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Jugendbuch und Weltfrieden

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Oswald Spengler spricht einmal davon, daß „zur Zeit der kämpfenden Staaten“ in China (480 bis 230 v. Chr.) dem im unphilosophischen Nordwesten herrschenden Imperialismus zwei Friedensrichtungen im hochkultivierten Süden entgegentraten, die aber auch zueinander in schroffem Gegensatz standen: die Völkerbundidee (hoht-sung) und „der antipolitische Geschmack der Taoisten“. Im Grunde mag es sich da wohl in grauer Vorzeit um etwas Ähnliches gehandelt haben wie um den Gegensatz zwischen Völkerbundanhängern und Kriegsächtern in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und so wird wohl der Meinungsstreit unter den Anhängern des Friedens, ob dieser, wenn nötig, auch durch Gewalt zu schützen sei oder ob er nur durch radikalen Verzicht auf Gewalt zustande kommen könne, einem ewigen Gegensatz entspringen, dem Gegensatz zwischen einer kraftvollen, aktiven und praktischen Friedensliebe und einer schwächlichen, passiven und weltfremden. Nur vom Pazifismus der letzteren Art gilt, was Spengler dem Pazifismus überhaupt vorwirft: der von diesem angestrebte Weltfriede enthalte „den privaten Verzicht der ungeheuren Mehrzahl auf den Krieg, damit aber auch die uneingestandene Bereitschaft, die Beute der anderen zu werden, die' nicht verzichten“. Es beginne mit dem Wunsch einer allgemeinen Versöhnung und ende damit, „daß niemand die Hand rührt, sobald das Unglück nur den Nachbar trifft“. Nicht im mindesten trifft jedoch im Grundsätzlichen dieser Vorwurf den Völkerbundpazifismus, der ja im Gegenteil darauf hinzielt, jedem unschuldig vom Unglück des Krieges betroffenen Staat die tätige Hilfe der ganzen Wlt zu sichern und dadurch jeden nach Ausdehnung seiner Macht strebenden Staat von vorneherein vom Kriege abzuschrecken. So wie das Moritz von Schwind, den man nicht nur als großen Maler, sondern auch als Briefschreiber kennen sollte, während des deutsch-französischen Krieges in einem Brief an Eduard M ö r i k e ausgesprochen hat:

„Von Zivilisation kann erst die Rede sein, wenn jeder wüßte, er hat alle gegen sich, wenn er Krieg anfangen will, und da wird er es bleiben lassen.“

Es berechtigt zu guten Hoffnungen, daß der Bau des neuen, größeren Dammes gegen den Krieg, die Begründung und Organisation der Vereinten Nationen bisher ohne Behinderung durch pazifistische Außenseiter, die radikaler sein wollen, vor sich geht, und es ist dies umso erfreulicher, Kriegen, wie dieser es war, die Gefahr nahe-als gerade nach so furchtbar verlustreichen liegt, es könnte ein Pazifismus um sich greifen, derjm Grunde nichts anderes wäre ds der Erschöpfungszustand nach einem schweren Aderlaß.

Es genügt aber nicht, daß bloß kein Widerspruch gegen die Idee der Vereinten Nationen laut wird. Soll der Plan diesmal zum Erfolg führen, so muß diese Idee den Menschen überall nahegebracht werden, muß sowohl in ihre Köpfe Eingang finden als auch in ihren Herzen Begeisterung erwecken für das große Ziel. Und da trifft es sich im deutsche Sprachraum günstig, daß einer der meistgelesenen und besonders bei der Jugend beliebtesten Schriftsteller, Karl May, nicht nur ein begeisterter Pazi-fi*t war, was allgemein bekannt sein dürfte, sondern auch, worauf bisher wohl noch nie hingewiesen wurde, ein ausgesprochener Anhänger jener Richtung der Friedensbewegung, die nach dem ersten “Weltkrieg zur Errichtung des Völkerbundes und nach dem zweiten zur Gründung der Vereinten Nationen führte. In „Ardistan und Dschinnistan“ läßt er die geheimnisvolle, uralte Königin des Phantasielandes Sitara sagen: „Hat der Krieg eine eiserne Hand, so habe der Friede eine stählerne Faust! Nur die Macht imponiert, die wirkliche Macht, Will der Friede imponieren, so suche er nach Macht, so sammle er Macht, so schaffe er sich Macht.“ Gerade eben dieser Weg zur Sicherung des Friedens erfordert als Ausgangspunkt eine über- oder zwischenstaatliche Weltorganisation, denn Mr in einer solchen ist eine Konzentration von Macht im dauernden Dienste des Friedens denkbar. Überall sonst müßte sie früher oder später zum Mißbrauch verleiten. Aber die Gründung einer solchen Organisation ist nur der Ausgangspunkt, die eigentliche Friedensarbeit beginnt erst mit ihr und die Erhaltung des Friedens bleibt auch dann eine schwierige Aufgabe, die dauernd größte Wachsamkeit erfordert. Auch dies hat Karl May erkannt: „Du siehst, daß der Friede niemals wirklich Friede sein kann. Er ist es nur so lange, als er die Macht besitzt, es zu sein. Er hat stets auf Vorposten zu stehen. Sobald er sich beschleichen und überfallen läßt, tritt der Feind an seine SteUe.“ Zeigt hier die Königin von Sitara jene vordringlichste, dornenvolle Aufgabe der Friedensorganisation, die nun dem Sicherheitsrat der UNO zukommt, so kann man an die Aufgaben des Wirtschafts- und Sozialrates denken, wenn sie fortfährt: „Alle Rüstung der Erde und alle Rüstung ihrer Völker war bisher auf den Krieg' gerichtet. Als ob es unmöglich wäre, in eben derselben und noch viel nachdrücklicheren Weise auf den Frieden zu rüsten! ... Ihr habt stehende Heere für den Krieg, die jährlich viele Milliarden kosten. Wo habt ihr eure stehenden Heere für den ' Frieden, die ... Milliarden einbringen würden?“ Klingen nicht wie eine Antwort darauf, wie eine Ankündigung der Erfüllung die Worte, die vor kurzem Präsident Truman sprach: „Während der Sicherheitsrat gegen jede neuerliche Bedrohung des Friedens Wache hält, mobilisiert der Wirtschafts- und Sozialrat die aufbauenden Kräfte der Menschheit für die Siege des Friedens.“

So notwendig die Bereitschaft ist, zur Verteidigung des Friedens, wenn nötig, auch Gewalt anzuwenden} so gerät doch der, der davon spricht, leicht in Gefahr der Mißdeutung. Zu oft schon in der Weltgeschichte haben blutige Eroberer vom Frieden gesprochen, wenn sie Krieg brachten, und einer oder der andere von ihnen mag wohl wirklich daran gedacht haben, durch Ausbreitung der eigenen Macht oder gar durch Gewinnung der Weltherrschaft einen Frieden nach dem Vorbild der Pax Romana herbeizuführen einen Frieden also, der einfach darauf beruht, daß niemand mehr da ist, der als Gegner in Frage käme. Welch ein diametraler Gegensatz besteht aber zwischen der Bereitschaft zur gemeinsamen Verteidigung des Friedens gegen jeden Angreifer und der Entschlossenheit zum Angriff zwecks Herbeiführung eines Friedens, der den' eigenen Wünschen entspricht! Gemeinsam sind in beiden Fällen nur die Bereithaltung militärischer Machtmittel und das Sprechen vom Frieden, und da “diese Gemeinsamkeiten sinnfällig sind, während der Unterschied im Geistigen liegt, so muß dieser, so groß er auch ist, den Menschen erst deutlich gemacht werden. In „Ardistan und Dschinnistan“ vertritt die Kriegsgesinnung der „Panther“, ein junger orientalischer Prinz, der als Verkörperung des dämonischen Bösen erscheint. Auch er spricht vom Frieden und stellt ihn als das Ziel seines Strebens hin. Man müsse sich ihn erkämpfen. Nur der Krieg führe zum Frieden. Er wolle die Faust des Krieges nur ballen, um mit ihr den Krieg zu zerschmettern. Klingt das so böse? Sprach nicht auch die Friedenskönigin von Sitara von der „stählernen Faust des Friedens“, die man dem Krieg entgegensetzen solle? Aber welch ein Abstand in den Gesinnungen und Absichten tritt in den beiden Gestalten klar ans Licht! Ein Gegensatz, so groß wie eben der zwischen Krieg und Frieden! Gegen den Friedensbrecher vereinigen sich die Völker Ardistans, die soeben noch in Streitigkeiten untereinander verwickelt waren. Unterstützt von Hilfstruppen aus Dschinnistan, treiben ihre Streitkräfte den Panther, der. mit geradezu hitlerischer Sturheit jeden Gedanken an Ergebung ablehnt, immer weiter und weiter, bis er schließlich in den Hüten des Friedensstromes umkommt, der versiegt war, jedoch nun wieder beginnt, sich von den Bergen Dsdiinnistans hinab in die Wüsten Ardistans zu ergießen, um sie wieder in fruchtbares, blühendes Land zu verwandeln.

Die vorstehenden Ausführungen dürften wohl bewiesen haben, daß Karl Mays Friedemsgedanken in eine Richtung zielten, die zu einer Weltorganisation gleich dem Völkerbund oder der UNO führt. Außer diesem geistigen Band irgendeine wenn auch noch so lose reale Beziehung zwischen dem Dichter und diesen Organisationen festzustellen, mußte jedoch als aussichtslos erscheinen, da sie der 1912 Veratorbene nicht mehr erlebt hat. Ist es da nicht ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß dem Schreiber dieser Zeilen gerade in diesen Tagen aus Genf die Nachricht zukam, die Völkerbundsbibliothek, die nun von der UNO übernommen wird, besitze in ihrem internationalen Archiv der Geschichte der Friedensbewegung auch einen Brief von Karl May? Er ist vom 17. Oktober 1905 datiert, war an Bertha von Suttner gerichtet und wurde mit derem gesamten literarischen Nachlaß von der Völkerbundbibliothek erworben. So ist Karl May nach seinem Tod doch noch mit der Organisation in Berührung gekommen, deren Gründung er — lange bevor sie wirklich erfolgte — als notwendig erkannt und erhofft hat.

Karl Mays Einfluß auf einen großen Leserkreis und vor allem auf die Jugend ist zweifellos noch immer gewaltig. Nutzen wir ihn daher zum Guten! Zwar gehören seine Alterswerke, die seine FriedensgedanKen m verdichteter Form enthalten, nicht zu seinen beliebtesten Büchern. Aber in allen seinen Werken ist er ein warmherziger Freund des Friedens und ein begeisterter Herold der Völkerversöhnung. Und wenn von der UNO die Rede ist und von den Hoffnungen, die die Menschheit auf dieses Bollwerk des Weltfriedens setzen muß, dann zeigen wir besonders der Jugend ihren Lieblingsschriftsteller auch als einen Herold der Vereinten Nationen!

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