6598861-1953_24_01.jpg
Digital In Arbeit

Schwarz-weiß-rot-gold

Werbung
Werbung
Werbung

Im Herbst des vergangenen Jahres rief die „Freie Demokratische Partei“ zu einem Parteitag nach Bad Ems. Als die auf heiße Auseinandersetzungen gefaßten Delegierten den großen Sitzungssaal betraten, verhielten die gemäßigten Anhänger des „Liberalen Manifestes“ ebenso den Schritt wie die um ihren Wortführer Middelhauve gescharten Anhänger des „Deutschen Programms“, die den Aus- und Umbau der FDP zu einer Partei der „nationalen Sammlung“ in aller Stille und sehr zähe verfolgen. Auf der breiten Stirnwand, oberhalb des Rednerpultes, hatte ein interessantes Parteisymbol seinen Platz gefunden. Ein mächtiger schwarzer Adler breitete vor einem roten Grund seine Schwingen. Auf seiner Brust in weißen Blockbuchstaben die Initialen der Partei. Darüber und darunter, zierlicher und goldfarben, die Eingangsworte der dritten Strophe des Deutschlandliedes. Schwarz-weiß-rot-gold. Jedermann stand es frei, seine Farben herauszulesen. Die Alt-liberalen ihr schwarzrotgold, die „nationalen Sammler“ das ihnen teure schwarz-weißrot des Bismarck-Reiches. Und jeder tat es auch ...

War hier ein Spötter am Werk gewesen

— oder vielleicht ein ganz Weiser? Denn in dem Ineinanderfließen der symbolischen Farben, in der Ueberschneidung und Verschränkung echten Freiheitsstrebens mit den Gedanken, Parolen und Aktionen eines engen Nationalismus, liegt wohl im wesentlichen jene „Tragödie des deutschen Liberalismus“, die den Deutsch-Amerikaner Friedrich C. Seil zu einer aufschlußreichen Untersuchung inspirierte'*'.

Am Anfang war überhaupt keine Fahne. Weder die schwarzrotgoldene, noch die schwarzweißrote ... Aber schon in den ersten Kreisen, die da und dort in deutschen Landen die westlichen Ideen der Aufklärung und des frühen Liberalismus aufnehmen, finden wir schon den Bruch. Und

— auch dieses' ist bezeichnend und wird sich in späteren Generationen immer wiederholen — oft ist es ein und derselbe Mann, der in seinem Leben vom Liberalismus zum Nationalliberalismus hinüberwechselt. Selten ist es umgekehrt (Stresemann!). Wenn Johann Heinrich Voß aus dem bekannten „Göttinger Hainbund“ schrieb: „Frei muß werden, sobald zur Vernunft er gelangte, der Mitmensch!“, so erscheint er als ein Ahnherr der Schwarzrotgoldenen, des Jahres 1S48, des Staates von Weimar, der Deutschen Bundesrepublik. Wenn derselbe aber dann auch sein Volk aufrief „Sing dem Briten, Trotz und Hohn dem Gallier“, so enthält diese Melodie schon Takte des Sedanmarsches und des Engellandliedes. Unsichtbar (noch) steigen am M-ast •• die schwarzweißroten Farben hoch. 1 ■

In der Zeit der Befreiungskriege ist die Polarität schon offenkundig und unter anderen vor allem durch die Persönlichkeit eines Freiherrn von Humboldt und das demagogische Talent Ernst Moritz Arndts gegeben. In letzterem sieht Seil — und er kann es einwandfrei belegen — den Stammvater dreier Mythen, die dem deutschen Volk zunächst viele Sympathien kosteten und später namenloses Unglück eintragen sollten. Schon hier wird die „deutsche Treue“ gepredigt, von einer „Erbfeindschaft Deutschland—Frankreich“ gesprochen und Stimmung gegen das, wie man es später nannte, „perfide Albion“ gemacht. Die Ansätze zu jenem „germanischen Christentum“, das weder germanisch noch christlich ausfallen sollte, sind ebenfalls bei Arndt schon, anzutreffen. Und man hält den Atem an, wenn man in Heines 1834 für französische Leser geschriebenem Essay „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ nicht nur scharfsinnige Untersuchungen über jene Verbindung so verschiedener Elemente, wie eines idealistischen Individualismus und eines von der Romantik geschürten Nationalismus, zu einer gefährlichen geistigen Sprengladung mit Spätzündung liest, sondern auch:

„Das Christentum — und das ist sein schönster Verdienst — hat jene brutale germanische Kampflust einigermaßen besänftigt, konnte sie jedoch nicht zerstören, und wenn einst jener Talisman, das Kreuz, zerbricht, dann rasselt wieder empor die Wildheit der alten Kämpfer, die unsinnige Berserkerwut, wovon die nordischen Dichter soviel singen und sagen. .. Die alten steinernen Götter erheben sich dann aus dem verschollenen Schutt und reiben sich den tausendjährigen Schutt aus den Augen . . . Wenn ihr dann das Gepolter und Geklirre hört, hütet euch, ihr Nachbarskinder, ihr Franzosen . .. lächelt nicht über meinen Rat, den Rat eines Träumers, der euch vor Kantianern, Fichteanern und Naturphilosophen warnt. Der Gedanke geht der Tat voraus wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und nicht sehr gelenkig und kommt langsam herangerollt, aber kommen wird er, und wenn ihr es einst krachen hört, wie es in/der Weltgeschichte noch nie gekracht hat, so wißt, Her deutsche Donner hat sein Ziel erreicht. Bei diesem Geräusch werden die Adler aus der Luft tot niederfallen, und die Löwen in der fernsten Wüste Afrikas werden die Schwänze einkneifen und sich in ihre königlichen Höhlen verkriechen . .. Ich rate euch, ihr Franzosen, nehmt euch in acht! Ich meine es gut mit euch und deshalb sage ich euch die bittere Wahrheit. . .“

1834 geschrieben; 1939, 1940 Wirklichkeit: Was für eine Prophetie!

Die Kugel aber war bereits im Lauf. Zwar vollzog der deutsche Liberalismus gerade unter dem Einfluß des „Jungen Deutschland“ in der Zeit des Deutschen Bundes auf immer eine klare Scheidung von den völkischen Extremisten um Jahn und Arndt, allein die Verschränkung mit einem mehr oder weniger gemäßigten Nationalismus blieb aufrecht. Jetzt, in der Zeit des Deutschen Bundes, dem Seil Gerechtigkeit widerfahren läßt — „verglichen mit dem, was vorher war und was später kam, war diese Periode zwischen 1815 Und•1.86.6 die glücklichste Zeit in der deutschen Geschichte. Das Unglück war, daß niemand dies je zugestand“ —, fanden sich im Südwesten Deutschlands unter dem Stammvater Job. Jakob Moser und vertreten durch ' die Naturrcchtler Carl v. Rotteck und C. Th. Welcker, jene gemäßigten liberalen Elemente zusammen, die selbst und deren Kindeskinder stets das Schwarzrotgold gegen alle „Links“tendenzen der „Radikalen“ und „Rechts“ Versuchungen des ..Nationalliberalismus“ hochhalten sollten. Das „tolle Jahr 1848“ warf für einige Zeit die Fronten wieder durcheinander. Schwarzrotgold ist zwar jetzt das Symbol, allein bald taucht das schwarzweiß der „Kleindeutschen“ auf und auch die rote Fahne wird das erste Mal gehißt. Und dies alles in der Maienzeit des Liberalismus!

Klar scheinen die Fronten im preußischen Verfassungskampf. Und sie waren es auch, bis auf dem Altar der Bismarckschen Erfolge ein Liberaler nach dem anderen sein Gewissens-opfer darbrachte. Treitschke, Ihering gehen mit fliegenden Fahnen in das sich nun auch politisch formierende „national-liberale“ Lager über. Und nicht nur sie allein. Auch mancher 1848er-Demokrat wurde unsicher und beugte sich. Bismarck aber weiß, wie er den deutschen Liberalismus auf lange Zeit abhängig von seiner Macht und gefügig halten kann. Sein Köder: der „Kulturkampf“. Und wirklich, blind für die wirkliche Gefährdung ihrer alten Ideale, bog der deutsche Liberalismus in die ihm gewiesene Gasse, ließ er sich „zu einer Politik verführen, die allen liberalen Grundsätzen zuwiderlief“. Eine Feststellung, die, wie alles, was Seil über den „Selbstmord des deutschen Liberalismus“ in jener Stunde schreibt, festgehalten zu werden verdient. Kommt sie doch von einem Mann, den nur seine Zuneigung zum Liberalismus dazu gebracht hat, dessen Wege und Irrwege aufzuzeigen.

So stellt der deutsche Liberalismus 1870/71 nicht nur die alte Fahne, sondern auch die besten seiner Ideale in die Ecke. Während das Schwarzweißrot des zweiten Reiches hochgeht, beziehen andere Kräfte die schwarzrotgoldene Position. So ist es zunächst das „Zentrum“, das schon im Kulturkampf — bitte nicht zu erschrecken! — die wirklichen freiheitlichen Ideale verteidigt hat, oder, wie Seil es nennt, mit „liberalen Waffen“ focht. Jetzt macht es als „wirklich demokratische Partei“ Front gegen das Sozialistengesetz, obwohl die deutschen Katholiken von dem militanten atheistischen Sozialismus des 19. Jahrhunderts eine Welt trennt. Und im alten südwestdeutschen Refugium freiheitlicher und demokratischer Ideen wachsen Männer, wie Hertling, Payr, Kuhlmann, Max von Baden, Ebert und Erz-berger heran, die einmal, wenn auch in der Stunde bitterster Not, wieder die schwarzrotgoldenen Farben über Deutschland hochziehen werden.

Noch aber flattert Schwarzweißrot von allen Giebeln. Es ist die hohe Zeit des Nationalliberalismus, in der Treitschke Generationen von jungen Akademikern für Machtpolitik begeistert, der „Flottenverein“ agitiert und der Vorsitzende des Verbandes der Alldeutschen eine Broschüre, „Wenn ich Kaiser wäre“, publiziert, die ein zur gleichen Zeit in Wien lebender junger Mann aus Braunau einige Jahrzehnte später in die Wirklichkeit umzusetzen sich bemühte. Darf man wirklich nur auf diesen mit dem Finger zeigen? Nein, Seil hat nur zu recht, wenn er die heute bereits wieder ungern gehörte Wahrheit ausspricht.

„Die Hitler-Idee war nicht die Schöpfung einer einzelnen Persönlichkeit, eines neurotischen Dschingis Khan. Die Saat war schon vorher gesät, und alle Massenenteignungen, Massenvertreibungen und Massenmorde des zweiten Weltkrieges waren schon in alldeutschen Köpfen, drei und vier Jahrzehnte vorher, geträumt worden.“

Das aber waren Männer, die sich zumeist freiheitlich nannten, nicht die dümmsten und unangesehensten ihres Volkes. Wahrhaftig: Tragödie des deutschen Liberalismus! In ihrer erschreckenden Deutlichkeit aber wurde sie erst 1915 offenbar, als eine Petition von 352 Professoren, Richtern und Geistlichen — unter ihnen viele Liberale — vor „falscher Humanität“ in der Behandlung Frankreichs warnten und die Evakuierung verschiedener an Deutschland anzuschließender Ostgebiete von ihrer Bevölkerung empfiehlt. Der Plan hat Beachtung gefunden. Nicht zuletzt bei den Siegern von 1945. Sein Verfasser: Alfred Hugenberg, der gemeinsam mit seinesgleichen in der Republik von Weimar mit Erfolg die neuen Ansätze eines echten demokratischen und freiheitlichen Denkens aushöhlte und wieder in „Schwarzweißrot“ agitierte. Allerdings folgte diesmal die Bismarck-Standarte bald dem republikanischen Dreifarb in der Verfemung.

1945 war dies alles ein böser Traum. Der Einzug der gesammelten Reste des deutschen Liberalismus in die politische Arena stand im Zeichen Theodor Heuß' und seiner schwarzrotgoldenen Freunde. Heute aber, nicht einmal ein Jahrzehnt später, wissen wir, daß auch diesmal keine eindeutige Scheidung der Geister stattgefunden hatte, daß der schwarz-weißrote Schicksalsfaden abermals dem deutschen Liberalismus eingewebt wurde. Schwarz-weiß-rot-gold, wie lange noch?

Von den Perspektiven, die Friedrich C. Seils geistesgeschichtlich und politisch hochbedeutsames Werk eröffnet, verdienen zwei besondere Beachtung.

Die eine öffnet sich dem Liberalen reinsten Wassers und bester Tradition. Kann man heute überhaupt noch „liberal“ sein, ohne auf kurz oder lang in irgendeinen Sog zu kommen, der einen dorthin führt, wo man gar nicht ankommen will? Nein, man kann es nicht. Für Freimütigkeit, Humanität und Toleranz zu sein, ist heute kein politisches Credo, sondern eine Grundeinstellung, um die man sich im Rahmen einer echten und eigenständigen größeren weltanschaulichen und politischen Konzeption — abwehrbereit gegen links und rechts — bemühen sollte. Man kann es vielleicht als ein der Demokratie verpflichteter Sozialist und man kann es bestimmt als Christ.

Ja, kein Zweifel: als Christ.

Denn auch der Christ und insbesondere der Katholik kann aus der ihm so anschaulich gezeigten „Tragödie des deutschen Liberalismus“ seine Schlüsse ziehen. Er sollte nicht ruhen, in Wort und Tat immer wieder jenen „echten“ Liberalen aufzuzeigen, woher eigentlich ihre Wurzeln kommen und wo auch für sie, gerade für sie, heute ein fester Standort ist. Der große liberale italienische Historiker Gugliemo Ferrero hat es am Abend seines Lebens ausgesprochen: „Der Dreiklang ,Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit' wurzelt im Evangelium. Die Freiheit ist das Recht auf Opposition, die unvermeidliche Folge der Vermenschlichung der Macht, die eine der großen Leistungen des Christentums gewesen ist. Sobald die Mächtigen der Erde nicht mehr als Götter oder Wesen göttlichen Ursprungs, sondern wie alle Menschen als elende Sünder betrachtet wurden, konnten, sie nicht mehr der Pflicht entrinnen, Rechenschaft über ihre Taten abzugeben. Die Gleichheit ist die Abschaffung der Erbvorrechte, sie wurde gefordert, sobald man alle Menschen, auf gleiche Weise als Kinder Gottes erkannte ... Die Brüderlichkeit ist nichts als die Pflicht, einander zu helfen und, wenn möglich, zu lieben.“

Ein Aufruf an alle in Oesterreich, in Deutschland, in Europa, die sich „liberal“ nennen — und die es wirklich sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung