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Die Grundlagen der Abrüstung und des Friedens

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Am 1. August 1977 werden es 60 Jahre, daß Papst Benedikt XV. eine Friedensmahnung verbunden mit praktischen Vorschlägen für einen gerechten und dauerhaften Frieden an die damals kriegführenden Staaten gerichtet hat. Dieses Schreiben des Papstes bildet eines der bedeutendsten Dokumente in der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts und erscheint heute noch genauso aktuell, wie es 1917 gewesen ist. Es wird seine Aktualität auch niemals verlieren, solange nicht an die Stelle der rohen Waffengewalt die sittliche Macht des Rechtes getreten sein wird.

Das Schreiben des Papstes wurde nicht etwa nur in allgemeinen Ausdrücken gehalten, wie es die Umstände in früheren Zeiten oft ratsam erscheinen ließen, sondern der Papst ist zu konkreten und praktischen Vorschlägen übergegangen und hat die Regierungen der kriegführenden Völker eingeladen, sich über jene Punkte zu einigen, die als Grundlage eines dauerhaften und gerechten Friedens in Betracht kommen.

Der erste und wichtigste Punkt sollte nach dem Vorschlag des Papstes darin bestehen, daß an die Stelle der materiellen Waffengewalt die moralische Macht des Rechtes trete; infolgedessen sollte eine gerechte Verständigung aller Staaten über die gleichzeitige und gegenseitige Abrüstung getroffen werden.

Ferner sollte an Stelle der Armeen ein Schiedsgericht eingesetzt werden. Um die erhabene und friedensichernde Aufgabe dieses Schiedsgerichtes zu ermöglichen, sollten Normen festgelegt werden, nach welchen von diesem Schiedsgericht Sicherungs- und Strafmaßnahmen gegenüber j’enen Staaten ergriffen werden können, die sich weigern, internationale Streitfragen dem Schiedsgericht zu unterbreiten oder dessen Entscheidungen zu befolgen.

Wäre einmal die Oberhoheit des

Rechtes in dieser Weise begründet, sollte man jedes Hindernis für die Verkehrswege der Völker wegräumen, indem man die wahre Freiheit und Gemeinsamkeit der Meere sicherstellt, was einerseits zahlreiche Konfliktstoffe beseitigen, anderseits für alle Staaten neue Quellen des Gedeihens und des Fortschritts erschließen würde.

Was die wiedergutzumachenden Kriegsschäden und die Kriegskosten betrifft, sollte der allgemein gültige Grundsatz eines gänzlichen und gegenseitigen Verzichts aufgestellt werden, der in den von der Abrüstung zu erwartenden unermeßlichen Vorteilen seine Rechtfertigung fände. Die Fortsetzung des kriegerischen Gemetzels bloß aus Gründen wirtschaftlicher Art wäre unverantwortlich.

Diese friedlichen Vereinbarungen mit den daraus fließenden unermeßlichen Vorteilen - schrieb der Papst - sei jedoch nicht möglich ohne die gegenseitige Rückgabe der besetzten Gebiete.

Was die Territorialfragen betrifft, wie sie etwa zwischen Italien und Österreich sowie zwischen Deutschland und Frankreich bestehen, dürfe man der Hoffnung Raum geben, daß die streitenden Parteien in Anbetracht der unermeßlichen Vorteile eines dauerhaften Friedens diese Frage in versöhnlichem Geiste prüfen werden, indem sie nach Maßgabe des Gerechten und Möglichen den Bestrebungen der Völker Rechnung tragen und ihre Sonderinteressen dem Gesamtwohl der großen menschlichen Gesellschaft unterordnen werden.

Der gleiche Geist der Billigkeit und

Gerechtigkeit müsse auch die Prüfung der anderen territorialen und politischen Fragen leiten. Der Papst erinnerte dabei an Armenien, die Balkanstaaten und die Gebiete, die zum alten Königreich Polen gehörten, dem im besonderen seine edle geschichtliche Vergangenheit und seine namentlich während des Krieges erduldeten Leiden gerechtermaßen die Sympathien der Völker gewinnen müßten.

Von Billigkeit und Gerechtigkeit war leider nach Ende des Ersten Welt- krieges keine Rede. Wohl wurde der Friede unter den Kriegführenden feierlich geschlossen. Aber er blieb - wie Papst Pius XI. in einem Rundschreiben vom 23. Dezember 1922 zutreffend betont hat - „nur in den diplomatischen Urkunden geschrieben, in die Herzen der Menschen fand er keinen Eingang. Dort lebt bis zur Stunde noch der alte Kriegsgeist und wächst sich mit jedem Tag weiter zu einem drohenden Verhängnis für die Gesellschaft aus. Leider nur allzulang hat überall die Gewalt triumphiert. Unvermerkt unterdrückte sie die Gesinnungen der Barrriherzigkeit und Güte, die die Natur allen eingepflanzt hat. Und der Friede, mehr Schein als Wirklichkeit, hat wahrhaftig nicht jene Gesinnungen zu Ehren gebracht. Im Gegenteil, der langgewohnte Haß ist bei weitaus den meisten wie zur zweiten Natur geworden.“

So schrieb der Papst 1922. Heute scheint der lang gewohnte Haß bei vielen von uns bereits zur ersten Natur geworden zu sein!

Am 14. Dezember 1939, vier Monate nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, hielt Papst Pius XII. eine Ansprache, in der er darlegte, wie eine Rechtsauffassung, die sich nur von Rücksichten des eigenen Volkes leiten läßt, in eine unentwirrbare Verirrung gerät, wie etwa der vorbedachte Angriff auf ein kleines, arbeitsames und friedfertiges Volks, der unter dem Vorwand einer Bedrohung unternommen wurde, die gar nicht bestand und nicht beabsichtigt war.

Als grundlegende Vorbedingungen eines gerechten und ehrenhaften Friedens bezeichnete der Papst - sechs Jahre vor dem Ende dieses Weltkrieges:

• Die Sicherung des Rechtes auf Leben und Unabhängigkeit für alle Nationen, ob groß oder klein, ob mächtig oder schwach. Der Lebenswille einer Nation dürfe niemals zum Todesurteil für eine andere führen.

• Damit einer hergestellten Ordnung Ruhe und Dauer eines wahren Friedens beschieden sei, müßten die Nationen von der drückenden Sklaverei des Wettrüstens befreit werden.

• Bei der Neuordnung des internationalen Zusammenlebens würde es den Grundsätzen menschlicher Weisheit entsprechen, daß sich alle Parteien von den Mißerfolgen Rechenschaft geben, die in den Fehlern der Vergangenheit ihren Ursprung haben.

• Besondere Aufmerksamkeit müsse den wahren Bedürfnissen und den gerechten Forderungen der Nationen, und Völker wie der völkischen Minderheiten geschenkt werden.

• Vor allem aber müßten sich die Leiter der Geschicke der Völker, und diese selbst von jenem Geist durchdringen lassen, von dem allein der tote Buchstabe der Paragraphen internationaler Verträge Leben, Autorität und verpflichtende Kraft erhält, vom Geist eines tiefinnerlichen Verantwortungsgefühls, da andernfalls auch die besten und vollständigsten Regelungen unvollkommen blieben und schließlich zum Mißerfolg verurteilt wären.

Leider haben die Politiker und Regierungen, die die Geschicke der Völker lenken, die Mahnungen der Päpste nicht beherzigt, so daß auch heute - 32 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges - die Grundlagen der Abrüstung und des Friedens noch immer nicht gegeben sind.

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