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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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NICHT TRÄUMEN LASSEN haben es sich die Veranstalter des vor wenigen Wochen in Wien abgehaltenen Österreichischen Katholikentages, wo die für diese gewaltige Kundgebung gewählte Parole Anklang und feierliche Weitergabe finden würde. Dem „Völkerkongreß“, der für den kommenden Dezember in Wien angesagt ist, präludiert die kommunistische Presse unmißverständlich mit festem Trommelschlag. Der Clou der Propaganda ist, daß ein Ehrenkomitee, dem der einstige Universitätsprofessor Dr. Eduard Liszt und 312 andere Herren verschiedener Berufe angehören, eine Begrüßung des Kongresses ankündigt, die in freundlicher Anlehnung an den Wiener Katholikentag in den schönen Satz ausklingt: „Möge der Völkerkongreß in

Wien die Menschheit einem gesicherten Frieden und damit auch uns Österreicher einem Leben in Freiheit und Würde näh e rb rin g e n.“ Selbstverständlich wollen die „312 österreichischen Ärzte, Ingenieure, Pädagogen, Wissenschafter, Künstler, Wirtschaftstreibenden und Sportler, Betriebsräte“ usw. sehr ernst genommen werden und da sie noch einen Monat bis zum Kongreß Zeit haben, werden sie jetzt darangehen, mit dem ganzen Ansehen ihrer Person und des kommenden Kongresses mit den Massenverschleppungen, Zwangsarbeitslagern, Reli- gionsvgrfolgungen, Schauprozessen und Mordurteilen aufzuräumen trachten, die ringsherum in nächster Nähe ihrer geistigen Bereiche geschehen. Die volksdemokratischen Diktaturen werden somit ehestens Musterländer für das „Leben in Freiheit und Würde“ werden. Versteht sich. Wozu sonst der Betrieb um den Weltkongreß!

DIES ALSO WAR DER ARCHIMEDISCHE PUNKT, von dem aus die Welt aus den Angeln zu heben war: 7 Millionen Schilling fand das sozialistische Zentralorgan im 20-Milliarden-Budget 1953 für die „konfessionelle Schule“ eingesetzt und machte diese „Riesensumme“ mit verantwortlich für Rentnernot, Wohnbaumisere und Bundesbahnmalaise. Das Haar in der Suppe, ist man versucht zu sägen, denn knapp zuVor hatte dasselbe Blatt die Summe von 400 Millionen, die es über das Karnitz- Budget hinaus gefordert und als Stein des Anstoßes gesetzt hatte, eine Lappalie genannt. Über diese Lappalie drohte einen Augenblick lang eine sieben Jahre alte, wohlbegründete politische Zweckgemeinschaft zu Zerbrechen — und über den 57. Teil davon ist man in der Wienzeile da- zvfi bereit, den für beide Teile so heilsamen Burgfrieden in Kultur- und Religionsangelegenheiten aufs Spiel zu setzen. Dabei war die Schlagzeile „Geld’für die konfessionelle- Schule" bedacht darauf angelegt, zwei Dinge zu vermengen, die miteinander nichts zu tun haben. Die Forderung nach „konfessionellen“, also nicht bloß katholischen, sondern auch evangelischen, jüdischen usw. Schulen, in einigen Ländern Europas längst schon erfüllt, ist hierzulande noch nicht so gründlich durchgedacht und durchbesprochen, daß an eine Verwirklichung von heute auf morgen zu denken wäre. Der Posten im Hader-Budget 1953 konnte daher auch nicht für sie gelten, und auch die Auslegung, daß dieser Betrag die Finanzierung einer ersten Etappe der konfessionellen Schule auf Schleichwegen darstellt, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Dagegen ist es allgemein bekannt, daß unser Land über musterhafte Ordensklosterschulen verfügt. Für sie eine bescheidene Zuwendung aus dem Steueraufkommen der vorwiegend katholischen Bevölkerung auszuwerfen, bedeutet wahrhaftig keine solche Ungeheuerlichkeit, daß man darüber in der Wienzeile ein Dutzend ehrlicher und anderer Loyalitätserklärungen 1945—1952 über Bord werfen müßte.

ES WAR EINMAL ein „Reichskommissar für die Wiedervereinigung der Ostmark mit dem Deutschen Reich“ mit Namen Josef Bürckel. Eines Tages nahm sich einer der vielen enttäuschten österreichischen Nationalsozialisten ein Herz und führte bei dem Gewaltigen bittere Klage darüber, daß in alle führenden Positionen Leute von jenseits des Inns einzögen, während die österreichischen Alten Kämpfer immer mehr in die Rolle der Aschenbrödel gedrängt würden. Die Antwort des Mannes aus der Saarpfalz war eigentlich einleuchtend und lautete ungefähr: „Ihr österreichischen Nationalen seid selber schuld. Kennt ihr doch anscheinend kein größeres Vergnügen, als euch gegenseitig abzuschießen. Jeder kämpft gegen jeden und hält den anderen aus diesem oder jenem Grund für untragbar. Von den Leuten aber, die ich aus dem Reich bringe, wißt ihr soviel wie gar nichts. Also müßt ihr mit ihnen zufrieden sein.“ Warum diese wohlüberlieferte historische Reminiszenz? Ein kleines Ereignis in der österreichischen Innenpolitik der Gegenwart erweckte sie aus der Vergessenheit. Da tagte in Graz der „Verband der Unabhängigen“

und — tote erwartet — kam es zu einem Wechsel im Vorsitz. Dr. Herbert Kraus,

der Initiator und trotz aller Widerstände durch Jahre persönlich redlich, aber mit wechselndem Erfolg um Mäßigung und politische Vernunft bemühte Obmann, resignierte, nachdem er schon kurze Zeit vorher auch die Obmannschaft des parlamentarischen Klubs seiner Fraktion niedergelegt hatte. Was nun? Jenen Mann, der unbedingt „unter nationalen und sozialen Vorzeichen“ in die kommende Wahl ziehen will, noch stärker in den Vordergrund zu stellen, verbot doch politische Klugheit. Auch war er innerhalb der so zahlreichen Gruppen und Schattierungen des VdU nicht ohne Konkurrenz. So fiel die salomonische Wahl auf Herrn Max S t en- deb ach, von dem die österreichische Öffentlichkeit bisher nicht mehr weiß, als daß er ein geborener Sachse, Oberst a. D., Landwirt in Kärnten und erst seit, 1932 österreichischer Staatsbürger ist. Ohne Zweifel: der neue Parteichef wird seine politische Visitenkarte noch abgeben müssen.

WIEDER MÄSTET SIE SICH an fremdem gestohlenem Gut. Wer? „Die schwarz-rote Koalition mästet sich in Österreich am Deutschen Eigentum.“ Wer sagt das? Ein dunkelroter Neo-Nationaler der Slavik-Be-, wegung? Nein. Der Bonner Bundesjustizminister Dr. Dehler auf einer Wahlkundgebung der FDP in Göttingen. Am 2. November 1952. Dr. Dehler ist in ganz Deutschland bekannt durch seine scharfen Angriffe gegen die deutschen Gewerkschaften; er hat dort an Ort und Stelle eine ebenso scharfe Entgegnung erfahren. Uns liegt es nicht, Unbill mit Unbill zu entgelten. Dennoch fröstelt uns. Novemberfröste: sind wir tatsächlich schon so weit, wie Mißmeinende glauben, wie andere Mißtönende es haben wollen? Seit Monaten erlebt Österreich dieses Schauspiel: prominente und weniger prominente deutsche Politiker ergreifen in Österreich das Wöri; nicht selten auf Wahl- und Parteikundgebungen einer Partei, die guten Grund hätte, mit solchen Einladungen zurückhaltender zu sein. Nicht selten mit Worten, die nahe an eine Verletzung des Gastrechts und an eine Beleidigung unseres Staates hemn- rühren. Wir wissen, daß drüben, im „Reich“, genauer, in der Bonner Bundesrepublik oft noch viel deutlichere Worte fallen. Weiß man drüben, bei unseren deutschen Freunden, was das heißt? Hat man ganz vergessen, was daraus entstand, als in kurz vergangenen Tagen deutsche Politiker über alle Grenzen ausschwärmten, um das eigene Volk abzulenken von Innenpolitik sehen Schwierigkeiten, um Unzufriedene, in. anderen Völkern zu werben, als Handlanger für sehr üble Pläne? Will man wirklich, in Bonn, daß das Ausland, daß Europa die Besuche seiner führenden Politiker in Verbindung bringt mit den Besuchen und Hetzreden Görings, Göbbels zwischen 1932 und 1939? In einem Moment, in dem Deutschland in Ost (Berlin) und West (Saar) in große, vielleicht weltgeschichtliche Möglichkeiten einbezogen ist? Wir glauben das nicht.

WAFFEN PRÄSENTIERENDE EHRENKOMPANIEN in Berlin, dröhnender Hohen- friedbergermarsch, Staatshymnen, Fahnenwald, Transparente, auf denen mit Riesenlettern „Ewige Freundschaft mit dem ungarischen Volk“ verkündet wurde. Es war — beinahe — wie einst, als Nikolaus Horthy als Gast Adolf Hitler besuchte. Ein Unterschied: der Besucher hieß diesmal Mathias Räkosi, seine Gastgeber waren Herr Pieck und Herr Grotewohl. Wenn man die Begrüßungsreden aufmerksam liest, fällt fürs erste die starke Betonung des „historischen Ereignisses“ auf, daß die beiden Ministerpräsidenten als „Vertreter zweier gleichberechtigter Staaten gleichen Ranges“ zusammengekommen sind. Neben der obligaten Huldigung an eine bestimmte Moskauer Adresse herrschte aber — und das ist’das bemerkenswerteste, aber bisher seltsamerweise so gut wie gar nicht kommentierte Ereignis des neuen Berliner Staatsbesuches im alten Stil — völliges Still sch zeigen darüber, daß es außer den beiden nunmehrigen Brüdern sowie dem „Beschützer“ etwa auch noch andere Volksdemokratien gibt Das kann angesichts der von zünftigen Händen zusammengestellten Reden und Presseerklärungen wohl kein Zufall sein. Hat man sich an höherer Stelle entschlossen, mehrspurig zu fahren? Zu dem Appell an alte panslawi- stische Ideen und Gefühle in der Tschechoslowakei, Polen und Bulgarien käme dann ein zweites politisches System im großen „Friedenslager“, das auf den Pfeilern Ostberlin—Budapest ruhen soll. Ein solcher Schachzug würde bei Männern, die das Wort „Dialektik“ wie eine Zauberformel handhaben, wirklich nicht überraschen.

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