische Kraftentfaltung und Reichtum sich zu schwach zu erweisen drohen, den Völkerfrieden zu sichern und immer überzeugender und leuchtender aus dem über der Erde lagernden Dunkel sich die Grundgesetze jener Friedensordnung abheben, die Pius XII. seit Ausbruch des Weltkonflikts den Regierenden vorzuhalten nicht müde ward. In der Tat bilden fast zweihundert Kundgebungen, • Briefe, Allokutionen, Radioansprachen des Papstes, in unzerreißbarer geistiger Kette bis zum heutigen Tage fortgeführt, einen Appendix christlichen Völkerrechts zu dem wichtigsten Thema der Gegenwart. Der Omnipotenz der Macht und der Selbstherrlichkeit menschlicher Rechtssatzung stellte der Papst immer wieder das allgemeingültige Sittengesetz und das Naturrecht gegenüber. Schon zu Weihnachten 1939 kennnzeichnete er die wesentlichen Voraussetzungen eines gerechten Friedens und eines neuen Völkerbundes: Die praktische Anerkennung des Rechtes auf Leben und Unabhängigkeit der Nationen, der kleinen wie der großen, Abrüstungsvereinbarungen, die die Welt von der Gefahr befreien, daß die materielle Stärke zu tyrannischer Gewalt, statt zum Schutze des Rechtes werde, internationale Vorkehrungen zur zuverlässigen Einhaltung von Verträgen, Revision früherer Vertragsverpflichtungen im Sinne einer Befriedigung gerechter Bedürfnisse der Völker, namentlich auch zum Schutz nationaler und kultureller Minderheiten. Aber all dies Tun müsse gekrönt werden durch einen Geist innerlicher Verantwortlichkeit der Volksführer und Staatenlenker gegenüber dem über weltlicher Macht' stehenden göttlichen Gesetz.

Der wirkliche dauerhafte Friede — so setzt der Papst auseinander — wird, nicht allein in den Beziehungen der Staaten zueinander begründet, es gehört zu seinem Sein und Wesen, daß er das soziale Zellengewebe der Gesellschaft durchdringe und daß der menschlichen Persönliche keit jene Würde wiedergegeben werde, die ihr von Anbeginn von ihrem Schöpfer verliehen worden ist. Die päpstliche Weihnachtsfeotschaft 1942 bezeichnete als die Grundrechte der Persönlichkeit, die aus ihrer angeborenen Würde erfließen: das Recht des Menschen auf Entwicklung seiner körperlichen und geistigen Persönlichkeit, auf freie Religionsübung, Familiengründung und Arbeit, auf freie Berufswahl und die Nutzung seines Eigentums, begrenzt durch die sozialen Pflichten und niemals dieser Einschränkung entbunden. Immer beschwörender wurden die Mahnrufe des Papstes, je mehr sich die Kriegsereignisse der Entscheidung näherten: „Gebt der Menschheit einen Frieden, der das Menschengeschlecht wieder in Ehren herstellt vor sich selbst und vor der Geschichte, einen

Frieden, an dessen Wiege aus dem Weltleid die Morgenröte eines neuen' Geistes der Weltgemeinschaft erwachse und der getragen ist von der unentbehrlichen Gotteskraft des christlichen Glaubens.'' AI dann endlich die Waffen ruhen, tritt der Papst mit der vollen Majestät seines Amtes zu Weihnachten 1945 vor die Mächtigen dieser Welt mit der Erinnerung an die sittlichen Voraussetzungen eines echten Friedens. Die politische Hauptaufgabe müsse darin bestehen, der wirklichen großen Mehrheit jener, die ehrlich und ruhig inmitten ihrer Familien von ihrer Arbeit leben und den Willen Gottes erfüllen wollen, Frieden und Wohlfahrt zu sichern. „Denn nach der göttlichen Ordnung ist nicht die zugefallene Macht, sondern der Mensch, der mit seiner Arbeit in der Familie und Gesellschaft steht, der Herr der Welt!“ Daß es um die menschliche Freiheit geht, wenn die über menschlichem Recht stehende Autorität ewiger Normen geleugnet wird, das spricht Pius XII. auch jetzt in seiner Antwort an Präsident Truman aus:

„Sobald der Staat Gott aussehließt, wird er zur Quelle eines Rechts, das aus den menschlichen Personen allein erfließt, dadurch wird der Mensch in die Stellung eines Sklaven herabgedrückt, der jederzeit für egoistische Ziele irgendeiner Gruppe, die sich die Macht sichern konnte, ausgebeutet werden kann. Dies bedeutet den Umsturz, und die Ge-. schichte beweist deutlich allen denen, die klar sehen sollen,' daß das unvermeidliche Ergebnis eines solchen Umsturzes der Krieg ist.“

Seinerseits kennzeichnet der Präsident der Vereinigten Staaten in. seinem Brief den Ausgangspunkt des Weges, der ihn diesmal wieder zum Papst führte: die Erkenntnis, daß „ein dauerhafter Friede nur auf christlichen Prinzipien beruhen kann“.

Der Vertreter einer großen Staatsmacht und der Träger des höchsten priesterlichen Hirtenamtes trafen sich mit diesem Briefwechsel neuerlich auf dem Boden fundamentaller Grundsätze. Vielleicht ist noch bedeutsamer in dieser Begegnung, daß einer der vornehmsten Repräsentanten weltlicher protestantischer Gläubigkeit das Haupt der katholischen Christenheit vertrauensvoll anspricht mit Berufung auf das „gemeinsame*-Ziel, den Glauben der Menschheit an die ewigen Werte unserer Generation zu vermehren.“ Denn es gehört wohl zu dem tiefsten Sinn des Weltgeschehens, daß es die Gewissen der Christenheit aus Gleichgültigkeit, Spaltung ^ und Sektierertum aufrüttle und sie hinzwinge, in dem Herandämmern eines neuen Zeitalters schicksalschwerster Entscheidungen sich auf das große Gemeinsame zu bes:- en.

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